Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 04.10.2005
Aktenzeichen: VII ZB 24/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 850c Abs. 4
Zu den Voraussetzungen einer Anordnung nach § 850c Abs. 4 ZPO (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 5. April 2005 - VII ZB 28/05, Rpfleger 2005, 371 = FamRZ 2005, 1085).
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

VII ZB 24/05

vom 4. Oktober 2005

in dem Zwangsvollstreckungsverfahren

Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. Oktober 2005 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Dressler, die Richter Dr. Kuffer, Bauner, die Richterinnen Dr. Kessal-Wulf und Safari Chabestari

beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Verden vom 15. Oktober 2004 wird auf Kosten des Gläubigers zurückgewiesen.

Wert: 1.973 €

Gründe:

I.

Der Gläubiger betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung wegen einer Geldforderung.

Er hat beantragt, das Arbeitseinkommen des Schuldners wegen dieser Forderung zu pfänden und ihm zur Einziehung zu überweisen. Gleichzeitig hat er den Antrag gestellt, gemäß § 850c Abs. 4 ZPO anzuordnen, dass bei der Berechnung des pfändbaren Anteils am Arbeitseinkommen des Schuldners die Ehefrau in Höhe von 100 % und die Tochter in Höhe von 62 % unberücksichtigt bleiben.

Der Schuldner verfügt über ein monatliches Nettoeinkommen von 1.300 € und bezieht für seine Tochter ein monatliches Kindergeld von 154 €. Seine Frau verdient monatlich 400 €.

Das Amtsgericht hat einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erlassen, in dem den Anträgen gemäß § 850c Abs. 4 ZPO nicht entsprochen wurde.

Auf die sofortige Beschwerde des Gläubigers hat das Beschwerdegericht die Entscheidung des Amtsgerichts teilweise abgeändert. Es hat unter Zurückweisung der weitergehenden Beschwerde bestimmt, dass die Ehefrau bei der Berechnung des pfändbaren Anteils am Arbeitseinkommen des Schuldners in Höhe von 43 % unberücksichtigt bleibt.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Gläubiger mit seiner zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.

Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Beschwerdegericht hat dem die Tochter des Schuldners betreffenden Antrag gemäß § 850c Abs. 4 ZPO nicht stattgegeben, weil es sich bei dem Kindergeld nicht um Einkünfte des Kindes handele. Bezogen auf die Ehefrau des Schuldners ist es der Auffassung, dass der selbst über Einkommen verfügende Unterhaltsberechtigte nur dann bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens des Schuldners unberücksichtigt bleibe, wenn seine Einkünfte den Grundfreibetrag des § 850c Abs. 1 Satz 1 ZPO für einen Schuldner ohne Unterhaltsverpflichtung erreichten oder überstiegen. Unterschreite das Einkommen des Unterhaltsberechtigten diesen Grundfreibetrag, entspreche es billigem Ermessen im Sinne des § 850c Abs. 4 ZPO, dem Schuldner den zusätzlichen Pfändungsfreibetrag für den Unterhaltsberechtigten mit eigenem Einkommen zu dem Bruchteil zu belassen, der sich aus dem Verhältnis des Einkommens des Unterhaltsberechtigten zum Grundfreibetrag ergebe.

2. Die Rechtsbeschwerde hält es demgegenüber für geboten, den Bedarf des Unterhaltsberechtigten entsprechend den örtlichen Sozialhilfesätzen gemäß § 22 BSHG zuzüglich eines 20-prozentigen Besserstellungszuschlags oder für den Erstunterhaltsberechtigten entsprechend dem vom Gesetzgeber insoweit in § 850c Abs. 1 ZPO festgesetzten Freibetrag zu bestimmen. Das Kindergeld bei der Bedarfsberechnung außer acht zu lassen, sei nicht gerechtfertigt.

3. Die nach § 850c Abs. 4 ZPO mögliche Ermessensentscheidung setzt voraus, dass der Unterhaltsberechtigte über berücksichtigungsfähige eigene Einkünfte verfügt. Diese Voraussetzung ist bei der Tochter des Schuldners nicht gegeben, denn das Kindergeld ist kein Einkommen in diesem Sinne (vgl. BGH, Urteil vom 18. April 1984 - IVb ZR 80/82, NJW 1984, 2355, 2357). Es dient dem Ausgleich der aus dem Familienunterhalt folgenden Belastungen (MünchKommZPO/Smid, 2. Aufl., § 850i ZPO Rdn. 45). Der Gesetzgeber hat dem Umstand, dass für Kinder des Schuldners als zweite und weitere Unterhaltsberechtigte regelmäßig Kindergeld gezahlt wird, bereits bei der Bemessung des pauschalierten pfändungsfreien Betrages in der Tabelle zu § 850c Abs. 1 ZPO Rechnung getragen (BGH, Beschluss 5. April 2005 - VII ZB 20/05, NJW-RR 2005, 1010). Das Kindergeld wird auch bei den Einkünften des Schuldners regelmäßig nicht berücksichtigt, da es nur unter den engen, hier nicht vorliegenden, Voraussetzungen des § 76 EStG pfändbar ist.

4. Das Arbeitsentgelt der Ehefrau des Schuldners ist im Rahmen des § 850c Abs. 4 ZPO grundsätzlich berücksichtigungsfähig. Ab welcher Höhe ein eigenes Einkommen des Unterhaltsberechtigten dessen Berücksichtigung bei der Bestimmung der Pfändungsfreibeträge aus Arbeitseinkommen des Unterhaltspflichtigen ausschließt, ist vom Gesetzgeber bewusst nicht im einzelnen geregelt worden (BT-Drucks. 8/693, S. 48 f). Nach § 850c Abs. 4 ZPO kann das Vollstreckungsgericht vielmehr auf Antrag des Gläubigers nach billigem Ermessen bestimmen, dass eine unterhaltsberechtigte Person mit eigenen Einkünften bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens ganz oder teilweise unberücksichtigt bleibt. Der Bundesgerichtshof hat nach Erlass der angefochtenen Entscheidung des Beschwerdegerichts entschieden, dass die von Gesetzes wegen nach billigem Ermessen zu treffende Bestimmung des Vollstreckungsgerichts eine schematisierende Betrachtungsweise verbietet (BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2004 - IXa ZB 142/04, FamRZ 2005, 438 = Rpfleger 2005, 201). Das Gericht hat vielmehr seine Entscheidung unter Abwägung der wirtschaftlichen Lage des Gläubigers und des Schuldners sowie der von ihm unterhaltenen Angehörigen zu treffen. Dabei können Pfändungsfreibeträge und Unterhaltstabellen Gesichtspunkte für die Ausübung des Ermessens geben; eine bloß einseitige Orientierung an bestimmten Berechnungsmodellen scheidet jedoch aus, weil sie dem Sinne des § 850c Abs. 4 ZPO widerspricht.

Diesen Überlegungen des IXa-Zivilsenats hat sich der Senat mit Beschluss vom 5. April 2005 (VII ZB 28/05, FamRZ 2005, 371 = FamRZ 2005, 1085) angeschlossen. In diesem Zusammenhang hat er klargestellt, dass eine einseitige Orientierung an bestimmten Berechnungsgrößen nicht vorliegt, wenn diese als Basis im Rahmen der nach § 850c Abs. 4 ZPO zu treffenden Ermessensentscheidung herangezogen werden. Der Senat hat des Weiteren dargelegt, dass es bei einem mit dem Schuldner in einem Haushalt lebenden Unterhaltsberechtigten nicht gerechtfertigt ist, sich bei der Ermessensentscheidung nach § 850c Abs. 4 ZPO einseitig am Grundfreibetrag des § 850c Abs. 1 Satz 1 ZPO auszurichten. Denn der Grundfreibetrag dient zu einem erheblichen Teil auch dazu, die Wohnungsmiete und andere Grundkosten des Haushalts abzudecken, wie sie in diesem Umfang nur bei einer alleinlebenden Person anfallen. In derartigen Fällen kommt in Betracht, bei der Berechnung des Freibetrags des Unterhaltsberechtigten die nach den sozialrechtlichen Regelungen die Existenzsicherung gewährleistenden Gesetze heranzuziehen und insoweit in tatrichterlicher Würdigung aller Umstände des Einzelfalls einen Zuschlag vorzunehmen, der berücksichtigt, dass die Regelungen über die Pfändungsfreigrenzen dem Schuldner und seinen Unterhaltsberechtigten nicht nur das Existenzminimum sichern wollen, sondern ihnen eine deutlich darüber liegende Teilhabe am Arbeitseinkommen erhalten bleiben soll.

5. Das Beschwerdegericht hat sich demgegenüber schematisch am Grundfreibetrag des § 850c Abs. 1 Satz 1 ZPO orientiert. Es hat dem Schuldner 57 % des Differenzbetrags zwischen den Tabellenstufen bei einem und bei zwei Unterhaltsberechtigten belassen und 43 % als zusätzlich pfändbar angesehen. Dies macht im vorliegenden Fall jedoch eine Aufhebung der angefochtenen Entscheidung nicht erforderlich, weil sie nicht auf der unterlassenen Ermessensausübung beruht.

Der pfändungsfreie Betrag nach den Tabellenstufen bei einem und bei zwei Unterhaltsberechtigten differiert ausgehend von einem Nettoeinkommen des Schuldners von 1.300 € um 10 €. Der zusätzlich pfändbare Betrag beläuft sich damit nach der Berechnungsmethode des Beschwerdegerichts auf 4,30 €; zugleich stellt dies nach der Tabelle den gesamten hier pfändbaren Betrag dar.

Unter Berücksichtung der von dem Senat in der Entscheidung vom 5. April 2005 für die nach § 850c Abs. 4 ZPO zu treffende Ermessensentscheidung aufgestellten Grundsätze ergibt sich in keinem denkbaren Fall ein 10 € übersteigender Pfändungsbetrag. Insoweit kann dahingestellt bleiben, in welcher Höhe bei der Ermittlung des der Ehefrau des Schuldners zustehenden Freibetrags ein Zuschlag zu den ihr nach den sozialrechtlichen Regelungen als Haushaltsmitglied zustehenden Ansprüchen vorzunehmen ist. Denn der Umstand, dass die Ehefrau des Schuldners über ein eigenes Einkommen verfügt, kann allenfalls dazu führen, dass sie bei der Ermittlung des pfändungsfreien Betrags gänzlich unberücksichtigt bleibt. In diesem Fall wären entsprechend der Tabelle zu § 850c ZPO von dem Arbeitseinkommen des Schuldners unter Berücksichtigung der unterhaltsberechtigten Tochter lediglich 10 € pfändbar.

Im Hinblick auf die geringfügige Differenz von höchstens 5,70 € zu dem sich nach der Berechnungsmethode des Beschwerdegerichts ergebenden Pfändungsbetrag ist die angefochtene Entscheidung als noch im Rahmen des gerichtlichen Ermessens liegend nicht zu beanstanden. Nach der ab 1. Juli 2005 geltenden Tabelle ergibt sich bei einem Nettoeinkommen von 1.300 € unter Berücksichtigung einer unterhaltsberechtigten Tochter von vornherein kein pfändbarer Betrag, unabhängig davon, ob das Einkommen der Ehefrau zu berücksichtigen ist oder nicht.

Ende der Entscheidung

Zurück