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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 13.03.2001
Aktenzeichen: VI ZR 142/00
Rechtsgebiete: BGB
Vorschriften:
BGB § 823 Dc |
Zur Sorgfaltspflicht eines Veranstalters von Musikkonzerten gegenüber den Gefahren, die Konzertbesuchern durch Gehörschäden infolge übermäßiger Lautstärke der dargebotenen Musik drohen.
BGH, Urteil vom 13. März 2001 - VI ZR 142/00 - OLG Karlsruhe LG Freiburg
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Verkündet am: 13. März 2001
Böhringer-Mangold, Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 13. März 2001 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Müller, die Richter Dr. Lepa, Dr. Dressler und Dr. Greiner sowie die Richterin Diederichsen
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe - 19. Zivilsenat in Freiburg - vom 30. März 2000 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin hat nach einem vom Beklagten im Rahmen eines Zelt-Musik-Festivals im Jahre 1997 veranstalteten Konzert mit Punk-, Hardcore- und Grunch-Rockmusik einen Hörsturz erlitten. Nach Rückbildung der Schwerhörigkeit innerhalb von zwei Tagen sei bei ihr ein therapieresistenter Tinnitus verblieben. Sie begehrt Ersatz ihres hieraus entstandenen immateriellen Schadens in Höhe von mindestens 7.000 DM nebst Zinsen, ihres materiellen Schadens im Betrag von 395 DM nebst Zinsen sowie die Feststellung, daß der Beklagte ihr jeglichen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen habe, den sie durch den am 10. Juli 1997 aufgetretenen Hörsturz erlitten habe, soweit nicht Ansprüche auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner (in JZ 2000, 789 abgedruckten) Entscheidung im wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe nicht bewiesen, daß der Beklagte eine ihm obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt habe. Zwar habe der Konzertveranstalter die Pflicht, Konzertbesucher vor Gehörschäden durch übermäßige Lautstärke der Musik zu schützen. Die Klägerin habe jedoch den Beweis nicht erbracht, daß bei dem von ihr besuchten Rockkonzert in der DIN 15 905 Teil 5 "Tontechnik in Theatern und Mehrzweckhallen" festgelegte Grenzwerte durch die Musikdarbietungen überschritten worden seien. Ein Anscheinsbeweis dafür, daß der Hörsturz durch eine übermäßige Lautstärke der Musik verursacht worden sei, bestehe nicht. Ein typischer Geschehensablauf sei nicht festzustellen, weil der Sachverständige Anhaltspunkte dafür gefunden habe, daß bei der Klägerin eine Überempfindlichkeit im linken Ohr schon vor dem Konzert vorgelegen habe. Ein Hörsturz könne zudem auch durch Pfiffe von Zuhörern hervorgerufen werden.
Allerdings habe der Beklagte während des Rockkonzerts nicht dauernd den Schallpegel nach dem Meßverfahren der DIN 15 905 Teil 5 gemessen und das Meßergebnis auch nicht als Dokumentation aufbewahrt. Selbst wenn aber unterstellt werde, daß diese technische Norm einschlägig sei, greife zugunsten der Klägerin keine Beweislastumkehr ein. Die Norm verlange nicht, einzelne überlaute Geräusche, die einen Hörsturz auslösen könnten, zu vermeiden. Die Messungen und Auswertungen während der Musikdarbietung dienten zur Ermittlung des Beurteilungspegels über die ganze Zeit der Darbietung und erfaßten Spitzenlärmwerte nicht.
II.
Diese Erwägungen halten den Angriffen der Revision nicht stand.
1. Im Ansatzpunkt zutreffend geht das Oberlandesgericht von einer Pflicht des Konzertveranstalters aus, Konzertbesucher vor Gehörschäden durch übermäßige Lautstärke der dargebotenen Musik zu schützen (vgl. OLG Zweibrücken OLGR 2000, 530; LG Trier NJW 1993, 1474 ff.).
2. Ohne Erfolg bleibt auch die Rüge der Revision, das Berufungsgericht halte eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht für nicht bewiesen, habe hierzu aber keinen Beweis erhoben. Das Berufungsgericht hat - wenn auch in knapper Form - dargelegt, die Verkehrssicherungspflicht des Konzertveranstalters erfordere Vorkehrungen zur Vermeidung von Hörschäden der Konzertbesucher infolge von übermäßiger Lautstärke der Musik. Dazu hat es das Beweisergebnis aus dem ersten Rechtszug verwertet, aber nicht feststellen können, daß die dargebotene Musik die Grenzwerte überschritten habe.
3. Das Berufungsgericht verkennt jedoch den Umfang der dem Beklagten obliegenden Verkehrssicherungspflicht. Es will eine Verletzung dieser Pflicht offenbar erst dann annehmen, wenn ein übermäßiger Schalldruck festgestellt werden kann. Dem liegt ein zu enges Verständnis der Verkehrssicherungspflicht zugrunde. Auch Maßnahmen, die geeignet sind, eine gesundheitsgefährliche Lautstärke der Musik aufzuzeigen, können insbesondere Bestandteil der notwendigen Vorkehrungen zum Schutz der Konzertbesucher vor Schädigungen und damit Gegenstand der Verkehrssicherungspflicht des Veranstalters sein.
a) Entgegen der Ansicht der Revision kann der erkennende Senat allerdings nicht unterstellen, der Beklagte habe seine Verkehrssicherungspflicht verletzt. Das ist zwar eine Rechtsfrage, die an sich der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegt. Hierfür ist jedoch in Ermangelung tatsächlicher Feststellungen revisionsrechtlich zugunsten der Revision zu unterstellen, daß die DIN 15 905 Teil 5 auf ein Konzert in einem Zelt anwendbar ist.
Der Umfang der Verkehrssicherungspflicht wird freilich nicht allein durch DIN-Normen bestimmt. Wie jeder, der eine Gefahrenquelle für andere eröffnet, hat auch der Veranstalter einer Musikdarbietung grundsätzlich selbständig zu prüfen, ob und welche Sicherungsmaßnahmen zur Vermeidung von Schädigungen der Zuhörer notwendig sind; er hat die erforderlichen Maßnahmen eigenverantwortlich zu treffen, auch wenn gesetzliche (vgl. Senatsurteil vom 7. Oktober 1986 - VI ZR 187/85 - VersR 1987, 102, 103) oder andere Anordnungen, Unfallverhütungsvorschriften (vgl. Senatsurteil vom 15. April 1975 - VI ZR 19/74 - VersR 1975, 812, 813) oder technische Regeln wie DIN-Normen (vgl. BGHZ 103, 338, 342) seine Sorgfaltspflichten durch Bestimmungen über Sicherheitsmaßnahmen konkretisieren. Solche Bestimmungen enthalten im allgemeinen keine abschließenden Verhaltensanforderungen gegenüber den Schutzgütern. Sie können aber regelmäßig zur Feststellung von Inhalt und Umfang bestehender Verkehrssicherungspflichten herangezogen werden. Das gilt insbesondere auch für die auf freiwillige Beachtung ausgerichteten Empfehlungen in DIN-Normen des Deutschen Instituts für Normung e.V.. Diese spiegeln den Stand der für die betreffenden Kreise geltenden anerkannten Regeln der Technik wider und sind somit zur Bestimmung des nach der Verkehrsauffassung zur Sicherheit Gebotenen in besonderer Weise geeignet (vgl. BGHZ 103, 338, 342; Senatsurteil vom 12. November 1996 - VI ZR 270/95 - VersR 1997, 249, 250).
Davon ist auch im vorliegenden Fall auszugehen. Die DIN 15 905 Teil 5 betrifft nach ihrem Untertitel "Maßnahmen zum Vermeiden einer Gehörgefährdung des Publikums durch hohe Schalldruckpegel bei Lautsprecherwiedergabe". Sie beinhaltet nicht nur, wie das Berufungsgericht meint, eine Dokumentationspflicht. Ihre weiteren Regelungen könnten vielmehr - worauf die Revision zutreffend hinweist - dahin zu verstehen sein, daß die Messung des Beurteilungspegels den Veranstalter in die Lage versetzen solle, die "zum Vermeiden einer Gehörgefährdung entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen" (Ziff. 4.5 Abs. 3 der DIN 15 905 Teil 5). Diese DIN-Norm könnte sich damit als eine technische Regel erweisen, die eine (auch fortlaufende, vgl. Ziff. 2, 3) Messung des Beurteilungspegels vorsieht, um ein als gesundheitsgefährdend angesehenes Überschreiten des Grenzwertes für den Schalldruck (vgl. Ziff. 1 Abs. 3, 3) möglichst zu vermeiden (vgl. Ziff. 4.5 Abs. 3). Sie umfaßte bei einem solchen Verständnis die Pflicht des Musikveranstalters, durch Lärmpegelmessungen in näher bezeichneter Weise sowie durch deren Aufzeichnung oder Anzeige eine rechtzeitige Herabsetzung des Schalldruckpegels zu ermöglichen und so das in seiner Macht Stehende zum Schutz der Konzertbesucher vor Gehörschäden durch Überschreiten des Grenzwerts für den Beurteilungspegel wahrzunehmen. In diesem Fall wäre der Beklagte seiner Verkehrssicherungspflicht nicht nachgekommen, wenn er nur gelegentliche Messungen mit einem Handmeßgerät statt in der von der technischen Regel vorgesehenen Weise hat durchführen lassen.
b) Das Berufungsgericht wird deshalb mit sachverständiger Unterstützung zu klären haben, welchem Zweck die in der DIN-Norm vorgesehene Meßpflicht dient und ob sie bei einem Konzert in einem Zelt - wie im vorliegenden Fall - zu beachten war. Bevor diese Fragen nicht geklärt sind, kann nicht beantwortet werden, ob überhaupt und gegebenenfalls welche Beweiserleichterungen der Geschädigten dann zugebilligt werden können, wenn die vorgeschriebenen Messungen fehlen und in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Konzertbesuch eine Gehörschädigung eingetreten ist. Käme hiernach ein Verstoß des Beklagten gegen eine aus der DIN-Norm abzuleitende Verkehrssicherungspflicht in Betracht, könnte ein Beweis des ersten Anscheins dafür sprechen, daß Schädigungen in örtlichem und zeitlichem Zusammenhang mit der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch den Pflichtenverstoß verursacht sind. Dem beklagten Veranstalter bliebe die Erschütterung des Anscheinsbeweises vorbehalten; er könnte insbesondere dartun, daß die Schäden nicht auf die Verletzung der DIN-Norm zurückzuführen sind (vgl. BGHZ 114, 273, 276).
III.
Nach allem ist das angefochtene Urteil aufzuheben, damit das Berufungsgericht die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen treffen kann (§§ 564 Abs. 1, 565 Abs. 1 ZPO). Sollten diese ergeben, daß die DIN 15 905 Teil 5 auf Konzerte in einem Zelt keine Anwendung findet, wird das Berufungsgericht mit sachverständiger Unterstützung zu prüfen haben, ob und gegebenenfalls welche Schutzmaßnahmen der Veranstalter zu treffen hatte, um die Konzertbesucher vor Schädigungen durch die dargebotene Musik zu bewahren. Die Klägerin hatte hierzu im einzelnen vorgetragen und sich u.a. auf Sachverständigengutachten berufen.
Ende der Entscheidung
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