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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 23.09.2003
Aktenzeichen: VI ZB 32/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 574 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

VI ZB 32/03

vom 23. September 2003

in dem Rechtsstreit

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. September 2003 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Müller, den Richter Dr. Greiner, die Richterin Diederichsen sowie die Richter Pauge und Zoll

beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 4. März 2003 wird auf Kosten der Klägerin als unzulässig verworfen.

Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde: 20.677,55 €

Gründe:

I.

Die Klägerin hat die Beklagte mit der vorliegenden Klage auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Sein Urteil ist dem erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 14. Januar 2002 zugestellt worden. Dieser war beim Berufungsgericht nicht zugelassen, legte aber am 15. Januar 2002 Berufung ein und begründete diese zugleich. Mit Schriftsatz vom "29. Oktober 2001" - beim Berufungsgericht eingegangen am 14. Februar 2002 - hat der nur beim Landgericht zugelassene Rechtsanwalt Dr. S. als amtlich bestellter Vertreter des beim Berufungsgericht zugelassenen Rechtsanwalts Dr. A. für die Klägerin (erneut) Berufung eingelegt. In dieser Berufungsschrift heißt es: "Anträge und Begründung bleiben einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten". Auf Anfrage des Berufungsgerichts zu der doppelten Berufungseinlegung teilte der erstinstanzliche Prozeßbevollmächtigte der Klägerin mit, er gehe davon aus, daß er keine wirksame Berufung vor dem Oberlandesgericht habe einlegen können; aus diesem Grund sei durch die Rechtsanwälte Dr. A. u.a. nochmals Berufung eingelegt worden.

Eine von Dr. A. unterzeichnete Berufungsbegründung, datiert vom 13. März 2002, befindet sich Bl. 144 ff. der Gerichtsakten; sie trägt den Eingangsstempel vom 2. Mai 2002. Die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten haben die Abschrift der ersten und der letzten Seite der ihnen zugegangenen Berufungsbegründungsschrift vom 13. März 2002 vorgelegt; die erste Seite trägt den Eingangsstempel des Berufungsgerichts vom 15. März 2002. Die letzte Seite trägt einen Beglaubigungsvermerk von Rechtsanwalt Dr. S.. Dieser war weder am 13. noch am 14. März 2002 als Vertreter eines beim Berufungsgericht zugelassenen Rechtsanwalts bestellt.

In der mündlichen Verhandlung hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, daß die Berufungsbegründung möglicherweise nicht rechtzeitig eingegangen sei. Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hat dies in Abrede gestellt. Er hat zuletzt schriftsätzlich geltend gemacht, die Berufungsbegründung sei am 13. März 2002 durch Dr. A. per Briefpost oder per Fax von einem Münchner Hotel aus an das Berufungsgericht übersandt worden und offensichtlich bei Gericht verlorengegangen. Vorsorglich hat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

Durch den angefochtenen Beschluß hat das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Mit der Rechtsbeschwerde erstrebt die Klägerin die Aufhebung des Beschlusses. Sie macht geltend, eine Korrektur sei zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 574 Abs. 1 i.V.m. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO sind nicht gegeben. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist entgegen der Ansicht der Klägerin zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) nicht erforderlich.

1. Eine Divergenz (vgl. dazu etwa Senatsbeschluß vom 13. Mai 2003 - VI ZB 76/02 - FamRZ 2003, 1271; BGH, Beschluß vom 4. Juli 2002 - V ZB 16/02 - BGHZ 151, 221, 225 f.) zeigt die Rechtsbeschwerde nicht auf. Sie macht lediglich geltend, das Berufungsgericht habe nicht bedacht, daß in der Berufungseinlegung durch einen zugelassenen Rechtsanwalt eine Genehmigung der zuvor von dem erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten vorgenommenen Prozeßhandlungen - Berufungseinlegung und Berufungsbegründung - liegen könne, und es sei demnach von der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abgewichen. Daß das Berufungsgericht einen Rechtssatz zu dem angesprochenen Problemkreis aufgestellt haben könnte, ist dem angefochtenen Beschluß nicht zu entnehmen. Es zieht eine Genehmigung überhaupt nicht in Erwägung, offensichtlich deshalb, weil die Klägerin in ihren Schriftsätzen an keiner Stelle geltend gemacht hat, mit der späteren Berufung hätten die Prozeßhandlungen des erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten genehmigt werden sollen, und weil - wie die Beklagte in der Beschwerdeerwiderung zutreffend ausführt - der Inhalt der späteren Berufungsschrift mit dem Hinweis auf eine noch einzureichende Berufungsbegründung den Gedanken an eine Genehmigung als fernliegend erscheinen ließ. Auch soweit mit der Rechtsbeschwerde geltend gemacht wird, das Berufungsgericht habe Prozeßstoff übergangen, ist für eine Divergenz nichts ersichtlich.

2. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung allerdings dann erforderlich, wenn bei der Auslegung oder Anwendung revisiblen Rechts Fehler über die Einzelfallentscheidung hinaus die Interessen der Allgemeinheit nachhaltig berühren (Senatsbeschluß vom 13. Mai 2003, aaO; BGH, Beschluß vom 4. Juli 2002 - V ZB 16/02 - aaO). Das kann insbesondere auch bei einer Verletzung von Verfahrensgrundrechten der Fall sein, etwa wenn der angefochtene Beschluß die Partei in ihrem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG; dazu BGH, Beschluß vom 27. März 2003 - V ZR 291/02 - NJW 2003, 1943, 1946 f., zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen) oder wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip; dazu etwa Senatsbeschluß vom 13. Mai 2003, aaO) verletzt. Eine Verletzung von Verfahrensgrundrechten muß nach den Darlegungen des Beschwerdeführers im Einzelfall klar zutage treten, also offenkundig sein, ferner muß die angefochtene Entscheidung hierauf beruhen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. Juli 2002 - V ZB 16/02 - aaO, und vom 27. März 2003 - V ZR 291/02 - aaO, S. 1947).

Ein solcher Zulassungsgrund liegt hier nicht vor. Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht nicht auf einem entscheidungserheblichen klar zu Tage tretenden Verstoß gegen die Verfahrensgrundrechte der Klägerin; sie ist zudem einzelfallbezogen und erfordert deshalb keine korrigierende Entscheidung des Bundesgerichtshofs.

a) Dies gilt zum einen, soweit das Berufungsgericht eine Genehmigung der Prozeßhandlungen des erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten nicht in Betracht gezogen hat. Wie ausgeführt lag die Annahme einer solchen Genehmigung eher fern. Aus dem Text der zweiten Berufungsschrift ergibt sich keinerlei Anhaltspunkt für eine Genehmigung der Prozeßhandlungen des erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten. In der Berufungsbegründung vom 13. März 2002 heißt es auch ausdrücklich: "begründe ich die mit Schriftsatz vom 14.02.2002 eingelegte Berufung ...". Auch die die doppelte Berufungseinlegung erläuternde Stellungnahme des erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten und die Tatsache, daß in den Schriftsätzen der Klägerin die Idee einer Genehmigung nicht einmal andeutungsweise aufgegriffen wird, lassen es als nachvollziehbar erscheinen, daß sich dem Berufungsgericht die Frage einer Genehmigung nicht gestellt hat.

Selbst wenn man dies anders sehen wollte, läge lediglich ein Fehler im Einzelfall vor, der weder symptomatische Bedeutung hat noch einen Nachahmungseffekt oder eine Wiederholung für andere Fälle befürchten läßt (vgl. dazu Senatsbeschluß vom 25. März 2003 - VI ZB 55/02 - NJW-RR 2003, 995, 996; BGH, Beschluß vom 27. März 2003 - V ZR 291/02 - aaO, S. 1945 f.). Die Frage, ob in einer Berufungsschrift zugleich die Genehmigung der Prozeßhandlungen eines nicht zugelassenen Rechtsanwalts zu sehen ist, kann nur aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. Dafür, daß eine Fallgestaltung wie die vorliegende mit ihren recht außergewöhnlichen Umständen zukünftig erneut zu beurteilen sein wird, spricht nichts.

b) Dies gilt zum anderen auch, soweit die Rechtsbeschwerde geltend macht, das Berufungsgericht habe entscheidungserhebliches Vorbringen übergangen und damit den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör in offenkundiger Weise verletzt.

Die Ausführungen des Berufungsgerichts zum Tätigwerden des Rechtsanwalts Dr. A. in M. lassen diesen Vorwurf nicht als gerechtfertigt erscheinen. Die Beklagte weist in der Beschwerdeerwiderung zutreffend darauf hin, daß dem Vortrag der Klägerin zu diesem Sachverhalt keineswegs zu entnehmen war, die Berufungsbegründungsschrift vom 13. März 2002 müsse von dem Hotel aus per Fax an das Berufungsgericht gesandt worden sein. Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hat in seinem Schriftsatz vom 22. November 2002 behauptet, die Berufungsbegründung am 13. März 2002 per e-mail erhalten, ausgedruckt, gelesen, unterzeichnet und abgesandt zu haben. Zugleich hat er ausgeführt, er könne sich nicht mehr erinnern, ob er die Berufungsbegründung dann durch das Telefaxgerät des Hotels oder aber noch am gleichen Tage mit der Briefpost versandt habe; da die von Rechtsanwalt Dr. S. geführte Akte keinen Telefaxsendebericht aufweise, gehe er davon aus, daß das Schreiben mit der Post versandt worden sei. Auf diesen Vortrag stellt das Berufungsgericht entscheidend ab.

Die Rüge, das Berufungsgericht habe streitentscheidenden Vortrag übergangen, weil es zum möglichen Eingang eines Faxes aus M. keine weitere Stellungnahme des Justizangestellten B. eingeholt habe, erscheint danach bereits in der Sache als ungerechtfertigt. Keinesfalls kann aber von einer auf der Hand liegenden Verletzung des rechtlichen Gehörs ausgegangen werden. Im Hinblick auf den dargestellten Vortrag des Rechtsanwalts Dr. A. ist es zumindest gut nachvollziehbar und verständlich, wenn das Berufungsgericht davon ausging, dass sich weitere Nachforschungen im Bereich des Gerichts zum eventuellen Eingang eines Faxes erübrigten. Die schriftsätzlichen Ausführungen können durchaus so verstanden werden, daß man nunmehr auf Seiten der Klägerin nicht mehr ernsthaft von einer Versendung per Fax ausging, sondern den Vorwurf erheben wollte, die per Briefpost übersandte Berufungsbegründung sei durch Manipulationen der Geschäftsstelle aus der Akte entfernt worden.

c) Es ist nicht dargetan oder ersichtlich, daß das Berufungsgericht in Anbetracht der von den Anwälten der Klägerin vorgetragenen Tatsachen die an die Feststellung des Zugangs der Berufungsbegründungsschrift oder an die Wiedereinsetzung zu stellenden Anforderungen überspannt haben könnte. Die Rechtsbeschwerde nimmt die insoweit wertenden Ausführungen des angefochtenen Beschlusses hin. Es ist auch nicht zu beanstanden, daß das Berufungsgericht sich angesichts des zum Teil unsicheren und unvollständigen Vortrags der Klägerin über die Behandlung der Berufungsbegründung im praxisinternen Bereich ihrer Anwälte nicht in der Lage gesehen hat, den rechtzeitigen Eingang der Berufungsbegründung festzustellen bzw. die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Auf jeden Fall handelt es sich um Ausführungen zur Entscheidung eines konkreten Einzelfalls, die ein Einschreiten des Bundesgerichtshofs nicht erfordern.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.



Ende der Entscheidung

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