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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 19.12.2000
Aktenzeichen: VIII ZB 35/00
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 516
ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 234 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

VIII ZB 35/00

vom

19. Dezember 2000

in dem Rechtsstreit

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Dezember 2000 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Deppert und die Richter Dr. Hübsch, Dr. Beyer, Ball und Dr. Leimert

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluß des 5. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts vom 19. September 2000 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Beschwerdewert: 307.519,83 DM.

Gründe:

I. Das Landgericht Gera hat die Klage der Klägerin auf Zahlung von insgesamt 307.519,83 DM nebst Zinsen durch Urteil vom 25. Juli 2000 abgewiesen. Das Urteil ist dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 31. Juli 2000 zugestellt worden. Mit einem am 1. September 2000 beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz hat die Klägerin gegen das landgerichtliche Urteil Berufung eingelegt. Auf den gerichtlichen Hinweis vom 4. September 2000, daß die Frist zur Einlegung der Berufung am 31. August 2000 abgelaufen sei, hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 13. September, eingegangen am selben Tag, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist begehrt und erneut Berufung eingelegt. Zur Begründung hat die Klägerin vorgetragen, ihr zweitinstanzlicher Prozeßbevollmächtigter, Rechtsanwalt C. S. , sei von ihrem erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten am 31. August 2000 gegen 9.00 Uhr telefonisch mandatiert worden und habe darüber eine Telefonnotiz gefertigt mit den Vermerken "Fristen" und "Berufungseinlegung heute". Diese Notiz habe er der sorgfältigen und zuverlässigen Rechtsanwaltsfachgehilfin J. , die wie alle Büroangestellten angewiesen gewesen sei, Fristen auch dann sofort einzutragen, wenn noch keine Akte angelegt sei, mit der mündlichen Anweisung übergeben, die Frist zu notieren, nach Eingang der Unterlagen eine Akte anzulegen und den Berufungsschriftsatz vorzubereiten. Er habe die Gehilfin darauf hingewiesen, daß er um 10.30 Uhr einen Termin beim Amtsgericht Jena und danach einen auswärtigen Besprechungstermin habe, und deshalb, da nicht sicher gewesen sei, daß er zu üblichen Bürozeiten zurückkommen werde, die Gehilfin weiter angewiesen, den Berufungsschriftsatz einem anderen beim Thüringer Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsanwalt der Kanzlei zur Prüfung und Unterzeichnung vorzulegen und ihn dann beim Thüringer Oberlandesgericht einzureichen. Die Gehilfin habe aber die Frist nicht eingetragen, vielmehr nach Eingang des Berufungsschriftsatzes per Fax die Unterlagen der Auszubildenden Sch. mit der Telefonnotiz übergeben, mit dem Auftrag, eine Akte anzulegen und den Schriftsatz vorzubereiten. Die Auszubildende habe dies getan, ohne zu überprüfen, ob die Berufungsfrist bereits eingetragen sei. Den gefertigten Schriftsatz habe sie zusammen mit anderen nicht fristgebundenen Schreiben in den Unterschriftenkorb von Rechtsanwalt S. gelegt. Rechtsanwalt S. sei gegen 19.00 Uhr ins Büro zurückgekehrt und habe den Fristenkalender überprüft. Nachdem er keine offene Fristen habe feststellen können, habe er noch andere Dinge erledigt und dann das Büro verlassen.

Das Oberlandesgericht hat durch Beschluß vom 19. September 2000 den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin sei nicht ohne ihr Verschulden daran gehindert gewesen, die Notfrist des § 516 ZPO einzuhalten (§ 233 ZPO). Sie müsse sich das Verschulden ihres zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 85 Abs. 2 ZPO). Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hätte bei Rückkehr in sein Büro am Abend des 31. August 2000 die Fristeinhaltung in bezug auf die Berufungseinlegung selbst überprüfen können und müssen, weil ihm zu dieser Zeit der Berufungsschriftsatz in dem Unterschriftenkorb vorgelegt worden sei und er gewußt habe, daß die Berufung am letzten Tag der Frist hätte eingelegt werden müssen. Auch hätte dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 31. August 2000 bei der von ihm vorgetragenen Kontrolle des Fristenkalenders auffallen müssen, daß die Frist zur Berufungseinlegung nicht eingetragen gewesen sei. Er hätte die Durchführung seiner Weisung überprüfen müssen, da diese erst am Vormittag desselben Tages gegeben worden sei, der zur Berufungseinlegung als letzter Tag der Frist zur Verfügung gestanden habe. Anlaß zur weiteren Überprüfung der Fristeinhaltung habe auch deshalb bestanden, weil der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin die Vorlage der Berufungsschrift an einen anderen Rechtsanwalt der Kanzlei angeordnet habe. Hätte der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin pflichtgemäß gehandelt, wäre die rechtzeitige Berufungseinlegung bis zum Ablauf des 31. August 2000 noch möglich gewesen, zumal sich seine Kanzlei im selben Gebäude wie das Berufungsgericht befinde.

II. Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat der Klägerin zu Recht die beantragte Wiedereinsetzung versagt, weil die Versäumung der Berufungsfrist auf einem Verschulden ihres zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten beruht und dies der Klägerin nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist.

Mit Recht legt das Berufungsgericht dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin zur Last, daß er bei Rückkehr in sein Büro am Abend des 31. August 2000 seinen Unterschriftenkorb, in dem sich der Berufungsschriftsatz befand, nicht durchgesehen hat. Ein eigenes Verschulden an einer Fristversäumung trifft den Rechtsanwalt, wenn ihm Akten zur Bearbeitung in einer Fristsache vorgelegt worden sind. Das gilt auch dann, wenn ihm nur der fristgebundene Schriftsatz ohne Akte vorgelegt worden ist (BGH, Beschluß vom 19. Februar 1991 - VI ZB 2/91, NJW-RR 1991, 827 unter II 2 b aa). Indem die Auszubildende Sch. die von ihr gefertigte Berufungsschrift in den Unterschriftenkorb von Rechtsanwalt S. gelegt hat, hat sie ihm die Sache zur weiteren Bearbeitung vorgelegt. Die Sorgfalt eines Rechtsanwaltes erfordert es, wenn ihm nach fast ganztägiger Abwesenheit in seinem Büro Schriftstücke zur Unterschrift vorgelegt werden, sich wenigstens durch einen Blick davon zu überzeugen, um was es sich handelt und wie lange er sich mit der Bearbeitung Zeit lassen kann (vgl. auch BGH, Beschluß vom 3. November 1997 - VI ZB 47/97, NJW 1998, 460). Hätte der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin daher, wie es geboten war, nur einen Blick auf die ihm zur Unterschrift vorgelegten Schriftstücke geworfen, hätte er unschwer feststellen können, daß entgegen seiner Anweisung, den Berufungsschriftsatz einem anderen beim Thüringer Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsanwalt der Kanzlei zur Prüfung und Unterzeichnung vorzulegen und ihn dann beim Thüringer Oberlandesgericht einzureichen, dieser ihm selbst zur Unterschrift vorgelegt worden war.

Ohne Erfolg macht die Klägerin mit der sofortigen Beschwerde erstmals geltend, die Unterschriftskörbe der Anwälte in der Kanzlei ihres Prozeßbevollmächtigten hätten sich im zentralen Sekretariat befunden, der Unterschriftskorb ihres Prozeßbevollmächtigten habe nicht auf seinem eigenen Schreibtisch gestanden, die in den Körben liegenden Schriftstücke seien vom jeweiligen Anwalt tagsüber zu unregelmäßigen Zeiten geprüft, gegebenenfalls berichtigt und unterzeichnet worden, bei besonderer Dringlichkeit hätten die Mitarbeiter einzelne Schriftsätze ohne den Korb dem jeweiligen Anwalt vorgelegt.

Abgesehen davon, daß alle Umstände, die für die Frage von Bedeutung sind, auf welche Weise und durch wessen Verschulden es zu der Versäumung der Frist gekommen ist, grundsätzlich mit dem Wiedereinsetzungsgesuch innerhalb der Zwei-Wochenfrist des § 234 Abs. 1 ZPO darzulegen und gegebenenfalls glaubhaft zu machen sind und das Vorbringen der Klägerin, soweit es neuen Vortrag darstellt, deshalb nicht berücksichtigt werden kann (vgl. BGH, Beschluß vom 17. Oktober 1990 - XII ZB 84/90, BGHR ZPO § 233 Ausgangskontrolle 1), wäre auch bei Zugrundelegung der dargelegten Umstände ein Sorgfaltsverstoß des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin anzunehmen. Die Verpflichtung des Rechtsanwalts zur Überprüfung der ihm zur Unterschrift vorgelegten Schriftstücke hängt nicht davon ab, wie die Vorlage räumlich in seiner Kanzlei organisiert ist, insbesondere ob die Vorlage im eigenen Zimmer des Rechtsanwalts erfolgt.

Ende der Entscheidung

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