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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 26.04.2007
Aktenzeichen: VII ZR 152/06
Rechtsgebiete: VOB/B


Vorschriften:

VOB/B § 17 Nr. 6 Abs. 4
Eine juristische Person des Privatrechts ist selbst dann nicht öffentlicher Auftraggeber im Sinne des § 17 Nr. 6 Abs. 4 VOB/B, wenn sämtliche Anteile einer Körperschaft des öffentlichen Rechts gehören.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

VII ZR 152/06

Verkündet am: 26. April 2007

in dem Rechtsstreit

Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 26. April 2007 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Dressler, die Richter Dr. Wiebel, Dr. Kuffer, Bauner und die Richterin Safari Chabestari

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 27. Zivilsenats des Kammergerichts vom 29. Juni 2006 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin verlangt von der Beklagten aus abgetretenem Recht der M-Bau GmbH die Auszahlung zweier Sicherheitseinbehalte.

Die Beklagte, eine Wohnungsbaugesellschaft, deren alleiniger Gesellschafter das Land Berlin ist, beauftragte die M-Bau GmbH im April 2001 mit dem Einbau von Aufzugsanlagen bei zwei Bauvorhaben. Die Vertragspartner vereinbarten die Geltung der VOB/B und einen Sicherheitseinbehalt von 3 % der Bruttoabrechnungssumme für die Dauer der auf fünf Jahre festgelegten Gewährleistung. In dem vorrangig Vertragsinhalt gewordenen Besprechungsprotokoll vom 16. März 2001 erklärte die M-Bau GmbH nach Belehrung über die Möglichkeit zur Ablösung des Sicherheitseinbehalts gemäß § 17 VOB/B, sie werde diesen durch eine Bürgschaft entsprechend der Vorschrift der Beklagten ablösen. In Ziffer 9 der zusätzlichen Vertragsbedingungen ist bestimmt, dass eine Ablösung des Sicherheitseinbehalts durch Bürgschaft eines im Inland zugelassenen Kreditinstituts oder Kreditversicherers nach den Bedingungen der Auftraggeberin möglich ist.

Nachdem über das Vermögen der M-Bau GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet worden war, kündigte die Beklagte die Vertragsverhältnisse. Bei der Abrechnung der Bauleistungen im Mai 2003 nahm sie Sicherheitseinbehalte in Höhe von 4.144,33 € und 6.510,72 €, entsprechend 3 % der jeweils anerkannten Schlussrechnungssumme, vor.

Der Aufforderung der Klägerin vom 12. Juni 2004, die Sicherheitseinbehalte bis 25. Juni 2004 auf ein Sperrkonto einzuzahlen, kam die Beklagte nicht nach. Sie beruft sich darauf, als öffentlicher Auftraggeber berechtigt zu sein, den als Sicherheit einbehaltenen Betrag auf ein eigenes Verwahrgeldkonto nehmen zu dürfen. Außerdem könnten die Sicherheitseinbehalte nach der im Besprechungsprotokoll festgehaltenen Erklärung der M-Bau GmbH nur durch eine Bürgschaft abgelöst werden.

Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung des einbehaltenen Betrags verurteilt. Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt sie ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat keinen Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht ist der Auffassung, auf die Vertragsverhältnisse der M-Bau GmbH und der Beklagten sei § 17 VOB/B uneingeschränkt anwendbar. Das Besprechungsprotokoll enthalte keine vertragliche Vereinbarung dahingehend, dass der Sicherheitseinbehalt nur durch Stellung einer Bankbürgschaft abgelöst werden könne. Aus der einseitigen Erklärung der Zedentin, eine Bürgschaft zu stellen, lasse sich ein Verzicht auf ihr zustehende Rechte nicht ableiten.

Die Beklagte habe den Sicherheitseinbehalt auszuzahlen, da sie ihrer Verpflichtung zur Einzahlung auf ein Sperrkonto nicht nachgekommen sei. Auf § 17 Nr. 6 Abs. 4 VOB/B, wonach öffentliche Auftraggeber berechtigt seien, den Sicherheitseinbehalt auf ein eigenes Verwahrgeldkonto zu nehmen, statt ihn auf ein Sperrkonto einzuzahlen, könne sich die Beklagte nicht berufen. Das Privileg eines öffentlichen Auftraggebers im Sinne dieser Vorschrift komme juristischen Personen des Privatrechts auch dann nicht zu, wenn sie von der öffentlichen Hand beherrscht würden.

II.

Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

1. Die Klägerin kann von der Beklagten die sofortige Auszahlung des Sicherheitseinbehalts gemäß § 17 Nr. 6 Abs. 3 VOB/B verlangen.

a) In den Verträgen vom 11. April und 17. April 2001 sind als Vertragsbestandteile das Besprechungsprotokoll vom 16. März 2001 und nachrangig die zusätzlichen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen sowie die VOB/B angegeben.

Weder durch die im Besprechungsprotokoll vom 16. März 2001 festgehaltene Erklärung der Zedentin, sie werde den Sicherheitseinbehalt durch eine Bürgschaft ablösen, noch durch die Bestimmung in Ziffer 9 der zusätzlichen Vertragsbedingungen ist die Beklagte der Verpflichtung enthoben, gemäß § 17 Nr. 6 Abs. 1 VOB/B den einbehaltenen Betrag auf ein Sperrkonto einzuzahlen. In der einseitigen Erklärung, den einbehaltenen Betrag durch eine Bürgschaft abzulösen, ist keine Vereinbarung der Parteien zu sehen, dass die Auszahlung des Einbehalts vor Ablauf der Gewährleistungsfrist nur bei Ausreichung einer Gewährleistungsbürgschaft in Betracht kommt. Auch Ziffer 9 der zusätzlichen Vertragsbedingungen lässt sich eine solche Einschränkung nicht entnehmen. Ob die Parteien damit das dem Auftragnehmer in § 17 Nr. 3 VOB/B eingeräumte Wahlrecht vertraglich dahingehend eingeschränkt haben, dass der Sicherheitseinbehalt nur durch eine Bürgschaft abgelöst werden kann, ist für die Entscheidung unerheblich und kann daher dahingestellt bleiben.

b) Nach Abtretung der zur Sicherheit einbehaltenen Werklohnforderung war die Klägerin daher berechtigt, der Beklagten gemäß § 17 Nr. 6 Abs. 3 VOB/B eine angemessene Frist zur Einzahlung des Sicherheitseinbehalts auf ein Sperrkonto zu setzen. Dies hat sie mit Schreiben vom 12. Juni 2004 unter Fristsetzung zum 25. Juni 2004 getan. Nach erfolglosem Ablauf dieser Frist hat sie, wie vom Berufungsgericht zu Recht erkannt, einen Anspruch auf dessen sofortige Auszahlung.

2. Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Beklagte die Privilegierung des § 17 Nr. 6 Abs. 4 VOB/B nicht in Anspruch nehmen kann.

a) Wer öffentlicher Auftraggeber im Sinne dieser Vorschrift ist, ist in Rechtsprechung und Literatur bisher nicht abschließend geklärt.

Unstreitig ist, dass die Privilegierung des § 17 Nr. 6 Abs. 4 VOB/B dem so genannten klassischen oder institutionellen öffentlichen Auftraggeber zukommt. Dazu zählen die juristischen Personen des öffentlichen Rechts und öffentlich-rechtliche Sondervermögen, insbesondere Bund, Länder und Gemeinden sowie Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts (Ingenstau/Korbion/Joussen, 16. Aufl., § 17 VOB/B Rdn. 33).

Streitig ist dagegen, ob diese Privilegierung auch juristischen Personen des Privatrechts zukommt, deren alleiniger Gesellschafter ein klassischer öffentlicher Auftraggeber ist.

Teilweise wird die Ansicht vertreten, der Begriff des öffentlichen Auftraggebers in § 17 Nr. 6 Abs. 4 VOB/B decke sich mit der Legaldefinition in § 98 GWB (Joussen, BauR 2002, 371, 374). Nach anderer Ansicht ist zwischen der vergaberechtlichen Bestimmung des § 98 GWB und der vertragsrechtlichen Bestimmung des § 17 Nr. 6 Abs. 4 VOB/B im Hinblick auf deren unterschiedlichen Regelungszweck zu differenzieren. Insoweit besteht Übereinstimmung, dass mit der Verpflichtung zur Einzahlung des Sicherheitseinbehalts auf ein Sperrkonto das Risiko vermieden werden soll, dass der Auftraggeber vor Ablauf der Gewährleistungsfrist insolvent wird und sich deshalb der Auszahlungsanspruch des Auftragnehmers nicht realisieren lässt. Nicht einheitlich beantwortet wird jedoch die Frage, ob dieses Risiko bei einer juristischen Person des Privatrechts, die von der öffentlichen Hand beherrscht wird, besteht. Nach einer Auffassung ist das Insolvenzrisiko bei einer juristischen Person des Privatrechts nie ausgeschlossen und diese daher nicht als öffentlicher Auftraggeber im Sinne des § 17 Nr. 6 Abs. 4 VOB/B anzusehen (AG Erfurt, BauR 2001, 272; Leinemann, VOB/B 2. Aufl., § 17 Rdn. 121; Eichner, BauR 2001, 1665; Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen, VOB, 2. Aufl, § 17 VOB/B Rdn. 63). Von anderer Seite wird vertreten, dass dieses Risiko zumindest bei einer vollständig in öffentlicher Hand befindlichen juristischen Person des Privatrechts faktisch nicht vorhanden sei und ihr daher das Privileg des § 17 Nr. 6 Abs. 4 VOB/B zugutekomme (LG Schwerin, BauR 2005, 1201; Schmidt in Darmstädter Baurechtshandbuch, 2. Aufl, I. Teil, 4. Kapitel, Rdn. 302; Ingenstau/Korbion/Joussen, 16. Aufl., § 17 Nr. 6 VOB/B, Rdn. 33; Joussen, BauR 2002, 371, 374).

b) Wer öffentlicher Auftraggeber im Sinne von § 17 Nr. 6 Abs. 4 VOB/B ist, bestimmt sich nicht nach der Legaldefinition in § 98 GWB.

aa) § 17 Nr. 6 Abs. 4 VOB/B hat zumindest seit der Fassung 1973 einen gleich bleibenden Wortlaut. Als öffentliche Auftraggeber wurden damals der Bund, die Länder, die Gemeinden, die Gemeindeverbände und andere Körperschaften des öffentlichen Rechts angesehen (Heiermann/Riedl/Schwaab, Handkommentar zur VOB, 2. Aufl, § 17 VOB/B Rdn. 36). Ähnliches galt zunächst im Vergaberecht. Bis 1990 waren öffentliche Auftraggeber im Sinne der EG-Vergaberichtlinien nur der Staat, die Gebietskörperschaften und juristische Personen öffentlichen Rechts, wozu in Deutschland die bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts zu zählen waren (vgl. Artikel 1 b der Richtlinie 71/305/EWG vom 26. Juli 1971 i.V.m. Anlage 1 Ziffer III). Erfasst waren damit lediglich die so genannten klassischen oder institutionellen Auftraggeber, die auch in § 17 Nr. 6 Abs. 4 VOB/B angesprochen waren.

Beginnend mit der Baukoordinierungsrichtlinie 89/440/EWG vom 18. Juli 1989 erstreckt sich der Kreis der erfassten Auftraggeber auf so genannte "Einrichtungen des öffentlichen Rechts", zu denen auch private Unternehmen gehören, die eine besondere Staatsnähe aufweisen (vgl. Artikel 1 Nr. 1 der Richtlinie 89/440/EWG vom 18. Juli 1989). Dies führte zu dem für das Vergaberecht grundlegenden Wandel von einem institutionellen zu einem funktionalen Auftraggeberbegriff. Mit dem zweiten Gesetz zur Änderung des Haushaltsgrundsätzegesetzes vom 26. November 1993 wurde § 57 a Abs. 1 HGrG eingeführt. Danach wurden auch die der öffentlichen Daseinsvorsorge zugeordneten, staatlich beherrschten Unternehmen privater Rechtsform zu den öffentlichen Auftraggebern gezählt. Die nunmehr aufgrund des Vergaberechtsänderungsgesetzes vom 26. August 1998 in § 98 GWB niedergelegte Definition des öffentlichen Auftraggebers stimmt weitgehend mit der des früheren § 57 a Abs. 1 HGrG überein.

bb) Der Umstand, dass der "öffentliche Auftraggeber" in § 17 Nr. 6 Abs. 4 VOB/B nach 1990 nicht neu definiert worden ist, lässt nicht den Schluss zu, dass die zunächst in § 57 a Abs. 1 HGrG und anschließend in § 98 GWB enthaltene Legaldefinition auch hier Geltung beanspruchen soll. Im Gegenteil kann aus dem trotz mehrfacher Änderungen der VOB/B unveränderten Wortlaut des § 17 Nr. 6 Abs. 4 VOB/B gefolgert werden, dass es bei dem vor 1990 geltenden Anwendungsbereich verbleiben, die darin enthaltene Privilegierung demgemäß nur den klassischen öffentlichen Auftraggebern zugutekommen soll.

cc) Dies bestätigt § 17 Nr. 6 Abs. 4 Satz 2 VOB/B. Dort ist bestimmt, dass der von dem öffentlichen Auftraggeber einbehaltene Betrag nicht verzinst wird. Der Grund für den Ausschluss der Verzinsung liegt im öffentlichen Haushaltsrecht. Danach ist die Anlage von Geldern mit einer Verzinsung für einen Dritten ausgeschlossen (Ingenstau/Korbion/Joussen, aaO § 17 Nr. 6 VOB/B Rdn. 32). Dieser Bindung unterliegt eine juristische Person des Privatrechts auch dann nicht, wenn sämtliche ihrer Geschäftsanteile der öffentlichen Hand gehören. Sie ist ohne weiteres in der Lage, den Sicherheitsbetrag zugunsten des Auftragnehmers verzinslich anzulegen.

dd) Auch der von § 98 GWB abweichende Regelungszweck des § 17 Nr. 6 VOB/B rechtfertigt ein unterschiedliches Verständnis des "öffentlichen Auftraggebers". § 98 GWB soll gewährleisten, dass sich die klassischen öffentlichen Auftraggeber den vergaberechtlichen Bestimmungen nicht dadurch entziehen können, dass sie einzelne öffentliche Aufgaben in privatrechtlicher Form erfüllen (vgl. Dreher in Immenga/Mestmäcker, aaO § 98 GWB Rdn. 4). Die in § 17 Nr. 6 VOB/B vorgesehene Einzahlung des Sicherheitseinbehalts auf ein Sperrkonto soll verhindern, dass der Auftragnehmer mit dem Risiko belastet wird, dass sich sein Auszahlungsanspruch am Ende der Gewährleistungszeit wegen zwischenzeitlich eingetretener Insolvenz des Auftraggebers nicht realisieren lässt. Die Privilegierung des öffentlichen Auftraggebers in § 17 Nr. 6 Abs. 4 VOB/B ist dementsprechend darauf zurückzuführen, dass das Insolvenzrisiko des dort genannten öffentlichen Auftraggebers ausgeschlossen ist oder als vernachlässigbar gering angesehen wird.

Gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 1 InsO sind der Bund und die Länder nicht insolvenzfähig. Gleiches gilt gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 2 InsO für sonstige juristische Personen des öffentlichen Rechts, wenn sie der Aufsicht eines Landes unterstehen und das Landesrecht die Insolvenzfähigkeit ausgeschlossen hat. In den übrigen Fällen ist eine Insolvenz juristischer Personen des öffentlichen Rechts zwar nicht ausgeschlossen, aber faktisch nur in wenigen Fällen im Hinblick auf die von ihnen zur erfüllenden öffentlichen Aufgaben zu erwarten.

Eine juristische Person des Privatrechts ist dagegen stets insolvenzfähig und damit grundsätzlich das Risiko für den Auftragnehmer gegeben, mit seiner Forderung auf Auszahlung des Sicherheitseinbehalts auszufallen. Etwas anderes kann im Einzelfall gelten, wenn sie im Allgemeininteresse liegende öffentliche Aufgaben wahrnimmt und deshalb bei Zahlungsschwierigkeiten eine Bezuschussung durch die öffentliche Hand zu erwarten ist, die die Insolvenzgefahr als faktisch nicht gegeben oder nur geringfügig erscheinen lässt. Auch in einem solchen Fall kommt eine Privilegierung der juristischen Person des Privatrechts nicht in Betracht. Es ist kein Grund ersichtlich, der ein Absehen von der Verpflichtung zur Verzinsung des Sicherheitseinbehalts rechtfertigen könnte. Ebenso besteht keine Veranlassung, der sich in privater Rechtsform organisierenden öffentlichen Hand gegenüber sonstigen privaten Auftraggebern Sonderrechte einzuräumen.

Ende der Entscheidung

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