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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 22.09.2009
Aktenzeichen: VI ZR 32/09
Rechtsgebiete: ZPO,
Vorschriften:
ZPO § 544 Abs. 7 | |
GG Art. 103 Abs. 1 |
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
am 22. September 2009
durch
den Vorsitzenden Richter Galke,
den Richter Zoll,
die Richterin Diederichsen,
den Richter Pauge und
die Richterin von Pentz
beschlossen:
Tenor:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 18. Dezember 2008 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gegenstandswert: 163.866,60 EUR
Gründe:
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt.
1.
Nicht zu beanstanden und von der Nichtzulassungsbeschwerde als ihr günstig nicht angegriffen ist allerdings die Annahme des Berufungsgerichts, dem Beklagten sei ein Behandlungsfehler unterlaufen, weil er den verstorbenen Ehemann der Klägerin nicht unverzüglich mit Notarztwagen in ein Krankenhaus eingewiesen hat. Das Berufungsgericht stützt sich insoweit rechtsfehlerfrei auf die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. K. . Nach dessen Ausführungen im Gutachten vom 10. Juli 2006, in der ergänzenden Stellungnahme vom 23. November 2006 und in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 12. April 2007 wies der verstorbene Ehemann der Klägerin ein Hochrisikoprofil mit fünf Risikofaktoren für eine koronare Herzerkrankung (Nikotinabusus, Bluthochdruck, familiäre Belastung, Adipositas und Blutzuckererhöhung) auf. Angesichts dieser Risikofaktoren und der vom verstorbenen Ehemann der Klägerin am 11. März 2004 mitgeteilten Schmerzsymptomatik hätte die Veränderung in dem vom Beklagten an diesem Tag erstellten EKG im Vergleich zum Vor-EKG vom 18. Februar 2000 zu einer sofortigen Krankenhauseinweisung mit Notarztwagen führen müssen. Diese Einschätzung bestätigte der gerichtliche Sachverständige in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am 27. November 2008. Er bejahte die Frage des Klägervertreters, ob ein Handlungsbedarf dringend gewesen sei, um Weiterungen zu vermeiden. In der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 12. April 2007 führte er aus, dass die Konsequenz einer unterlassenen Krankenhauseinweisung der Tod des Patienten sein könne.
2.
Unter entscheidungserheblichem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist das Berufungsgericht jedoch zu der Ansicht gelangt, der dem Beklagten unterlaufene Behandlungsfehler sei nicht als grob zu qualifizieren.
a)
Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Erfolg, dass das Berufungsgericht bei seiner Entscheidungsfindung den Vortrag der Klägerin in ihren Schriftsätzen vom 6. März und 23. August 2007 sowie die von ihr vorgelegte privatgutachterliche Stellungnahme des Dr. W. übergangen hat, wonach eine sofortige Einweisung des verstorbenen Ehemanns der Klägerin unabhängig von der Frage, ob das Zeitfenster für die Behandlung eines akuten Herzinfarkts bereits überschritten war, schon deshalb zwingend geboten war, um typischerweise nach einem Herzinfarkt auftretende lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen festzustellen und zu behandeln. Diesen Gesichtspunkt hatte auch der gerichtliche Sachverständige in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht hervorgehoben. Ist das Leben des Patienten aber durch möglicherweise infolge eines stattgefundenen Infarkts auftretende Herzrhythmusstörungen konkret gefährdet, so muss dieser Gesichtspunkt bei der Gewichtung des Behandlungsfehlers Berücksichtigung finden.
b)
Das Berufungsgericht hat entscheidungserhebliches Vorbringen der Klägerin auch dadurch übergangen, dass es in keiner Weise auf die Aufklärung des zwischen der Stellungnahme des Dr. W. und den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen bestehenden Widerspruchs hinsichtlich der Frage hingewirkt hat, ob die Vorgehensweise des Beklagten als grob fehlerhaft zu bewerten ist. Nach der Stellungnahme des Dr. W. erscheint es nicht verständlich, dass der verstorbene Ehemann der Klägerin nicht stationär eingewiesen worden ist. Ein Patient mit EKG-Veränderungen, wie sie beim verstorbenen Ehemann der Klägerin aufgetreten seien, müsse unabhängig von Beschwerden intensiv medizinisch überwacht werden, da in einem subakuten Infarktstadium ein erhöhtes Risiko von Herzrhythmusstörungen besteht. Mit diesen Ausführungen hat sich das Berufungsgericht nicht auseinandergesetzt.
In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass auch den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Anhaltspunkte dafür zu entnehmen sind, dass es sich bei der unterlassenen Krankenhauseinweisung um einen eindeutigen Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse und damit um einen Fehler handeln könnte, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (vgl. zum Begriff des groben Behandlungsfehlers: Senatsurteil vom 16. Juni 2009 - VI ZR 157/08 - z.V.b., m.w.N.). Der Sachverständige hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht ausgeführt, dass es ein unverzeihlicher Fehler gewesen wäre, wenn der Beklagte einen frischen Infarkt festgestellt und den verstorbenen Ehemann der Klägerin nicht ins Krankenhaus eingewiesen hätte, wobei er unter einem frischen Infarkt einen solchen verstehe, der nicht mehr als 48 Stunden zurückliege. Der Sachverständige hat weiter angegeben, dass das Ergebnis der Untersuchung am 11. März 2004 zu einer sofortigen Einweisung des Ehemanns der Klägerin mit Notarztwagen hätte führen müssen und dass die mögliche Konsequenz einer unterlassenen Einweisung der Tod des Patienten sei. Er hat diese Beurteilung zu keiner Zeit eingeschränkt oder relativiert und insbesondere daran festgehalten, dass eine sofortige Einweisung mit Notarztwagen geboten war. Auf Frage des Klägers hat er bestätigt, dass ein dringender Handlungsbedarf bestand, um Weiterungen zu vermeiden.
Bei dieser Sachlage hätte sich das Berufungsgericht nicht ohne Weiteres der Angabe des Sachverständigen anschließen dürfen, ein grober Behandlungsfehler sei nicht anzunehmen, weil der auf dem EKG erkennbare Infarkt mehr als 12 Stunden zurück gelegen habe und eine Behandlung des Gefäßverschlusses deshalb nicht mehr möglich gewesen sei. Wäre dies der Fall, so wäre nicht erklärlich, warum der verstorbene Ehemann der Klägerin sofort mit dem Notarztwagen in das Krankenhaus hätte eingewiesen werden müssen. Das Berufungsgericht hätte die Äußerungen des Sachverständigen zum Gewicht des Behandlungsfehlers vielmehr kritisch überprüfen und den soeben aufgezeigten Zweifeln an der Bewertung des Behandlungsgeschehens durch Erörterung sowohl des für eine solche Behandlung geltenden Sorgfaltsmaßstabs als auch des Begriffs des Behandlungsfehlers mit dem Sachverständigen, ggf. durch Einholung eines neuen Gutachtens, nachgehen müssen. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats muss der Tatrichter berücksichtigen, dass medizinische Sachverständige Behandlungsfehler nicht selten nur zurückhaltend ansprechen oder bewerten (vgl. BGHZ 172, 254, 259; Senatsbeschluss vom 9. Juni 2009 - VI ZR 261/08 - z.V.b., jeweils m.w.N.).
c)
Die Gehörsverletzung ist auch entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Berücksichtigung des Sachvortrags der Klägerin und der von ihr vorgelegten privatgutachterlichen Stellungnahme des Dr. W. zu einer anderen Beurteilung des Falles gekommen wäre.
3.
Bei der neuen Verhandlung wird das Berufungsgericht Gelegenheit haben, sich mit den von der Klägerin in der Nichtzulassungsbeschwerdebegründung im Einzelnen aufgezeigten Widersprüchen im Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. K. auseinanderzusetzen und auf die weitere Aufklärung des Sachverhalts hinzuwirken. Das Berufungsgericht wird darüber hinaus zu klären haben, ob es sich bei dem Behandlungsfehler des Beklagten tatsächlich - wie das Berufungsgericht angenommen hat - um einen Diagnosefehler oder nicht vielmehr um einen Befunderhebungsfehler wegen unterlassener Durchführung der gebotenen Anschlussdiagnostik (serielles EKG, Blutabnahme, Feststellung des Vorliegens von Herzrhythmusstörungen, etc.) gehandelt hat.
Ende der Entscheidung
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