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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 16.05.2000
Aktenzeichen: VI ZR 90/99
Rechtsgebiete: BGB, StGB
Vorschriften:
BGB § 823 Be | |
StGB § 266 a |
Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung können auch dann im Sinne des § 266 a Abs. 1 StGB vorenthalten sein, wenn für den betreffenden Zeitraum kein Lohn an die Arbeitnehmer ausgezahlt worden ist.
BGH, Urteil vom 16. Mai 2000 - VI ZR 90/99 - OLG Hamm LG Detmold
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Verkündet am 16. Mai 2000
Holmes, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 16. Mai 2000 durch den Vorsitzenden Richter Groß und die Richter Dr. v. Gerlach, Dr. Müller, Dr. Dressler und Wellner
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 15. Januar 1999 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Klägerin erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die klagende Allgemeine Ortskrankenkasse nimmt den Beklagten als früheren Geschäftsführer der I. GmbH, der Komplementärin der I. GmbH & Co. KG (künftig: KG), auf Ausgleich des Schadens in Anspruch, der ihr als der zuständigen Einzugsstelle für die Sozialversicherungsbeiträge dadurch entstanden ist, daß die KG Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung für die Monate Januar und Februar 1994 (24.400,43 DM bzw. 22.528,35 DM) nicht bezahlt hat.
Während die KG ihren Arbeitnehmern den Nettolohn für den Monat Januar 1994 in vollem Umfang auszahlte, erfolgten für den Monat Februar 1994 keine Lohnzahlungen mehr. Mit Beschluß vom 22. März 1994 ordnete das zuständige Konkursgericht gegenüber der KG die Sequestration an und erließ ein allgemeines Veräußerungsverbot. Am 27. April 1994 wurde das Konkursverfahren über das Vermögen der KG eröffnet.
Die Klägerin hält den Beklagten hinsichtlich der beide Monate betreffenden Arbeitnehmerbeiträge für schadensersatzpflichtig, da er die Beitragszahlung trotz im jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt noch ausreichender Finanzmittel der KG vorsätzlich unterlassen habe.
Das Landgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage insoweit abgewiesen, als der Beklagte zur Zahlung von mehr als 24.400,43 DM nebst Zinsen (Beiträge für Januar 1994) verurteilt worden ist. Mit der zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hält, soweit es um die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung für den Monat Februar 1994 geht, die Voraussetzungen eines auf § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit § 266 a Abs. 1 StGB gegründeten Schadensersatzanspruchs der Klägerin nicht für erfüllt, da der Beklagte diese Beiträge nicht im Sinne der gesetzlichen Regelung "vorenthalten" habe.
Zwar sei der Beklagte als Geschäftsführer der Pflicht der KG zur Abführung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung für den Monat Februar 1994 nicht nachgekommen, obwohl dies am Fälligkeitstag, dem 15. März 1994, durch Überweisung zu Lasten des bei der Sparkasse D. geführten Geschäftskontos der KG möglich gewesen wäre, die finanziellen Mittel also zur Verfügung gestanden hätten. Indessen habe der Beklagte den Tatbestand des § 266 a Abs. 1 StGB deshalb nicht verwirklicht, weil ein "Vorenthalten" der Beiträge eine (mindestens teilweise) Auszahlung der Löhne für den betreffenden Zeitraum voraussetze, eine solche aber für Februar 1994 nicht mehr erfolgt sei.
Zwar verlange § 266 a Abs. 1 StGB im Gegensatz zu früheren Strafvorschriften kein "Einbehalten" der Arbeitnehmeranteile seitens des Arbeitgebers mehr. Jedoch liege das in § 266 a Abs. 1 StGB unter Strafe gestellte Unrecht nicht nur in der Beeinträchtigung des Beitragsaufkommens der Sozialversicherung durch schlichte Nichtzahlung der Arbeitnehmerbeiträge. Vielmehr müsse ein untreueähnliches Verhalten des Täters hinzukommen. Der Arbeitgeber habe gegenüber der Sozialversicherung nicht nur die Stellung eines originären Schuldners, sondern ihm sei zugleich im Interesse der Solidargemeinschaft der Versicherten das Recht zum Lohnabzug verliehen, das die treueähnliche Pflicht begründe, die dem Abzugsrecht unterliegenden Beiträge entsprechend ihrer Zweckbestimmung abzuführen. Nur wenn diese Pflicht verletzt werde, könne von einem "Vorenthalten" gesprochen werden, nicht hingegen bereits dann, wenn mangels einer Lohnzahlung auch die Möglichkeit eines Lohnabzugs nicht bestehe und die Verletzung der sozialversicherungsrechtlichen Zahlungspflicht deshalb nicht anders als die von vornherein nicht unter Strafe gestellte Nichtabführung der Arbeitgeberanteile zu bewerten sei.
II.
Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision nicht stand. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit § 266 a Abs. 1 StGB auch dann gegeben sein, wenn nicht nur die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung nicht abgeführt worden sind, sondern für den betreffenden Zeitraum auch keinerlei Lohn an die Arbeitnehmer ausgezahlt worden ist.
1. Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung werden dann im Sinne des § 266 a Abs. 1 StGB vorenthalten, wenn sie bei Fälligkeit nicht an die zuständige Einzugsstelle abgeführt werden (ständige Rechtsprechung, vgl. BGHZ 134, 304, 307; Senatsurteile vom 1. Oktober 1991 - VI ZR 374/90 - VersR 1991, 1378, 1379 und vom 15. Oktober 1996 - VI ZR 327/95 - VersR 1996, 1541). Das Berufungsgericht geht insoweit ohne Rechtsfehler davon aus, daß die hier streitigen Arbeitnehmerbeiträge für den Monat Februar 1994 am 15. März 1994 zur Zahlung an die Klägerin fällig waren und daß es der KG in diesem Zeitpunkt auch finanziell möglich gewesen wäre, die entsprechende Zahlung zu leisten.
a) Das Entstehen der Beitragspflicht zur Sozialversicherung und die Fälligkeit der für den Monat Februar 1994 zu leistenden Arbeitnehmerbeiträge zum 15. März 1994 waren unabhängig davon, ob und wann Lohn für diesen Zeitraum an die Arbeitnehmer tatsächlich ausgezahlt wurde (vgl. Senatsurteil vom 1. Oktober 1991 - VI ZR 374/90 - aaO; BSGE 75, 61, 65; BSG, MDR 1996, 1268, 1269).
Gemäß § 22 Abs. 1 i.V. mit §§ 2 Abs. 2 Nr. 1 und 7 Abs. 1 SGB IV entsteht die Beitragspflicht zur gesetzlichen Sozialversicherung allein durch die versicherungspflichtige Beschäftigung eines Arbeitnehmers gegen Entgelt. Nach § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB IV knüpft die Fälligkeit der Beiträge zum 15. des Folgemonats ausschließlich an die Ausübung der Beschäftigung oder Tätigkeit an, mit der das Arbeitsentgelt erzielt wird, ohne daß es darauf ankommt, ob das Entgelt selbst bereits geleistet und empfangen ist (vgl. BSGE 75, 61, 65; vgl. ferner - für die frühere Regelung des § 293 Abs. 1 Satz 1 RVO - BSGE 54, 136, 137; s. auch Schönke/Schroeder-Lenckner, StGB, 25. Aufl., Rdn. 7 zu § 266 a StGB; Tröndle/Fischer, StGB, 49. Aufl., Rdn. 11 c zu § 266 a StGB; a.A. Gribbohm, LK-StGB, 1998, Rdn. 36 ff. zu § 266 a StGB). "Erzielt" im Sinne dieser Regelung ist das Arbeitsentgelt nicht erst, wenn es tatsächlich ausbezahlt, sondern bereits, wenn es durch die Arbeitsleistung "verdient" worden ist (so ausdrücklich auch BSGE 75, 61, 66). Die Fälligkeit ist auch nicht davon abhängig, daß die Beitragshöhe durch Abrechnung oder gar Auszahlung des Entgelts bereits endgültig "konkretisiert" ist; die Regelung in § 23 Abs. 1 Satz 4 SGB IV zeigt, daß sich die fälligen Beiträge gegebenenfalls zunächst an der "voraussichtlichen Höhe der Beitragsschuld" ausrichten können.
b) Das Berufungsgericht hat auch rechtsfehlerfrei festgestellt, daß dem Beklagten die Zahlung der Arbeitnehmeranteile zu den Sozialversicherungsbeiträgen für Februar 1994 im somit maßgeblichen Fälligkeitszeitpunkt des 15. März 1994 tatsächlich möglich gewesen wäre, da der Kreditrahmen des Geschäftskontos der KG bei der Sparkasse D. noch nicht ausgeschöpft war und der Höhe nach ausgereicht hätte, so daß dem Beklagten normgemäßes Verhalten jedenfalls aus finanziellen Gründen seinerzeit nicht unmöglich war (vgl. hierzu BGHZ 133, 370, 379 f.; 134, 304, 307; Senatsurteil vom 18. November 1997 - VI ZR 11/97 - VersR 1998, 468, 469). Das Berufungsgericht hat ferner zutreffend dargelegt, daß die am 4. März 1994 zugestellte Pfändungsverfügung seitens des Finanzamts D. der Zahlung nicht entgegenstand, da die Pfändung ins Leere ging, weil das betreffende Konto der KG im März 1994 ausschließlich im Soll geführt wurde. Der Erlaß eines Veräußerungsverbots durch das Konkursgericht erfolgte erst nach Fälligkeit der Beitragsschuld.
2. Das Berufungsgericht erachtet dennoch den (objektiven) Tatbestand des § 266 a Abs. 1 StGB deshalb - soweit es um die Arbeitnehmerbeiträge für Februar 1994 geht - für nicht verwirklicht, weil die Nichtabführung nur dann ein strafbares "Vorenthalten" im Sinne der gesetzlichen Regelung darstelle, wenn der Lohn für den betreffenden Zeitraum ausgezahlt worden ist. Dagegen wendet sich die Revision mit Recht.
a) Die Frage, ob die Strafbarkeit nach § 266 a Abs. 1 StGB abhängig ist von einer tatsächlich erfolgten Lohnzahlung, ist umstritten und bisher in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt.
aa) Die dem Berufungsurteil zugrundeliegende Auffassung kann sich auf verschiedentliche Äußerungen im rechtswissenschaftlichen Schrifttum stützen (vgl. etwa Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht, Besonderer Teil, Teilband 1, 8. Aufl., S. 540; Lackner/Kühl, StGB, 23. Aufl., Rdn. 8 a zu § 266 a StGB; Schönke/Schroeder-Lenckner, aaO, Rdn. 9 zu § 266 a StGB; Tröndle/Fischer, aaO, Rdn. 11 b zu § 266 a StGB; LK-Gribbohm, aaO, Rdn. 30 zu § 266 a StGB; Gribbohm, JR 1997, 479 ff.; Bente, Die Strafbarkeit des Arbeitgebers wegen Beitragsvorenthaltung, 1992, S. 58 ff.). Kurz zusammengefaßt wird sie insbesondere mit folgenden Überlegungen begründet:
Zwar enthalte die Vorschrift des § 266 a Abs. 1 StGB nicht mehr - wie die entsprechenden früheren gesetzlichen Regelungen - das Tatbestandsmerkmal des "Einbehaltens" der Beiträge vom Arbeitslohn. Indessen lasse sich den Gesetzesmaterialien entnehmen, daß dadurch keine Erweiterung der Strafbarkeit auf die Fälle habe herbeigeführt werden sollen, in denen kein Lohn gezahlt, die Arbeitnehmerbeiträge also auch nicht von diesem abgezogen worden seien. Das strafbare Unrecht in § 266 a Abs. 1 StGB verlange weiterhin ein untreueähnliches Verhalten des Arbeitgebers (im Hinblick auf die ihm eingeräumte Möglichkeit des Lohnabzugs), an dem es bei gänzlich unterbliebener Lohnzahlung fehle. Zur Rechtfertigung der Strafbarkeit könne die schlichte Nichterfüllung der Zahlungsverpflichtung nicht ausreichen, wie sich auch daran zeige, daß die Nichtentrichtung der Arbeitgeberbeiträge straffrei bleibe.
bb) Für die entgegengesetzte Auffassung, die Verwirklichung des Tatbestandes des § 266 a Abs. 1 StGB setze keine Auszahlung des Lohns an die Arbeitnehmer voraus, wird vor allem angeführt (vgl. aus der Rechtsprechung: KG, NStZ 1991, 287; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1993, 1448 sowie NJW-RR 1998, 689; OLG Celle, NStZ 1998, 303; aus dem Schrifttum vgl. z.B. Samson in SK, StGB, Rdn. 20 zu § 266 a StGB; Groß, ZGR 1998, 551, 558; Holzkämper, BB 1996, 2142, 2143; Martens, wistra 1986, 154, 156; Mitsch, JZ 1994, 877, 888; Tag, BB 1997, 1115, 1118; Wegner, wistra 1998, 283, 286 f.):
Nachdem § 266 a Abs. 1 StGB kein "Einbehalten" der Arbeitnehmerbeiträge vom Lohn mehr voraussetze, liege das nunmehr allein relevante "Vorenthalten" bereits in der Nichtzahlung an die zuständige Stelle bei Fälligkeit. Dem entspreche, daß das durch die Strafvorschrift geschützte Rechtsgut in der Sicherung des Aufkommens der Sozialversicherungsbeiträge liege. Die Gesetzgebungsgeschichte rechtfertige keine andere Beurteilung. Die Gesetzesfassung des § 266 a Abs. 1 StGB knüpfe nicht mehr an ein Untreueverhalten des Arbeitgebers an. Die Unabhängigkeit der Tatbestandsverwirklichung von einer tatsächlichen Lohnauszahlung gewährleiste, daß gleichwertige Sachverhalte in derselben Weise von der Strafsanktion erfaßt würden.
b) Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an. Die Tatbestandsmerkmale des § 266 a Abs. 1 StGB können auch für Zeiträume erfüllt sein, in denen es zur Lohnauszahlung nicht gekommen ist.
aa) Bis zur Einführung des § 266 a StGB durch das Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vom 15. Mai 1986 (BGBl. I 721) war die bis dahin in den §§ 529, 1428 RVO, § 225 AFG, § 150 AVG und § 234 RKnappschG geregelte Strafbarkeit der Beitragsvorenthaltung nach dem Wortlaut dieser Vorschriften davon abhängig, daß die bei Fälligkeit nicht abgeführten Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung "einbehalten" worden waren. Dieses Merkmal war verwirklicht, wenn der Arbeitgeber die vertragsgemäße Vergütung der Arbeitnehmer im Hinblick auf deren Verpflichtung zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen um die entsprechenden Beträge gekürzt auszahlte (vgl. BGHZ 58, 199, 201; Senatsurteil vom 25. Februar 1975 - VI ZR 222/73 - VersR 1975, 739, 740; BGH, Urteil vom 17. November 1981 - 1 StR 557/81 - NJW 1982, 588, 589); ein "Einbehalten" lag danach nur vor, wenn Lohn tatsächlich ausbezahlt wurde.
bb) Dieses Merkmal des "Einbehaltens" wurde in den Wortlaut des neuen Straftatbestandes des § 266 a Abs. 1 StGB nicht übernommen. Entscheidend für die Tatbestandsverwirklichung ist nunmehr lediglich das "Vorenthalten" der Beiträge gegenüber der zuständigen Stelle. Dies verlangt - wie eingangs bereits dargelegt - lediglich die Nichtabführung der Arbeitnehmerbeiträge bei Fälligkeit (vgl. etwa BGHZ 134, 304, 307 m.w.N.). Dieses Verständnis des Begriffs "Vorenthalten" i.S. der Nichterfüllung einer Verpflichtung entspricht seiner Verwendung in anderen gesetzlichen Regelungen, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Strafrechts (vgl. z.B. § 170 Abs. 2 StGB sowie §§ 542 Abs. 2 und 557 Abs. 1 BGB). Da - wie bereits erörtert - weder die Entstehung noch die Fälligkeit der Verpflichtung zur Abführung von Arbeitnehmerbeiträgen von der tatsächlichen Lohnauszahlung abhängig sind, führt der Wortlaut des § 266 a Abs. 1 StGB eindeutig zu dem Schluß, daß auch die Verwirklichung dieses Straftatbestandes nicht an eine Lohnzahlung geknüpft ist.
cc) Eine einschränkende Auslegung des Merkmals des "Vorenthaltens" erscheint weder aufgrund der Gesetzgebungsgeschichte noch im Hinblick auf die gesetzessystematische Stellung der Vorschrift geboten.
(a) Allerdings knüpfte die Begründung des Regierungsentwurfs zunächst noch weitgehend an die zuvor bestehende Rechtslage an und sah auch für die vorgeschlagene Neuregelung den Kern des strafbaren Unrechts darin, daß "der Arbeitgeber treuhänderisch einbehaltene Beitragsteile bestimmungswidrig verwendet" (vgl. BT-Drucks. 10/318, S. 12). Das Merkmal des "Einbehaltens" sollte insoweit konkludent in die Neufassung, für die nur noch der Begriff des "Vorenthaltens" vorgesehen war, mit einbezogen sein (vgl. BT-Drucks. 10/318, S. 25 f., 28).
(b) Eine deutliche Loslösung der Neuregelung in § 266 a Abs. 1 StGB von den überkommenen rechtlichen Strukturen der bis dahin bezüglich der Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen geltenden Strafnormen hat jedoch im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens ihren Niederschlag in der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages (BT-Drucks. 10/5058, S. 31) gefunden. Nunmehr wurde ausdrücklich auf die Unterschiede im jeweiligen Regelungsgehalt zwischen Abs. 1 und Abs. 2 der geplanten Vorschrift des § 266 a StGB hingewiesen. Während in Abs. 2 dieser Norm ein untreueähnliches Verhalten des Arbeitgebers (betreffend anderweit einbehaltene Teile des Arbeitsentgelts) unter Strafe gestellt wird, soll es in Abs. 1 um den Schutz der Solidargemeinschaft gehen; das Aufkommen der Sozialversicherungsträger und der Bundesanstalt für Arbeit soll strafrechtlich gewährleistet werden. Der Rechtsausschuß betont, daß diese Schutzrichtung in Abs. 1 durch die Streichung eingrenzender Merkmale des bis dahin geltenden Rechts, insbesondere des Begriffs "Einbehalten", verdeutlicht werde, wodurch sich Abs. 1 bewußt von Abs. 2 unterscheide. Der Rechtsausschuß schlug dementsprechend auch eine Ergänzung der Überschrift, in der nach dem Regierungsentwurf nur von "Veruntreuen von Arbeitsentgelt" die Rede war, durch die Neufassung "Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt" vor. In dieser Fassung wurde die Regelung Gesetz.
(c) Auch wenn im Rahmen der gesetzgeberischen Arbeit ersichtlich der Fall der unterbliebenen Lohnzahlung nicht Gegenstand der Überlegungen war, sondern insbesondere an den Fall gedacht wurde, daß im Einvernehmen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer von vornherein keine Beiträge einbehalten und abgeführt werden sollten (vgl. dazu BGHZ 134, 304, 310 m.w.N.), ergibt sich jedenfalls aus der Entwicklung des Gesetzgebungsverfahrens für dessen Abschlußzeitpunkt nichts, was auf die weitere Erforderlichkeit der Auszahlung des Lohnes als Voraussetzung für die Verwirklichung des Tatbestandsmerkmals "Vorenthalten" in § 266 a Abs. 1 StGB schließen ließe. Vielmehr kann davon ausgegangen werden, daß sich der Gesetzgeber für die Regelung in Abs. 1 (gerade im Gegensatz zu derjenigen des Abs. 2) dieser Norm von der früheren Vorstellung eines "untreueähnlichen Verhaltens" distanziert hat.
dd) Von einem "untreueähnlichen Verhalten" des Arbeitgebers, das zu seiner Verwirklichung das Einbehalten eines Teils des tatsächlich ausgezahlten Lohnes erfordern würde, kann nach der heutigen Rechtslage auch der Sache nach nicht - als die Strafbarkeit erst begründendes Element - ausgegangen werden (zur Beurteilung der früheren Rechtslage vgl. insoweit z.B. Senatsurteile vom 7. Juni 1963 - VI ZR 144/62 - VersR 1963, 1034 und vom 4. Dezember 1979 - VI ZR 186/78 - VersR 1980, 647).
(a) Um die Verletzung einer "Vermögensbetreuungspflicht" gegenüber dem Arbeitnehmer geht es hier schon deswegen nicht, weil letzterer durch die Nichtabführung der Arbeitnehmerbeiträge grundsätzlich keinen Vermögensschaden erleidet; sein Sozialversicherungsschutz, der an das Beschäftigungsverhältnis anknüpft, wird durch die Nichtabführung in der Regel nicht beeinträchtigt (vgl. dazu z.B. Martens, wistra 1986, 154 f.; Tag, Das Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozial- und Arbeitslosenversicherung, 1994, S. 35 f.; s. auch BT-Drucks. 10/318, S. 29). Zudem ist von vornherein ausschließlich der Arbeitgeber selbst Schuldner der Beiträge zur Sozialversicherung; er hat gemäß § 28 e Abs. 1 SGB IV den Gesamtsozialversicherungsbeitrag (einschließlich der Arbeitnehmerbeiträge) zu zahlen (vgl. hierzu etwa BSGE 54, 136, 138). Der einzelne Arbeitnehmer hat für den Beitrag selbst dann nicht aufzukommen, wenn sein Arbeitgeber diese Verpflichtung nicht erfüllt. Das Lohnabzugsverfahren ermöglicht gemäß § 28 g SGB IV lediglich dem Arbeitgeber, vom Arbeitnehmer den auf diesen entfallenden Teil der Sozialversicherungsbeiträge wieder zu erlangen.
(b) Es geht im vorliegenden Zusammenhang jedoch auch nicht um ein - die vom tatsächlich ausgezahlten Entgelt einbehaltenen Beiträge des Arbeitnehmers betreffendes - "treueähnliches Verhältnis" zwischen Arbeitgeber und Sozialversicherung (a.A. Schönke/Schroeder-Lenckner, Rdn. 2 zu § 266 a StGB). Der Arbeitgeber ist gemäß § 28 e Abs. 1 SGB IV originärer und alleiniger Schuldner des Gesamtsozialversicherungsbeitrags gegenüber der Einzugsstelle, und zwar unabhängig davon, ob er vom Lohnabzug gemäß § 28 g SGB IV Gebrauch gemacht hat oder noch machen kann, und - im Hinblick auf die bereits erörterte Fälligkeitsregelung nach § 23 Abs. 1 SGB IV - auch unabhängig davon, ob er seiner Lohnzahlungsverpflichtung an den Arbeitnehmer bereits nachgekommen ist oder nicht. Die Lohnabzugsregelung in § 28 g SGB IV gibt dem Arbeitgeber lediglich die Möglichkeit, sich für einen Teil des von ihm gemäß § 28 e SGB IV zu entrichtenden Gesamtsozialversicherungsbeitrags beim Arbeitnehmer in einem bestimmten Verfahren schadlos zu halten. Auf der Grundlage dieser Regelung kann ein gemäß § 28 g einbehaltener Abzugsbetrag nicht als Gegenstand eines "treueähnlichen Verhältnisses" zwischen Arbeitgeber und Sozialversicherungsträger angesehen werden.
ee) Daß somit in § 266 a Abs. 1 StGB - ohne "untreueähnliches Element" - die vorsätzliche Nichtzahlung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung durch den Arbeitgeber strafrechtlich sanktioniert ist, und zwar unabhängig davon, ob letzterer den Lohn ausgezahlt und hiervon einen entsprechenden Beitrag in Abzug gebracht hat, findet seine Rechtfertigung in der besonderen Schutzbedürftigkeit der Aufbringung der Mittel zur Sozialversicherung (vgl. dazu BT-Drucks. 10/5058, S. 31). Die - öffentlich-rechtliche - Pflicht des Arbeitgebers zur Abführung der Arbeitnehmerbeiträge ist dadurch gegenüber sonstigen schuldrechtlichen Verbindlichkeiten deutlich herausgehoben (vgl. BGHZ 134, 304, 311).
Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, daß die Nichtabführung der Arbeitgeberbeiträge ihrerseits nicht unter Strafe gestellt ist. Zwar dienen auch diese Beiträge der finanziellen Sicherung der Sozialversicherung. Wenn sich der Gesetzgeber jedoch insoweit darauf beschränkt hat, mit einer strafrechtlichen Sanktion nur die Nichtentrichtung der Arbeitnehmerbeiträge zu belegen, so erscheint dies keineswegs als ungerechtfertigt. Hinsichtlich dieser Beiträge steht dem Arbeitgeber die Möglichkeit zum Lohnabzug gegenüber dem Arbeitnehmer zu. Sie belastet den Arbeitgeber daher wirtschaftlich letztlich nicht, so daß deren Zahlung von ihm noch selbstverständlicher erwartet werden kann und die Nichtleistung deshalb besonders vorwerfbar ist. Gerade für den Fall der finanziellen Krise eines Unternehmens kann somit wenigstens auf die Sicherstellung dieses Teils des Gesamtsozialversicherungsbeitrags mit besonderem Nachdruck hingewirkt werden. Diese Überlegungen gelten auch für den Fall, daß die Lohnauszahlung unterbleibt, andererseits aber noch finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, die für die Beitragszahlung ausreichen; ist auch letzteres nicht mehr der Fall (und dies dem Arbeitgeber nicht anzulasten), so sind die Voraussetzungen für die Strafbarkeit ohnehin nicht gegeben (vgl. dazu BGHZ 134, 304, 307 ff.; Senatsurteil vom 15. Oktober 1996 - VI ZR 327/95 - aaO).
ff) Kann demgemäß das Tatbestandsmerkmal des "Vorenthaltens" der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung i.S. des § 266 a Abs. 1 StGB auch dann erfüllt sein, wenn es zu einer Lohnauszahlung nicht gekommen ist, so führt dies im Hinblick auf die besondere Schutzwürdigkeit des Beitragsaufkommens auch nicht zu einer unangemessenen Ausweitung der Strafbarkeit. Vielmehr ist diese - ihrem Wortlaut und ihrem Schutzzweck entsprechende - Auslegung der Vorschrift geeignet, in ihrer Strafwürdigkeit vergleichbar gelagerte Fälle gleichermaßen zu erfassen. Denn es erscheint nicht als gerechtfertigt, denjenigen Arbeitgeber, der - bei insoweit noch vorhandenem finanziellem Spielraum - um eine (wenigstens teilweise) Auszahlung der Löhne bemüht ist, die Abführung der Arbeitnehmerbeiträge jedoch unterläßt, der Strafsanktion zu unterwerfen, hingegen den Arbeitgeber, der - bei gleicher finanzieller Lage - nicht nur die Beitrags- sondern auch die Lohnzahlung in vollem Umfang unterläßt, von der Strafbarkeit von vornherein auszunehmen. Die Pflichtenlage und die bei Nichterfüllung drohenden Sanktionen müssen sich in derartigen Fällen entsprechen: Zahlt der Arbeitgeber den Lohn aus, muß er um die Sicherstellung der geschuldeten Arbeitnehmerbeiträge für den Fälligkeitszeitpunkt bemüht sein (vgl. BGHZ 134, 304, 310 ff.); unterläßt er die Lohnzahlung, beschäftigt seine Arbeitnehmer jedoch weiter, so trifft ihn dieselbe - strafrechtlich sanktionierte - Pflicht, für den Fälligkeitszeitpunkt die Sicherstellung der Mittel zur Abführung der Arbeitnehmerbeiträge soweit möglich zu gewährleisten und die Zahlung termingerecht vorzunehmen.
3. Das Berufungsurteil kann auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen auch nicht mit anderer Begründung aufrechterhalten werden.
Zu der Frage, ob der Beklagte die Abführung der Arbeitnehmeranteile für den Monat Februar 1994 im maßgeblichen Fälligkeitszeitpunkt am 15. März 1994 vorsätzlich unterlassen hat, hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen. Es kann daher derzeit nicht beurteilt werden, ob unter Berücksichtigung der Anforderungen, die an den "Vorenthaltungsvorsatz" i.S. des § 266 a Abs. 1 StGB zu stellen sind (vgl. dazu z.B. Senatsurteile vom 1. Oktober 1991 - VI ZR 374/90 - aaO und vom 15. Oktober 1996 - VI ZR 327/95 - VersR 1996, 1541, 1542), von einem vorsätzlichen Verhalten des Beklagten ausgegangen werden kann.
Ende der Entscheidung
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