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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 02.03.1999
Aktenzeichen: VI ZR 71/98
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

VI ZR 71/98

Verkündet am: 2. März 1999

Holmes Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 2. März 1999 durch den Vorsitzenden Richter Groß und die Richter Dr. Lepa, Bischoff, Dr. v. Gerlach und Dr. Greiner

für Recht erkannt:

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des Kammergerichts vom 5. Dezember 1997 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Beklagte war in der DDR Konsistorialpräsident der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg und ist nunmehr Ministerpräsident des Bundeslandes Brandenburg. In seiner Eigenschaft als Vertreter der Kirche unterhielt er Kontakte zu hauptamtlichen Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS); er war dort als informeller Mitarbeiter (IM) unter dem Decknamen "Sekretär" registriert. Über viele Jahre traf er sich mit hauptamtlichen Mitarbeitern des MfS in Dienstzimmern oder in Privatwohnungen, die das MfS unterhielt.

Die Kontakte des Beklagten mit dem MfS waren zu Beginn der 90er Jahre Gegenstand verschiedener Untersuchungen. Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes stellte in einem Recherchebericht vom 31. März 1992 zusammenfassend fest, die aufgefundenen Unterlagen ließen den Schluß zu, daß der Beklagte nach den Maßstäben des MfS über einen Zeitraum von etwa 20 Jahren ein wichtiger "IM" im Bereich der Evangelischen Kirchen der DDR gewesen sei. Die Mehrheit eines Untersuchungsausschusses des Brandenburgischen Landtages kam in einem Bericht vom 29. April 1994 zu dem Ergebnis, daß der Beklagte seinen Gesprächspartnern "offenbar als gleichrangiger Verhandlungspartner" begegnet sei und keine kirchenfremden oder der Kirche schadenden Interessen vertreten habe; insbesondere sei nicht erwiesen, daß er sich schriftlich oder in anderer Form zu einer Mitarbeit beim MfS verpflichtet oder von seiner Registrierung als "IM" unter dem Decknamen "Sekretär" gewußt habe. Ein Vorprüfungsausschuß der Evangelischen Kirche in Deutschland empfahl durch Beschluß vom 20. März 1995, von disziplinarischen Maßnahmen gegen den Beklagten abzusehen. Der Beklagte habe zwar von 1969 bis 1989 zu Angehörigen des MfS Kontakte unterhalten, die angesichts ihrer Art und ihres Umfanges mit seinen Pflichten und Aufgaben als Kirchenbeamter nicht im Einklang gestanden hätten. Auch habe er die jeweiligen Vorsitzenden der Konferenz der Kirchenleitung und den Bischof der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg über diese Kontakte nicht unterrichtet. Andererseits sei das Gesamtwirken des Beklagten für die Evangelische Kirche zu berücksichtigen. Er sei ein Mann der Kirche geblieben und habe nicht die Seiten gewechselt. Von allen Gesprächspartnern auf staatlicher Ebene, auch von Angehörigen des MfS, sei er als Vertreter der Kirche angesehen worden. Diesem Votum hat sich die Kirchenleitung in ihrem Beschluß vom 31. März 1995 angeschlossen.

Im Vorfeld der Volksabstimmung über die Vereinigung der Bundesländer Berlin und Brandenburg brachte das am 2. April 1996 vom Zweiten Deutschen Fernsehen ausgestrahlte Magazin "Frontal" einen Beitrag über den Diskussionsstand, in dem auch der Kläger - Rechtsanwalt und Notar sowie stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU im Abgeordnetenhaus von Berlin - zu Wort kam. Nach einer Stellungnahme des Beklagten folgte im Anschluß an den Hinweis des Moderators, daß der Kläger für eine Vereinigung im Jahr 2002 eintrete, folgende Äußerung des Klägers, die dieser in seiner Rechtsanwalts- und Notarkanzlei abgegeben hatte:

"Die Tatsache, daß Herr Stolpe, wie wir alle wissen, IM-Sekretär, über 20 Jahre im Dienste des Staatssicherheitsdienstes tätig, daß der die Chance erhält, 1999 hier in Berlin, auch über Berlin Ministerpräsident zu werden, d.h., daß ich sein Landeskind werde, zusammen mit anderen, das verursacht mir doch erhebliche Kopfschmerzen."

Der Beklagte forderte den Kläger auf, die Äußerung, er - der Beklagte - sei als IM-Sekretär über 20 Jahre im Dienste des Staatssicherheitsdienstes tätig gewesen, künftig zu unterlassen und eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben. Nachdem der Kläger dieser Aufforderung nicht nachgekommen war, erwirkte der Beklagte bei dem Landgericht Potsdam am 23. April 1996 eine einstweilige Verfügung, die dem Kläger untersagte, wörtlich oder sinngemäß in der Öffentlichkeit zu behaupten, zu verbreiten oder zu wiederholen, der Beklagte sei als "IM-Sekretär, über 20 Jahre im Dienst des Staatssicherheitsdienstes tätig" gewesen.

Noch vor der Zustellung der einstweiligen Verfügung erhob der Kläger vor dem Landgericht Berlin die vorliegende Klage, mit der er die Feststellung beantragte, daß der Beklagte nicht berechtigt sei, ihn außergerichtlich oder gerichtlich zu der Unterlassung folgender Äußerung zu verpflichten: "Herr Stolpe wie wir alle wissen, als IM-Sekretär über 20 Jahre im Dienst des Staatssicherheitsdienstes tätig.....". Mit Urteil vom 20. Juni 1996 gab das Landgericht Berlin dieser Klage statt.

Der Beklagte griff dieses Urteil mit der Berufung an. Er hatte inzwischen vor dem Landgericht Potsdam gegen den Kläger eine Klage erhoben, mit der er die Verurteilung des Klägers zur Unterlassung der Äußerung erstrebte, er - der Beklagte - sei "IM-Sekretär, über 20 Jahre im Dienste des Staatssicherheitsdienstes tätig" gewesen. Diese Klage wies das Landgericht ab, während ihr das Oberlandesgericht stattgab. Auf die Revision des Klägers stellte der erkennende Senat durch Urteil vom 16. Juni 1998 (VI ZR 205/97 - NJW 1998, 3047 = VersR 1998, 1250, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen) das landgerichtliche Urteil wieder her.

Im vorliegenden Verfahren hat der Kläger, nachdem das Landgericht Potsdam die Unterlassungsklage des Beklagten abgewiesen hatte, im zweiten Rechtszug den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Dem ist der Beklagte mit der Begründung entgegengetreten, die vorliegende Klage sei deshalb, weil der geltend gemachte Feststellungsanspruch niemals bestanden habe, von vornherein unbegründet gewesen und überdies durch die Erhebung der Unterlassungsklage des Beklagten unzulässig geworden mit der Folge, daß sie durch Prozeßurteil abzuweisen sei. Das Berufungsgericht hat entsprechend dem Antrag des Klägers die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache ausgesprochen und dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Beklagte mit der (zugelassenen) Revision, mit der er in erster Linie die Aussetzung des Verfahrens erstrebt und hilfsweise seinen Klageabweisungsantrag weiterverfolgt.

Entscheidungsgründe:

I.

Die vorliegende negative Feststellungsklage war nach Auffassung des Berufungsgerichts ursprünglich zulässig und begründet. Angesichts des vorprozessualen Vorgehens des Beklagten habe der Kläger bei der Erhebung seiner Klage an der alsbaldigen Feststellung des Nichtbestehens eines gegen ihn - den Kläger - gerichteten Unterlassungsanspruchs ein rechtliches Interesse gehabt, das erst entfallen sei, nachdem über die vor dem Landgericht Potsdam erhobene Unterlassungsklage des Beklagten am 10. Oktober 1996 mündlich verhandelt worden sei. Der Kläger sei gegenüber dem Beklagten nicht verpflichtet gewesen, die beanstandete Äußerung zu unterlassen. Bei dieser Äußerung handele es sich nicht um eine Tatsachenbehauptung, sondern um eine Meinungsäußerung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 GG, die der Beklagte hinnehmen müsse. Das Persönlichkeitsrecht des Beklagten sei durch diese Äußerung nicht in rechtswidriger Weise verletzt worden. Die Güter- und Interessenabwägung ergebe, daß der Meinungsäußerungsfreiheit gegenüber dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Vorrang gebühre. Dabei sei von wesentlicher Bedeutung, daß die Äußerung des Klägers anläßlich eines Fernsehinterviews als Beitrag zur Bildung der öffentlichen Meinung im Wahlkampf gefallen sei; welcher Ministerpräsident ein Bundesland regiere, sei eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage. Die für die Zulässigkeit der beanstandeten Äußerung sprechende Vermutung werde noch dadurch verstärkt, daß sich der Kläger nicht als Privatperson, sondern in seiner Funktion als Abgeordneter im Berliner Abgeordnetenhaus und als stellvertretender Vorsitzender der CDU-Fraktion geäußert habe. Ferner sei für das Gewicht der Meinungsäußerungsfreiheit von Bedeutung, daß der Beklagte seinerseits am Prozeß der öffentlichen Meinungsbildung teilgenommen habe.

II.

1. Die in der mündlichen Verhandlung erneut beantragte Aussetzung des Verfahrens kommt aus den Gründen des Senatsbeschlusses vom 7. Dezember 1998 nicht in Betracht.

2. Die gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts gerichteten Angriffe der Revision bleiben im Ergebnis ohne Erfolg.

Hält ein Beklagter, wie hier, gegenüber der einseitigen Erledigungserklärung des Klägers den Antrag auf Klageabweisung aufrecht, dann hat das Gericht die Erledigung der Hauptsache entsprechend dem Antrag des Klägers auszusprechen, wenn die Klage bis zur Erledigungserklärung zulässig und bis zu dem die Erledigung herbeiführenden Ereignis - hier also bis zur mündlichen Verhandlung über die Unterlassungsklage - begründet war. Das war hier der Fall.

Die vorliegende Klage war ursprünglich zulässig. Die Erwägung des Berufungsgerichts, der Kläger habe nach der Aufforderung des Beklagten, die umstrittene Äußerung künftig zu unterlassen, an der alsbaldigen Feststellung des Nichtbestehens eines Unterlassungsanspruchs des Beklagten ein rechtliches Interesse gehabt, ist rechtsfehlerfrei. Der Kläger konnte nach dem vorprozessualen Verhalten des Beklagten auch nicht mit Sicherheit davon ausgehen, daß der Beklagte gegen ihn eine Unterlassungsklage erheben werde, zumal ihm die einstweilige Verfügung bei Klageeinreichung noch nicht zugestellt war. Es kann deshalb auf sich beruhen, ob die Zulässigkeit der vorliegenden negativen Feststellungsklage zu verneinen wäre, wenn der Beklagte keine Zweifel daran hätte aufkommen lassen, daß er selbst durch eine Leistungsklage für eine gerichtliche Klärung sorgen werde. Das rechtliche Interesse des Klägers an einer alsbaldigen Feststellung des Nichtbestehens eines Unterlassungsanspruchs des Beklagten entfiel erst, nachdem der Beklagte seine Unterlassungsklage erhoben hatte und diese einseitig nicht mehr zurückgenommen werden konnte (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juli 1994 - I ZR 30/92 - NJW 1994, 3107, 3108 m.w.N.). Dies war mit der mündlichen Verhandlung über die von dem Beklagten angestrengte Unterlassungsklage am 10. Oktober 1996 und damit erst während des Berufungsverfahrens im vorliegenden Prozeß der Fall.

Die Klage war auch begründet. Durch das oben erwähnte Urteil des erkennenden Senats vom 16. Juni 1998 steht zwischen den Parteien rechtskräftig fest, daß dem Beklagten gegen den Kläger kein Anspruch auf Unterlassung der beanstandeten Äußerung zusteht. Im einzelnen wird auf die Ausführungen des Senats im genannten Urteil Bezug genommen.

Ende der Entscheidung

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