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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 13.04.1999
Aktenzeichen: VI ZR 88/98
Rechtsgebiete: BGB, SGB V
Vorschriften:
BGB § 852 | |
SGB V § 53 i.d.F. v. 20. Dezember 1988 |
Die Voraussetzungen des § 852 BGB für die Verjährung des Schadensersatzanspruchs eines sozialversicherten Verletzten, der Leistungen des Sozialversicherungsträgers zur häuslichen Pflegehilfe nach §§ 53 ff. SGB V a.F. kongruent ist, sind, soweit das Schadensereignis vor dem Inkrafttreten des SGB V stattgefunden hat, bis zu diesem Zeitpunkt nach den Verhältnissen des Geschädigten selbst zu beurteilen (im Anschluß an BGHZ 134, 381).
BGH, Urteil vom 13. April 1999 - VI ZR 88/98 - OLG München LG Augsburg
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Verkündet am: 13. April 1999
Holmes, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 13. April 1999 durch den Vorsitzenden Richter Groß und die Richter Dr. Lepa, Dr. Müller, Dr. Dressler und Dr. Greiner
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten zu 2) wird das Urteil des 24. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München in Augsburg vom 22. Januar 1998 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Beklagte zu 2) zur Zahlung eines über 65.513,03 DM nebst Zinsen hinausgehenden Betrages an die Klägerin verurteilt worden ist und sich die in Ziff. II des Berufungsurteils getroffene Feststellung auch auf Aufwendungen der Klägerin bezieht, die dieser durch Zahlung von Pflegegeld und Leistungen aus der Pflegeversicherung entstanden sind und noch entstehen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin, eine gesetzliche Krankenkasse, hat die beklagten Ärzte - aus übergegangenem Recht des bei ihr versicherten, am 30. Mai 1981 geborenen Kindes Anton B. - auf Schadensersatz wegen Pflichtverletzungen im Rahmen ärztlicher Geburtsleitung in Anspruch genommen.
Der Beklagte zu 1), niedergelassener Gynäkologe und Belegarzt im Krankenhaus J., hatte die Mutter des Kindes während ihrer Schwangerschaft betreut. Die Geburt wurde in diesem Krankenhaus, jedoch während der Urlaubsabwesenheit des Beklagten zu 1) durch einen anderen Belegarzt, den Beklagten zu 2), durchgeführt. Die Klägerin wirft dem Beklagten zu 2) ärztliche Versäumnisse vor, für die der Beklagte zu 1) einzustehen habe. Sie hat von beiden Beklagten Erstattung der von ihr für das Kind erbrachten Sozialversicherungsleistungen (insgesamt 97.841,47 DM) verlangt; hierin sind für die Zeit vom 1. Januar 1991 bis 31. März 1995 aufgrund §§ 53 ff. SGB V a. F. gezahltes Pflegegeld (insgesamt 24.720 DM) sowie Leistungen nach den Vorschriften des SGB XI über die soziale Pflegeversicherung für die Zeit vom 1. April bis 31. Juli 1995 in Höhe von 7.608,44 DM (Pflegegeld nach § 37 SGB XI sowie Rentenversicherungsbeiträge nach § 44 SGB XI) enthalten. Ferner hat die Klägerin die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für ihre ab 1. August 1995 an das Kind erbrachten und noch zu erbringenden Leistungen begehrt. Der Beklagte zu 2) hat insbesondere die Einrede der Verjährung erhoben; der Beklagte zu 1) hat seine Einstandspflicht für Versäumnisse des Beklagten zu 2) in Abrede gestellt.
Das Landgericht hat der Klage gegenüber dem Beklagten zu 2) in vollem Umfang und gegenüber dem Beklagten zu 1) im wesentlichen stattgegeben. Das Berufungsgericht hat - unter Zurückweisung der Berufung des Beklagten zu 2) - die Klage gegenüber dem Beklagten zu 1) abgewiesen. Die Klägerin hat Revision mit dem Ziel eingelegt, die Verurteilung des Beklagten zu 1) wiederherzustellen. Der Beklagte zu 2) greift mit seiner Revision das Berufungsurteil nur insoweit an, als er zur Zahlung eines über 65.513,03 DM hinausgehenden Betrages nebst Zinsen verurteilt worden ist und soweit sich der Feststellungsausspruch auch auf wegen des Pflegegeldes und der Leistungen aus der Pflegeversicherung übergegangene Ansprüche erstreckt. Der Senat hat nur das Rechtsmittel des Beklagten zu 2) angenommen.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hält die von der Klägerin gegenüber dem Beklagten zu 2) geltend gemachten Schadensersatzansprüche unter dem Gesichtspunkt der unerlaubten Handlung für begründet und insgesamt für nicht verjährt. Da Entschädigungsansprüche eines versicherten Verletzten auf den Sozialversicherungsträger schon im Zeitpunkt des Schadensereignisses übergingen, wenn auch nur die entfernte Möglichkeit dafür bestehe, daß der Versicherungsträger dem Verletzten Leistungen zu gewähren haben werde, komme es hier für den Beginn der Verjährungsfrist des § 852 BGB nur auf die Kenntnis der Klägerin an. Der Beklagte zu 2) habe zugestanden, daß die Klägerin frühestens im Januar 1984 von den wesentlichen Umständen ihrer Regreßforderung erfahren habe. Die dreijährige Verjährungsfrist, die seinerzeit zu laufen begonnen habe, sei im Hinblick auf Verhandlungen zwischen der für den Beklagten zu 2) in der Schadensangelegenheit handelnden Haftpflichtversicherung und der Klägerin im Sinne des § 852 Abs. 2 BGB zwischen dem 24. März 1986 und dem 30. Dezember 1994 gehemmt gewesen; erst im letztgenannten Zeitpunkt habe die Haftpflichtversicherung Schadensersatzleistungen endgültig abgelehnt. Daher sei im Zeitpunkt der Klageeinreichung am 18. August 1995 noch keine Verjährung eingetreten gewesen.
II.
Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision des Beklagten zu 2) nicht stand. Das Berufungsgericht hat die von diesem Beklagten erhobene Einrede der Verjährung insoweit nicht rechtsfehlerfrei für unbegründet erachtet, als es um einen auf die Klägerin übergegangenen deliktsrechtlichen Anspruch im Hinblick auf deren Leistungen aufgrund §§ 53 ff. SGB V a.F. und nach den Vorschriften über die soziale Pflegeversicherung (§§ 37, 44 SGB XI) geht.
1. Die hier in Rede stehenden, vom Sozialversicherungsträger für den Geschädigten erbrachten Leistungen sind (einschließlich der für die Pflegeperson im Rahmen des § 44 SGB XI abzuführenden Rentenversicherungsbeiträge, vgl. dazu Senatsurteil vom 10. November 1998 - VI ZR 354/97 - VersR 1999, 252 ff.) den gemäß § 843 Abs. 1 BGB zu ersetzenden vermehrten Bedürfnissen des Verletzten sachlich kongruent, so daß der Schadensersatzanspruch des Geschädigten insoweit gemäß § 116 Abs. 1 SGB X auf den Sozialversicherungsträger übergeht. Das Berufungsgericht führt zutreffend aus, daß sich dieser Rechtsübergang bei Bestehen eines Sozialversicherungsverhältnisses grundsätzlich (auch bezüglich der vorliegend relevanten, die Pflege betreffenden Aufwendungen) bereits im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses vollzieht (vgl. hierzu BGHZ 48, 181, 184 ff.; 131, 274, 278; 134, 381, 383, jeweils m.w.N.). In der Regel kommt es daher für die Voraussetzungen der Verjährung, insbesondere die maßgebliche Kenntnis im Sinne des § 852 Abs. 1 BGB und den Hemmungstatbestand des § 852 Abs. 2 BGB, nur auf die Verhältnisse des Sozialversicherungsträgers als Zessionar an (vgl. BGHZ 48, 181, 183).
2. Das Berufungsgericht hat jedoch, worauf die Revision zu Recht hinweist, nicht berücksichtigt, daß im vorliegenden Fall das schädigende Ereignis bereits am 30. Mai 1981 und damit lange vor der durch das Gesundheitsreformgesetz vom 20. Dezember 1988 (BGBl. I 1988, 2477 ff.) erfolgten Einführung eines Anspruchs auf häusliche Pflegehilfe nach §§ 53 ff. SGB V a.F., in Kraft getreten am 1. Januar 1989, stattgefunden hat. Die hierdurch neu begründete Leistungsberechtigung auf Zahlung eines Pflegegeldes stellte gegenüber dem bis dahin maßgeblichen sozialversicherungsrechtlichen Bestand eine "Systemänderung" dar; daraus folgt, daß sich der Forderungsübergang, der die nunmehr zusätzlich gewährten Leistungen betrifft, nicht vor dem Inkrafttreten dieser Neuregelung vollziehen konnte (vgl. hierzu im einzelnen BGHZ 134, 381, 385 f.). Ob die zum 1. April 1995 normierte Ablösung der Regelungen der §§ 53 ff. SGB V durch die entsprechenden Vorschriften über die soziale Pflegeversicherung im SGB XI einen erneuten Systemwechsel bedeutete oder sich lediglich als Erweiterung und Erhöhung der bereits zuvor vorgesehenen Leistungen darstellte, kann dahinstehen. Denn hinsichtlich aller Schadenspositionen, die nunmehr Gegenstand der Revision des Beklagten zu 2) sind, konnte die Klägerin jedenfalls nicht vor dem 1. Januar 1989 Anspruchsgläubigerin werden.
In der Zeit zwischen dem Schadensereignis am 30. Mai 1981 bis zum 31. Dezember 1988 stand daher der Schadensersatzanspruch wegen vermehrter Bedürfnisse, soweit es um in Betracht kommende Pflegeaufwendungen ging, noch einschränkungslos dem geschädigten Kind zu. Bezüglich der Voraussetzungen der Verjährung kam es somit für diesen Zeitraum nicht auf die Verhältnisse der Klägerin als Sozialversicherungsträger, sondern auf diejenigen des verletzten Kindes als ursprünglichen Anspruchsinhabers an. Die Klägerin als spätere Zessionarin müßte einen vor dem Forderungsübergang etwa erfolgten Ablauf der Verjährungsfrist nach §§ 412, 404 BGB gegen sich gelten lassen.
3. Ob der die Pflegeleistungen betreffende, nunmehr der Klägerin zustehende deliktsrechtliche Ersatzanspruch auch unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Überlegungen als nicht verjährt anzusehen ist, kann auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen nicht entschieden werden. Weder zum Verjährungsbeginn (Zeitpunkt der maßgeblichen Kenntniserlangung durch die Eltern des Kindes, den die Revision spätestens im Januar 1984 ansetzen will) noch zu einer im Verhältnis zwischen dem Beklagten zu 2) und dem verletzten Kind vor 1989 eingetretenen Verjährungshemmung enthält das Berufungsurteil die erforderlichen Feststellungen.
Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung läßt sich aus den Ausführungen des Berufungsgerichts zu einer Verjährungshemmung im Zeitraum ab 24. März 1986 im Verhältnis zwischen der Klägerin und dem Beklagten zu 2) nicht der Schluß ziehen, in derselben Weise sei damals auch die Verjährung eines Schadensersatzanspruches wegen vermehrter Bedürfnisse, soweit er die hier streitgegenständlichen Pflegeleistungen betraf und seinerzeit noch dem Kinde selbst zustand, gehemmt gewesen. Die auf die Anmeldung einer Erstattungsforderung der Klägerin folgenden Verhandlungen bezogen sich - davon ist mangels abweichender Feststellungen im Berufungsurteil auszugehen - auf der Klägerin zustehende Ansprüche, deren Gläubigerin sie aufgrund der Legalzession damals bereits geworden war und über die sie gegebenenfalls im Wege einer gütlichen Einigung verfügen konnte; hierzu gehörte die Forderung, um die es im vorliegenden Revisionsverfahren allein noch geht, gerade nicht. Dafür, daß die Verhandlungen auch Ansprüche des geschädigten Kindes selbst - und dabei gerade die hier relevante Forderung - erfassen sollten und konnten, sind den bisherigen Feststellungen keine hinreichenden Anhaltspunkte zu entnehmen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Tatsache, daß der Prozeßbevollmächtigte des Kindes - wie im Berufungsurteil dargelegt ist - am 7.10.1987 an einer Besprechung mit Vertretern der Klägerin und des Beklagten zu 2) teilgenommen hat.
Auch für eine Verjährungsunterbrechung ist nichts festgestellt. Der vom Berufungsgericht erwähnte Rechtsstreit des Kindes gegen den Beklagten zu 2) vor dem Landgericht Augsburg (AZ: 2 O 478/88) betraf neben einer Schmerzensgeldforderung bezifferte Aufwendungen aus dem Jahre 1982 und war daher nicht geeignet, eine Verjährungsunterbrechung hinsichtlich des vorliegend maßgeblichen Ersatzanspruchs herbeizuführen.
4. Eine andere rechtliche Beurteilung der Verjährungsfrage ergibt sich auch nicht daraus, daß die Klägerin sich nunmehr in Ergänzung ihrer Revisionserwiderung darauf beruft, der Beklagte zu 2) hafte nicht nur aus unerlaubter Handlung, sondern zusätzlich gemäß § 179 Abs. 1 BGB auf Schadensersatz, weil er als Vertreter ohne Vertretungsmacht namens des Beklagten zu 1) aufgetreten sei. Für eine derartige rechtliche Gestaltung mit der Folge einer dreißigjährigen Verjährungsfrist gemäß § 195 BGB finden sich weder in den getroffenen Feststellungen noch in dem dem Berufungsurteil zugrundeliegenden Parteivorbringen die erforderlichen Anhaltspunkte.
III.
Das angefochtene Urteil war daher im Zahlungs- und Feststellungsausspruch insoweit aufzuheben, als es von der Revision des Beklagten zu 2) angegriffen worden ist; in diesem Umfang war die Sache zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Ende der Entscheidung
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