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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 04.07.2007
Aktenzeichen: VII ZB 28/07
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 321 a
ZPO § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
Eine ergänzende Zulassung der Rechtsbeschwerde entsprechend § 321 a ZPO ist auch nach Inkrafttreten des Anhörungsrügegesetzes möglich, wenn in der Beschwerdeentscheidung durch willkürliche Nichtzulassung Verfahrensgrundrechte des Beschwerdeführers verletzt worden sind (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 19. Mai 2004 - IXa ZB 182/03, NJW 2004, 2529).
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

VII ZB 28/07

vom 4. Juli 2007

in der Zwangsvollstreckungssache

Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. Juli 2007 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Dressler, die Richter Prof. Dr. Kniffka, Bauner, die Richterin Safari Chabestari und den Richter Dr. Eick

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde der Gläubiger wird der Beschluss der Einzelrichterin der 5. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam vom 3. Januar 2007 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht (Einzelrichter) zurückverwiesen.

Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren werden nicht erhoben.

Gründe:

I.

Die Beschwerdeführer sind Rechtsanwälte, die wegen titulierter Geldforderungen die Zwangsvollstreckung gegen den Beschwerdegegner betreiben. Sie haben einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss beantragt, der auch Vollstreckungsgebühren nach der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung und dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz zum Gegenstand hat. Das Amtsgericht hat den Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses insoweit mit der Begründung abgelehnt, dem Rechtsanwalt entstünden bei der Zwangsvollstreckung in eigener Sache keine Gebühren und Auslagen. Das Beschwerdegericht hat die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde durch die Einzelrichterin mit Beschluss vom 3. Januar 2007 als unbegründet zurückgewiesen. Dieser Beschluss wurde am 11. Januar 2007 zugestellt. Auf die am 23. Januar 2007 erhobene "Gehörsrüge nach § 321a ZPO" hat die Einzelrichterin mit Beschluss vom 27. Februar 2007 die Rechtsbeschwerde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassen. Sie hat sich zu diesem ergänzenden Beschluss befugt gesehen, weil mit der Rüge zu Recht ein Verstoß gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters geltend gemacht worden sei. Die Beschwerdeführer haben die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss vom 3. Januar 2007 mit dem Ziel eingelegt, die beantragte Ergänzung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses wegen der Vollstreckungsgebühren zu erreichen.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft.

a) Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO liegen vor, obwohl die Rechtsbeschwerde nicht in dem Beschluss zugelassen worden ist, mit dem über die Beschwerde entschieden worden ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Zulassung der Rechtsbeschwerde in einem ergänzenden Beschluss zulässig, wenn ihre Unterlassung gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters verstößt (BGH, Beschluss vom 19. Mai 2004 - IXa ZB 182/03, NJW 2004, 2529). Die Plenarentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 30. April 2003 - 1 PBvU 1/02 (BVerfGE 107, 395) und das Anhörungsrügegesetz vom 9. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3230) geben keinen Grund zu einer abweichenden Entscheidung.

aa) Das Bundesverfassungsgericht hat hervorgehoben, dass der verfassungsrechtlich gesicherte Justizgewährungsanspruch Rechtsschutz auch in den Fällen ermöglichen muss, in denen ein Gericht erstmalig Verfahrensgrundrechte verletzt, zu denen auch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gehört. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, das Rechtsschutzsystem näher auszuformen und insbesondere die prozessualen Voraussetzungen für Rechtsmittel und Rechtsbehelfe festzulegen. Rechtsschutz ist in erster Linie von der Fachgerichtsbarkeit zu gewähren. Die Verfahrensordnung ist so auszugestalten, dass effektiver Rechtsschutz für den einzelnen Rechtssuchenden besteht, aber auch Rechtssicherheit hergestellt wird. Die bisher von der Rechtsprechung geschaffenen außerordentlichen Rechtsbehelfe genügen den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rechtsmittelklarheit nicht. Die Rechtsbehelfe müssen in der geschriebenen Rechtsordnung geregelt und in ihren Voraussetzungen für den Bürger erkennbar sein. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber aufgegeben, für den Rechtsschutz bei der Verletzung des Verfahrensgrundrechts des Art. 103 Abs. 1 GG bis zum 31. Dezember 2004 eine den verfassungsrechtlich gebotenen Anforderungen entsprechende Lösung zu finden (BVerfGE 107, 395 ff.).

bb) Der Gesetzgeber hat durch das Anhörungsrügegesetz vom 9. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3230) auf die Aufforderung des Bundesverfassungsgerichts reagiert. Er hat seine Lösung entsprechend der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts allein auf die fachgerichtliche Behandlung eines Verstoßes gegen den Anspruch einer Partei auf rechtliches Gehör beschränkt. Mit dem Anhörungsrügegesetz sollte keine Aussage zu der Frage getroffen werden, wie die Gerichte künftig mit Verletzungen anderer Verfahrensgrundrechte umgehen sollen; insbesondere die bisher in diesen Fällen zur Anwendung gekommenen außerordentlichen Rechtsbehelfe, wie die außerordentliche Beschwerde oder die Gegenvorstellung, sollten durch die Beschränkung des Gesetzes auf eine Erweiterung der Rügemöglichkeiten bei Anhörungsverstößen nicht ausgeschlossen werden (BT-Drucksache 15/3706, S. 14).

cc) Unter diesen rechtlichen Voraussetzungen hat es dabei zu verbleiben, dass die fachgerichtliche Kontrolle eines Verstoßes gegen das verfassungsrechtliche Gebot des gesetzlichen Richters durch die Versagung der Zulassung einer Rechtsbeschwerde mittels einer Gegenvorstellung erreicht werden kann. Die Gegenvorstellung ist jedenfalls in diesen Fällen das geeignete Mittel, eine außerordentliche Beschwerde kommt nicht in Betracht (BGH, Beschluss vom 7. März 2002 - IX ZB 11/02, BGHZ 150, 133, 135 ff.; Beschluss vom 9. März 2006 - VII ZB 8/06, BauR 2006, 1019). Die Möglichkeit einer Gegenvorstellung verschafft dem Justizgewährungsanspruch Geltung, wobei die Verfahrensregelung des § 321 a ZPO entsprechend anzuwenden ist (vgl. auch BGH, Beschluss vom 19. Januar 2006 - I ZR 151/02, NJW 2006, 1978 mit Nachweisen zum Meinungsstand).

b) Die Voraussetzungen für diesen außerordentlichen Rechtsbehelf hat das Beschwerdegericht zu Recht bejaht. Die Gegenvorstellung ist auch innerhalb der Frist von zwei Wochen erhoben worden.

2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

Die Entscheidung der Einzelrichterin erfolgte verfahrensfehlerhaft, weil sie über die Zulassung nicht selbst entscheiden konnte. Sie hätte das Verfahren gemäß § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO der Kammer übertragen müssen (BGH, Beschluss vom 13. März 2003 - IX ZB 134/02, BGHZ 154, 200, 202 f.; Beschluss vom 10. April 2003 - VII ZB 17/02, BauR 2003, 1252 = ZfBR 2003, 557). Das hat die Einzelrichterin im Ergänzungsbeschluss zwar erkannt, jedoch nicht die gebotenen Konsequenzen gezogen.

Entscheidet ein Einzelrichter in einer Sache, der er rechtsgrundsätzliche Bedeutung beimisst, über die Beschwerde und lässt er die Rechtsbeschwerde - wenn auch erst auf Gegenvorstellung - zu, so ist die Entscheidung auf die Rechtsbeschwerde wegen fehlerhafter Besetzung des Beschwerdegerichts aufzuheben (BGH, Beschluss vom 13. März 2003, aaO).

Ende der Entscheidung

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