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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 04.09.2002
Aktenzeichen: VIII ZB 23/02
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 522 Abs. 1 Satz 4
ZPO § 574 Abs. 2 Nr. 2 n.F.
a) Die Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluß ist auch dann zulässig, wenn die Wertgrenze des § 26 Nr. 8 EGZPO nicht erreicht ist.

b) Weicht das Beschwerdegericht objektiv von der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ab und besteht die Gefahr einer Wiederholung, ist der Zulassungsgrund "Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung" gegeben.


BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

VIII ZB 23/02

vom

4. September 2002

in dem Rechtsstreit

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. September 2002 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Deppert und die Richter Dr. Hübsch, Dr. Leimert, Wiechers und Dr. Wolst

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluß der 13. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg vom 1. Februar 2002 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens: 4.011,43 €.

Gründe:

I.

Die Kläger nehmen die Beklagte als Erbin ihres verstorbenen Vaters G. M. , der durch Mietvertrag vom 20. März 1984 eine Wohnung im Hause der Kläger gemietet hatte, auf Zahlung restlicher Miete, Nebenkosten und Schadensersatz in Anspruch. Durch Urteil vom 28. September 2001 hat das Amtsgericht der Klage in Höhe von 7.845,67 DM nebst Zinsen stattgegeben. Gegen dieses Urteil haben die zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Beklagten rechtzeitig Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 5. Januar 2002 mit Schriftsatz vom 28. Dezember 2001, bei Gericht eingegangen am 2. Januar 2002, begründet. In der Berufungsbegründung, die keine Berufungsanträge enthält, ist ausgeführt, weshalb die Beklagte das Urteil des Amtsgerichts für unrichtig hält.

Nach richterlichem Hinweis, daß die Berufung wegen fehlender Antragstellung unzulässig sein dürfte, haben die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und hierzu eine eidesstattliche Versicherung des erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Beklagten vorgelegt. Durch Beschluß vom 1. Februar 2002 hat das Landgericht die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen und den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, gemäß § 519 Abs. 3 Nr. 1 ZPO a.F. hätte die Berufungsbegründung eine Erklärung enthalten müssen, inwieweit das Urteil angefochten werde und welche Abänderungen des Urteils beantragt würden; eine solche Erklärung finde sich weder in dem Berufungsschriftsatz vom 2. November 2001 noch in der Berufungsbegründung vom 28. Dezember 2001. Der Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht begründet.

Gegen diesen, den Beklagtenvertretern am 14. Februar 2002 zugestellten Beschluß hat die Beklagte durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt am 13. März 2002 Rechtsbeschwerde eingelegt und diese nach Fristverlängerung begründet.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft.

a) Gemäß §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO n.F., die auf das vorliegende Verfahren anzuwenden sind (§ 26 Nr. 10 EGZPO), findet gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluß eines Land- oder Oberlandesgerichts die Rechtsbeschwerde statt.

Zwar ist nach der bis zum 31. Dezember 2006 geltenden Vorschrift des § 26 Nr. 8 EGZPO im Falle einer Verwerfung der Berufung durch Urteil die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde nur zulässig, wenn der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 Euro übersteigt, während für die Rechtsbeschwerde eine Wertgrenze nicht bestimmt ist (Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 522 Rdn. 18). Damit wird allerdings der vom Gesetzgeber beabsichtigte "weitgehende Gleichlauf" beider Rechtsmittel (BT-Drs. 14/4722 S. 96) nicht erreicht, vielmehr bleibt der Rechtsschutz gegen eine Verwerfung der Berufung durch Urteil hinter dem Rechtsschutz gegen eine Beschlußverwerfung deutlich zurück (Meyer-Seitz in Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002 mit Zustellungsreformgesetz, § 522 Rdnr. 15), ohne daß hierfür sachliche Gründe erkennbar sind. Darüber hinaus ist ohne Bestehen einer Wertgrenze für eine Rechtsbeschwerde gegen die Beschlußverwerfung gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO n.F. der Bundesgerichtshof vor einer möglichen Überlastung nicht geschützt, der gerade durch die Vorschrift des § 26 Nr. 8 EGZPO vorgebeugt werden sollte (BT-Drs. 14/4722 S. 126).

b) Es kann offenbleiben, ob die Ungleichbehandlung beider Rechtsmittelmöglichkeiten dadurch vermieden werden kann, daß die Vorschrift des § 26 Nr. 8 EGZPO auf Nichtzulassungsbeschwerden, die sich gegen ein die Berufung als unzulässig verwerfendes Urteil richten, nicht anzuwenden ist (so Gehrlein, Zivilprozeßrecht nach der ZPO-Reform 2002, § 14 Nr. 41; Meyer/Seitz aaO, § 522 Rdnr. 16). Nach Auffassung des Senats kann jedenfalls zur Herbeiführung des beabsichtigten Gleichlaufs beider Rechtsmittel die Rechtsbeschwerde, die gegen einen die Berufung verwerfenden Beschluß gerichtet ist, nicht in entsprechender Anwendung des § 26 Nr. 8 EGZPO vom Überschreiten der Wertgrenze von 20.000 € abhängig gemacht werden (in diesem Sinne aber Zöller/Gummer, ZPO, 23. Aufl., § 522 Rdnr. 13). Bei einer solchen erweiterten Auslegung des § 26 Nr. 8 EGZPO würde der gesetzlich eingeräumte Rechtsschutz und damit auch das Recht auf Zugang zum Gericht eingeschränkt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf aber der Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden; die Gesetze über die Einlegung und Begründung von Rechtsmitteln müssen sich vielmehr durch ein besonderes Maß an Gleichheit, Klarheit und innere Logik auszeichnen (vgl. BVerfGE 69, 381, 385; 74, 228, 234; 88, 118, 123 ff.). Gegen diese Grundsätze würde verstoßen, wenn entgegen der gesetzlichen Regelung des § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO n.F. die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde der temporären Zugangsbeschränkung des § 26 Nr. 8 EGZPO unterstellt würde.

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO). Die Beklagte rügt die Verwerfung ihrer Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 28. September 2001 wegen fehlender Berufungsanträge (§ 519 Abs. 3 Nr. 1 ZPO a.F.) durch das Landgericht als rechtsfehlerhaft. Damit beruft die Beklagte sich auf eine Divergenz in der zu entscheidenden Rechtsfrage (vgl. BGH, Beschluß vom 29. Mai 2002 - V ZB 11/02, NJW 2002, 2473 unter II 2 c aa) zu der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach es eines förmlichen Antrags nicht bedarf, es vielmehr ausreicht, wenn die innerhalb der Berufungsbegründungsfrist eingegangenen Schriftsätze des Berufungsklägers ihrem gesamten Inhalt nach eindeutig ergeben, in welchem Umfang und mit welchem Ziel das Urteil angefochten werden soll (vgl. BGH, Beschluß vom 13. November 1991 - VIII ZB 33/91, NJW 1992, 698 f.; BGH, Beschluß vom 13. Mai 1998 - VIII ZB 9/98, NJW-RR 1999, 211 unter II 1 b; BGH, Beschluß vom 15. Juli 1998 - XII ZB 39/97, FamRZ 1998, 1576 unter II; s.a. Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl., § 519 Rdnr. 25 m.w.Nachw.). Diese objektive Abweichung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung unterfällt, wenn - wie hier - die Gefahr einer Wiederholung besteht, nach dem Willen des Gesetzgebers dem Zulassungsgrund der "Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung" (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO n.F.; vgl. BT-Drs. 14/4722, S. 104).

Mit der Geltendmachung der Abweichung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung im angefochtenen Beschluß hat die Beklagte zugleich entsprechend § 575 Abs. 3 Nr. 2 ZPO n.F. die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO n.F. dargelegt (Hannich in Hannich/Meyer-Seitz aaO § 544 Rdnr. 16).

3. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Entgegen der Ansicht des Landgerichts entspricht die Berufungsbegründungsschrift den gesetzlichen Erfordernissen, so daß es auf den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten nicht ankommt. Den Ausführungen der Beklagten in der Berufungsbegründung ist zu entnehmen, daß sie das Urteil des Amtsgerichts insgesamt zur Überprüfung durch das Berufungsgericht stellen wollte. Inwieweit der Berufungsbegründungsschriftsatz vom 28. Dezember 2001 zu den einzelnen Punkten den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Berufungsbegründung (§ 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO a.F.) genügt, wird das Landgericht zu überprüfen haben.

Ende der Entscheidung

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