Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 09.12.2008
Aktenzeichen: VI ZR 277/07
Rechtsgebiete: SGB VII, GG, BGB


Vorschriften:

SGB VII § 34 Abs. 3
GG Art. 34
BGB § 839
BGB § 839 (Fe)
Ein zum Heilbehandlungsarzt der Berufsgenossenschaften bestellter Arzt darf nur bei den in § 35 des Vertrags Ärzte/Unfallversicherungsträger 2001 im Einzelnen aufgeführten Verletzungen über die Einleitung der besonderen berufsgenossenschaftlichen Heilbehandlung entscheiden.
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat

auf die mündliche Verhandlung vom 9. Dezember 2008

durch

die Vizepräsidentin Dr. Müller und

die Richter Dr. Greiner, Wellner, Pauge und Stöhr

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 14. November 2007 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von dem beklagten Facharzt für Chirurgie Schadensersatz, weil dieser als Heilbehandlungsarzt der Berufsgenossenschaft (künftig: H-Arzt) fehlerhaft gehandelt habe.

Am 12. Juli 2001 erlitt der am 21. Mai 1947 geborene Kläger bei einem Arbeitsunfall eine Handverletzung. Sein Hausarzt überwies ihn an den Beklagten, der den Kläger am 16. Juli 2001 untersuchte, Röntgenbilder fertigte und in seinem H-Arzt-Bericht vermerkte: "Diagnose: Zerrung re. Handgelenk, Frakturausschluss. Art meiner Erstversorgung: Anlage ZLV [Zink-Leim-Verband], Schonung ... Allgemeine Heilbehandlung: ja, durch mich ...". Als sich der Kläger am 19. Juli 2001 wieder vorstellte, sah der Beklagte die Verletzung als ausgeheilt an. Der Kläger suchte am 15. August 2002 erneut den Beklagten und schließlich die Orthopädische Universitätsklinik Heidelberg auf. In deren Arztbrief vom 17. Oktober 2002 wird beschrieben, dass sowohl auf dem Röntgenbild vom 16. Juli 2001 als auch auf aktuellen MRT- und Röntgenbildern eine perilunäre Luxation des rechten Handgelenks erkennbar sei. Weiter heißt es: "Aufgrund der jetzt alten Verletzung ist eine rekonstruktive Maßnahme nicht Erfolg versprechend". Der Kläger kann seinen Beruf als Getränkeausfahrer nicht mehr ausüben und erhält eine Rente nach den Bestimmungen des VII. Buches Sozialgesetzbuch.

Das Landgericht, dessen Urteil in Medizinrecht 2006, 728 veröffentlicht ist, hat die Klage abgewiesen, weil der Beklagte in Ausübung eines öffentlichen Amtes gehandelt habe (Art. 34 GG, § 839 BGB). Das Oberlandesgericht hat dieses Urteil aufgehoben und der Klage stattgegeben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

Das Berufungsgericht (sein Urteil ist abgedruckt in Medizinrecht 2008, 368) hat die Haftung des Beklagten bejaht.

Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass der Kläger die perilunäre Luxation am 12. Juli 2001 erlitten habe. Dass der Beklagte die Luxation auf dem Röntgenbild vom 16. Juli 2001 nicht erkannt habe, stelle einen als Behandlungsfehler zu wertenden Diagnosefehler dar, der zu der fehlerhaften Behandlung (Zink-Leim-Verband statt Reposition und Operation), zu den gesundheitlichen Beeinträchtigungen und zur Berufsunfähigkeit des Klägers geführt habe. Die Beweisaufnahme habe aber nicht ergeben, dass bei einer ordnungsgemäßen Behandlung dieselben Schäden eingetreten wären. Das gehe zu Lasten des Beklagten, der in einem solchen Fall des rechtmäßigen Alternativverhaltens die Beweislast trage. Deshalb komme es nicht mehr darauf an, dass sich überdies die Beweislast für die Ursächlichkeit des Fehlers für den Primärschaden umkehre, weil ein grober Behandlungsfehler vorliege.

Im Übrigen sei die Klage begründet sowohl hinsichtlich eines Schadensersatzanspruchs wegen entgangenen Verdiensts in Höhe von 3.786,07 EUR für die Zeit vom 1.1.2003 bis 30.6.2005 als auch hinsichtlich eines Anspruchs auf Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 EUR.

Der Beklagte hafte persönlich. Eine Haftung der Berufsgenossenschaft (Art. 34 GG, § 839 BGB) komme nicht in Betracht. Die Rechtsprechung zum Durchgangsarzt (künftig: D-Arzt) sei auf den H-Arzt nicht übertragbar. Die Beteiligung des H-Arztes an der besonderen berufsgenossenschaftlichen Heilbehandlung sei nach §§ 30, 35 des Vertrags Unfallversicherungsträger/Ärzte auf besondere Arten von Verletzungen minderer Schwere begrenzt. Der H-Arzt entscheide zwar darüber, ob bei diesen Verletzungen die allgemeine Heilbehandlung ausreiche oder ob eine besondere Heilbehandlung notwendig sei. Die allgemeine Heilbehandlung dürfe er wie jeder Vertragsarzt, die besondere (berufgenossenschaftliche) Heilbehandlung dagegen nur in einzeln aufgezählten leichteren Fällen selbst durchführen. In den übrigen Fällen müsse er den D-Arzt einschalten. Diesem sei generell die Aufgabe übertragen, die Entscheidung für eine allgemeine oder eine besondere Heilbehandlung zu treffen. Verstoße ein H-Arzt gegen seine Pflicht zur Vorstellung des Patienten und behandle er diesen selbst, so treffe er keine Entscheidung in Ausübung einer Amtspflicht des Unfallversicherungsträgers (künftig: Berufsgenossenschaft, BG). Vielmehr habe er dem Patienten gegenüber Pflichten aus einem privatrechtlichen Behandlungsvertrag. Der Beklagte habe im zu entscheidenden Fall objektiv fehlerhaft die Behandlung des Klägers übernommen, da er gegen seine Pflicht zur Vorstellung des Patienten beim D-Arzt verstoßen und nicht erkannt habe, dass eine Verletzung nach dem Verletzungsartenverzeichnis vorgelegen habe. Zugleich habe er seine Pflichten aus dem Behandlungsvertrag mit dem Kläger verletzt und hafte diesem deshalb nach §§ 823 Abs. 1, 847 BGB a.F., ohne den Kläger auf die BG verweisen zu können.

Das angefochtene Urteil hält einer rechtlichen Prüfung stand.

1.

Ohne Rechtsverstoß geht das Berufungsgericht nach sachverständiger Beratung davon aus, dass sich der Beklagte bei der ärztlichen Behandlung des Klägers fehlerhaft verhalten und diesen dadurch geschädigt hat.

a)

Auch die Revision stellt einen Diagnosefehler nicht in Frage. Der Beklagte erkannte auf dem Röntgenbild vom 16. Juli 2001 die perilunäre Luxation nicht, sondern ging fälschlich von einer Zerrung des rechten Handgelenks aus. Deshalb war die konservative Behandlung zur Behandlung der perilunären Luxation, die zunächst eine unblutige Reposition und sodann eine Operation erfordert hätte, verfehlt.

b)

Diese Fehler haben Funktionsbeeinträchtigungen am Handgelenk, ständige Schmerzen und die Berufsunfähigkeit des Klägers als Getränkeausfahrer verursacht. Dass sich aus den Feststellungen des Berufungsgerichts ergeben mag, auch bei richtiger Diagnose und Behandlung werde lediglich in 70 % der Fälle ein über den jetzigen Zustand hinausgehender Erfolg erreicht, führt entgegen der Ansicht der Revision nicht zu Zweifeln an der Kausalität des Fehlverhaltens des Beklagten für den Schaden des Klägers. Ob Reposition und Operation zu einem besseren oder zum selben Ergebnis geführt hätten, betrifft nicht die Kausalität der tatsächlich durchgeführten konservativen Behandlung für den eingetretenen Schaden, sondern einen hypothetischen Kausalverlauf bei rechtmäßigem Alternativverhalten, für den der Beklagte beweispflichtig ist (vgl. Senat, Urteil vom 15. März 2005 - VI ZR 313/03 - VersR 2005, 836, 837 m.w.N.). Steht - wie hier - fest, dass ein Arzt dem Patienten durch fehlerhaftes und rechtswidriges Handeln einen Schaden zugefügt hat, so muss der Arzt beweisen, dass der Patient den gleichen Schaden auch bei rechtmäßigem und fehlerfreiem ärztlichem Handeln erlitten hätte (vgl. Senat, Urteil vom 5. April 2005 - VI ZR 216/03 - VersR 2005, 942 m.w.N.; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 5. Aufl., Rn. B 230, C 151 m.w.N.). Dass das Berufungsgericht diesen dem Beklagten obliegenden Nachweis als nicht geführt angesehen hat, weil bei hypothetisch richtiger Behandlung in (nur) 30 % der Fälle ein Ergebnis wie beim Kläger eintritt, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

2.

Für den durch den Diagnose- und Behandlungsfehler verursachten Gesundheitsschaden des Klägers haftet vertraglich (positive Vertragsverletzung) wie deliktisch (§§ 823 Abs. 1, 847 a.F. BGB; Art. 229 § 5 Satz 1, 8 Abs. 1 EGBGB) der Beklagte persönlich. Eine Haftung der BG aus Art. 34 GG, § 839 Abs. 1 BGB hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler verneint, denn der Beklagte handelte nicht in Ausübung eines ihm von der BG übertragenen öffentlichen Amtes.

a)

Nach Art. 34 Satz 1 GG haftet anstelle eines Bediensteten, soweit dieser in Ausübung des ihm anvertrauten öffentlichen Amts gehandelt hat, der Staat oder die Körperschaft, in dessen Dienst er steht. Die persönliche Haftung des Bediensteten ist in diesem Fall ausgeschlossen. Ob sich das Handeln einer Person als Ausübung eines öffentlichen Amts darstellt, bestimmt sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs danach, ob die eigentliche Zielsetzung, in deren Sinn der Betreffende tätig wurde, hoheitlicher Tätigkeit zuzurechnen ist und ob zwischen dieser Zielsetzung und der schädigenden Handlung ein so enger äußerer und innerer Zusammenhang besteht, dass die Handlung ebenfalls als noch dem Bereich hoheitlicher Betätigung angehörend angesehen werden muss. Dabei ist nicht auf die Person des Handelnden, sondern auf seine Funktion, das heißt auf die Aufgabe, deren Wahrnehmung die im konkreten Fall ausgeübte Tätigkeit dient, abzustellen (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juni 2006 - III ZR 270/05 - VersR 2006, 1684 m.w.N.). Nach diesen Grundsätzen hat der Beklagte bei Stellung der Diagnose nicht in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes gehandelt und haftet daher persönlich.

Die ärztliche Heilbehandlung von Kranken ist regelmäßig nicht Ausübung eines öffentlichen Amtes im Sinne von Art. 34 GG (vgl. BGHZ 63, 265, 270 f.) . Anderes kann dann gelten, wenn der Arzt eine dem Hoheitsträger selbst obliegende Aufgabe erledigt und ihm insoweit ein öffentliches Amt anvertraut ist. So ist etwa die ärztliche Behandlung von Soldaten durch Truppenärzte im Rahmen der gesetzlichen Heilfürsorge Wahrnehmung einer dem Dienstherrn obliegenden hoheitlichen Aufgabe und damit Ausübung eines öffentlichen Amtes (BGHZ 108, 230). Dagegen ist die ärztliche Behandlung nach einem Arbeitsunfall keine der BG obliegende Aufgabe. Das hat der Bundesgerichtshof unter Geltung der Reichsversicherungsordnung ausgesprochen. Aufgabe der BG gemäß § 557 Abs. 2 RVO sei lediglich, "alle Maßnahmen zu treffen", durch die eine möglichst bald nach dem Arbeitsunfall einsetzende, schnelle und sachgemäße Heilbehandlung "gewährleistet" werde. Die Heilbehandlung als solche stelle dagegen keine der BG obliegende Pflicht dar (vgl. Senat, BGHZ 126, 297, 301; Urteil vom 20. September 1988 - VI ZR 37/88 - VersR 1988, 1273; vgl. auch Urteil vom 24. November 1970 - VI ZR 215/68 - VersR 1971, 251 ff.; BGHZ 63, 265, 271 f.) . Nach Inkrafttreten von § 34 Abs. 1 SGB VII, der § 557 Abs. 2 RVO ersetzte, hat sich daran nichts geändert (vgl. Senat, Beschluss vom 4. März 2008 - VI ZR 101/07 - [...]). Auch nach dieser Bestimmung haben "die Unfallversicherungsträger ... alle Maßnahmen zu treffen, durch die eine möglichst frühzeitig nach dem Versicherungsfall einsetzende und sachgemäße Heilbehandlung und, soweit erforderlich, besondere unfallmedizinische oder Berufskrankheiten-Behandlung gewährleistet wird". Der Arzt, der die Heilbehandlung durchführt, übt deshalb kein öffentliches Amt aus und haftet für Fehler persönlich (Benz in Hauck, SGB VII, § 28 Rn. 15; KassKomm/Ricke, Sozialversicherungsrecht, Stand: 1. Oktober 2008, § 34 SGB VII Rn. 3). Insoweit bestehen keine wesentlichen Unterschiede zur Tätigkeit des Vertragsarztes (Kassenarztes), dessen Verhältnis zu den gesetzlich Krankenversicherten privatrechtlicher Natur ist (vgl. § 76 Abs. 4 SGB V, früher § 368d Abs. 4 RVO).

b)

Allerdings wird nach diesen Grundsätzen die Tätigkeit eines D-Arztes nicht in vollem Umfang dem Privatrecht zugeordnet.

aa)

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat bereits in seinem Urteil vom 9. Dezember 1974 (BGHZ 63, 265, 272 ff.) dargelegt, dass die Berufsgenossenschaften verpflichtet seien, alle Maßnahmen zu treffen, durch die eine schnelle und sachgemäße Heilbehandlung gewährleistet werde (§ 557 Abs. 2 Satz 1 RVO), und Verletzte, bei denen dies angezeigt sei, in besondere berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung zu nehmen (§ 1 der Bestimmungen des früheren Reichsversicherungsamtes vom 19. Juni 1936 - RABl IV S. 195). Deshalb erfülle der D-Arzt bei der Entscheidung, ob im Einzelfall ein Verletzter in die berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung übernommen werden solle, eine der Berufsgenossenschaft obliegende Pflicht. Das spreche dafür, diese Entscheidung als Ausübung eines öffentlichen Amtes zu betrachten. Dem hat sich der erkennende Senat angeschlossen (vgl. Senat, BGHZ 126, 297, 300) .

bb)

Daran hat sich durch die gesetzliche Neuregelung nichts geändert. Die Möglichkeit einer Fürsorge der Krankenkasse (§ 565 RVO) ist zwar seit dem 1. Januar 1991 entfallen, weil gemäß § 11 Abs. 5 (früher: Abs. 4) SGB V Leistungen auf Grund von Arbeitsunfällen nur noch von der BG zu erbringen sind (vgl. BSG, SGb 1999, 417, 418; Frahm/Nixdorf, Arzthaftungsrecht, 3. Aufl., Rn. 5; Jung, Festschrift 50 Jahre BSG, S. 533, 538). Aber der früheren Entscheidung, ob ein Verletzter in die berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung übernommen werden sollte, entspricht die nunmehr gemäß § 34 Abs. 1 SGB VII zu treffende Entscheidung, ob es erforderlich ist, eine besondere unfallmedizinische oder Berufskrankheiten-Versorgung einzuleiten. Insoweit stellen die BG die Heilverfahrensarten "allgemeine Heilbehandlung" und "besondere Heilbehandlung" zur Verfügung (vgl. Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, § 34 Rn. 4). Das ergibt sich aus dem von dem Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften, dem Bundesverband der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften, dem Bundesverband der Unfallkassen einerseits und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung andererseits über die Durchführung der Heilbehandlung, die Vergütung der Ärzte sowie die Art und Weise der Abrechnung der ärztlichen Leistungen gemäß § 34 Abs. 3 SGB VII abgeschlossen Vertrag in der ab 1. Mai 2001 gültigen alten Fassung (künftig: Vertrag 2001; seit 1. April 2008 aktuelle Fassung - künftig: Vertrag 2008). Gemäß § 12 Abs. 1 Vertrag 2001 wird Heilbehandlung grundsätzlich als allgemeine Heilbehandlung gewährt. Das ist gemäß § 10 Vertrag 2001 "die ärztliche Versorgung einer Unfallverletzung, die nach Art und Schwere weder eines besonderen personellen, apparativtechnischen Aufwandes noch einer besonderen unfallmedizinischen Qualifikation des Arztes bedarf". Sie darf nach § 6 Abs. 3 Nr. 1 Vertrag 2001 von allen Ärzten geleistet werden, die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen oder von den BG zugelassen sind, und entspricht - bezogen auf Art und Schwere der Verletzung - der bis 31. Dezember 1990 maßgeblichen Fürsorge der Krankenkasse (Wannagat/Jung, Sozialgesetzbuch, § 34 SGB VII Rn. 14). Dagegen ist besondere Heilbehandlung gemäß § 11 Vertrag 2001 die "fachärztliche Behandlung einer Unfallverletzung, die wegen Art und Schwere besondere unfallmedizinische Qualifikation verlangt". Sie darf nach § 6 Abs. 3 Nr. 2 Vertrag 2001 nur durch von der BG zugelassene oder besonders beauftragte Ärzte geleistet werden; die freie Arztwahl ist eingeschränkt (§ 28 Abs. 4 Satz 2 SGB VII; vgl. Wannagat/Jung, aaO, § 28 SGB VII Rn. 5). Ob die allgemeine oder die besondere Heilbehandlung erforderlich ist, entscheidet grundsätzlich der D-Arzt (§ 27 Abs. 1 Vertrag 2001) nach Art und Schwere der Verletzung (vgl. § 28 Abs. 4 SGB VII). Bei dieser Entscheidung erfüllt er eine der BG obliegende Aufgabe und übt damit ein öffentliches Amt aus (vgl. Senat, Beschluss vom 4. März 2008 - VI ZR 101/07 - [...]). Ist seine Entscheidung über die Art der Heilbehandlung fehlerhaft und wird der Verletzte dadurch geschädigt, haftet in diesem Fall für Schäden nicht der D-Arzt persönlich, sondern die BG (Art. 34 GG, § 839 BGB). Das entspricht der einhelligen Ansicht auch in der Literatur. Streit besteht lediglich hinsichtlich der Frage, ob der D-Arzt auch bei Untersuchung zur Diagnosestellung, bei der Diagnosestellung und bei Überwachung des Heilerfolges ein öffentliches Amt ausübt (vgl. Frahm/Nixdorf, aaO; HK AKM/Lissel, Nr. 1540 Rn. 28; Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl., § 40 Rn. 33; Ratzel/Luxenburger/Lissel, Medizinrecht, § 36 Rn. 27; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, 10. Aufl., Rn. 7; Benz in Hauck, SGB VII, K § 26 Rn. 51 und K § 28 Rn. 15; Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, § 28 Rn. 6 und § 34 Rn. 8.1; Brackmann/Krasney, SGB VII, § 34 Rn. 7; Noeske/Franz, Erläuterungen zum Vertrag Ärzte/Unfallversicherungsträger, Zu § 27 Rn. 1.1; Plagemann/Radtke-Schwenzer, Unfallversicherung, 2. Aufl., Kap. 5 Rn. 18; Schmitt, SGB VII, 3. Aufl., § 34 Rn. 13). Diese Frage bedarf im Streitfall jedoch keiner Entscheidung.

c)

Die genannten Grundsätze sind nämlich nicht in gleicher Weise auf den H-Arzt zu übertragen.

aa)

In den in § 35 Vertrag 2001 genannten Fällen obliegt allerdings auch einem H-Arzt die Entscheidung, ob und in welcher Weise der Verletzte in die besondere Heilbehandlung der BG übernommen werden soll. Damit korrespondiert § 12 Abs. 1 Vertrag 2001, wonach eine besondere Heilbehandlung vom D-Arzt, vom H-Arzt ("D-Arzt light", vgl. Pfeifer, ZMGR 2006, 125, 128 in Fn. 30) oder von der BG eingeleitet wird. Hiernach macht es haftungsrechtlich keinen Unterschied, ob die Entscheidung vom D-Arzt oder vom H-Arzt getroffen wird. Insoweit erfüllt auch letzterer eine Aufgabe der BG und übt damit ein öffentliches Amt aus (LG Karlsruhe, MedR 2006, 728; HK AKM/Lissel, Nr. 2370 Rn. 29; Ratzel/Luxenburger/Lissel, aaO, § 36 Rn. 31; Rieger, Lexikon des Arztrechts, 1984, Rn. 816; Wolber, Die Sozialversicherung 1982, 263, 265). Die gegenteilige Auffassung, die das generell verneint (Pfeifer, aaO, 128 ff.; Schmitt, Leistungserbringung durch Dritte im Sozialrecht, S. 299 und 308), überzeugt nicht. Nach allgemeinen Grundsätzen ist regelmäßig nicht auf die Person des Handelnden, sondern auf seine Funktion abzustellen, also auf die Aufgabe, deren Wahrnehmung die im konkreten Fall ausgeübte Tätigkeit dient (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juni 2006 - III ZR 270/05 - aaO). Diese ist in den Fällen des § 12 Vertrag 2001 dieselbe. Unerheblich ist, dass die Beteiligung eines Arztes am H-Arzt-Verfahren (dazu BSGE 97, 47) geringeren Anforderungen unterliegt als beim D-Arzt-Verfahren. Damit korrespondiert ein kleineres Aufgabengebiet (vgl. BSGE 37, 267, 269). Der H-Arzt soll in erster Linie zugelassene D-Ärzte entlasten, die allein eine flächendeckende besondere Heilbehandlung nicht gewährleisten könnten (Noeske/Franz, aaO, Zu § 30). Das entscheidende Instrument zur Steuerung (vgl. § 12 Abs. 2 Vertrag 2001) und zum Controlling (vgl. § 29 Vertrag 2001) des berufsgenossenschaftlichen Heilverfahrens (Benz in Hauck, SGB VII, K § 34 Rn. 24) ist das D-Arzt-Verfahren. Deshalb sind durch einen Arbeitsunfall Verletzte grundsätzlich dem D-Arzt vorzustellen, nicht dem H-Arzt (§ 26 Abs. 1 Vertrag 2001).

bb)

Dieser kann ausschließlich in den in § 35 Vertrag 2001 genannten Fällen eine besondere Heilbehandlung einleiten (§ 12 Abs. 1 Vertrag 2001) und von einer Vorstellung beim D-Arzt absehen, diesen also "ersetzen" (§ 33 Vertrag 2001). § 35 Vertrag 2001 ordnet an, dass der H-Arzt eine besondere Heilbehandlung nicht "durchführen" darf, wenn keine der dort oder eine der im Verletzungsartenverzeichnis (Anhang 1 zum Vertrag 2001) genannten Verletzungen vorliegen. Er darf auch nicht über die Einleitung der besonderen Heilbehandlung in diesen Fällen entscheiden (Noeske/Franz, aaO, Zu § 30), weil ihm diese Aufgabe nicht übertragen worden ist. Darauf haben auch die Landesverbände der gewerblichen Berufsgenossenschaften in einem Rundschreiben vom 7. November 2003 hingewiesen (abgedruckt bei Noeske/Franz, aaO, Anlage Zu § 58, Seite A 2). Deutlich ergibt sich dies nunmehr aus dem Wortlaut des § 11 Abs. 1 Vertrag 2008. Nach dieser Bestimmung ist der H-Arzt zur Einleitung der besonderen Heilbehandlung ausschließlich "in den Fällen des § 35" berechtigt; insoweit liegt keine Änderung von § 12 Vertrag 2001, sondern eine redaktionelle Klarstellung vor (vgl. DÄ 2008, A 285). Handelt es sich um eine im Verletzungsartenverzeichnis genannte Verletzung, muss der H-Arzt den Verletzten an ein am Verletzungsartenverfahren beteiligtes Krankenhaus und den dortigen D-Arzt überweisen (§§ 35, 37 Vertrag 2001). Dem H-Arzt ist in solchen Fällen also nicht die der BG obliegende Entscheidung übertragen, ob und in welcher Weise der Verletzte in die besondere Heilbehandlung übernommen werden soll. Vielmehr gleicht er insoweit einem Vertragsarzt in der gesetzlichen Krankenversicherung, der den Verletzten unter den in § 26 Vertrag 2001 genannten Voraussetzungen beim D-Arzt vorstellen muss. Eine Entscheidungskompetenz ist dem Vertragsarzt und auch dem H-Arzt damit - anders als dem D-Arzt - nicht eingeräumt. Dass bei einem Verstoß gegen die Vorstellungspflicht die Entscheidung über die Einleitung der besonderen Heilbehandlung faktisch verhindert wird, hat nicht zur Folge, dass der H-Arzt dabei dem Verletzten gegenüber in Ausübung eines von der BG übertragenen öffentlichen Amtes handelt.

d)

Über eine solche Fallgestaltung ist hier zu entscheiden. Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass der Kläger eine in Nr. 15.4 des damaligen Verletzungsartenverzeichnisses ausdrücklich genannte Verletzung erlitten hatte (vgl. Anhang 1 zum Vertrag 2001; vgl. heute Nr. 8). Es handelt sich also nicht um einen Fall, in welchem dem H-Arzt eine Entscheidung für die BG übertragen war. Der Beklagte handelte daher nicht in Ausübung eines öffentlichen Amtes für die BG. Eine Haftung der BG gemäß Art. 34 GG, § 839 BGB kommt bei einer solchen Fallgestaltung nicht in Betracht.

3.

Ebenfalls nicht zu einer Haftung der BG führen Fehler des Beklagten bei der Diagnosestellung oder der von ihm durchgeführten allgemeinen Heilbehandlung. Teilweise wird allerdings eine Haftung der BG für die Folgen eines Diagnosefehlers dann bejaht, wenn die Diagnose der Entscheidung des Arztes dient, ob die besondere Heilbehandlung einzuleiten sei, weil eine einheitliche Aufgabe nicht in haftungsrechtlich unterschiedlich zu beurteilende Tätigkeitsbereiche aufgespalten werden dürfe (HK AKM/Lissel, Nr. 2370 Rn. 29; das wird auch in Bezug auf den D-Arzt vertreten: HK AKM/Lissel, Nr. 1540 Rn. 28; Olzen, aaO, 135; Ratzel/Luxenburger/Lissel, aaO, § 36 Rn. 27; Wank, SGb 1995, 316, 317; dem folgend OLG Schleswig, GesR 2007, 207; LG Karlsruhe, MedR 2006, 728). Eine solche Fallgestaltung liegt hier nicht vor. Der Beklagte ist vielmehr im Bereich der allgemeinen Heilbehandlung tätig geworden. Er hatte durch §§ 35, 37 Vertrag 2001 bei der Verletzung des Klägers keine Entscheidungskompetenz eingeräumt erhalten und durfte nicht für die BG tätig werden.

Soweit nach einer in Teilen der Literatur und der Rechtsprechung vertretenen Ansicht noch weitergehend die gesamte Tätigkeit eines D-Arztes bis zur Entscheidung über das "Ob und Wie", also etwa auch die Erstversorgung (§ 27 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII) und die Diagnosestellung, als Ausübung eines öffentlichen Amtes angesehen wird (vgl. Kreft in LM Art. 34 GG Nr. 99a Bl. 71 f.; K. Müller SGb 1975, 511 f.; Pfeifer, aaO, 126 f.; Stein/Itzel/Schwall, Praxishandbuch des Amts- und Staatshaftungsrechts, Rn. 618; Wolber, aaO, 264; OLG Schleswig, aaO), nimmt der Senat Bezug auf seinen Beschluss vom 4. März 2008 (- VI ZR 101/07 - [...]): Wenn in BGHZ 126, 297, 301 von einer Zäsur durch die Entscheidung über das "Ob und Wie" die Rede ist, durch welche die (anschließende) ärztliche Behandlung dem Privatrecht unterfällt, versteht sich dies als inhaltliches Abgrenzungskriterium, nicht als zeitliches; ein Nebeneinander der Pflichtenkreise bei der Erstbehandlung und möglicherweise auch bei der Diagnosestellung ist daher nicht ausgeschlossen. Gleiches gilt für den H-Arzt.

4.

Ohne Erfolg beanstandet die Revision schließlich, das Berufungsgericht habe die Klage teilweise abweisen müssen, weil bei fehlerfreier Behandlung die Verletzung zwar nicht ohne Folgen ausgeheilt, aber jedenfalls eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 % zurückgeblieben wäre. Ob sich das Berufungsgericht eine solche Überzeugung gebildet und entsprechende Feststellungen getroffen hat, kann dabei offen bleiben.

a)

Selbst wenn dem Vortrag der Revision zu folgen wäre, wäre eine teilweise Abweisung des Feststellungsantrages nicht geboten. Zwar führt die Rechtskraft eines Feststellungsurteils, in dem die Schadensersatzpflicht des in Anspruch genommenen Schädigers festgestellt worden ist, dazu, dass Einwendungen, die sich auf Tatsachen stützen, welche schon zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorgelegen haben, nicht mehr berücksichtigt werden dürfen, soweit sie das Bestehen des festgestellten Anspruchs betreffen. Der Einwand der Revision, der Diagnose- und Behandlungsfehler des Beklagten sei für eine Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers von 30 % nicht kausal gewesen, stellt aber nicht den Grund des festgestellten Schadensersatzanspruchs in Frage, sondern betrifft die haftungsausfüllende Kausalität zwischen dem durch den Diagnose- und Behandlungsfehler verursachten Gesundheitsschaden und möglichen Folgeschäden des Klägers (§ 287 ZPO). Einwendungen wären insoweit in einem Folgeprozess zu klären (vgl. Senat, Urteile vom 24. Januar 1995 - VI ZR 354/93 - VersR 1995, 469 ff. ;vom 28. Juni 2005 - VI ZR 108/04 - VersR 2005, 1159, 1160) .

b)

Konkrete Rügen in Bezug auf den Leistungsantrag erhebt die Revision nicht. Wo das Gesetz dem Tatrichter ein Ermessen einräumt (§ 847 BGB a.F., § 287 ZPO), kann das Revisionsgericht lediglich überprüfen, ob das Ermessen ausgeübt worden ist, ob die Grenzen der Ermessensausübung eingehalten wurden und ob alle wesentlichen Umstände Beachtung gefunden haben (vgl. Senat, Urteil vom 8. Juni 1976 - VI ZR 216/74 - VersR 1976, 967; Zöller/Gummer, ZPO, 27. Aufl., § 546 Rn. 14). Fehler dieser Art in Bezug auf das festgesetzte Schmerzensgeld (§ 847 a.F. BGB) beanstandet die Revision nicht; solche sind auch nicht ersichtlich. Die Revision zeigt ferner keinen tatsächlichen Vortrag dazu auf, dass der Verdienstentgang des Klägers vom 1. Januar 2003 bis 30. Juni 2005 bei richtiger Behandlung geringer gewesen wäre.

5.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

Zurück