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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 13.01.1998
Aktenzeichen: VI ZR 58/97
Rechtsgebiete: BGB, StGB, BeitragszahlungsVO
Vorschriften:
BGB § 366 | |
StGB § 266a | |
BeitragszahlungsVO § 2 |
Zahlungen des Arbeitgebers auf geschuldete Gesamtsozialversicherungsbeiträge sind - soweit sie nicht nach besonderer Tilgungsbestimmung des Arbeitgebers in vollem Umfang auf die Arbeitnehmeranteile geleistet sind - gemäß § 2 der Beitragszahlungsverordnung je zur Hälfte auf die Arbeitnehmer- und die Arbeitgeberanteile anzurechnen. Eine Heranziehung der Tilgungsreihenfolge des § 366 Abs. 2 BGB kommt angesichts der vorrangigen Spezialregelung der Beitragszahlungsverordnung nicht (mehr) in Betracht.
BGH, Urteil vom 13. Januar 1998 - VI ZR 58/97 - OLG Oldenburg LG Oldenburg
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Verkündet am: 13. Januar 1998
Weschenfelder Justizsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 13. Januar 1998 durch den Vorsitzenden Richter Groß und die Richter Dr. Lepa, Dr. Müller, Dr. Dressler und Dr. Greiner
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird - unter deren Zurückweisung im übrigen - das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 9. Januar 1997 insoweit aufgehoben, als der Beklagte zur Zahlung von mehr als 45.081,96 DM nebst 4% Zinsen hieraus seit dem 24. Oktober 1995 und aus 77.153,36 DM vom 6. Januar 1995 bis 23. Oktober 1995 an die Klägerin verurteilt worden ist; in diesem Umfang wird die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 23. Juli 1996 zurückgewiesen.
Von den Kosten der beiden ersten Rechtszüge haben der Beklagte 3/5, die Klägerin 2/5 zu tragen. Die Kosten des Revisionsverfahrens fallen der Klägerin zur Last.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin nimmt den Beklagten, der Geschäftsführer der G. GmbH war, auf Ausgleich des Schadens in Anspruch, der ihr als der zuständigen Einzugsstelle aus der Vorenthaltung von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung entstanden ist.
Nachdem die G. GmbH bereits seit längerer Zeit mit der Abführung der Sozialversicherungsbeiträge (Arbeitgeber- wie Arbeitnehmeranteile) für ihre Beschäftigten im Rückstand war, trat sie mit Schreiben vom 22. November 1993 einen Teilbetrag von 150.000 DM aus einem ihr zustehenden Kaufpreisanspruch hinsichtlich eines Grundstücksverkaufs an die Klägerin ab. Nach zwischenzeitlich erfolgter Ablehnung der Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens über das Vermögen der G. GmbH mangels Masse und Löschung der Gesellschaft im Handelsregister überwies am 24. Oktober 1995 der Notar K. von seinem Anderkonto an die Klägerin einen Betrag von 64.142,80 DM, wobei er auf dem Überweisungsträger als Verwendungszweck angab: "07890945 G. GmbH". Dieser Betrag wurde von der Klägerin in voller Höhe auf rückständige Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung verrechnet.
Die Klägerin hat die ihr seitens der G. GmbH vorenthaltenen Arbeitnehmerbeiträge für die Monate Juli bis November 1993 mit insgesamt 93.684,63 DM ermittelt, wovon sie im vorliegenden Rechtsstreit einen - im einzelnen näher spezifizierten - Teilbetrag von 77.153,36 DM geltend macht. Der Beklagte hat seine Schadensersatzpflicht dem Grunde nach nicht in Abrede gestellt. Der Streit der Parteien geht im wesentlichen darum, ob und in welcher Höhe die gezahlten 64.142,80 DM entweder auf die Arbeitnehmer- oder auf die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung anzurechnen seien.
Das Landgericht hat den Beklagten unter Klagabweisung im übrigen zur Zahlung von 29.541,83 DM nebst Zinsen an die Klägerin verurteilt. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht ihr - unter Zurückweisung der Berufung des Beklagten - 77.153,36 DM nebst Zinsen zugesprochen. Der Beklagte, der nunmehr die Ansicht vertritt, der geleistete Betrag von 64.142,80 DM sei zur Hälfte auf die rückständigen Arbeitnehmerbeiträge anzurechnen, greift mit seiner Revision das Berufungsurteil insoweit an, als er zur Zahlung von mehr als 45.081,96 DM nebst Zinsen verurteilt worden ist.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hält den Beklagten für verpflichtet, der Klägerin den gesamten von ihr für die Monate Juli bis November 1993 mit 77.153,36 DM geltend gemachten Schaden aus nicht abgeführten Arbeitnehmerbeiträgen in voller Höhe zu ersetzen. Die Schadensersatzforderung sei auch nicht teilweise durch den seitens des Notars K. überwiesenen Betrag von 64.142,80 DM getilgt worden. Diese Zahlung, die in Vollzug der Abtretung der Kaufpreisforderung aus dem Grundstücksgeschäft vorgenommen worden sei, sei nicht dem Beklagten zuzurechnen und nicht auf dessen schadensersatzrechtliche Verbindlichkeit gegenüber der Klägerin geleistet. Vielmehr sei davon auszugehen, daß hier für die G. GmbH im Hinblick auf die - weiterhin wirksame - Abtretung der Kaufpreisforderung aus dem Verkaufserlös, über den der Beklagte nicht mehr habe verfügen dürfen, eine Zahlung erbracht worden sei, die den Beklagten selbst nicht betreffe.
II.
Das Berufungsurteil hält, soweit es angefochten ist, den Angriffen der Revision im wesentlichen nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist der seitens des Notars K. an die Klägerin überwiesene Betrag von 64.142,80 DM zur Hälfte, somit in Höhe von 32.071,40 DM, auf die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung, mit denen die G. GmbH in Rückstand war, anzurechnen und vermindert in dieser Höhe die Schadensersatzschuld des Beklagten gegenüber der Klägerin.
1. Die Revision stellt den Ausgangspunkt des Berufungsurteils nicht in Frage, daß die Klägerin vom Beklagten gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 266 a StGB Schadensersatz wegen vorenthaltener Arbeitnehmerbeiträge für die Zeit von Juli bis November 1993 verlangen kann und sich die betreffenden Beitragsrückstände jedenfalls auf die im vorliegenden Rechtsstreit geltend gemachten 77.153,36 DM beliefen. Insoweit sind Rechtsfehler des Berufungsgerichts auch nicht zu erkennen.
2. Die Revision beanstandet jedoch zu Recht, daß das Berufungsgericht eine Anrechnung des durch den Notar K. am 24. Oktober 1995 an die Klägerin überwiesenen Betrages auf die rückständigen Arbeitnehmerbeiträge gänzlich außer Betracht gelassen hat.
a) Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, daß die durch Notar K. bewirkte Zahlung keine Leistung des Beklagten darstellte und nicht unmittelbar dessen persönliche Schadensersatzverbindlichkeit betraf, sondern als eine Leistung der G. GmbH auf die von ihr geschuldeten, der Klägerin vorenthaltenen Gesamtsozialversicherungsbeiträge anzusehen war. Das greift auch die Revision nicht an. Das Berufungsgericht hat aber verkannt, daß sich durch diese Zahlung die rückständigen Arbeitnehmerbeiträge der G. GmbH und dementsprechend der Schaden der Klägerin, für den der Beklagte deliktsrechtlich einzustehen hat, um 32.071,40 DM reduziert haben.
b) Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung geht es nicht an, den durch Notar K. überwiesenen Betrag in voller Höhe auf die rückständigen Arbeitgeberbeiträge zu verrechnen. Die Tilgungsreihenfolge des § 366 Abs. 2 BGB kann hier nicht - auch nicht in entsprechender Anwendung - herangezogen werden.
aa) Allerdings sind in der Rechtsprechung für die Verrechnung geleisteter Zahlungen auf die abzuführenden Sozialversicherungsbeiträge bisher regelmäßig die Bestimmungen der §§ 366, 367 BGB entsprechend angewandt worden (vgl. z.B. Senatsurteile vom 4. Dezember 1979 - VI ZR 186/78 - VersR 1980, 647; vom 29. Juni 1982 - VI ZR 177/80 - VersR 1982, 958, 959; vom 12. Februar 1985 - VI ZR 68/83 - VersR 1985, 590, 591 und vom 4. Juli 1989 - VI ZR 23/89 - BGHR BGB § 823 Abs. 2 - StGB § 266 a 2). Dementsprechend wurde in erster Linie eine - gegebenenfalls auch stillschweigend erfolgte - Tilgungsbestimmung des Arbeitgebers für maßgebend erachtet; im übrigen konnte sich aus den Umständen ergeben, daß die teilweise Zahlung rückständiger Beiträge hälftig auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile zu verrechnen ist (vgl. z.B. Senatsurteile vom 7. November 1961 - VI ZR 5/61 - VersR 1962, 24, 27 und vom 7. Juni 1963 - VI ZR 144/62 - VersR 1963, 1034, 1035). Waren für eine Tilgungsbestimmung keinerlei Anhaltspunkte zu ersehen, konnte auf die Tilgungsreihenfolge des § 366 Abs. 2 BGB auch in der Weise zurückgegriffen werden, daß vorrangig eine Tilgung der Arbeitgeberanteile in Betracht kam; denn diese konnten - jedenfalls wenn es sich bei dem Arbeitgeber um eine juristische Person handelte - im Vergleich zu den rückständigen Arbeitnehmeranteilen, für welche der jeweilige Geschäftsführer oder das sonst verantwortliche Organ im Rahmen der §§ 823 Abs. 2 BGB, 266 a StGB auch persönlich in Anspruch genommen werden kann, als weniger sicher erscheinen (vgl. Senatsurteile vom 12. Februar 1985 - VI ZR 68/83 - aaO und vom 4. Juli 1989 - VI ZR 23/89 - aaO). Auf diese Rechtsprechungsgrundsätze kann im vorliegenden Fall jedoch nicht zugunsten der Klägerin zurückgegriffen werden.
bb) Denn die Revision weist zu Recht darauf hin, daß - seit 1. Januar 1991 auch in den neuen Bundesländern - für die Tilgungsreihenfolge bei Zahlungen an die Einzugsstelle die Regelungen der - insoweit auf der Ermächtigung in § 28 n Nr. 2 SGB IV beruhenden - Beitragszahlungsverordnung vom 22. Mai 1989 (BGBl. I S. 990) maßgebend sind. § 2 dieser Verordnung hatte in der für den hier interessierenden Zeitraum geltenden Fassung folgenden Wortlaut:
"Schuldet der Arbeitgeber oder ein sonstiger Zahlungspflichtiger Auslagen der Einzugsstelle, Gesamtsozialversicherungsbeiträge, Säumniszuschläge, Zinsen, Geldbußen oder Zwangsgelder, kann er bei der Zahlung bestimmen, welche Schuld getilgt werden soll. Trifft der Arbeitgeber keine Bestimmung, werden die Schulden in der in Satz 1 genannten Reihenfolge getilgt. Innerhalb der gleichen Schuldenart werden die einzelnen Schulden nach ihrer Fälligkeit, bei gleichzeitiger Fälligkeit anteilmäßig getilgt."
Ziel des Verordnungsgebers war es hierbei, unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Sozialversicherungsrechts (und in Anlehnung an die für das Steuerrecht geltende Bestimmung des § 225 AO) eine im Hinblick auf eine einheitliche Praxis der Krankenkassen gebotene Handhabung zu gewährleisten (vgl. Bundesrats-Drucks. 170/89, S. 7). § 2 der Beitragszahlungsverordnung stellt daher eine spezielle Regelung der Tilgungsreihenfolge im Rahmen des Sozialversicherungsrechts dar, die den bislang herangezogenen, auf den allgemeinen Bestimmungen der §§ 366, 367 BGB beruhenden rechtlichen Überlegungen vorgeht.
cc) Die Regelung in § 2 der Beitragszahlungsverordnung in der dargestellten Fassung schließt innerhalb der Gesamtsozialversicherungsbeiträge hinsichtlich der Tilgungsbestimmung und Tilgungsreihenfolge eine Differenzierung zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteilen aus. Zahlungen, die auf die Beiträge zur Sozialversicherung geleistet werden, sind - gemäß § 2 Satz 3 dieser Verordnung - bei gleicher Fälligkeit anteilmäßig, somit je zuur Hälfte auf die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteile zu verrechnen. Für eine Anrechnung allein auf Arbeitgeberbeiträge ist kein Raum - weder unter dem Gesichtspunkt einer dahingehenden Tilgungsbestimmung noch im Hinblick darauf, daß die diesen Teil der Sozialversicherungsbeiträge betreffende Forderung "weniger sicher" sei als der Anspruch auf die rückständigen Arbeitnehmerbeiträge.
dd) Das Bundessozialgericht hat allerdings die Regelung des § 2 der Beitragszahlungsverordnung wegen Unvereinbarkeit mit § 266 a Abs. 1 StGB insoweit für nichtig erachtet, als der Arbeitgeber bei einer Teilzahlung auf die Gesamtsozialversicherungsbeiträge nicht bestimmen darf, daß zuerst die Arbeitnehmeranteile getilgt werden (BSGE 78, 20, 23). Der Verordnungsgeber hat im Hinblick auf diese Rechtsprechung zwischenzeitlich (durch Art. 2 Nr. 2 der Zweiten Verordnung zur Änderung der Beitragsüberwachungsverordnung und der Beitragszahlungsverordnung vom 20. Mai 1997, BGBl. 1997 I S. 1137) als Ergänzung zu § 2 Satz 1 der Beitragszahlungsverordnung ein Bestimmungsrecht des Arbeitgebers dahin normiert, daß vorrangig die Arbeitnehmeranteile getilgt werden sollen.
Die vom Bundessozialgericht festgestellte teilweise Unwirksamkeit der Tilgungsregelung des § 2 Beitragszahlungsverordnung a.F. betrifft aber nur die Frage, inwieweit Zahlungen - über die aus § 2 Satz 3 der Verordnung resultierende hälftige Anrechnung auf Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteile hinaus - bei entsprechender Tilgungsbestimmung in vollem Umfang als auf die Arbeitnehmerbeiträge geleistet angesehen werden können. Um diese Frage geht es im vorliegenden Fall nicht. Auch die Revision begehrt keine weitergehende als die - § 2 Satz 3 der Beitragszahlungsverordnung entsprechende - hälftige Verrechnung des seitens des Notars K. überwiesenen Betrages auf die rückständigen Arbeitnehmerbeiträge der G. GmbH.
Die aus der Gesamtregelung des § 2 der Beitragszahlungsverordnung folgende Unzulässigkeit einer mehr als hälftigen Anrechnung geleisteter Zahlungen auf die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung wird weder durch die dargestellte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts noch durch die hierauf beruhende Novellierung der Verordnung berührt.
3. Da somit die Hälfte der durch Notar K. für die G. GmbH am 24. Oktober 1995 an die Klägerin überwiesenen 64.142,80 DM auf die rückständigen Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung zu verrechnen waren, hat sich - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - der vom Beklagten auf der Grundlage der §§ 823 Abs. 2 BGB, 266 a StGB zu ersetzende Schaden der Klägerin um 32.071,40 DM vermindert. Dieser Betrag war von der mit der Klage geltend gemachten Forderung von 77.153,36 DM in Abzug zu bringen.
Da die Überweisung an die Klägerin vor Rechtshängigkeit erfolgt ist (diese trat erst am 1. Februar 1996 mit der Abgabe der Sache an das zuständige Landgericht ein; die Abgabe fand nicht im Sinne des § 696 Abs. 3 ZPO alsbald nach der Erhebung des am 21. April 1995 eingelegten Widerspruchs gegen den am 13. April 1995 zugestellten Mahnbescheid statt), war die Klage somit von vornherein nur in Höhe des (von der Revision nicht mehr in Frage gestellten) Betrages von 45.081,96 DM begründet. Die geltend gemachten Verzugszinsen stehen der Klägerin bis zur Teilzahlung aus dem Gesamtbetrag von 77.153,36 DM, danach nur noch aus dem noch offenen Restbetrag der Schadensersatzforderung zu.
III.
Das Berufungsurteil war daher teilweise aufzuheben. Da die Sache zur Endentscheidung reif ist, hatte der Senat gemäß § 565 Abs. 3 ZPO selbst abschließend zu erkennen. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92 Abs. 1 und 2 ZPO.
Ende der Entscheidung
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