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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 15.07.2003
Aktenzeichen: VIII ZB 30/03
Rechtsgebiete: GVG


Vorschriften:

GVG § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b
§ 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG findet auch auf Mietstreitigkeiten Anwendung.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

VIII ZB 30/03

vom 15. Juli 2003

in dem Rechtsstreit

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. Juli 2003 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Deppert und die Richter Dr. Hübsch, Wiechers, Dr. Wolst und Dr. Frellesen

beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluß der Zivilkammer 61 des Landgerichts Berlin vom 10. Februar 2003 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen. Beschwerdewert: 2.755,50 €

Gründe:

I.

Der Kläger hat den Beklagten zu 1 und die frühere Beklagte zu 2 nach Beendigung des mit ihnen geschlossenen Wohnungsmietvertrages auf Zahlung rückständiger Miete in Höhe von 3.790,49 € nebst Zinsen sowie weiterer 46,44 € in Anspruch genommen. Die Klage ist der früheren Beklagten zu 2 an ihrem Wohnsitz in L. , Großbritannien, zugestellt worden. Das Amtsgericht hat die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 1.057,77 € nebst Zinsen sowie weiterer 23,66 € verurteilt. Wegen der Abweisung der Klage im übrigen hat der Kläger gegen das amtsgerichtliche Urteil Berufung zum Landgericht eingelegt. Nach dessen Hinweis auf § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG hat er die Berufung hinsichtlich der Beklagten zu 2 nach Ablauf der Berufungsfrist zurückgenommen. Das Landgericht hat die Berufung durch Beschluß als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist auch nach § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung für die Klärung des Anwendungsbereichs des durch das ZPO-Reformgesetz vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1887) neu gefaßten § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG zulässig, weil sich die Frage stellt, ob Mietstreitigkeiten von dieser Vorschrift erfaßt werden. Die Rechtsbeschwerde ist im übrigen gemäß § 575 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Auf die Wertgrenze des § 26 Nr. 8 EGZPO kommt es nicht an (vgl. Senatsbeschluß vom 4. September 2002 - VIII ZB 23/02, WM 2003, 554 unter II 1 b).

2. Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet. Zu Recht hat das Berufungsgericht die Berufung des Klägers hinsichtlich des im Rechtsstreit verbliebenen Beklagten zu 1 gemäß § 522 Abs. 1 Satz 3 ZPO als unzulässig verworfen, weil für die Entscheidung über das Rechtsmittel nicht nach § 72 GVG das Landgericht, sondern gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG das Kammergericht zuständig ist. Nach dieser Bestimmung sind die Oberlandesgerichte zuständig für die Verhandlung und Entscheidung über die Rechtsmittel der Berufung und der Beschwerde gegen Entscheidungen der Amtsgerichte in Streitigkeiten über Ansprüche, die von einer oder gegen eine Person erhoben werden, die ihren allgemeinen Gerichtsstand im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit in erster Instanz außerhalb des Geltungsbereichs des Gerichtsverfassungsgesetzes hatte. Das ist hier der Fall.

a) Die Vorschrift des § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG findet nach der zutreffenden Ansicht des Berufungsgerichts auch auf Mietstreitigkeiten Anwendung. Ohne Erfolg verweist der Kläger darauf, daß für diese Streitigkeiten nicht der allgemeine Gerichtsstand des Wohnsitzes nach § 13 ZPO gilt, sondern nach § 29 a ZPO ausschließlich das Gericht zuständig ist, in dessen Bezirk sich die Räume befinden. Daraus läßt sich ein Ausschluß der Mietstreitigkeiten aus dem Anwendungsbereich des § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG nicht herleiten. § 29 a ZPO regelt nur die örtliche Zuständigkeit in der ersten Instanz, besagt dagegen nichts zu der in § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG geregelten funktionellen Zuständigkeit für das Berufungsverfahren. Soweit § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG auf den allgemeinen Gerichtsstand der Parteien verweist, soll damit nicht die Anwendbarkeit der Vorschrift auf die Fälle beschränkt werden, in denen in erster Instanz der allgemeine Gerichtsstand gilt. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs soll das Gerichtsstandskriterium vielmehr - im Rahmen des Gesetzeszwecks, in Fällen mit Auslandsberührung durch eine obergerichtliche Rechtsprechung Rechtssicherheit zu schaffen - "eine hinreichende Bestimmtheit und damit Rechtssicherheit für die Abgrenzung der Berufungszuständigkeit zwischen Landgericht und Oberlandesgericht" gewährleisten (BT-Drucks. 14/6036 S. 118 f.). § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG enthält demnach eine rein formale Anknüpfung (Zöller/Gummer, ZPO, 23. Aufl., § 119 Rdnr. 15). Ein Ausschluß der Mietstreitigkeiten aus dem Anwendungsbereich des § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG kommt somit nicht in Betracht. Er wäre aus dem Wortlaut der Vorschrift nicht ersichtlich und würde deswegen der verfassungsrechtlich gebotenen Klarheit der Rechtsmittelvorschriften (BVerfGE 74, 228, 234 m.w.Nachw.) widersprechen. Daher kann dahingestellt bleiben, ob die Annahme des Klägers zutrifft, daß sich im Mietrecht wegen einer regelmäßigen Anknüpfung an die Belegenheit der Mietsache nach Art. 28 Abs. 3 EGBGB kaum Probleme des Internationalen Privatrechts stellen. Aus dem genannten Grund hängt die Berufungszuständigkeit des Oberlandesgerichts nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG auch nicht davon ab, ob im Einzelfall internationales Recht Anwendung findet (BGH, Beschluß vom 19. Februar 2003 - IV ZB 31/02, zur Veröffentlichung bestimmt, unter II 3).

b) Die Voraussetzungen des § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG für die Berufungszuständigkeit des Oberlandesgerichts (Kammergerichts) sind hier erfüllt, weil die frühere Beklagte zu 2 zum Zeitpunkt der Zustellung der vor dem Amtsgericht erhobenen Klage ihren Wohnsitz und damit gemäß § 13 ZPO ihren allgemeinen Gerichtsstand im Ausland hatte. Entgegen der Auffassung des Klägers ist das Oberlandesgericht nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG auch dann einheitlich zuständig, wenn - wie hier - nur einer von mehreren Streitgenossen seinen allgemeinen Gerichtsstand im Ausland hat. Das gilt grundsätzlich unabhängig davon, ob es sich um eine einfache oder um eine notwendige Streitgenossenschaft handelt, so daß diese Frage hier keiner Vertiefung bedarf. Für diese Auslegung spricht sowohl die Vereinfachungstendenz des Gesetzes als auch sein Zweck, in Fällen mit Auslandsberührung die Rechtssicherheit durch eine obergerichtliche Rechtsprechung zu verstärken (BGH, Urteil vom 13. Mai 2003 - VI ZR 430/02, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt, unter II 1 m.w.Nachw.).

c) An der danach hier gegebenen Zuständigkeit des Kammergerichts hat sich nichts dadurch geändert, daß der Kläger seine Berufung hinsichtlich der früheren Beklagten zu 2 zurückgenommen hat. Dadurch ist zwar diejenige Partei aus dem Rechtsstreit ausgeschieden, deren allgemeiner Gerichtsstand im Ausland die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts (Kammergerichts) für das Berufungsverfahren begründet hat. Das hat aber jedenfalls dann keinen Einfluß auf diese Zuständigkeit, wenn die betreffende Partei - wie hier - erst nach Ablauf der Berufungsfrist aus dem Rechtsstreit ausscheidet (BGH aaO).

d) Zu Unrecht macht der Kläger schließlich geltend, das Landgericht wäre mangels Eindeutigkeit des § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG bei Streitgenossenschaft nach dem verfassungsrechtlichen Gebot der Klarheit des Zugangs zur Rechtsmittelinstanz (BVerfGE aaO) in entsprechender Anwendung des § 36 ZPO verpflichtet gewesen, eine gerichtliche Bestimmung der Zuständigkeit herbeizuführen. Sinn und Zweck des § 36 ZPO ist es, im Interesse der Parteien und der Rechtssicherheit den Streit darüber, welches Gericht für die Sachentscheidung zuständig ist, schnell zu beenden, damit sich das als zuständig bestimmte Gericht möglichst bald mit der Sache selbst befaßt (BGHZ 71, 15, 18; 71, 69, 74, jew. m.w.Nachw.). Danach kommt hier eine entsprechende Anwendung des § 36 ZPO nicht in Betracht. Hier geht es nicht um die schnelle Entscheidung eines Zuständigkeitsstreits, sondern darum, wie § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG auszulegen ist und ob der Kläger die Berufung danach bei dem zuständigen Gericht eingelegt hat. Der Klärung dieser Frage dient das Verfahren des § 36 ZPO nach dem oben genannten Sinn und Zweck nicht.



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