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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 28.05.1998
Aktenzeichen: VII ZR 160/97
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 528 Abs. 1 |
a) Angriffs- und Verteidigungsmittel i.S.v. § 528 Abs. 1 ZPO sind neu, wenn sie erstmals im Berufungsverfahren vorgebracht werden. Dazu zählt auch das Vorbringen, das die Partei im ersten Rechtszug vorgetragen, später jedoch wieder fallengelassen hat.
b) Eine Partei kann ihren Vortrag konkludent fallenlassen; die Annahme, sie wolle in dieser Weise erhebliches Vorbringen nicht mehr aufrechthalten, setzt eindeutige Anhaltspunkte voraus.
BGH, Urteil vom 28. Mai 1998 - VII ZR 160/97 - OLG Köln LG Köln
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Verkündet am: 28. Mai 1998
Seelinger-Schardt Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 28. Mai 1998 durch die Richter Prof. Dr. Thode, Prof. Quack, Hausmann, Dr. Kuffer und Dr. Klein
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 11. April 1997 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin macht Kosten für die Beseitigung von Baumängeln an einer Eigentumswohnanlage geltend, die durch Um- und Erweiterungsbauten aus einem alten Gebäudekomplex entstanden ist und aus der die Beklagte mehrere Wohnungen an durch die Klägerin vertretene Eigentümer veräußert hat.
Nach Durchführung eines Beweissicherungsverfahrens hat die Klägerin wegen der Mängel an den Terrassen und Flachdächern zunächst 64.290,70 DM gefordert. Das Landgericht hat über die Höhe der gesamten Sanierungskosten ein Gutachten des Sachverständigen E. eingeholt, dem die Beklagte mit substantiierten Einwendungen zu den angenommenen Massen und zur Notwendigkeit der Maßnahmen entgegengetreten ist. Hierzu hat der Sachverständige E. ergänzend schriftlich Stellung genommen.
Das Landgericht hat der Klage wegen der Mängel an den Terrassen durch Teilurteil stattgegeben; die Berufung der Beklagten ist überwiegend erfolglos geblieben. Nach Rückkehr der Akten hat der Kammervorsitzende den Parteien Gelegenheit zur abschließenden Stellungnahme gegeben und hierzu Frist gesetzt. Die Beklagte hat um Fristverlängerung mit der Begründung nachgesucht, sie wolle die umfassenden Feststellungen der Sachverständigen in den vorliegenden Gutachten überprüfen lassen. Diesem Antrag hat der Vorsitzende entsprochen. Den weiteren Antrag auf erneute Fristverlängerung hat er mit der Begründung zurückgewiesen, die Frist sei schon bei Eingang dieses Antrages abgelaufen gewesen; zudem hat er u.a. auf die Verspätungsvorschriften hingewiesen.
Das Landgericht hat der Klägerin durch Schlußurteil die Kosten für die Dachsanierung zugesprochen; das Bestreiten der Beklagten zu den Massen sei treuwidrig, zumal der Sachverständige E. eine eigene Berechnung vorgenommen habe. Die Berufung der Beklagten, mit der sie ihr Klageabweisungsbegehren eingeschränkt hat, ist überwiegend ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer Revision verfolgt sie ihr Klageabweisungsbegehren weiter, soweit zu ihrem Nachteil entschieden worden ist (60.563,39 DM und Zinsen).
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht läßt die Einwendungen der Beklagten zur Höhe der Kosten der Dachsanierung, die sie im ersten Rechtszug zunächst geltend gemacht habe und die sie mit der Berufung erneut vortrage, als verspätet nicht zu (§ 528 Abs. 1 ZPO). Ihr prozessuales Verhalten sei dahin zu verstehen, daß sie ihre Einwendungen zu den Feststellungen des Sachverständigen E. zuletzt fallengelassen habe; sie habe zumindest konkludent zum Ausdruck gebracht, das Gutachten hinnehmen zu wollen. Die Zulassung des mithin neuen Vortrags im Berufungsverfahren würde die Erledigung des Rechtsstreits verzögern, weil bei seiner Berücksichtigung ein Sachverständigengutachten einzuholen sei. Gründe, die die Verspätung entschuldigten, seien nicht vorgebracht worden.
II.
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat die Einwendungen der Beklagten zu Unrecht nicht zugelassen.
1. Angriffs- und Verteidigungsmittel im Sinne von § 528 Abs. 1 ZPO sind neu, wenn sie erstmals im Berufungsverfahren vorgebracht werden. Dazu zählt auch das Vorbringen, das die Partei im ersten Rechtszug zunächst vorgetragen, später jedoch wieder fallengelassen hat (KG NJW 1974, 2011; OLG München NJW 1972, 2074 f; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., § 528 Rdn. 2). Eine Partei kann ihren Vortrag auch konkludent fallenlassen; die Annahme, sie wolle in dieser Weise erhebliches Vorbringen nicht mehr aufrechthalten, setzt eindeutige Anhaltspunkte voraus. Im Zweifelsfall obliegt es dem Gericht zu klären, ob eine Partei Sachvortrag nicht aufrechthalten will.
2. Das Berufungsgericht hat das erstinstanzliche Prozeßverhalten der Beklagten rechtsfehlerhaft gewürdigt. Das Schweigen der Beklagten zu den ergänzenden gutachterlichen Feststellungen des Sachverständigen E. gibt keinen hinreichenden Anlaß für die Annahme, die Beklagte habe ihre Einwendungen fallenlassen wollen. Der Sachverständige E. hat lediglich erklärt, er habe die Massen, die er den von der Klägerin vorgelegten Angeboten entnommen habe, anhand der Bauzeichnungen, verglichen mit der Örtlichkeit, stichpunktmäßig überprüft; er habe keinen Grund gesehen, neue Massen zu ermitteln; dies hätte auch den Rahmen seines Gutachtenauftrags gesprengt. Wenn die Klägerin mit diesen ergänzenden Feststellungen den Beweis ihrer Behauptungen nunmehr als geführt ansah, so war die Beklagte entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht gehalten, hierzu Stellung zu nehmen.
Die Beklagte hat mit ihrer späteren Ankündigung, die umfassenden Feststellungen der Sachverständigen in den vorliegenden Gutachten überprüfen lassen zu wollen, nicht erklärt, ihre bisherigen Einwendungen seien gegenstandslos, sofern sie sich nicht nochmals äußere. Zu ergänzenden Äußerungen bestand für sie um so weniger Anlaß, als der Vorsitzende der Kammer ihren zweiten Antrag auf Fristverlängerung abgelehnt hatte.
Das Berufungsgericht hätte des weiteren berücksichtigen müssen, daß das Landgericht in den Entscheidungsgründen seines Schlußurteils die einzelnen Massen nicht als unstreitig, sondern das Bestreiten der Beklagten hierzu als treuwidrig gewürdigt hat. Damit hat es ausgeführt, daß die Beklagte ihre Einwendungen bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung aufrechtgehalten hatte.
III.
Nach alledem kann das Berufungsurteil im Umfang der Anfechtung nicht bestehenbleiben; es ist aufzuheben. Da weitere Feststellungen zu treffen sind, ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Ende der Entscheidung
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