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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 23.05.2006
Aktenzeichen: VI ZB 77/05
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 233 |
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom 23. Mai 2006
in dem Rechtsstreit
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Mai 2006 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller und die Richter Dr. Greiner, Wellner, Pauge und Stöhr
beschlossen:
Tenor:
Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss der 13. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg vom 20. September 2005 aufgehoben.
Dem Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewährt.
Beschwerdewert: 609,60 €
Gründe:
I.
Die Klägerin begehrt Schadensersatz mit der Begründung, der Beklagte sei in der Nacht vom 30. September auf den 1. Oktober 2004 auf ihren PKW gefallen und habe diesen dabei beschädigt. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Urteil ist dem Beklagten am 3. Mai 2005 zugestellt worden. Am 10. Mai 2005 hat sein Prozessbevollmächtigter Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung ist am 5. Juli 2005 beim Landgericht eingegangen. Auf den Hinweis des Gerichts, dass die Berufungsbegründungsfrist nicht gewahrt sei, hat der Beklagte mit einem am 18. Juli 2005 eingegangenen Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung hat er vorgetragen, die Bürokraft seines Prozessbevollmächtigten, die Rechtsanwaltsfachangestellte L., habe im Fristenkalender für Montag, den 4. Juli 2005 den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist notiert und für den 27. Juni 2005 eine Vorfrist eingetragen. An diesem Tag sei die Akte seinem Prozessbevollmächtigten vorgelegt worden. Dieser habe am selben Tag eine Berufungsbegründung entworfen, die am nächsten Tag von Frau L. geschrieben worden sei. Diese habe darüber hinaus ein Schreiben an den Berufungskläger gefertigt, in dem dieser um Kenntnisnahme der in Abschrift beigefügten Berufungsbegründung gebeten worden sei. Entgegen der allgemeinen Anweisung habe Frau L. infolge Unkonzentriertheit lediglich das Schreiben an den Berufungskläger zur Post gegeben und die Berufungsbegründungsschrift selbst versehentlich mit fristungebundener Korrespondenz vermischt, die über das Gerichtsfach habe weitergeleitet werden sollen. In der Annahme, das Original der Berufungsbegründung liege bereits bei der versandfertigen Post, habe sie eine Abschrift dieses Schriftsatzes in der Akte abgeheftet. Bei der Kontrolle der Notfrist am 4. Juli 2005 habe sich dieser Irrtum wiederholt. Weil in der Akte eine Abschrift der Berufungsbegründung eingeheftet gewesen sei, es keinen Hinweis auf eine fehlende Unterzeichnung oder Versendung gegeben habe und im Postausgangsbuch bereits unter dem 28. Juni 2005 die Versendung eines Schriftstücks in dieser Sache vermerkt gewesen sei, habe sie angenommen, die Frist sei abgearbeitet. Die Berufungsbegründung habe Frau L., ohne sich dessen bewusst gewesen zu sein, in einem Stapel weiterer Korrespondenz am 5. Juli 2005 in das Gerichtsfach eingelegt.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht die begehrte Wiedereinsetzung versagt. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner Rechtsbeschwerde, die er zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung für zulässig hält (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
II.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, denn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Senats (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der angefochtene Beschluss verletzt den Beklagten in seinem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (vgl. Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Dieser verbietet es, einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen sie auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Gerichts nicht rechnen musste (vgl. BVerfGE 79, 372, 376 f.; BVerfG, NJW-RR 2002, 1004, 1005).
Das Berufungsgericht hat die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, dem durch eidesstattliche Versicherung der Rechtsanwaltsfachangestellten L. glaubhaft gemachten Vortrag des Beklagten sei nicht zu entnehmen, dass es in der Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten eine ausreichende Ausgangskontrolle für fristgebundene Schriftsätze gegeben habe. Der Umstand, dass die Berufungsbegründungsschrift mit fristungebundener Korrespondenz vermischt worden und dieser Fehler auch am Tage des Fristablaufs nicht aufgefallen sei, zeige vielmehr, dass der Postversand fristgebundener Schriftstücke nicht hinreichend gewährleistet gewesen sei. Dagegen wendet sich die Rechtsbeschwerde mit Erfolg.
Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass es zu den Aufgaben des Prozessbevollmächtigten gehört, dafür Sorge zu tragen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig erstellt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Zu diesem Zweck muss der Prozessbevollmächtigte nicht nur sicherstellen, dass ihm die Akten von Verfahren, in denen Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfristen laufen, rechtzeitig vorgelegt werden. Er muss vielmehr zusätzlich eine Ausgangskontrolle schaffen, durch die zuverlässig gewährleistet wird, dass fristwahrende Schriftsätze auch tatsächlich rechtzeitig hinausgehen. Da für die Ausgangskontrolle in jedem Anwaltsbüro ein Fristenkalender unabdingbar ist, muss der Rechtsanwalt sicherstellen, dass die im Kalender vermerkten Fristen erst gestrichen werden (oder ihre Erledigung sonst kenntlich gemacht wird), wenn die fristwahrende Maßnahme durchgeführt, der Schriftsatz also gefertigt und abgesandt oder zumindest postfertig gemacht, die weitere Beförderung der ausgehenden Post also organisatorisch zuverlässig vorbereitet worden ist. Schließlich gehört zu einer wirksamen Ausgangskontrolle auch eine Anordnung des Prozessbevollmächtigten, durch die gewährleistet wird, dass die Erledigung der fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders von einer dazu beauftragten Bürokraft überprüft wird (st. Rspr., vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 1997 - IX ZB 57/97 - VersR 1997, 1552; vom 15. Juli 1998 - IV ZB 8/98 - NJW-RR 1998, 1443; vom 5. Februar 2003 - IV ZB 34/02 - NJW-RR 2003, 862; vom 22. Mai 2003 - I ZB 32/02 - BGH-Report 2003, 1035 und vom 9. November 2005 - XII ZB 270/04 - FamRZ 2006, 192).
Der Auffassung des Berufungsgerichts, der Beklagte habe solche organisatorischen Maßnahmen nicht hinreichend dargelegt, kann indessen nicht gefolgt werden. Der Beklagte hat vorgetragen und durch eidesstattliche Versicherung der Rechtsanwaltsfachangestellten L. glaubhaft gemacht, dass Frau L. angewiesen war, fristgebundene Schriftsätze umgehend nach Unterzeichnung zu versenden, noch am selben Tag zur Post zu geben und die Erledigung am Tage des Fristablaufs noch einmal zu überprüfen. Es bestand ferner die Anweisung, Korrespondenzabschriften erst in der Handakte abzuheften, wenn der Versand sichergestellt, mithin das Telefax versandt oder die Post versandfertig gemacht worden war. Im Unterschied dazu waren fristungebundene, über das Gerichtsfach zu versendende Schriftstücke in einem hierzu dienenden Postausgangsfach zu sammeln und von dort aus mindestens einmal wöchentlich in das Gerichtsfach zu legen. Hierdurch war organisatorisch ausreichend gewährleistet, dass fristgebundene Schriftstücke von anderer Korrespondenz getrennt aufbewahrt und ohne weiteren Eingriff rechtzeitig zur Post gelangen konnten (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Juli 1998 - IV ZB 8/98 - aaO). Wenn im konkreten Fall beim Einsortieren der Post ein Fehler unterlaufen ist, beruht dies auf einem nicht vorhersehbaren Fehlverhalten der Rechtsanwaltsfachangestellten L., das dem Wiedereinsetzungsbegehren des Beklagten nicht entgegensteht. Einer Partei ist nämlich nur ein Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten, nicht aber dasjenige seines Büropersonals zuzurechnen (§ 85 Abs. 2 ZPO; vgl. Senatsbeschluss vom 11. Februar 2003 - VI ZB 38/02 - VersR 2003, 1462 m.w.N.).
Der Umstand, dass der Irrtum von Frau L. bei späteren Kontrollen unentdeckt geblieben ist, erklärt sich aus der Eigenart des Fehlers und ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts keine Folge unzureichender Büroorganisation. Dafür muss nur gewährleistet sein, dass ein fristwahrender Schriftsatz rechtzeitig hergestellt und postfertig gemacht wird, sofern die weitere Beförderung der ausgehenden Post organisatorisch zuverlässig vorbereitet ist. Das ist im Allgemeinen schon dann anzunehmen, wenn der fristwahrende Schriftsatz in ein Postausgangsfach des Rechtsanwalts eingelegt wird und die abgehende Post von dort unmittelbar zum Briefkasten oder zur maßgeblichen gerichtlichen Einlaufstelle gebracht wird (vgl. BGH, Urteil vom 11. Januar 2001 - III ZR 148/00 - NJW 2001, 1577, 1578). Diese - ein Organisationsverschulden ausschließenden - Maßnahmen sind in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten des Beklagten getroffen worden. Dafür, dass der Schriftsatz im konkreten Fall aufgrund eines Versehens von Frau L. in das falsche Fach gelangt ist und dies dazu geführt hat, dass die Nichtabsendung der Berufungsbegründung nicht bemerkt wurde, ist der Prozessbevollmächtigte des Beklagten nicht verantwortlich. Auch soweit das Berufungsgericht beanstandet, dass der Fehler jedenfalls bei der Kontrolle des Postausgangsbuchs hätte auffallen müssen, weil dort die Versendung nur eines Schriftstücks vermerkt gewesen sei, handelt es sich nicht um einen Organisationsmangel, sondern ein Fehlverhalten von Frau L.. Da das Postfach für fristgebundene Schriftsätze gewissermaßen die "letzte Station" auf dem Weg zum Adressaten darstellte, war eine zusätzliche Überwachung der abgehenden Post aus organisatorischen Gründen nämlich nicht erforderlich (vgl. BGH, Urteil vom 11. Januar 2001 - III ZR 148/00 - aaO und Beschluss vom 22. Mai 2003 - I ZB 32/02 - aaO).
Ende der Entscheidung
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