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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 12.11.2009
Aktenzeichen: VII ZB 101/07
Rechtsgebiete: BGB, GVG


Vorschriften:

GVG § 119 Abs. 1
BGB § 7
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat

am 12. November 2009

durch

den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kniffka,

den Richter Dr. Kuffer,

die Richterin Safari Chabestari,

den Richter Dr. Eick und

den Richter Halfmeier

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss der 22. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 6. November 2007 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 2.164,68 EUR

Gründe:

I.

Die Klägerin hat die Beklagte auf Zahlung von 2.457,57 EUR nebst Zinsen in Anspruch genommen. In der Klageschrift hat sie die auch im Rubrum des amtsgerichtlichen Urteils übernommene Anschrift der Beklagten in D. angeführt. Die Beklagte hat durch ihren Rechtsanwalt Fristverlängerung zur Klageerwiderung mit der Begründung begehrt, dass sie sich zurzeit in den USA aufhalte. Sie sei dort verheiratet. Sie pendele ständig zwischen ihrem Wohnsitz in den USA und in D. Auch in einem späteren Schriftsatz haben die Beklagtenvertreter vorsorglich Fristverlängerung beantragt und darauf hingewiesen, dass ihren Hauptwohnsitz in den USA habe und sich überwiegend in den USA aufhalte.

Das Amtsgericht hat die Beklagte unter Klageabweisung im Übrigen zur Zahlung von 2.164,68 EUR nebst Zinsen an die Klägerin verurteilt. Hiergegen hat die Beklagte Berufung beim Landgericht eingelegt. Das Landgericht hat auf die Vorschrift des § 119 Abs. 1 Nr. 1 b) GVG und darauf hingewiesen, dass die Beklagte ihrem eigenen Vortrag zufolge ihren Hauptwohnsitz in den USA unterhalte. Daraufhin hat die Beklagte erwidert, dass sie ihren Hauptwohnsitz zwischenzeitlich an die im Rubrum genannte Anschrift in D. verlegt habe; es sei seinerzeit übersehen worden, dies dem Gericht mitzuteilen.

Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich die Beklagte mit der Rechtsbeschwerde.

II.

1. Die gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, da zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erforderlich ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Indem das Berufungsgericht die Berufung der Beklagten zu Unrecht (siehe hierzu unter 2. b) als unzulässig verworfen hat, hat es das Verfahrensgrundrecht der Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. mit dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt. Es hat der Beklagten den Zugang zur Berufungsinstanz ungerechtfertigt versagt.

2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

a) Das Landgericht hat gemeint, es sei funktionell unzuständig. Es komme nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 119 Abs. 1 Nr. 1 b) GVG auf den allgemeinen Gerichtsstand der Beklagten im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit in erster Instanz an. Im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens hätten die Prozessbevollmächtigten der Beklagten vorgetragen, sie habe ihren Wohnsitz in den USA. Die spätere Verlegung des Hauptwohnsitzes nach D. sei unerheblich. Zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit habe der Wohnsitz der Beklagten unstreitig in den USA und damit außerhalb des Geltungsbereichs des Gerichtsverfassungsgesetzes gelegen.

b) Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

aa) Maßgebend ist § 119 Abs. 1 Nr. 1 b) GVG in der bis zum 31. August 2009 geltenden Fassung. Hiernach ist das Landgericht rechtlich zutreffend davon ausgegangen, dass es für die Entscheidung, ob es funktionell für das Rechtsmittel der Berufung zuständig ist, darauf ankommt, ob eine der Parteien ihren allgemeinen Gerichtsstand im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit in erster Instanz außerhalb des Geltungsbereichs des Gerichtsverfassungsgesetzes hatte. Eine spätere Veränderung der Umstände hinsichtlich des allgemeinen Gerichtsstandes ist unerheblich (vgl. nur BGH, Beschluss vom 3. Mai 2006 - VIII ZB 88/05, NJW 2006, 2782; Urteil vom 27. März 2008 - VII ZR 76/07, BauR 2008, 1182 = NZBau 2008, 443; Beschluss vom 25. Juni 2009 - III ZB 75/08, zitiert nach [...]).

Die Anknüpfung an den allgemeinen Gerichtsstand soll eine hinreichende Bestimmtheit und damit Rechtssicherheit für die Abgrenzung der Berufungszuständigkeit zwischen Land- und Oberlandesgericht gewährleisten. Es soll bereits bei Verfahrensbeginn erkennbar sein, bei welchem Gericht ein Rechts-mittel gegen die Entscheidung des Amtsgerichts einzulegen ist. Dies entspricht 9 dem aus dem Gebot der Rechtssicherheit abgeleiteten Gebot der Rechtsmittelklarheit, dem Rechtssuchenden den Weg zur Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen klar vorzuzeigen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juni 2009 - III ZB 75/08, a.a.O.). Hieraus folgt, dass im Rechtsmittelverfahren der vor dem Amtsgericht unbestritten gebliebene inländische oder ausländische Gerichtsstand einer Partei zum Zeitpunkt der Zustellung der Klage zugrunde zu legen ist und einer Nachprüfung durch das Rechtsmittelgericht grundsätzlich entzogen bleibt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Januar 2004 - VIII ZB 66/03, NJW-RR 2004, 1073; vom 1. Juni 2004 - VIII ZB 2/04, NJW-RR 2004, 1505; vom 10. Juli 2007 - VIII ZB 73/06, NJW-RR 2008, 144; vom 25. Juni 2009 - III ZB 75/08, zitiert nach [...]).

In der Klageschrift soll der Wohnort der Parteien, soweit es sich um natürliche Personen handelt, angegeben werden, § 253 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4, § 130 Nr. 1 ZPO. Hiervon ausgehend sind - abgesehen von Veränderungen bis zur Zustellung - für die Bestimmung des inländischen oder ausländischen Wohnsitzes und damit ihres allgemeinen Gerichtsstands (§ 13 ZPO) einer Partei zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit grundsätzlich die von der Gegenseite unbestrittenen Angaben in der Klageschrift heranzuziehen (BGH, Beschluss vom 25. Juni 2009 - III ZB 75/08, a.a.O. m.w.N.).

bb) Danach musste das Landgericht von einem Wohnsitz der Beklagten in D. ausgehen, wie in der Klageschrift angegeben worden ist.

Zu Unrecht hat das Landgericht demgegenüber auf die Angaben der Beklagten im Zusammenhang mit Fristverlängerungsanträgen abgestellt. Denn die ausschließlich in diesem Zusammenhang abgegebenen Erklärungen wurden nicht dadurch zum unstreitigen Prozessstoff, dass die Klägerin dem nicht widersprochen hat. Da es ersichtlich jeweils nur um die Entscheidung des Gerichts 12 zur Frage der beantragten Fristverlängerungen ging und der Vortrag die Möglichkeit nicht zwingend ausschloss, dass die Beklagte einen zweiten Wohnsitz im Sinne des § 7 BGB in D. hatte, kann das Schweigen der Klägerin nicht dahin verstanden werden, dass sie von ihrer gemachten Angabe eines Wohnsitzes der Beklagten in D. abrücken wollte. Da im Übrigen im Verlauf des erstinstanzlichen Rechtsstreits zu keinem Zeitpunkt ausdrücklich der Wohnsitz der Beklagten erörtert worden und das in der Klageschrift angegebene Rubrum durchgehend unwidersprochen geblieben ist, musste aus Gründen der Rechtsklarheit jedenfalls für die Frage der funktionellen Zuständigkeit für das Berufungsverfahren weiterhin von diesem Wohnsitz ausgegangen werden. Nur ein solches Verständnis wahrt den Sinn und Zweck des § 119 Abs. 1 Nr. 1 b) GVG, die Rechtsmittelzuständigkeit für die Parteien klar erkennbar festzulegen.

Ende der Entscheidung

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