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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 10.10.2000
Aktenzeichen: VI ZR 10/00
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 286 B
ZPO § 286 B

Zu den Pflichten des Tatrichters, ein von der Partei eingereichtes Privatgutachten zu berücksichtigen.

BGH, Urteil vom 10. Oktober 2000 - VI ZR 10/00 - OLG Oldenburg LG Aurich


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

VI ZR 10/00

Verkündet am: 10. Oktober 2000

Holmes, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 10. Oktober 2000 durch die Richter Dr. Lepa, Dr. Müller, Dr. Dressler, Dr. Greiner und Wellner

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 10. Dezember 1999 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Klägerin erkannt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin macht Ansprüche auf materiellen und immateriellen Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalls vom 18. August 1995 geltend, wobei die Einstandspflicht der Beklagten außer Streit steht. Die Klägerin trägt vor, der nicht vorfahrtberechtigte Beklagte sei an einer Kreuzung mit einer Geschwindigkeit von 70 km/h von links auf ihren mit ca. 30 km/h fahrenden Pkw aufgeprallt. Das habe bei ihr Verletzungen im Kopf- und Schulterbereich bewirkt. Sie behauptet, sie leide seit dem Unfall unter Schmerzen im Schulter-, Arm- und Halsbereich sowie unter Kopfschmerzen, teilweise unter heftigen Schmerzattacken mit Schwindelgefühl und Sehschwierigkeiten. Ihren linken Arm könne sie kaum benutzen. Sie führt diese Beschwerden auf den Unfall zurück und hat beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 18.408,86 DM sowie eines angemessenen Schmerzensgeldes - nach ihrer derzeitigen Vorstellung 125.000 DM - abzüglich vorgerichtlich gezahlter 3000 DM zu verurteilen und die Ersatzpflicht der Beklagten für weiteren materiellen und immateriellen Schaden festzustellen.

Das Landgericht hat der Klägerin unter Klagabweisung im übrigen ein weiteres Schmerzensgeld von 4.500 DM zugesprochen. Die Berufung der Klägerin blieb ebenso wie die Anschlußberufung der Beklagten ohne Erfolg. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihre Anträge im Umfang der Klagabweisung weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht führt aus, der Klägerin sei nicht der Nachweis gelungen, daß der geltend gemachte Dauerschaden auf den Unfall zurückzuführen sei. Zwar sei nach dem Unfallverlauf von einem hierdurch herbeigeführten Körperschaden auszugehen, ohne daß jedoch nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme eine Ursächlichkeit des Unfalls für die andauernden Beschwerden der Klägerin festgestellt werden könne. Bereits im ersten Rechtszug hätten die Sachverständigen sowohl eine organische als auch eine psychische Schädigung der Klägerin durch den Unfall ausgeschlossen. Dies gelte auch für die ergänzende Beweisaufnahme im zweiten Rechtszug. Insbesondere habe der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. T. festgestellt, daß der von der Klägerin unter Heranziehung der Stellungnahme des Arztes Dr. V. geäußerte Verdacht einer Ruptur des linken ligamentum alare nicht zutreffe. Da es nach den Feststellungen der verschiedenen Gutachter keine medizinische Erklärung für die Beschwerden der Klägerin gebe und auch kein Anhalt für eine durch den Unfall in Gang gesetzte neurotische Fehlentwicklung bestehe, fehle es an einem objektivierbaren Befund, wie er jedoch auch im Anwendungsbereich des § 287 ZPO erforderlich sei, um einen Ursachenzusammenhang zwischen Unfall und Schaden nachzuweisen.

II.

Das Berufungsurteil hält dem Angriff der Revision nicht stand.

1. Mit Recht rügt die Revision, daß in der Gerichtsakte die Stellungnahme des Privatgutachters Dr. F. fehlt, obwohl sie nach dem Inhalt des Schriftsatzes der Klägerin vom 12. November 1999 diesem Schriftsatz beigefügt sein sollte und ersichtlich auch den Beklagten zugegangen ist, wie aus deren Erwiderungsschriftsatz vom 17. November 1999 hervorgeht.

Bei dieser Sachlage muß davon ausgegangen werden, daß das Berufungsgericht diese Stellungnahme, die bezeichnenderweise in dem angefochtenen Urteil nicht erwähnt wird, nicht zur Kenntnis genommen hat. Das stellt einen durchgreifenden Verfahrensfehler dar, weil es sich bei dieser Stellungnahme des Privatgutachters, welche die Revision nunmehr vorlegt, der Sache nach um qualifizierten, urkundlich belegten Parteivortrag der Klägerin handelt, den das Berufungsgericht hätte berücksichtigen müssen (Senatsurteile vom 10. Dezember 1991 - VI ZR 234/90 - NJW 1992, 1459 f. und vom 9. Januar 1996 - VI ZR 70/95 - NJW 1996, 1597, 1599 jeweils m.w.N., ebenso BGHZ 98, 32, 40). Hierfür spielt es keine Rolle, ob die Stellungnahme des Privatgutachters dem Schriftsatz der Klägerin vom 12. November 1999 tatsächlich zunächst beigefügt war und nur versehentlich nicht in die Akten gelangt ist oder ob sie von vornherein gefehlt hat. In jedem Fall hätte das Berufungsgericht nämlich dem Schriftsatz entnehmen müssen, daß mit ihm eine "ausführliche Stellungnahme" des Privatgutachters vorgelegt werden sollte, und hätte, wenn diese sich nicht in der Akte befand, die Klägerin hierauf hinweisen und ihr Gelegenheit zur erneuten Einreichung der Stellungnahme geben müssen.

2. Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, daß das angefochtene Urteil auf diesem Mangel beruht. Das Berufungsgericht wäre nämlich gehalten gewesen, die Stellungnahme des Privatgutachters, mit welcher dieser die Kritik des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. T. an seiner vorangegangenen Stellungnahme zu widerlegen suchte, nicht nur selbst zur Kenntnis zu nehmen, sondern sie auch an den gerichtlichen Sachverständigen weiterzuleiten und, soweit der Inhalt der Stellungnahme dies erforderlich machte, in der gebotenen Weise auf eine Ergänzung des gerichtlichen Gutachtens hinzuwirken (hierzu Senatsurteil vom 10. Dezember 1991 (aaO)). Einem sich etwa ergebenden Widerspruch zwischen dem gerichtlichen Sachverständigen und dem Privatgutachter hätte das Berufungsgericht nach den vom erkennenden Senat in ständiger Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen nachgehen müssen (Senatsurteile vom 10. Dezember 1991, 9. Januar 1996 (jeweils aaO) sowie vom 28. April 1998 - VI ZR 403/96 - NJW 1998, 2735). Insoweit ist revisionsrechtlich davon auszugehen, daß ein solcher Widerspruch, wie die Revision ihn aus dem Inhalt der nunmehr vorgelegten Stellungnahme herleiten will, vorliegt und daß deshalb eine Vervollständigung der Beweisaufnahme erforderlich gewesen wäre.

III.

Aus diesem Grund kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Berücksichtigung der Stellungnahme des Privatgutachters sich auf die Beurteilung des Rechtsstreits ausgewirkt hätte. Deshalb war das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit es der Klägerin nachteilig ist, damit das Privatgutachten in der verfahrensrechtlich gebotenen Weise Berücksichtigung findet.

Ende der Entscheidung

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