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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 25.10.2007
Aktenzeichen: VII ZR 13/07
Rechtsgebiete: ZPO, VOB/B, VOB/A
Vorschriften:
ZPO § 544 Abs. 7 | |
VOB/B § 2 Nr. 5 | |
VOB/B § 2 Nr. 6 | |
VOB/A § 9 |
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom 25. Oktober 2007
in dem Rechtsstreit
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. Oktober 2007 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Dressler, die Richter Dr. Kuffer, Bauner, die Richterin Safari Chabestari und den Richter Halfmeier
beschlossen:
Tenor:
Der Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision wird stattgegeben.
Das Urteil des 22. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 19. Dezember 2006 wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung der Klägerin gegen die Abweisung ihrer Klage in Höhe von 8.671.444,38 € nebst Zinsen zurückgewiesen worden ist.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 8.671.444,38 €
Gründe:
I.
Die Parteien streiten um eine Zusatzvergütung, die die Klägerin aus einem Werkvertrag über die Herstellung eines Autobahntunnels begehrt, weil die tatsächlichen Baugrundverhältnisse von den erwarteten abwichen.
Die klagende ARGE war von der Beklagten nach einem Ausschreibungsverfahren mit Bauvertrag vom 30. Juli 1998/19. Januar 1999 mit dem Neubau eines 5,9 km langen Teilstücks der BAB 44, insbesondere mit der Herstellung des Tunnels Rheinschlinge, beauftragt. Wegen des Geländeuntergrunds kam es zu Schwierigkeiten bei den Spundwandverbauarbeiten und der Wasserhaltung. Die Klägerin macht Ansprüche auf Zusatzvergütung gemäß § 2 Nr. 5 und 6 VOB/B geltend.
Die Klägerin hat ihren Anspruch bisher mit 22.232.608,13 € nebst Zinsen beziffert. Dieser setzt sich zusammen aus Mehrkosten für Wasserhaltung, Mehrkosten Verbau, Mehrkosten Messprogramm, Mehrkosten Erdbau, Mehrkosten Betonbau, Mehrkosten aus gestörtem Bauablauf, Beschleunigungsmaßnahmen, Nebenkosten, Baustellengemeinkosten, Federführung, Gewinn abzüglich Nachlass zuzüglich Lohngleitung, Mehrwertsteuer und Verzugszinsen bis 30. Juni 2004. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung ist ohne Erfolg geblieben. Die Klägerin beabsichtigt, ihren Anspruch in Höhe von 8.671.444,38 € weiter zu verfolgen, und zwar in der in der Klageschrift gewählten Reihenfolge der einzelnen Anspruchspositionen.
II.
Der Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde stehen keine Bedenken daraus entgegen, dass die Klägerin nur noch einen Teilbetrag der Klageforderung in der oben erwähnten Weise geltend macht.
III.
Das Berufungsgericht hat, wie die Beschwerde der Klägerin zutreffend rügt, in zwei Punkten gegen ihr Verfahrensgrundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG verstoßen.
1. Auf einer Verletzung des Rechts der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs beruhen zum einen die Überlegungen, mit denen das Berufungsgericht einen Anspruch auf Zusatzvergütung für Maßnahmen der Wasserhaltung verneint hat.
a) Das Berufungsgericht stützt seine Feststellung, von großflächigen Anisotropien sei nicht auszugehen, darauf, dass der Sachverständige F. sich lediglich auf das Baudock 3 beziehe, eigene Befunderhebungen nicht vorgenommen und keine konkreten Feststellungen zu großflächigen Anisotropien getroffen habe.
Es übergeht hierbei wesentliche Beweisantritte der Klägerin. Diese hatte die Einholung eines Sachverständigengutachtens als Beweis angeboten. Zudem hatte sie sich auf diverse Urkunden und Fotodokumentationen sowie auf - zum Teil sachverständige - Zeugen berufen (s. im Einzelnen GA III 231 bis 234). Schließlich hatte sie die Anhörung des Sachverständigen F. zu der Feststellung im Gutachten beantragt, die Beobachtungen während des Baugrubenaushubs über die geschichteten Strukturen (Feinschichtungen, Bänderungen) in den Sedimenten wiesen eindeutig auf anisotrope Durchlässigkeitseigenschaften hin (GA III 271; Gutachten S. 29).
Da das Berufungsgericht das Gutachten des Sachverständigen F. ersichtlich als unvollständig ansieht, weil es nur das Baudock 3 betrifft und keine eigenen Befunderhebungen enthält, und dennoch weder durch eine Anhörung des Sachverständigen Aufklärungsversuche unternommen noch eine weitere Begutachtung angeordnet hat, ist davon auszugehen, dass es das entscheidungserhebliche Vorbringen der Klägerin nicht in verfassungsrechtlich gebotener Weise zur Kenntnis genommen hat.
Dieser Pflicht war das Berufungsgericht nicht deswegen enthoben, weil der Vortrag erstinstanzlich erfolgte und im Berufungsverfahren lediglich pauschal darauf Bezug genommen wurde. Eine globale Bezugnahme auf erstinstanzliches Vorbringen ist ausnahmsweise hinsichtlich solchen Vorbringens zulässig, das in erster Instanz aus Rechtsgründen nicht behandelt wurde, als rechtlich unerheblich oder unsubstantiiert behandelt oder gänzlich übergangen wurde (BGH, Urteil vom 29. September 2003 - II ZR 59/02, NJW 2004, 66; BVerfG, NJW-RR 1995, 828). So liegt der Fall hier, da das Landgericht die Behauptung, es hätten anisotrope Bodenverhältnisse vorgelegen, für unerheblich gehalten hat.
b) Auch soweit das Berufungsgericht aus dem Gutachten des Sachverständigen F. schließt, die Klägerin habe mit anisotropen Bodeneigenschaften rechnen müssen, übergeht es Beweisantritte unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG.
Die Klägerin hat sich auf die Anhörung des Sachverständigen F. berufen (GA IV 541/542). Auch wenn sie den Sachverständigen hierbei mehrmals als "sachverständigen Zeugen" bezeichnet, ist dies als Antrag auf mündliche Erläuterung des Gutachtens aus dem selbständigen Beweisverfahren zu verstehen. Dieses Recht steht den Parteien auch im Hauptsacheprozess noch zu (Zöller/Herget, ZPO, 26. Aufl., Vor § 485, Rdn. 7). Das Berufungsgericht wäre daher zur Anhörung des Sachverständigen verpflichtet gewesen. Dies gilt umso mehr, als dem Sachverständigen F. im selbständigen Beweisverfahren die Frage, die das Berufungsgericht behandelt hat, so nicht gestellt worden war. Zudem hätte das von der Klägerin im Berufungsverfahren vorgelegte Privatgutachten Z. Anlass gegeben, der Frage weiter nachzugehen. In jenem ist ausgeführt, aus den allgemein zugänglichen geologischen Informationen ergäben sich keine Anhaltspunke hinsichtlich einer großräumigen Anisotropie. Diese Aussage steht im Widerspruch zu den Erkenntnissen, die das Berufungsgericht aus dem Gutachten F. ziehen zu dürfen glaubt. Das Berufungsgericht wäre daher verpflichtet gewesen, sich mit dem seiner Auffassung widersprechenden Privatgutachten Z. auseinanderzusetzen.
c) Die Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich.
Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht nach Erhebung der Beweise festgestellt hätte, dass anisotrope Bodenverhältnisse vorlagen und sich damit ein nicht vorhersehbares Risiko verwirklichte. Dann aber wären Wasserhaltungsmaßnahmen, die durch Anisotropien erforderlich wurden, möglicherweise als ungewöhnliches Wagnis nicht Vertragsinhalt und gegebenenfalls gesondert zu vergüten. Denn im Zweifelsfalle muss sich die Beklagte als öffentliche Auftraggeberin daran festhalten lassen, dass sie § 9 VOB/A Rechnung tragen und ihren Auftragnehmern kein ungewöhnliches Wagnis zumuten will (vgl. BGH, Urteil vom 11. November 1993 - VII ZR 47/93, BGHZ 124, 64).
2. Auch die Abweisung der auf Vergütung der Mehrkosten für die Sanierung einer Quelle im Baudock 2.2 gerichteten Klage beruht auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs.
a) Fehlerhaft lehnt das Berufungsgericht die Einholung eines Sachverständigengutachtens wegen Ungeeignetheit ab. Es ist nicht ersichtlich, dass das Berufungsgericht aus eigener Sachkunde zu beurteilen vermag, dass eine Begutachtung ohne Nachprüfung in offener Baugrube von vornherein nicht möglich ist. Es verkennt, dass ein Sachverständiger sein Gutachten möglicherweise auf der Grundlage von Zeugenaussagen und Fotodokumentationen erstatten kann. Es hätte daher in Betracht ziehen müssen, die von der Klägerin benannten, teils sachverständigen Zeugen zu vernehmen und deren Aussagen sowie die sonstigen von der Klägerin beigebrachten Unterlagen durch einen Sachverständigen begutachten zu lassen.
b) Der Gehörsverstoß ist entscheidungserheblich. Hätte die Erhebung der Beweise ergeben, dass in Baudock 2.2 eine Quelle vorhanden war, könnte die Klägerin für die Fassung und Ableitung des Wasseraustritts als Besondere Leistungen gemäß DIN 18305 Abschnitt 4.2.1 in Verbindung mit Abschnitt 3.3.2 möglicherweise eine gesonderte Vergütung verlangen.
3. Auf den genannten Verstöße gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann das Berufungsurteil in dem von der Nichtzulassungsbeschwerde angefochtenen Umfang beruhen. Denn auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen und des in Bezug genommenen Parteivortrags lässt sich im Revisionsrechtszug nicht beurteilen, ob sich diese Verstöße nur auf einen geringeren als den noch geltend gemachten Teilbetrag von 8.671.444,38 € ausgewirkt haben. Das Berufungsurteil war daher im angefochtenen Umfang gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen.
4. Das Berufungsgericht wird die notwendige Beweiserhebung nunmehr nachzuholen haben. Sofern dies zu einem der Klägerin günstigen Ergebnis führen sollte, wird es bei der Prüfung der Höhe der Ansprüche auch solche aus Behinderung, gestörtem Bauablauf und Beschleunigung zu prüfen haben, soweit sie aus den gesondert vergütungspflichtigen Wasserhaltungsmaßnahmen bzw. der Sanierung der Quelle resultieren. Insoweit beruht auch die Begründung des angefochtenen Urteils, diese Aufwendungen seien durch die vereinbarte Vergütung abgedeckt, auf den o.g. Gehörsverstößen. Die Aufhebung und Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht zudem Gelegenheit, sich nach sachverständiger Beratung nochmals mit den Argumenten der Klägerin auseinanderzusetzen, die gegen eine funktionale Ausschreibung der Wasserhaltung sprechen.
Ende der Entscheidung
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