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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 09.03.1999
Aktenzeichen: VI ZB 3/99
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 233 |
Ein Rechtsanwalt muß Akten, die ihm am Vorfristtage als Vorfristsache vorgelegt werden, nicht sofort bearbeiten und auch die von seinem Büropersonal notierte Frist zur Begründung eines Rechtsmittels nicht sofort überprüfen.
BGH, Beschluß vom 9. März 1999 - VI ZB 3/99 - OLG Naumburg LG Dessau
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom
9. März 1999
in dem Rechtsstreit
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. März 1999 durch den Vorsitzenden Richter Groß und die Richter Bischoff, Dr. v. Gerlach, Dr. Dressler und Dr. Greiner
beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluß des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 14. Dezember 1998 aufgehoben.
Der Klägerin wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewährt.
Der Beschwerdewert wird auf 6.104,65 DM festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 14. August 1998 zugestellte Urteil des Landgerichts mit einem am 11. September 1998 beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Ihre Berufungsbegründung mit Datum vom 13. Oktober 1998 ist dort am 15. Oktober 1998 eingegangen.
Mit einem dem Oberlandesgericht am 22. Oktober 1998 zugegangenen Schriftsatz hat die Klägerin gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung beantragt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, die Büroangestellte T., die in der Kanzlei ihres Prozeßbevollmächtigten allgemein mit der Berechnung und Notierung von Fristen beauftragt sei, habe bei Einlegung der Berufung mit Schriftsatz vom 9. September 1998 als Postausgangstag den 10. September 1998 notiert und davon ausgehend den 11. Oktober 1998 als mutmaßliches Ende der Berufungsbegründungsfrist festgehalten. Sodann habe das Oberlandesgericht mit Schreiben vom 14. September 1998 mitgeteilt, daß die Berufung am 11. September 1998 eingegangen sei; dieses Schreiben habe den Eingangsstempel vom 18. September 1998 erhalten. Als T. nunmehr die endgültige Frist für die Berechnung habe bestimmen wollen, habe sie versehentlich den 18. September 1998 als Eingang der Berufung zugrunde gelegt und dementsprechend das Ende der Begründungsfrist fälschlich auf den 18. Oktober 1998 notiert. Als Vorfrist habe sie den 12. Oktober 1998 eingetragen, und an diesem Tage seien dem Prozeßbevollmächtigten die Akten auch als Vorfristsache vorgelegt worden. Dieser habe dann am folgenden Tag, dem 13. Oktober 1998, die Berufungsbegründung angefertigt.
Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Nach seiner Auffassung trifft den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin ein eigenes Verschulden an der Versäumung der Begründungsfrist, weil er seiner Pflicht zur Fristenkontrolle bei Vorlage der Akten nicht nachgekommen sei. Wäre dies geschehen, hätte er den Irrtum der Büroangestellten entdecken und die Berufung am selben Tage fristgerecht begründen können, denn am 12. Oktober 1998, einem Montag, sei die Berufungsbegründungsfrist noch nicht abgelaufen gewesen.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit der sofortigen Beschwerde, mit der sie geltend macht, es habe für ihren Prozeßbevollmächtigten keine Veranlassung bestanden, die ihm auf Vorfrist vorgelegten Akten sofort zu bearbeiten und die Frist zu überprüfen.
II.
Das Rechtsmittel ist begründet.
Das Berufungsgericht hat zu Unrecht die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 233 ZPO verneint, weil den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin ein eigenes Verschulden an der Versäumung der Begründungsfrist treffe. Die verspätete Einreichung der Berufungsbegründung beruht vielmehr ausschließlich auf einem Versehen der Büroangestellten T., das sich die Klägerin nicht zuzurechnen lassen braucht.
1. Im Ansatz nimmt das Berufungsgericht zwar zutreffend an, daß sich ein Rechtsanwalt grundsätzlich auf die Fristnotierungen durch eine zuverlässige und geschulte Bürokraft verlassen kann, daß er aber eigenverantwortlich den Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist überprüfen muß, wenn ihm die Akten zur Bearbeitung vorgelegt werden (ständige Rechtsprechung, vgl. Senatsbeschluß vom 14. Januar 1997 - VI ZB 24/96 - VersR 1997, 598 m.w.N.). Der Senat hat jedoch wiederholt entschieden, daß der Rechtsanwalt Akten, die ihm wie hier als Vorfristsache vorgelegt werden, nicht sofort bearbeiten muß (Beschluß vom 27. Mai 1997 - VI ZB 10/97 - VersR 1997, 1253; vom 15. April 1997 - VI ZB 11/97; vgl. auch Senatsbeschluß vom 1. Juli 1997 - VI ZB 19/97). Er ist infolgedessen entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch nicht verpflichtet, die Frist nach Aktenvorlage sofort zu überprüfen. Die Vorfrist hat gerade den Sinn, einem Rechtsanwalt einen gewissen zeitlichen Spielraum zur Bearbeitung bis zum endgültigen Ablauf der Frist zu lassen. Im vorliegenden Fall bestand, wie die Klägerin glaubhaft gemacht hat, in der Kanzlei ihres Prozeßbevollmächtigten die Übung, bei Rechtsmittelfristen eine Vorfrist von mindestens einer Woche vor Ablauf der Frist einzutragen. Es kann daher nicht beanstandet werden, wenn der Rechtsanwalt wie hier die Bearbeitung der ihm als Vorfristsache vorgelegten Akten erst am Tage nach Vorlage in Angriff nimmt und dabei die Fristen überprüft (Senatsbeschluß vom 15. April 1997).
2. Es kommt daher entgegen der Annahme des Berufungsgerichts nicht darauf an, ob der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin bei sofortiger Fristenkontrolle am 12. Oktober 1998 den Irrtum hätte bemerken und die Berufungsbegründungsfrist noch hätte wahrnehmen können. Daß er selbst die fehlerhafte Fristnotierung bei der Bearbeitung am folgenden Tage, dem 13. Oktober 1998, nicht bemerkt und deshalb die Begründung erst am 15. Oktober 1998 bei Gericht eingereicht hat, ist für die Fristversäumung nicht ursächlich geworden und hat daher außer Betracht zu bleiben.
3. Da die Klägerin im übrigen glaubhaft gemacht hat, daß ihr Prozeßbevollmächtigter seinen Pflichten zur Kontrolle der ihm als zuverlässig bekannten Kanzleiangestellten T. nachgekommen ist, muß die angefochtene Entscheidung aufgehoben und die nachgesuchte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden.
Ende der Entscheidung
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