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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 12.10.1999
Aktenzeichen: VI ZR 19/99
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 211 Abs. 2
BGB § 211 Abs. 2

§ 211 Abs. 2 BGB ist nur anwendbar, wenn die Parteien ohne triftigen Grund untätig bleiben. Ein "triftiger Grund" ist nicht nur ein rechtlich zwingender Grund, vielmehr kann er auch vorliegen, wenn eine Verzögerung in der Erledigung des Rechtsstreits prozeßwirtschaftlich vernünftig erscheint.

BGH, Urteil vom 12. Oktober 1999 - VI ZR 19/99 - OLG Hamm LG Paderborn


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

VI ZR 19/99

Verkündet am: 12. Oktober 1999

Holmes, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 12. Oktober 1999 durch den Vorsitzenden Richter Groß und die Richter Dr. Lepa, Dr. v. Gerlach, Dr. Müller und Dr. Greiner

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 32. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 30. November 1998 aufgehoben. ie Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Mit ihrer am 15. Dezember 1992 bei dem Landgericht eingereichten und alsbald zugestellten Klage begehren die Kläger von der Beklagten als Herstellerin des Holzschutzmittels "Xyladecor 200" Schadensersatz, insbesondere Schmerzensgeld. Sie machen geltend, sie hätten als Bewohner eines gemieteten Hauses, in dem Holzflächen mit "Xyladecor 200" behandelt worden seien, durch die aus dem Holzschutzmittel ausgasenden giftigen Wirkstoffe Gesundheitsschäden davongetragen.

In der mündlichen Verhandlung vom 9. September 1993 gab das Landgericht den Klägern durch Beschluß auf, Arztrechnungen einzureichen. Im Hinblick auf ein gegen den damaligen Prokuristen und den damaligen Geschäftsführer der Beklagten eingeleitetes Strafverfahren heißt es in dem Beschluß weiter:

"Es soll zunächst das Strafurteil des Landgerichts Frankfurt von Mai 1993 gegen den ehemaligen und den jetzigen Geschäftsführer der Beklagten angefordert werden".

Dabei bestand allseitiges Einvernehmen, den Ausgang des Strafverfahrens abzuwarten.

In der Folgezeit kam es im vorliegenden Verfahren zu folgenden Prozeßvorgängen: Die Kläger reichten mit Schriftsatz vom 30. September 1993 Arztrechnungen ein und teilten das Aktenzeichen des Strafverfahrens mit. Am 7. Oktober 1993 verfügte der Berichterstatter der Kammer, die Strafakten anzufordern; am 27. Oktober 1993 verfügte er, daß das Landgericht an die Übersendung des Strafurteils erinnert werden sollte. Das Strafurteil ging am 2. November 1993 bei dem Landgericht ein. Mit Schriftsatz vom 21. April 1994 reichte der Prozeßbevollmächtigte der Kläger weitere Arztrechnungen ein. Am 13. September 1994 hielt der Berichterstatter der Kammer in einem Vermerk fest, eine telefonische Anfrage bei der Strafkammer habe ergeben, daß das Strafurteil noch nicht rechtskräftig sei; er fügte hinzu, daß eine Fortführung des vorliegenden Rechtsstreits vor der Rechtskraft des Strafurteils nicht sinnvoll erscheine. Mit einer telefonischen Anfrage vom 2. Juni 1995 erkundigte sich der Berichterstatter bei dem Prozeßbevollmächtigten der Kläger nach dem Stand des Strafverfahrens; der Anwalt teilte mit Schriftsatz vom 4. Juli 1995 mit, daß der Bundesgerichtshof für den 19. Juli 1995 Hauptverhandlungstermin anberaumt habe. Mit Schriftsatz vom 16. November 1995 teilte der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten mit, daß der Bundesgerichtshof das Strafurteil des Landgerichts aufgehoben habe. Auf eine Frage des Prozeßbevollmächtigten der Kläger vom 15. September 1997 nach dem Stand des vorliegenden Verfahrens teilte der Berichterstatter der Kammer mit Schreiben vom 23. September 1997 mit, daß der Rechtsstreit seit dem 21. April 1994 (letzter Schriftsatz der Kläger) nicht betrieben worden sei. Daraufhin bat die Beklagte mit Schriftsatz vom 28. Oktober 1997 um Anberaumung eines Termins und erhob die Einrede der Verjährung.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Kläger zurückgewiesen.

Mit der Revision verfolgen die Kläger ihr bisheriges Prozeßziel weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts sind die Klageansprüche, die allein aus §§ 823, 847 BGB hergeleitet werden könnten, gemäß § 852 BGB verjährt. Mit der Einreichung des Schriftsatzes der Kläger vom 21. April 1994 sei der Prozeß in Stillstand geraten, so daß die mit der Klageerhebung verbundene Verjährungsunterbrechung gemäß § 211 Abs. 2 BGB beendet gewesen sei. Bis zum Schriftsatz der Beklagten vom 28. Oktober 1997 seien keine Prozeßhandlungen mehr vorgenommen worden. In der telefonischen Anfrage des Berichterstatters der Kammer vom 2. Juni 1995 könne eine Prozeßhandlung im Sinne von § 211 Abs. 2 BGB nicht erblickt werden; die Anfrage sei zum Weiterbetreiben des Prozesses weder bestimmt noch geeignet gewesen. Das gleiche gelte für die Mitteilung des erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Kläger vom 4. Juli 1995 über den Termin der Hauptverhandlung im Revisionsverfahren; hierbei habe es sich um eine bloße Information des Gerichts gehandelt. Auch die Mitteilung der Beklagten mit Schriftsatz vom 16. November 1995 über den Ausgang des Revisionsverfahrens sei nicht als Prozeßhandlung, sondern als bloße Information des Gerichts anzusehen. Auf die weitere Frage, ob die Anfrage des Prozeßbevollmächtigten der Kläger vom 15. September 1997 als Prozeßhandlung im Sinne von § 211 Abs. 2 BGB zu werten sei, komme es nicht mehr an, weil die dreijährige Verjährungsfrist des § 852 Abs. 1 BGB bereits am 22. April 1997 - drei Jahre nach dem Eingang des Schriftsatzes vom 21. April 1994 - abgelaufen gewesen sei. Die Anwendung des § 211 Abs. 2 BGB scheitere nicht etwa deshalb, weil die Kläger für ihre Untätigkeit einen triftigen Grund gehabt hätten; der Ausgang des Strafverfahrens gegen den damaligen Prokuristen und den Geschäftsführer der Beklagten sei nämlich für den vorliegenden Prozeß nicht vorgreiflich gewesen. Ebensowenig scheitere die Anwendbarkeit des § 211 Abs. 2 BGB deshalb, weil das Gericht die Sache hätte fördern und von Amts wegen hätte tätig werden müssen; das Landgericht habe den Stillstand des Prozesses nicht herbeigeführt, vielmehr habe allseits Einigkeit darüber bestanden, daß der Ausgang des Strafverfahrens abgewartet werden sollte. Schließlich verwehre das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung nach § 242 BGB den Beklagten nicht die Erhebung der Einrede der Verjährung; allein wegen des Einverständnisses der Beklagten mit dem Stillstand des Zivilprozesses hätten die Kläger nicht darauf vertrauen dürfen, daß die Beklagte nicht die Verjährungseinrede erheben werde.

II.

Diese Erwägungen halten den Angriffen der Revision nicht stand.

1. Die Anwendbarkeit des § 211 Abs. 2 BGB scheitert schon im Ansatz.

a) Mit Recht macht die Revision geltend, daß § 211 Abs. 2 BGB, nach dem die durch die Klageerhebung gemäß § 209 Abs. 1 BGB herbeigeführte Verjährungsunterbrechung mit der letzten Prozeßhandlung der Parteien oder des Gerichts endet, wenn der Prozeß infolge einer Vereinbarung oder dadurch, daß er nicht betrieben wird, in Stillstand gerät, hier nicht anwendbar ist. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts trifft es nicht zu, daß der vorliegende Prozeß nicht betrieben worden sei, wie es § 211 Abs. 2 BGB für die Beendigung der Verjährungsunterbrechung voraussetzt. Anerkanntermaßen erfaßt diese Vorschrift nicht jeden Prozeßstillstand ohne Rücksicht auf seinen Entstehungsgrund. Das folgt aus ihrer Zweckbestimmung. § 211 Abs. 2 BGB soll eine Umgehung des § 225 BGB verhindern, zu der es kommen könnte, wenn es das Gesetz zuließe, daß eine einmal gemäß § 209 BGB herbeigeführte Verjährungsunterbrechung auch dann fortdauern würde, wenn der Kläger die Sache grundlos nicht mehr weiterbetreibt. Die Rechtsprechung hat deshalb den Grundsatz entwickelt, daß § 211 Abs. 2 BGB nur anwendbar ist, wenn die Parteien ohne triftigen Grund untätig bleiben (vgl. Senatsurteile vom 1. Juli 1986 - VI ZR 120/85 - NJW 1987, 371, 372 und vom 28. September 1999 - VI ZR 195/98, zur Veröffentlichung vorgesehen). Von dieser Rechtsprechung ist das Berufungsgericht auch ausgegangen. Indes hat es den Begriff des triftigen Grundes im Sinne dieser Rechtsprechung zu eng gesehen, wenn es ihn deshalb verneint hat, weil der Ausgang des Strafverfahrens gegen den damaligen Prokuristen und den damaligen Geschäftsführer der Beklagten für den vorliegenden Prozeß nicht vorgreiflich gewesen sei. Ein "triftiger Grund" ist nicht nur ein rechtlich zwingender Grund, vielmehr kann ein solcher Grund auch vorliegen, wenn eine Verzögerung in der Erledigung des Rechtsstreits prozeßwirtschaftlich vernünftig erscheint (vgl. BGH, Urteil vom 7. Dezember 1978 - VII ZR 278/77 - NJW 1979, 810, 811).

Im Streitfall war das vereinbarte Abwarten des Ausgangs des Strafverfahrens zwar nicht rechtlich geboten, aber prozeßwirtschaftlich vernünftig und damit durch einen "triftigen Grund" im Sinne der Rechtsprechung gerechtfertigt. In beiden Verfahren ging es im wesentlich um dieselben Sachfragen. Es lag daher nahe, für die Entscheidung im vorliegenden Verfahren die im Strafverfahren gewonnenen Erkenntnisse zu verwerten.

b) Zudem scheitert, wie die Revision weiter zutreffend geltend macht, die Anwendbarkeit des § 211 Abs. 2 BGB hier aus einem weiteren Grund.

Eine Untätigkeit der Parteien führt dann nicht zum Stillstand des Verfahrens nach § 211 Abs. 2 BGB, wenn dessen Leitung beim Gericht liegt (vgl. Senatsurteil vom 10. Juli 1979 - VI ZR 81/78 - VersR 1979, 1006, 1007). Um einen solchen Fall geht es hier. Das Landgericht hatte nicht etwa durch den Beschluß vom 9. September 1993 und das allseitige Einverständnis, den Ausgang des Strafverfahrens abzuwarten, die Verfahrensleitung aus der Hand gegeben. Der einverständliche Aufschub weiterer Verfahrensschritte - insbesondere einer Beweiserhebung - für die absehbare Dauer des Strafverfahrens änderte nichts daran, daß das Landgericht seine Kompetenz und Verpflichtung behielt, für den Fortgang des Verfahrens zu sorgen. Davon ist das Landgericht auch ausgegangen. Dies findet Ausdruck in dem Bestreben des Landgerichts, die Verfahrensverzögerung unter Kontrolle zu behalten. Diesem Zweck diente die Anfrage des Berichterstatters der Kammer vom 2. Juni 1995 nach dem Stand des Verfahrens.

2. Im übrigen würde die Beklagte mit ihrer Verjährungseinrede selbst dann ohne Erfolg bleiben, wenn mit dem Berufungsgericht davon auszugehen wäre, daß die durch die Klageerhebung entstandene Verjährungsunterbrechung schon mit der Einreichung des Schriftsatzes der Kläger vom 21. April 1994 geendet hätte. Die danach in Lauf gesetzte neue Verjährung wäre dann nämlich früher als drei Jahre gemäß § 211 Abs. 2 Satz 2 BGB dadurch unterbrochen worden, daß die Kläger den Prozeß weiter betrieben haben. Der Prozeßbevollmächtigte der Kläger hat dem Landgericht unter dem 4. Juli 1995 mitgeteilt, daß in dem Strafverfahren für den 19. Juli 1995 Hauptverhandlungstermin anberaumt worden war und er von dem Ausgang des Revisionsverfahrens berichten werde. Diese Mitteilung, die im Zusammenhang mit der Anfrage des Berichterstatters der Kammer vom 2. Juni 1995 zu sehen ist, kann sinnvollerweise keinem anderen Zweck gedient haben, als dem Landgericht die Möglichkeit zu geben, sich von dem Ausgang des Strafverfahrens Kenntnis zu verschaffen, um anschließend den vorliegenden Prozeß fortzuführen. Damit stellt diese Mitteilung ein Weiterbetreiben des Prozesses dar. Unter diesen Begriff fällt jede Prozeßhandlung einer Partei, die dazu bestimmt und geeignet ist, den stillstehenden Prozeß wieder in Gang zu setzen, ohne daß es darauf ankommt, ob sie eine Förderung des Prozesses tatsächlich bewirkt (BGHZ 73, 8, 11).

Das gleiche gilt für die Mitteilung des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten vom 16. November 1995 über die Aufhebung des landgerichtlichen Strafurteils. Auch diese Mitteilung kann nur den Sinn gehabt haben, das Landgericht zu veranlassen, dem vorliegenden Verfahren Fortgang zu geben.

Ende der Entscheidung

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