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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 04.07.2007
Aktenzeichen: VII ZB 86/06
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 850 b Abs. 1 Nr. 3 |
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 4. Juli 2007
in dem Zwangsvollstreckungsverfahren
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. Juli 2007 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Dressler, die Richter Prof. Dr. Kniffka und Bauner, die Richterin Safari Chabestari und den Richter Dr. Eick beschlossen:
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde der Schuldnerin gegen den Beschluss der 23. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld vom 1. August 2006 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Die Parteien streiten darüber, ob die Schuldnerin sich gegenüber der vom Gläubiger wegen einer Geldforderung betriebenen Zwangsvollstreckung auf den Pfändungsschutz nach § 850 b Abs. 1 Nr. 3 ZPO (Altenteil) berufen kann.
1. Die Parteien sind geschiedene Eheleute. Im März 2002 verstarb die gemeinsame Tochter; Alleinerbin ist die Schuldnerin. Die Tochter war Eigentümerin eines kleinen Einfamilienhauses, das sie nach dem Vortrag der Schuldnerin mit deren finanzieller Hilfe erworben hatte. Die 1929 geborene Schuldnerin hatte an den Räumen im Erdgeschoss des Hauses ein dingliches Wohnrecht. Außerdem hatte die Tochter sich verpflichtet, ihr "wie eine Pflegerin" zur Seite zu stehen.
Nach dem Tod der Tochter übertrug die Schuldnerin das Eigentum an dem Haus durch notariellen Vertrag vom 27. Dezember 2002 auf den Drittschuldner. Dieser verpflichtete sich in dem Vertrag zur einmaligen Zahlung von 35.000 €, zur Zahlung von monatlich 430 € bis zum Lebensende der Schuldnerin und dazu, der Schuldnerin "häusliche Wart und Pflege zu leisten". Bei der Bemessung der monatlichen Raten wurde der Grundstückswert von 122.000 € in Ansatz gebracht abzüglich des Betrags von 35.000 € und eines weiteren Betrags von 30.000 €, mit dem die Pflegeverpflichtung bewertet wurde. Der Drittschuldner vermietete das Haus an die Schuldnerin zu einem monatlichen Mietzins von 260 €. Die von ihm übernommenen Ratenzahlungs- und Pflegeverpflichtungen wurden durch die Eintragung von Reallasten im Grundbuch abgesichert.
2. Der 1923 geborene Gläubiger hat gegen die Schuldnerin wegen seines Pflichtteilsanspruchs zwei Titel über 11.376,94 € und 16.474,83 € erwirkt. Aus dem ersteren betreibt er die Zwangsvollstreckung. Auf seinen Antrag hat das Amtsgericht - Vollstreckungsgericht - unter anderem den Anspruch der Schuldnerin gegen den Drittschuldner auf rückständige und zukünftige Ratenzahlungen von wiederkehrend 170 € (430 € - 260 €) und die diesen Anspruch sichernde Reallast gepfändet und ihm zur Einziehung überwiesen. Die Schuldnerin hat unter Hinweis auf § 850 b Abs. 1 Nr. 3 ZPO Erinnerung eingelegt. Das Amtsgericht - Vollstreckungsgericht - hat der Erinnerung abgeholfen und ausgesprochen, dass die gepfändeten Vermögenswerte nur nach den für Arbeitseinkommen geltenden Vorschriften gepfändet werden könnten. Es handele sich um einen Altenteilvertrag im Sinne von § 850 b Abs. 1 Nr. 3 ZPO. Die Voraussetzungen des Abs. 2 dieser Vorschrift lägen vor. Auf die sofortige Beschwerde des Gläubigers hat das Beschwerdegericht diesen Beschluss aufgehoben und die Erinnerung der Schuldnerin sowie deren auf Aufhebung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses gerichtete Anschlussbeschwerde zurückgewiesen. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Schuldnerin ihr Begehren weiter.
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.
1. Das Beschwerdegericht führt aus, der Zahlungsanspruch der Schuldnerin und die ihn sichernde Reallast seien pfändbar. Durch den Vertrag vom 27. Dezember 2002 sei kein Altenteil im Sinne von § 850 b Abs. 1 Nr. 3 ZPO begründet worden. Es fehle jeder Anhaltspunkt für die Annahme, der Drittschuldner sei mit der Übernahme des Grundstücks in eine von der Schuldnerin geschaffene wirtschaftliche Existenzgrundlage eingetreten.
2. Das hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
a) Der Begriff des Altenteils ist gesetzlich nicht definiert. Es handelt sich um einen historisch gewachsenen Rechtsbegriff, der in verschiedenen Bestimmungen als gegeben und bekannt vorausgesetzt wird (vgl. Art. 96 EGBGB, § 49 GBO, § 850 b Abs. 1 Nr. 3 ZPO). Nach der vor allem zu Art. 96 EGBGB ergangenen Rechtsprechung hat ein Altenteilsvertrag in der Regel die Gewährung von Unterhalt zum Inhalt, wobei dem Altenteiler ein Wohnrecht an einem bestimmten Teil eines überlassenen Grundstücks gewährt wird. Dem Übernehmer soll ein Gut oder ein Grundstück überlassen werden, kraft dessen Nutzung er sich eine eigene Lebensgrundlage schaffen und gleichzeitig den dem Altenteiler geschuldeten Unterhalt gewinnen kann. Der wesentliche Grundzug eines Altenteils besteht somit in einem Nachrücken der folgenden Generation in eine wenigstens teilweise existenzbegründende Wirtschaftseinheit. Erforderlich ist, dass ein Beteiligter einem anderen nach Art einer vorweggenommenen Erbfolge seine wirtschaftliche Lebensgrundlage überträgt, um dafür in die persönliche Gebundenheit eines abhängigen Versorgungsverhältnisses einzutreten, während der Übernehmer eine wirtschaftlich selbständige Stellung erlangt (BGH, Urteile vom 25. Oktober 2002 - V ZR 293/01, NJW 2003, 1325; vom 28. Januar 2000 - V ZR 252/98, WM 2000, 586 und vom 28. Oktober 1988 - V ZR 60/87, NJW-RR 1989, 451). Auch städtische Grundstücke können mit einem Altenteil belastet werden; dann kann sich der Unterhalt auf einen Teil des gesamten notwendigen Unterhalts des Altenteilers, etwa auf die Gewährung der Wohnung, beschränken (BGH, Urteil vom 19. Juni 1964 - V ZR 4/63, MDR 1964, 741). Dieser Versorgungszweck des Vertrags lässt das sonst übliche Gleichgewichtsverhältnis von Leistung und Gegenleistung in den Hintergrund treten (vgl. BayObLG, MDR 1975, 941). Tritt dagegen bei einer Versorgungsvereinbarung der Charakter eines gegenseitigen Vertrags mit beiderseitigen etwa gleichwertig gedachten Leistungen in den Vordergrund, handelt es sich nicht um einen Altenteilsvertrag (BGH, Urteile vom 3. April 1981 - V ZR 55/80, NJW 1981, 2568; vom 31. Oktober 1969 - V ZR 138/66, BGHZ 53, 41 und vom 19. Juni 1964 - V ZR 4/63, MDR 1964, 741). Das gilt auch dann, wenn ein Teil der Gegenleistung für die Grundstücksübereignung Züge aufweist, die auch einem Altenteil eigen sind (BGH, Urteil vom 3. April 1981 - V ZR 55/80 aaO). Eine Grundstücksübertragung wird noch nicht allein durch eine Wohnrechtsgewährung mit Pflege- und Versorgungsverpflichtungen zum Altenteilsvertrag (BGH, Urteil vom 28. Oktober 1988 - V ZR 60/87, NJW-RR 1989, 451).
b) Diese Definition des Altenteils gilt auch im Rahmen des § 850 b Abs. 1 Nr. 3 ZPO (vgl. BGH, Urteil vom 31. Oktober 1969 - V ZR 138/66, BGHZ 53, 41; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, 22. Aufl., § 850 b Rdn. 16 mit Fn. 72; Wieczorek/ Schütze/Lüke, ZPO, 3. Aufl., § 850 b Rdn. 30 f; Walker in Schuschke/Walker, ZPO, 3. Aufl., § 850 b Rdn. 15; MünchKommZPO-Smid, 2. Aufl., § 850 b Rdn. 12; Staudinger/Albrecht (2005), Art. 96 EGBGB Rdn. 56). Was die Rechtsbeschwerde dagegen vorbringt, überzeugt nicht.
aa) Es besteht keine Veranlassung, § 850 b Abs. 1 Nr. 3 ZPO erweiternd dahin auszulegen, dass jede vertragliche Zuwendung von Versorgungsleistungen als Altenteil unpfändbar ist. § 850 b ZPO regelt Besonderheiten für die Zwangsvollstreckung in bestimmte Renten und rentenähnliche Bezüge, die wie Arbeitseinkommen dem Lebensunterhalt des Schuldners dienen (Zöller/Stöber, ZPO, 26. Aufl., § 850 b Rdn. 1). Zu diesen Bezügen zählen auch Ansprüche aus Altenteilsverträgen, weil die vom Übernehmer zu erbringenden Zahlungen die Erträge ersetzen, die der Übergeber aus der übergebenen Wirtschaftseinheit weiterhin zur Bestreitung seines Unterhalts hätte ziehen können. Nur in diesem begrenzten Bereich ist eine Vergleichbarkeit mit Arbeitseinkommen gegeben. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber bei Einführung der Unpfändbarkeit von Bezügen aus Altenteilen dem Begriff Altenteil eine andere, von der herkömmlichen Definition abweichende Bedeutung beimessen wollte.
bb) Aus dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 3. Februar 1994 (V ZB 31/93, BGHZ 125, 69) kann die Rechtsbeschwerde nichts zu ihren Gunsten herleiten. Der Bundesgerichtshof hat dort zu § 49 GBO ausgeführt, dass es zur Vereinfachung des Grundbuchverkehrs und zur Entlastung der Grundbuchämter nur darauf ankomme, dass es sich bei den einzutragenden Dienstbarkeiten und Reallasten um eine Bündelung von Rechten handele, die typischerweise zu Versorgungszwecken als Altenteil im Grundbuch eingetragen würden. Der mit § 49 GBO bezweckte Entlastungs- und Vereinfachungseffekt würde zu teuer erkauft, wenn das Grundbuchamt jeweils umständlich Ermittlungen und Wertungen darüber anstellen müsste, ob die Gesamtheit der Vereinbarungen etwa den Charakter eines Austauschvertrags trage und ob das zu belastende Grundstück, wenn es gleichzeitig dem Schuldner der Versorgungsleistungen überlassen werde, diesem mindestens teilweise die wirtschaftliche Existenz sichern solle und sichern könne. Dieser allein auf die Besonderheiten des Grundbuchverkehrs abstellenden Entscheidung kann für den Begriff des Altenteils im Sinne von Art. 96 EGBGB oder § 850 b Abs. 1 Nr. 3 ZPO nichts entnommen werden.
c) Danach sind die Geldforderungen der Schuldnerin gegen den Drittschuldner aus dem Vertrag vom 27. Dezember 2002 nicht gemäß § 850 b Abs. 1 Nr. 3 ZPO unpfändbar. Mit diesem Vertrag wurde kein Altenteil begründet. Vielmehr steht der Charakter eines gegenseitigen Vertrags mit beiderseits etwa gleichwertig gedachten Leistungen im Vordergrund. Es handelt sich um eine Grundstücksübertragung, bei der ein Teil des Kaufpreises durch die Pflegeverpflichtung abgegolten wird.
Die Vertragsparteien haben die gegenseitig geschuldeten Leistungen in etwa gleich bewertet. Es stehen sich auf der einen Seite der Wert des Grundstücks von 122.000 € und auf der anderen Seite die Einmalzahlung des Drittschuldners in Höhe von 35.000 €, seine mit 30.000 € bewertete Pflegeverpflichtung und die bis zum Lebensende der Schuldnerin zu zahlende monatliche Rente von 430 € gegenüber. Mit diesen Raten wird ein Betrag von 57.000 € (122.000 € - 35.000 € - 30.000 €) abgezahlt. Das ist geschehen, wenn die Schuldnerin das 85. Lebensjahr erreicht hat. Diese Lebenserwartung wurde nach dem eigenen Vortrag der Schuldnerin bei der Bemessung der Raten zugrunde gelegt. Innerhalb dieser auch nach den Vorstellungen der Vertragsparteien realistischen Zeitspanne ist somit der Wert des Grundstücks vollständig vergütet.
Ende der Entscheidung
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