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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 05.11.1998
Aktenzeichen: VII ZB 24/98
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 516
ZPO § 319
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

VII ZB 24/98

vom

5. November 1998

in dem Rechtsstreit

ZPO §§ 516, 319

Ausnahmsweise beginnt mit der Zustellung des Berichtigungsbeschlusses die Rechtsmittelfrist, wenn erst die berichtigte Fassung eines Teilurteils zweifelsfrei erkennen läßt, daß die nach dessen Tenor obsiegende Partei auch teilweise beschwert ist.

BGH, Beschluß vom 5. November 1998 - VII ZB 24/98 - KG Berlin LG Berlin


Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ullmann und die Richter Dr. Haß, Hausmann, Dr. Wiebel und Dr. Kuffer

am 5. November 1998

beschlossen:

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluß des 4. Zivilsenats des Kammergerichts vom 25. Juli 1998 aufgehoben.

Beschwerdewert: 5.209,21 DM

Gründe:

I.

Die Klägerin verlangt von dem Beklagten restlichen Werklohn für Bauarbeiten in Höhe von 206.630,94 DM. Der Beklagte hat die Aufrechnung mit einer streitigen Gegenforderung in Höhe von 5.209,21 DM erklärt.

Das Landgericht hat den Beklagten durch Teilurteil zur Zahlung von 168.251,06 DM verurteilt. Eine Klageabweisung wegen der dabei verrechneten Forderung des Beklagten in Höhe von 5.209,21 DM ist im Tenor des landgerichtlichen Urteils unterblieben. In den Entscheidungsgründen des am 12. März 1998 zugestellten Urteils ist ausgeführt, hinsichtlich des entscheidungsreifen Teils sei die Klage in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Ferner heißt es, der Werklohnanspruch der Klägerin sei durch Aufrechnung des Beklagten in Höhe von 5.209,21 DM erloschen. Durch der Klägerin am 1. April 1998 zugestellten Beschluß hat das Landgericht den Tenor des Teilurteils dahingehend berichtigt, daß die Klage in Höhe von 5.209,21 DM abgewiesen werde. Daraufhin hat die Klägerin am 4. Mai 1998 (Montag) Berufung eingelegt.

Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Klägerin.

II.

Die gemäß § 519 b Abs. 2, § 547 ZPO statthafte sofortige Beschwerde ist begründet. Die Klägerin hat die Frist des § 516 ZPO gewahrt.

Das Berufungsgericht führt aus: Die Berichtigung eines Urteils habe keinen Einfluß auf Beginn und Lauf der Rechtsmittelfrist. Nur in Ausnahmefällen beginne die Rechtsmittelfrist erst mit Zustellung des Berichtigungsbeschlusses. Ein Ausnahmefall liege hier nicht vor, da die Klägerin aus den Entscheidungsgründen des Urteils habe entnehmen können, daß das Landgericht den Werklohnanspruch in Höhe von 5.209,21 DM abweisen wollte.

Dagegen wendet sich die sofortige Beschwerde mit Erfolg.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist die Berufungsfrist gegen den klageabweisenden Teil des landgerichtlichen Urteils erst mit der Zustellung des Berichtigungsbeschlusses in Lauf gesetzt worden.

1. Das Oberlandesgericht geht allerdings zutreffend davon aus, daß offenbare Unrichtigkeiten eines Urteils, die durch eine Berichtigung nach § 319 ZPO beseitigt werden können, dessen Zustellung im allgemeinen nicht unwirksam machen. Die Rechtsmittelfrist wird regelmäßig durch die Zustellung des nicht berichtigten Urteils in Lauf gesetzt. Nach einer Berichtigung beginnt grundsätzlich keine neue Frist (st.Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 9. November 1994 - XII ZR 184/93 = NJW 1995, 1033 m.w.Nachw.). Hiervon gibt es Ausnahmen.

2. Nicht zu folgen ist der Annahme des Berufungsgerichts, hier liege kein Ausnahmefall von dem genannten Grundsatz vor.

Ausnahmen sind insbesondere dann anerkannt, wenn erst aus der Berichtigung hervorgeht, daß eine Partei durch das ergangene Urteil beschwert ist (BGH, Beschluß vom 23. April 1955 - VI ZB 4/55 = BGHZ 17, 149; BGH, Urteil vom 10. März 1981 - VI ZR 236/79 = VersR 1981, 548, 549; Senat, Beschluß vom 17. Januar 1991 - VII ZB 13/90 = BGHZ 113, 228; BGH, Urteil vom 9. November 1994 - XII ZR 184/93 = NJW 1995, 1033). Dem liegt der Gedanke zugrunde, daß Verfahrensregeln nicht um ihrer selbst willen, sondern wesentlich auch im Interesse der Beteiligten geschaffen sind, für die sie nicht zu Fallstricken werden dürfen. Der Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen darf nicht in einer Weise erschwert werden, die aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigen ist (BVerfG, Beschluß vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 370/84 = BVerfGE 69, 381, 385). Der Irrtum eines Gerichts darf sich nicht dahin auswirken, daß die Rechtsmittelmöglichkeit einer Partei beeinträchtigt oder gar vereitelt wird (BGH, Beschluß vom 23. April 1955 - VI ZB 4/55 = BGHZ 17, 149, 152; BGH, Urteil vom 10. März 1981 - VI ZR 236/79 = VersR 1981, 548, 549; Senat, Beschluß vom 17. Januar 1991 - VII ZB 13/90 = BGHZ 113, 228, 231; BGH, Urteil vom 9. November 1994 - XII ZR 184/93 = NJW 1985, 1033). Danach ist hier ein Ausnahmefall anzunehmen.

Im Streitfall ergab sich die Möglichkeit, gegen das landgerichtliche Urteil Berufung einzulegen, für die Klägerin zweifelsfrei erst aus dem Berichtigungsbeschluß des Landgerichts. Nach der ursprünglichen Fassung des Urteilstenors hatte die Klägerin voll obsiegt. Eine Kostenentscheidung, aus der sich etwas anderes hätte ergeben können, enthielt das landgerichtliche Urteil nicht. Daß es sich dabei um ein Teilurteil handelte, konnte die Klägerin in der Meinung bestärken, eine etwaige teilweise Klageabweisung solle erst im Schlußurteil ausgesprochen werden. Der Eingang der Entscheidungsgründe befaßte sich mit der Begründetheit der Klage. Erst aus den weiteren Ausführungen, wonach der Werklohnanspruch der Klägerin durch die von dem Beklagten erklärte Aufrechnung in Höhe von 5.209,21 DM erloschen war, konnte auf eine teilweise Abweisung der Klage geschlossen werden. Es war für die Prozeßbevollmächtigte der Klägerin erkennbar, daß der zunächst zugestellte Urteilstenor teilweise auf einer offenbaren Unrichtigkeit beruhte. Das führt aber nicht dazu, den Lauf der Berufungsfrist für die Klägerin bereits am 13. März 1998 beginnen zu lassen. Auf ein Verschulden der Partei oder ihrer Prozeßbevollmächtigten daran, daß sie trotz der unrichtigen Tenorierung den vom Gericht in Wahrheit gewollten Inhalt seiner Entscheidung nicht erkannt haben, kommt es nicht an (BGH VersR 1981, 548, 549 re.Sp.). Es genügt, daß dem äußeren Anschein nach das nicht berichtigte Urteil keine Anfechtungsmöglichkeit für die Klägerin eröffnete und diese durch den Fehler des Gerichts davon abgehalten worden ist, gegen dieses Urteil, solange es nicht berichtigt worden war, ein Rechtsmittel einzulegen. Ein Irrtum des Gerichts darf sich nicht dahin auswirken, daß die Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen, beeinträchtigt oder gar vereitelt wird (so schon BGHZ 17, 149, 152).

3. Da die Berufung innerhalb der durch die Zustellung des Berichtigungsbeschlusses eröffneten Frist des § 516 ZPO eingelegt worden ist, ist der sie verwerfende Beschluß aufzuheben.



Ende der Entscheidung

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