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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 20.03.2000
Aktenzeichen: VII ZR 167/99
Rechtsgebiete: HTürGG, BGB, AGBG


Vorschriften:

HTürGG § 1 Abs. 1 Nr. 1
BGB § 649 Satz 2
AGBG § 9 Bf Abs. 1
HTürGG § 1 Abs. 1 Nr. 1

Der Kunde ist nicht zur Abgabe einer Willenserklärung durch mündliche Verhandlungen im Bereich einer Privatwohnung im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 HTürGG bestimmt, wenn er die Privatwohnung des Vertragspartners zu Vertragsverhandlungen aufsucht und dort der Vertrag geschlossen wird.

BGB § 649 Satz 2; AGBG § 9 Bf Abs. 1

Die Klausel eines Vertreibers von Fertighäusern

"Die vom Auftraggeber nach einer Kündigung zu entrichtende Vergütung nach § 649 BGB beträgt, sofern er oder der Auftragnehmer nicht im Einzelfall andere Nachweise erbringen, bis zur Übergabe der Pläne für den Bauantrag 7,5 % des vereinbarten Gesamtpreises ..."

ist dahin auszulegen, daß der Auftragnehmer nur in einem durch die Besonderheiten der Vertragsgestaltung oder Vertragsdurchführung bedingten Ausnahmefall eine über die Pauschale hinausgehende Vergütung beanspruchen kann und er den entsprechenden Nachweis zu erbringen hat.

BGH, Urteil vom 30. März 2000 - VII ZR 167/99 - OLG Brandenburg LG Potsdam


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

VII ZR 167/99

Verkündet am: 30. März 2000

Seelinger-Schardt, Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 30. März 2000 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ullmann und die Richter Prof. Dr. Thode, Dr. Kuffer, Dr. Kniffka und Wendt

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 1. April 1999 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger, der Fertighäuser vertreibt, schloß mit dem beklagten Ehepaar am 27. Februar 1994 in seiner Wohnung einen Vertrag über die Errichtung eines Fertighauses. Die Beklagten haben den Vertrag am 17. Mai 1995 gekündigt und ihre Vertragserklärungen am 4. Oktober 1995 unter Hinweis auf das Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften (HWiG, Juris: HTürGG) widerrufen. Die Parteien streiten darüber, ob der Widerruf wirksam ist. Der Kläger verlangt den vereinbarten Werklohn abzüglich ersparter Aufwendungen. Das Landgericht hat die Beklagten lediglich zur Zahlung der in den Besonderen Vertragsbedingungen des Klägers pauschalierten Vergütung von 7,5 % der Vertragssumme, das sind 16.987,50 DM, nebst Zinsen verurteilt. Gegen das Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision des Klägers, mit der er seinen Anspruch in Höhe von 90.356,52 DM nebst Zinsen weiter verfolgt.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Beklagten hätten ihre Vertragserklärungen wirksam widerrufen. Der Vertrag sei in der Privatwohnung des Klägers abgeschlossen worden. Es sei anerkannt, daß auch die Privatwohnung des Vertragspartners des Kunden in den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 Nr. 1 HWiG falle. Ihren Charakter als Privatwohnung hätten die Räumlichkeiten im Haus des Klägers auch dann nicht verloren, wenn in ihnen regelmäßig Geschäfte abgeschlossen würden. Ob etwas anderes gelte, wenn die Geschäfte in einem räumlich funktionell abgetrennten Bereich geschlossen würden, könne dahinstehen. Der Kläger habe eine derartige Aufteilung der Wohnung nicht dargelegt.

II.

Dagegen wendet sich die Revision mit Erfolg.

1. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 HWiG hat der Kunde ein Recht zum Widerruf einer auf den Abschluß eines Vertrags über eine entgeltliche Leistung gerichteten Willenserklärung, zu der er durch mündliche Verhandlung im Bereich einer Privatwohnung bestimmt worden ist. Es ist umstritten, ob zum Bereich der Privatwohnung im Sinne des Gesetzes auch die Privatwohnung des Vertragspartners des Kunden gehört. Während ein Teil der Literatur diese Frage grundsätzlich bejaht (Palandt/Putzo, BGB, 59. Aufl., § 1 HWiG Rdn. 9), wird sie von einem anderen Teil verneint (Loewe BB 1986, 812, 824; Goller GewA 1986, 75; Teske ZIP 1986, 624, 628). Es werden auch vermittelnde Auffassungen vertreten. So soll die Privatwohnung des Vertragspartners nur dann unter § 1 Abs. 1 HWiG fallen, wenn dort Verträge außerhalb der üblichen Geschäftszeiten geschlossen werden (Soergel/Wolf, HWiG § 1 Rdn. 17). Nach einer weiteren Meinung kommt es darauf an, ob die Wohnung ständig zu Geschäftsabschlüssen benutzt wird und aus diesem Grund als Geschäftsraum des Anbieters anzusehen sei. In diesem Fall soll das Widerrufsrecht nicht bestehen (Erman/Klingsporn, HWiG, § 1 Rdn. 12).

2. Nach Auffassung des Senats ist die Privatwohnung des Vertragspartners jedenfalls dann keine Privatwohnung im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 HWiG, wenn sie vom Kunden aufgesucht wird, um Vertragsverhandlungen zu führen (so auch: MünchKomm-Ulmer, HWiG § 1 Rdn. 20).

a) Der Gesetzgeber wollte mit dem Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften den Kunden vor übereilten Vertragsschlüssen unter typischen Bedingungen schützen, die die Gefahr in sich bergen, daß er in seiner rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit überfordert wird, weil er zuvor in der Regel weder andere Angebote prüfen noch sich den Vertragsabschluß hinreichend überlegen kann. Er hat bestimmte Tatbestände geschaffen, in denen die für Ladengeschäfte typische Umkehrmöglichkeit und Überlegungszeit fehlt. Diesen Tatbeständen ist gemein, daß der Kunde sich in einer Lage befindet, in der es ihm schwer fällt, die meist psychologisch geschulten Verhandlungspartner abzuweisen (BT-Drucksache 10/2876, S. 6 - abgedruckt in ZIP 1985, 376 ff; vgl. auch BGH, Urteil vom 19. November 1998 - VII ZR 424/97 = BauR 1999, 257 = NJW 1999, 575 = ZfBR 1999, 152; Urteil vom 1. März 1990 - VII ZR 159/89 = BGHZ 110, 308, 309).

Eine derartige Situation besteht nicht, wenn der Kunde den Vertragspartner zu Vertragsverhandlungen in dessen Privatwohnung aufsucht. Insoweit befindet er sich grundsätzlich in keiner anderen Situation als beim Besuch eines Geschäftslokals. Er hat die Möglichkeit, die Wohnung ohne weiteres zu verlassen und sich jederzeit aus freiem Entschluß der Einwirkung durch den Vertragspartner zu entziehen. Das gilt auch dann, wenn er die Wohnung außerhalb der üblichen Geschäftszeit aufgesucht hat. Das Gesetz schützt nicht generell vor übereilten Willenserklärungen, sondern knüpft die Möglichkeit des Widerrufs an Situationen, die im besonderen Maße die Gefahr der Überrumpelung bergen. Der Bundesrat hat in der Begründung zu seinem Entwurf des Gesetzes ausdrücklich klar gestellt, daß Verträge, zu deren Abschluß der Kunde seinen geschäftsmäßig handelnden Vertragspartner in dessen Privatwohnung aufsucht, nicht in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen: Benutze ein Gewerbetreibender seine Privatwohnung auch für Geschäftsabschlüsse, so handele es sich nicht um eine Privatwohnung im Sinne des Gesetzes. Die Lage des Kunden sei hier nicht anders, als wenn er seinen Vertragspartner in ausschließlich zu gewerblichen Zwecken genutzten Räumen aufgesucht hätte (Gesetzentwurf des Bundesrates BT-Drucksache 10/2876, S. 11 = ZIP 1985, 376, 380). Diesem Entwurf haben sich die Beschlußempfehlung und der Bericht des Rechtsausschusses angeschlossen (BT-Drucksache 10/4210, S. 9 = ZIP 1985, 1419). Er ist Gesetz geworden. Zurückgewiesen wurde damit nicht nur ein weitergehender Antrag (BR-Drucksache 10/584). Vielmehr wurden auch solche Vorschläge nicht mehr aufgegriffen, die eine Widerrufsmöglichkeit schon dann vorsahen, wenn die Willenserklärung des Kunden durch "außerhalb eines ständigen Geschäftsraums" der anderen Vertragspartei geführte mündliche Verhandlungen bestimmt worden ist (Gesetzentwurf des Bundesrates vom 24. Februar 1977, BR-Drucksache 8/130, S. 4; Gesetzesantrag der Freien Hansestadt Bremen vom 11. Juni 1975, BR-Drucksache 394/75, S. 5).

b) Unbeschadet des Umstandes, daß sie auf Bauverträge nicht anwendbar ist, Art. 3 Abs. 2 a, führt die Richtlinie des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (85/577/EWG, ABl. EG Nr. L 372 vom 31. Dezember 1985 S. 31) nicht zu einem anderen Verständnis. Die Richtlinie gilt insoweit nur für Verträge anläßlich eines Besuchs des Gewerbetreibenden in der Wohnung des Verbrauchers oder in der Wohnung eines anderen Verbrauchers.

4. Das Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften ist gemäß § 5 Abs. 1 HWiG auch anwendbar, wenn seine Vorschriften durch anderweitige Gestaltungen umgangen werden (vgl. auch Art. 1 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie). Dazu ist nichts festgestellt. Allein der Umstand, daß die Parteien den Vertrag in der Privatwohnung des Klägers abgeschlossen haben, ist keine Umgehung des Gesetzes.

5. Da die Beklagten den Kläger unstreitig aufgesucht haben, um Vertragsverhandlungen mit ihm zu führen, können sie ihre Vertragserklärung nicht widerrufen.

III.

Da weitere Feststellungen fehlen, ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Für den Fall, daß das Berufungsgericht einen Anspruch aus § 649 Satz 2 BGB bejaht, weist der Senat auf folgendes hin:

Der Kläger hat den Vergütungsanspruch in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen wie folgt geregelt:

"§ 9 Kündigung durch den Bauherrn

1. Der Bauherr kann bis zur Fertigstellung des Hauses den Vertrag kündigen. Die Kündigung bedarf der Schriftform und ist per Einschreiben an W. (i.e. der Kläger) zu richten.

2. Macht der Bauherr von diesem Recht Gebrauch, so beträgt die von ihm zu entrichtende Vergütung i.S. von § 649 BGB, sofern er oder W. nicht im Einzelfall andere Nachweise erbringen,

- bei einer Kündigung bis zur Übergabe der Pläne an den Bauherren für den Bauantrag: 7,5 % des vereinbarten Gesamtpreises ...".

Diese Klausel beschränkt den Anspruch aus § 649 Satz 2 BGB grundsätzlich auf die Pauschale von 7,5 %. Nur im Einzelfall eröffnet sie für den Kläger die Möglichkeit, den Nachweis zu erbringen, daß die Vergütung höher ist. Ein solcher Einzelfall liegt nicht allein deshalb vor, weil die nach § 649 Satz 2 BGB konkret berechnete Vergütung von der Pauschale abweicht. Er ist nur dann gegeben, wenn diese Abweichung sich aus den Besonderheiten der Vertragsgestaltung oder Vertragsdurchführung ergibt.

Durch die Formulierung der Klausel erweckt der Kläger bei seinen Vertragspartnern den Eindruck, er habe die nach einer Kündigung vor Übergabe der Pläne nach § 649 Satz 2 BGB typischerweise zu erwartende Vergütung verbindlich festgelegt. Die dadurch erzeugte Erwartung des Kunden, er könne gegen Zahlung einer, gemessen an der gesamten vertraglichen Vergütung, relativ geringfügigen Pauschale vom Vertrag Abstand nehmen, dürfte in vielen Fällen ein wesentliches Kriterium bei seiner Entscheidung sein, den Vertrag abzuschließen. Das gilt insbesondere in den in der Praxis nicht seltenen Fällen, in denen der Vertrag vor dem Erwerb eines Grundstücks zustande kommt (vgl. OLG Koblenz, BauR 2000, 419, 420). Aufgrund der durch die Formulierung "im Einzelfall" zum Ausdruck gekommenen Einschränkung ist die Klausel so zu verstehen, daß der Kläger nur in einem durch die Besonderheiten der Vertragsgestaltung oder Vertragsdurchführung bedingten Ausnahmefall eine über die Pauschale hinausgehende Vergütung beanspruchen will und er darüber hinaus den entsprechenden Nachweis zu erbringen hat. Ein solcher Ausnahmefall kann z.B. vorliegen, wenn bei der Vertragsgestaltung als Sonderwunsch zum Ausdruck gekommene Änderungen der Kalkulationsgrundlagen erfolgen oder sich die Kalkulationsgrundlagen nachträglich unvorhersehbar ändern. Er liegt hingegen nicht vor, wenn die der Pauschalierung zugrunde liegende typische Kalkulation sich nicht verändert hat, sondern regelmäßig zu einer höheren Vergütung führt.

Mit dieser Auslegung hält die Klausel einer Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG stand. Dem Kläger kann es grundsätzlich nicht versagt werden, formularmäßig seinen gesetzlich begründeten Anspruch festzuschreiben (vgl. BGH, Urteil vom 16. Juni 1982 - VIII ZR 89/81 = NJW 1982, 2316, 2317). Die Klausel verdeutlicht dem Vertragspartner in ausreichendem Maße, daß in begründeten Ausnahmefällen ein über die Pauschale hinausgehender Anspruch bestehen kann.

Ende der Entscheidung

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