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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 16.04.2009
Aktenzeichen: VII ZB 66/08
Rechtsgebiete: GG, ZPO


Vorschriften:

GG Art. 2 Abs. 1
ZPO § 234 Abs. 1
ZPO § 234 Abs. 2
ZPO § 236 Abs. 2
Hat eine Partei die Berufungsbegründungsfrist versäumt, weil ihr rechtzeitig gestellter Verlängerungsantrag ohne ihr Verschulden dem Gericht nicht zur Kenntnis gelangt ist, und hat das Gericht auf die Nichteinhaltung der gesetzlichen Begründungsfrist hingewiesen, bevor die in dem Verlängerungsantrag genannte Frist abgelaufen war, kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht mit der Begründung versagt werden, die Partei habe die von ihr selbst gesetzte Frist nicht eingehalten.

In diesem Fall steht ihr dann für die Begründung der Berufung die Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO zur Verfügung.

(Im Anschluss an BGH, Beschluss vom 21. Dezember 1995 - VII ZB 17/95, NJW 1996, 1350).


VII ZB 66/08 VII ZB 67/08

Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat

am 16. April 2009

durch

den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kniffka und

die Richter Bauner, Dr. Eick, Halfmeier und Leupertz

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 24. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 20. Mai 2008 aufgehoben.

Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewährt.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 40.578,79 EUR

Gründe:

I.

Der Kläger hat gegen das klageabweisende, am 17. Januar 2008 zugestellte Urteil des Landgerichts rechtzeitig Berufung eingelegt. Eine Berufungsbegründung ist innerhalb der am 17. März 2008 ablaufenden Berufungsbegründungsfrist nicht eingegangen. Hierauf ist die Prozessbevollmächtigte des Klägers durch richterliche Verfügung vom 20. März 2008, zugestellt am 3. April 2008, hingewiesen worden. Sie hat mit Schriftsatz vom 18. April 2008, beim Berufungsgericht eingegangen am 21. April 2008, die Berufung begründet und wegen der Versäumung der Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Sie hat dazu vorgetragen, sie habe am 7. März 2008 einen Schriftsatz gefertigt, mit dem die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 17. April 2008 beantragt worden sei. In Absprache mit ihr habe ein anderes Mitglied der Anwaltssozietät diesen Schriftsatz am 10. März 2008 auf der Poststelle des Gerichtsgebäudes in das Fach für das Oberlandesgericht gelegt. Da sie stichhaltige Gründe für die Verlängerung der Frist habe anführen können, sei sie ohne weiteres davon ausgegangen, dass dem Antrag stattgegeben werde, und habe insoweit auch beim Oberlandesgericht nicht nachgefragt. Zur Glaubhaftmachung hat sie eine eidesstattliche Versicherung ihrer Anwaltskollegin vorgelegt.

Das Berufungsgericht hat mit Beschluss vom 20. Mai 2008 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt und mit Beschluss vom 20. Juni 2008 die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II.

1.

Die gemäß § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, da zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erforderlich ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Indem das Berufungsgericht dem Kläger zu Unrecht (siehe hierzu unter 2. b) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist verweigert hat, hat es das Verfahrensgrundrecht des Klägers auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt. Es hat dem Kläger den Zugang zur Berufungsinstanz ungerechtfertigt versagt.

2.

Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

a)

Das Berufungsgericht führt aus, der Kläger sei an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist nicht ohne sein Verschulden verhindert gewesen. Er habe zwar glaubhaft gemacht, dass der erstmalige und ausreichend begründete Fristverlängerungsantrag am 10. März 2008 in das OLG-Fach des Gerichtsgebäudes eingelegt worden sei. Er hätte aber den von ihm selbst beantragten Verlängerungszeitraum einhalten oder rechtzeitig einen neuen Verlängerungsantrag stellen müssen. Allerdings habe der Bundesgerichtshof die Überschreitung des vom Berufungskläger beantragten Verlängerungszeitraums mit der Begründung für unschädlich gehalten, dem Berufungskläger habe für die Berufungsbegründung als Mindestfrist diejenige des § 234 Abs. 1 ZPO a.F. zur Verfügung gestanden (Beschluss vom 21. Dezember 1995 - VII ZB 17/95, NJW 1996, 1350). Dies könne jedoch seit dem Inkrafttreten des Zivilprozessreformgesetzes jedenfalls insoweit nicht mehr gelten, als der erste, nicht beschiedene Verlängerungsantrag des Berufungsklägers die in § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO bestimmte Höchstfrist von einem Monat ausschöpfe. Dieser Regelung widerspräche es, wenn dem Berufungskläger ohne rechtzeitige Einholung einer Zustimmung des Berufungsbeklagten nur deshalb gestattet würde, die erste Verlängerungsfrist von einem Monat zu überschreiten, weil der Verlängerungsantrag entweder ohne sein Verschulden nicht bei Gericht eingegangen oder nicht beschieden worden sei. Eine über die Monatsfrist hinausgehende Verlängerung könne der Berufungskläger nicht erwarten.

b)

Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat dem Kläger zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist versagt.

aa)

Zu Recht ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass der Kläger ohne sein Verschulden verhindert war, die am 17. März 2008 endende ursprüngliche Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Er hat glaubhaft gemacht, rechtzeitig einen Antrag auf Fristverlängerung um einen Monat eingereicht zu haben. Da es sich um den ersten Antrag handelte und er auf erhebliche Gründe gestützt war, konnte der Kläger auf die Bewilligung vertrauen und musste insoweit auch nicht bei Gericht nachfragen (vgl. BGH, Beschluss vom 15. August 2007 - XII ZB 82/07, NJW-RR 2008, 76 m.w.N.; st. Rspr.).

bb)

Der Wiedereinsetzungsantrag und die Berufungsbegründung sind aber entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts rechtzeitig eingegangen. Das Hindernis zur Einhaltung der Frist entfiel am 3. April 2008, als die Prozessbevollmächtigte des Klägers die gerichtliche Mitteilung erhielt, dass eine Berufungsbegründung nicht eingegangen sei. Von diesem Tag an lief die Frist von einem Monat, um Wiedereinsetzung zu beantragen und die Berufungsbegründung einzureichen, § 234 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Diese Frist hat der Kläger gewahrt; Wiedereinsetzungsantrag und Berufungsbegründung gingen am 21. April 2008 und damit rechtzeitig beim Berufungsgericht ein. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen vor.

cc)

Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, dass der Kläger um Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nur bis zum 17. April 2008 nachgesucht und diese sich selbst gesetzte Frist überschritten hatte.

Allerdings hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass dem Berufungskläger Wiedereinsetzung nur gewährt werden kann, wenn sein Prozessbevollmächtigter die in einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist begehrte Frist eingehalten hat (Beschlüsse vom 14. Oktober 1993 - LwZB 2/93, NJW 1994, 55 und vom 4. März 2004 - IX ZB 121/03, NJW 2004, 1742). Diese Entscheidungen betrafen jedoch Sachverhalte, in denen das Berufungsgericht innerhalb der jeweils beantragten Verlängerungsfrist weder über die Verlängerung entschieden noch sich sonst geäußert hatte. Dann entspricht es der Pflicht des Rechtsanwalts zur Wahl des sichersten Weges, die durch den Antrag sich selbst gesetzte Frist einzuhalten. Dagegen hat hier das Berufungsgericht innerhalb der beantragten Verlängerungsfrist mitgeteilt, dass die Berufungsbegründung (und damit auch der Antrag auf Fristverlängerung) nicht eingegangen sei. Damit wurde die Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO in Gang gesetzt. Diese vom Gesetz vorgegebene Frist ist nicht von der zuvor vom Kläger beantragten Fristverlängerung abhängig. Sie wird durch den Antrag des Klägers nicht verkürzt, sondern steht dem Kläger in voller Länge zur Verfügung (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 1995 - VII ZB 17/95, NJW 1996, 1350 zu § 234 ZPO a.F.; MünchKommZPO/Gehrlein, 3. Aufl., § 233 Rdn. 62; Musielak/Grandel, ZPO, 6. Aufl., § 233 Rdn. 29; Wieczorek/Schütze/Uwe Gerken, ZPO, 3. Aufl., § 233 Rdn. 66; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 233 Stichwort Fristverlängerung unter b bb).

dd)

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts zwingt der Umstand, dass nach § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO in der Fassung des Zivilprozessreformgesetzes die Berufungsbegründungsfrist ohne Einwilligung des Gegners nur um bis zu einem Monat verlängert werden kann, nicht zu einer anderen Beurteilung.

§ 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO wird von § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO nicht überlagert. Beide Vorschriften verfolgen unterschiedliche Zwecke und sind unabhängig voneinander zu betrachten. Durch die Einführung der Monatsfrist in § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO sollte in erster Linie die Rechtsstellung unbemittelter Rechtsmittelführer bei der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verbessert werden (vgl. BT-Drucks. 15/1508, S. 17). Die Vorschrift gilt darüber hinaus ohne Einschränkung für alle Fälle der Versäumung einer Frist zur Begründung eines Rechtsmittels (BGH, Beschluss vom 15. Januar 2008 - XI ZB 11/07, NJW 2008, 1164). § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO dient der Beschleunigung des Berufungsverfahrens (vgl. BT-Drucks. 14/4722 S. 95). Er sagt nichts darüber aus, unter welchen Umständen bei der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden soll. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit dieser Norm den Lauf der Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO begrenzen wollte.

3.

Dem Kläger war somit unter Aufhebung des Beschlusses des Berufungsgerichts vom 20. Mai 2008 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung zu gewähren. Damit sind der Beschluss des Berufungsgerichts vom 20. Juni 2008, mit dem die Berufung verworfen wurde, und die dagegen vorsorglich eingelegte Rechtsbeschwerde des Klägers gegenstandslos (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Dezember 2006 - XII ZB 99/06, NJW 2007, 1455 und vom 15. Januar 2008 - XI ZB 11/07, aaO).

Ende der Entscheidung

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