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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 09.06.2009
Aktenzeichen: VI ZR 138/08
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 103 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat

am 9. Juni 2009

durch

die Vizepräsidentin Dr. Müller,

die Richter Zoll und Wellner,

die Richterin Diederichsen und

den Richter Stöhr

beschlossen:

Tenor:

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 13. Mai 2008 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch für die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gegenstandswert: 30.000 EUR

Gründe:

1.

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt, indem es die Ausführungen des toxikologischpharmakologischen Sachverständigen, die sich der Kläger zu Eigen gemacht hat, nicht in der gebotenen Weise berücksichtigt und es rechtsfehlerhaft unterlassen hat, die Widersprüche zwischen den Gutachten des toxikologischpharmakologischen Sachverständigen Prof. Dr. E. und des orthopädischchirurgischen Sachverständigen Prof. Dr. S. aufzuklären.

2.

Mit Recht rügt die Nichtzulassungsbeschwerde, dass das Berufungsgericht in den entscheidungserheblichen Punkten allein die Angaben des orthopädisch-chirurgischen Sachverständigen Prof. Dr. S. für maßgeblich erachtet und im Rahmen seiner Würdigung die Ausführungen des toxikologischpharmakologischen Sachverständigen Prof. Dr. E. übergangen hat.

a)

Das Berufungsgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass sich das Gericht bei der Frage, ob eine Abweichung vom medizinischen Standard und damit ein Behandlungsfehler vorliegt, grundsätzlich auf die medizinische Bewertung des Behandlungsgeschehens durch einen Sachverständigen aus dem betroffenen medizinischen Fachgebiet stützen muss (vgl. etwa Senatsurteil vom 19. Mai 1987 - VI ZR 147/86 - VersR 1987, 1091, 1092). Es hat jedoch übersehen, dass beim Sorgfaltsmaßstab des Arztes nicht nur die im jeweiligen Fachgebiet geltenden Maßstäbe zu berücksichtigen sind, sondern auch allgemeine medizinische Grundkenntnisse (vgl. Senatsurteil BGHZ 140, 309, 317 betreffend physikalische Grundkenntnisse; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 6. Aufl., Rn. 32). Die Verletzung allgemeiner Grundkenntnisse durch den Beklagten zu 2 hat der Kläger jedoch - gestützt auf das Gutachten des toxikologischen Sachverständigen Prof. Dr. E. - behauptet.

b)

Bei der Frage nach einem Behandlungsfehler des Beklagten zu 2 geht es im vorliegenden Fall nicht in erster Linie um die orthopädischchirurgische Vorgehensweise des Beklagten zu 2 (Einsatz eines Hüftkopfes aus Keramik, Ersatz des gebrochenen Keramikkopfes durch einen Metallkopf aus Chrom und Kobalt, Punktion des Hüftgelenks und erste Revisionsoperation mit Entfernung eines Pseudoschleimbeutels), sondern um die Frage, ob dem Beklagten zu 2 ein - gegebenenfalls fundamentaler - Diagnosefehler unterlaufen ist, weil er die Anzeichen für das Vorliegen einer Schwermetallvergiftung nicht erkannt hat (Gewichtsverlust, Abgeschlagenheit, Müdigkeit, zunehmende Schmerzen im Bereich der rechten Hüfte, ausgeprägte Schwellung über dem rechten Hüftgelenk, schwarzgrünliche Flüssigkeitsansammlung in einem großen um das gesamte Gelenk herumreichenden Schleimhautsack sowie die Feststellung "Metallose" im pathologischen Untersuchungsbericht).

c)

Darüber hinaus geht es um die Frage, ob dem Beklagten zu 2 ein Befunderhebungsfehler unterlaufen ist, weil er trotz Kenntnis der intraoperativen Befunde der Revisionsoperation sowie des Ergebnisses der darauf folgenden pathologischen Untersuchung ("Metallose") im Hinblick auf das Beschwerdebild des Klägers keine toxikologische Untersuchung des Blutes bzw. des Urins auf eine Metallvergiftung veranlasst hat.

d)

Nach den Ausführungen des toxikologischen Sachverständigen Prof. Dr. E. ist es unter Medizinern "Allgemeingut", dass die Symptome, die beim Kläger festgestellt worden sind - insbesondere nach der Stellung der Diagnose "Metallose" durch den Pathologen - zu einer Schwermetallvergiftung passen. Wenn es sich aber hierbei um "medizinisches Allgemeingut" handelt, durfte das Berufungsgericht diese Ausführungen nicht mit der Begründung unberücksichtigt lassen, dem Sachverständigen Prof. Dr. E. fehle der im Streitfall erforderliche Sachverstand aus dem orthopädischchirurgischen Fachgebiet. Zumindest aber hätte das Berufungsgericht die vorhandenen Widersprüche aufklären müssen.

e)

Damit ist aber nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht bei hinreichender Berücksichtigung der Ausführungen des toxikologischen Sachverständigen, auf die sich der Kläger hauptsächlich gestützt hat, zu einem - zumindest einfachen - Diagnosefehler gelangt wäre, der nach den weiteren Ausführungen des toxikologischen Sachverständigen zur Kausalität zwischen der Metallvergiftung und den Beschwerden des Klägers für eine Haftung der Beklagten ausreichend sein könnte. Bereits deshalb unterliegt das Berufungsurteil der Aufhebung.

3.

Im Rahmen der weiteren Aufklärung wird das Berufungsgericht ggf. auch zu prüfen haben, ob dem Beklagten sogar ein fundamentaler Diagnosefehler mit der Folge einer Beweislastumkehr angelastet werden kann. So hat der toxikologische Sachverständige in seinem Gutachten es als grobe Fehlleistung qualifiziert, dass es der Beklagte zu 2 nach der Diagnose "Metallose" durch den Pathologen unterlassen hat, klinische Konsequenzen zu ziehen. Bei seiner Anhörung vor dem Landgericht hat er seine entsprechende Beurteilung mit folgenden Worten zusammengefasst: "Und wenn dann noch obendrauf der Pathologe eine Metallose feststellt, muss es klicken."

Schließlich wird das Berufungsgericht bei der Beurteilung der Frage, ob ein Befunderhebungsfehler vorliegt, Folgendes zu berücksichtigen haben:

Die Frage, ob ein Befunderhebungsfehler vorliegt, reduziert sich im vorliegenden Fall nicht allein auf die Frage, ob in der versäumten Einberufung eines Konsils im Anschluss an den pathologischen Befundbericht mit dem Ergebnis "Metallose" ein Befunderhebungsfehler liegt. Vielmehr geht es im Zusammenhang mit dem möglichen Vorwurf eines Befunderhebungsfehlers in erster Linie um die Frage, ob der Beklagte zu 2 unter den Umständen des Streitfalles nach seinem umfassenden Kenntnisstand des bisherigen Behandlungsgeschehens und der Diagnose "Metallose" eine toxikologische Untersuchung des Blutes bzw. des Urins des Klägers auf eine Metallvergiftung hätte anordnen müssen. Geht man mit dem Sachverständigen Prof. Dr. E., dessen Ausführungen das Berufungsgericht unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG unberücksichtigt gelassen hat, davon aus, dass aufgrund der festgestellten Symptome der Verdacht auf eine Metallvergiftung zum medizinischen Allgemeingut gehört, wäre die Frage zu bejahen. Nach den bisher getroffenen Feststellungen kann auch nicht ausgeschlossen werden und liegt es sogar nahe, dass eine entsprechende Befunderhebung zu einem reaktionspflichtigen Ergebnis geführt hätte und eine Nichtreaktion hierauf grob fehlerhaft gewesen wäre. Damit könnte auch insoweit zu Gunsten des Klägers eine Beweislastumkehr eingreifen, die aufgrund des weiteren Verlaufs der Behandlung nach der (verspäteten) Feststellung der Metallvergiftung schwerlich zu widerlegen wäre.

Ende der Entscheidung

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