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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 27.05.1999
Aktenzeichen: VII ZR 24/98
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 690 Abs. 1
ZPO § 693 Abs. 2
ZPO § 538 Abs. 1 Nr. 2
ZPO § 690 Abs. 1, § 693 Abs. 2

Ist ein Antrag auf Erlaß eines Mahnbescheids, der am letzten Tag des Ablaufs der Verjährungsfrist bei Gericht eingeht, unvollständig und wird er vom Antragsteller auf Zwischenverfügung des Rechtspflegers ergänzt, so ist die Zustellung des Mahnbescheids 14 Tage nach Zugang der Zwischenverfügung als "demnächst" i.S.v. § 693 Abs. 2 ZPO anzusehen.

ZPO § 538 Abs. 1 Nr. 2

Wenn das Gericht des ersten Rechtszugs die Klage wegen Verjährung abgewiesen hat, das Berufungsgericht dagegen den eingeklagten Anspruch für unverjährt hält, so darf es die Sache nicht wegen des Grundes des Anspruchs in den ersten Rechtszug zurückverweisen (Bestätigung der st.Rspr. des BGH, z.B. Urteil vom 21. März 1968 - VII ZR 84/67, BGHZ 50, 25).

BGH, Urteil vom 27. Mai 1999 - VII ZR 24/98 - OLG Schleswig


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

VII ZR 24/98

Verkündet am: 27. Mai 1999

Seelinger-Schardt, Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 27. Mai 1999 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ullmann und die Richter Dr. Haß, Hausmann, Dr. Wiebel und Dr. Kniffka

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 7. November 1997 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger fordert restlichen Werklohn für erbrachte und 1992 abgenommene Bauarbeiten.

Die Prozeßbevollmächtigten des Klägers haben am 30. Dezember 1994 den Erlaß eines Mahnbescheids über 76.738,49 DM zuzüglich 12 % Zinsen ab Einreichung des Antrags beim Amtsgericht S. beantragt. In dem Antrag sind u.a. der Name des Antragstellers mit "Firma Baugeschäft S., vertreten durch den Inhaber" und das Gericht, an das die Sache im Streitfall abgegeben werden soll, mit "24837 S. ..." angegeben. Die Rechtspflegerin hat die Prozeßbevollmächtigten des Klägers mit Verfügung vom 2. Januar 1995 u.a. darauf hingewiesen, daß der Inhaber oder der gesetzliche Vertreter des Baugeschäfts S. namentlich als Antragsteller zu benennen und das Streitgericht - zuständig sei das Landgericht F. - zu bezeichnen sei. Auf diesen, ihnen am 9. Januar 1995 zugegangenen Hinweis haben die Prozeßbevollmächtigten des Klägers einen neu ausgefüllten Mahnbescheidsantrag, in dem als Datum der 30. Dezember 1994 angegeben ist, bei dem Amtsgericht S. eingereicht, der dort am 17. Januar 1995 eingegangen ist. Entsprechend diesem Antrag ist der Mahnbescheid am 18. Januar 1995 erlassen und der Beklagten am 23. Januar 1995 zugestellt worden.

Das Landgericht hat die Klage als verjährt abgewiesen. Das Berufungsgericht hat eine Unterbrechung der Verjährung angenommen. Im übrigen hat es in der Sache nicht entschieden, sondern den Rechtsstreit entsprechend § 538 Abs. 1 Nr. 2 ZPO an das Landgericht zurückverwiesen. Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Beklagten hat Erfolg, soweit sie sich gegen die Zurückverweisung der Sache an das Landgericht wendet; sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht führt aus, der Kläger habe seinen Antrag vom 30. Dezember 1994 nicht zurückgenommen. Der am 17. Januar 1995 bei Gericht eingegangene Antrag sei als Vervollständigung des ersten Antrags zu werten. Er sei lediglich der Einfachheit halber neu gefaßt worden. Der ursprüngliche Antrag sei auch nicht unwirksam gewesen.

Gegen diese zutreffende Beurteilung wendet sich die Revision nicht.

II.

1. Das Berufungsgericht meint, die Zustellung des Mahnbescheids am 23. Januar 1995 sei demnächst i.S.v. § 693 Abs. 2 ZPO erfolgt, so daß die Verjährung des Werklohnanspruchs des Klägers unterbrochen worden sei. Zwar beruhe die Verzögerung auch darauf, daß die Prozeßbevollmächtigten des Klägers im Antrag vom 30. Dezember 1994 die Person des Antragstellers unzureichend und das für die streitige Entscheidung zuständige Gericht örtlich falsch und sachlich gar nicht bezeichnet hätten. Jedoch handele es sich bei dem Zeitraum von gut drei Wochen zwischen dem Ablauf der Verjährungsfrist und der Zustellung des Mahnbescheids um eine Zeitspanne, in der im normalen Betrieb eines Amtsgerichts ohnehin noch mit einer Zustellung zu rechnen sei. Ferner sei das Verschulden der Prozeßbevollmächtigten des Klägers nur gering. Die Rechtspflegerin hätte die Frage des zuständigen Gerichts im Falle eines Widerspruchs telefonisch klären können.

2. Das hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.

Die Verjährung ist durch die Zustellung des Mahnbescheids am 23. Januar 1995 unterbrochen worden (§ 196 Abs. 1 Nr. 1, §§ 201, 209 Abs. 2 Nr. 1 BGB); diese Zustellung ist demnächst i.S.v. § 693 Abs. 2 ZPO erfolgt.

Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt Sinn und Zweck der in § 693 Abs. 2 ZPO angeordneten Rückbeziehung der Zustellungswirkung auf den Zeitpunkt der Einreichung des Antrages darin, die Partei bei der Zustellung von Amts wegen vor Nachteilen durch Zustellungsverzögerungen innerhalb des gerichtlichen Geschäftsbereichs zu bewahren. § 693 Abs. 2 ZPO ist, ebenso wie § 270 Abs. 3, § 696 Abs. 3 ZPO, nicht rein zeitlich zu verstehen. Eine Zustellung "demnächst" nach Einreichung des Antrages bedeutet daher eine Zustellung innerhalb einer nach den Umständen angemessenen, selbst längeren Frist, sofern die Partei alles ihr Zumutbare für eine alsbaldige Zustellung getan hat und schutzwürdige Belange der Gegenpartei nicht entgegenstehen. Demgegenüber sind der Partei Verzögerungen zuzurechnen, die sie bei gewissenhafter Prozeßführung hätte vermeiden können (Senatsurteil vom 18. Mai 1995 - VII ZR 191/94, NJW 1995, 2230 m.w.N.). Dabei sind von der Partei zu vertretende geringfügige Verzögerungen bis zu 14 Tagen regelmäßig unschädlich; eine Zeitspanne von 18 oder 19 Tagen wird dagegen nicht mehr als geringfügig und damit als schädlich angesehen (BGH, Urteil vom 12. Januar 1996 - V ZR 246/94, NJW 1996, 1060, 1061). Bei der Berechnung der Zeitdauer der Verzögerung, die auf vorwerfbarer Nachlässigkeit des Antragstellers beruht, stellt die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf die Zeitspanne ab, um die sich die ohnehin erforderliche Zustellung des Mahnbescheids als Folge der Nachlässigkeit des Antragstellers verzögert (Urteile vom 8. Juni 1988 - IVb ZR 92/87, FamRZ 1988, 1154, 1156 und vom 25. Februar 1971 - VII ZR 181/69, NJW 1971, 891).

Nach diesen Grundsätzen ist die vom Kläger zu vertretende Verzögerung als geringfügig anzusehen. Die Zeitspanne, um die sich die Zustellung als Folge seiner Nachlässigkeit verzögert hat, beträgt 14 Tage. Der Senat braucht daher nicht zu entscheiden, ob aufgrund des mit Wirkung vom 1. Januar 1992 neu gefaßten § 691 Abs. 2 ZPO grundsätzlich eine großzügigere Beurteilung der Frage geboten ist, welcher Zeitraum einer von einer Partei zu vertretenen Verzögerung als geringfügig anzusehen ist.

a) Der Antrag des Klägers vom 30. Dezember 1994 entsprach nicht den Anforderungen des § 690 Abs. 1 Nr. 1 und 5 ZPO. Seine Ergänzung von Amts wegen war schon wegen der unvollständigen Bezeichnung des Antragstellers nicht möglich. Die Rechtspflegerin handelte angesichts des Massengeschäftes bei der Bearbeitung von Mahnanträgen, die kurz vor Jahresende bei Gericht eingehen, auch nicht ermessensfehlerhaft, als sie sich zur Vervollständigung des nachlässig ausgefüllten Antrages für eine schriftliche Zwischenverfügung und nicht für eine telefonische Nachfrage entschied.

b) Der Kläger muß sich die Zeitspanne als von ihm verschuldet zurechnen lassen, um die sich die Zustellung als Folge seiner Nachlässigkeit verzögert hat. Wäre der Antrag auf Erlaß des Mahnbescheids bereits bei Eingang am Freitag, den 30. Dezember 1994 vollständig ausgefüllt gewesen, so hätte der Mahnbescheid am Montag, den 2. Januar 1995 erlassen und entsprechend dem vom Berufungsgericht festgestellten Datum des Zugangs der Zwischenverfügung, am 9. Januar 1995 zugestellt werden können. Statt dessen ist der Mahnbescheid nach seiner Vervollständigung am 23. Januar 1995 und mithin 14 Tage später zugestellt worden. Diese dem Kläger zuzurechnende Verzögerung ist noch als geringfügig anzusehen, so daß der Mahnbescheid "demnächst" zugestellt worden ist.

III.

1. Das Berufungsgericht hält eine Zurückverweisung der Sache wegen der vom Landgericht zu Unrecht bejahten Verjährung des Anspruchs entsprechend § 538 Abs. 1 Nr. 2 ZPO für zulässig und geboten. Das Landgericht habe die Klage zwar nicht als unzulässig, sondern als unbegründet abgewiesen. Gleichwohl habe eine eigentliche Sachprüfung nicht stattgefunden. Auch wenn der Gesetzgeber die Verjährung dem materiellen Recht zugeordnet habe, sei nicht zu verkennen, daß sich die Verjährungsvorschriften vom übrigen materiellen Recht durch ihre formale Struktur unterschieden, die darin bestehe, daß Ansprüche durch reinen Zeitablauf undurchsetzbar würden.

2. Dagegen wendet sich die Revision zu Recht.

Der Bundesgerichtshof hat eine entsprechende Anwendung des § 538 Abs. 1 Nr. 2 ZPO in Fällen vom Landgericht bejahter, vom Berufungsgericht verneinter Verjährung des eingeklagten Anspruches abgelehnt; eine Zurückverweisung nach § 538 ZPO ist nur möglich, wenn das Berufungsgericht ein Grundurteil erläßt (Urteile vom 21. März 1968 - VII ZR 84/67, BGHZ 50, 25; vom 19. April 1978 - VIII ZR 39/77, BGHZ 71, 226, 231; vom 19. Juni 1985 - IVa ZR 114/83, NJW 1985, 2945, 2946 und vom 8. März 1989 - IV a ZR 221/87, NJW 1989, 3149).

An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Das Berufungsgericht zeigt keine neuen Argumente auf, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigen. Allein der Hinweis, der Gesetzgeber hätte die Möglichkeit gehabt, die Verjährung dem Prozeßrecht anzuordnen, ändert daran nichts. Der Gesetzgeber hat die Verjährung materiell-rechtlich geregelt und sie als Leistungsverweigerungsrecht ausgestaltet. Folglich erwächst ein Urteil, das die Klage aufgrund der Einrede der Verjährung abweist, in der Sache in materielle Rechtskraft und beschränkt sich nicht auf eine verfahrensrechtliche Aussage.

IV.

Nach alledem kann das angefochtene Urteil nicht bestehenbleiben; es ist aufzuheben. Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es die erforderlichen Feststellungen zum Werklohnanspruch des Klägers treffen kann.

Ende der Entscheidung

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