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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 12.02.2008
Aktenzeichen: VIII ZB 51/06
Rechtsgebiete: ArbGG
Vorschriften:
ArbGG § 5 Abs. 3 Satz 1 |
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom 12. Februar 2008
in dem Rechtsstreit
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Februar 2008 durch den Vorsitzenden Richter Ball, die Richter Wiechers und Dr. Wolst sowie die Richterinnen Hermanns und Dr. Milger
beschlossen:
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde des Beklagten gegen den Beschluss des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 12. Mai 2006 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.343,25 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Beklagte war für die Klägerin in der Zeit vom 1. Oktober 2000 bis zum 31. Dezember 2002 als Handelsvertreter tätig. Er erzielte in den letzten sechs Monaten der Vertragszeit monatlich im Durchschnitt eine Provision in Höhe von 1.078,65 €. Zwischen den Parteien bestand ein Mietvertrag über ein dem Beklagten überlassenes Notebook, aufgrund dessen der Beklagte verpflichtet war, an die Klägerin eine monatliche Miete nebst Mehrwertsteuer und einen monatlichen Versicherungsbeitrag nebst Versicherungssteuer zu zahlen. Die Klägerin verrechnete die verdienten Provisionen mit den Kosten für das Notebook, Provisionsvorschüssen und anderen Forderungen. Sie zahlte in den letzten sechs Monaten des Vertragsverhältnisses keine Provisionen an den Beklagten aus.
Mit der Klage hat die Klägerin die Rückzahlung weiterer Provisionsvorschüsse verlangt. Der Beklagte hat die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs gerügt und geltend gemacht, dass nach § 5 Abs. 3 Satz 1 ArbGG die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte gegeben sei.
Das Landgericht hat den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für zulässig erklärt. Die sofortige Beschwerde des Beklagten hat das Beschwerdegericht zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Beklagte mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.
II.
Die gemäß § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
1. Das Beschwerdegericht (OLG Karlsruhe, OLG-Report 2007, 179) hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit das für das Rechtsbeschwerdeverfahren von Bedeutung ist, im Wesentlichen ausgeführt:
Eine Zuständigkeit der Arbeitsgerichte ergebe sich nicht aus § 5 Abs. 3 Satz 1 ArbGG. Der Beklagte habe während der letzten sechs Monate des Vertragsverhältnisses im Durchschnitt mehr als 1.000 € monatlich an Vergütung bezogen. Er habe zwar im fraglichen Zeitraum keine Zahlung mehr von der Klägerin erhalten, weil die Klägerin mit ihrem Anspruch auf Rückforderung von Vorschusszahlungen gegen die Provisionsforderungen des Beklagten aufgerechnet habe. Es komme aber für die Bemessung des durchschnittlichen Bezugs von Vergütung und Ersatz für Aufwendungen nicht auf die tatsächliche Auszahlung, sondern auf den Vergütungsanspruch an. Die von einer der Parteien vorgenommene Aufrechnung sei unbeachtlich. Durch die Aufrechnung werde lediglich die Zahlung und sofortige Rückzahlung vermieden, so dass auch bei Provisionsansprüchen, die infolge Aufrechnung erloschen seien, von "bezogener Vergütung" im Sinne von § 5 Abs. 3 Satz 1 ArbGG auszugehen sei.
Die Kosten, die der Beklagte für die Miete des Notebooks aufgewendet habe, hätten außer Betracht zu bleiben, weil sie dem Beklagten nicht aufgrund des Handelsvertretervertrages entstanden seien. Schon aus dem Wortlaut von § 5 Abs. 3 Satz 1 ArbGG folge, dass bei der Beurteilung des durchschnittlichen Verdienstes des Handelsvertreters Ersatzleistungen zu berücksichtigen seien, die "auf Grund des Vertragsverhältnisses" bezogen worden seien. Hieran werde die gesetzgeberische Vorstellung deutlich, dass der Handelsvertreter grundsätzlich alle Aufwendungen selbst tragen müsse, ohne dass sie verdienstmindernd zu berücksichtigen seien. Andernfalls würden Ersatzleistungen des Unternehmers die Bezüge des Handelsvertreters nicht erhöhen können. Es komme hinzu, dass mit Aufwendungen des Handelsvertreters, zu denen er dem Unternehmer gegenüber nicht verpflichtet sei, seine Schutzbedürftigkeit nicht begründet werden könne. Es sei nichts dafür ersichtlich, dass ein Handelsvertreter gerade seinem Vertragspartner gegenüber als sozial schwächer anzusehen sein sollte, nur weil er aus eigenem Entschluss besonders hohe Aufwendungen tätige. Im Ergebnis könnten nur Ausgaben verdienstmindernd berücksichtigt werden, zu denen der Handelsvertreter aufgrund des Handelsvertretervertrages selbst verpflichtet sei. Dass der Beklagte zur Miete des Notebooks verpflichtet sei, ergebe sich nicht aus dem "M. Vertrag". Vielmehr sei danach die Vergütung für die Überlassung von EDV und Software durch einen gesonderten Vertrag zu regeln gewesen.
2. Diese Beurteilung des Beschwerdegerichts hält der rechtlichen Überprüfung stand.
Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG sind die Arbeitsgerichte ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis. Handelsvertreter gelten nach § 5 Abs. 3 Satz 1 ArbGG nur dann als Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsgerichtsgesetzes, wenn sie zu dem Personenkreis gehören, für den nach § 92a HGB die untere Grenze der vertraglichen Leistungen des Unternehmers festgesetzt werden kann und wenn sie während der letzten sechs Monate des Vertragsverhältnisses im Durchschnitt monatlich nicht mehr als 1.000 € aufgrund des Vertragsverhältnisses an Vergütung einschließlich Provision und Aufwendungsersatz bezogen haben. Eine Anwendung des § 5 Abs. 3 ArbGG scheidet hier aus, weil der Beklagte in den letzten sechs Monaten durchschnittlich mehr als 1.000 € als vertragliche Vergütung von der Klägerin bezogen hat und damit die Einkommensgrenze des § 5 Abs. 3 Satz 1 ArbGG überschritten ist.
a) Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde geltend, von den erzielten durchschnittlichen Provisionsansprüchen in Höhe von monatlich 1.078,65 € seien Kosten in Höhe von 163,61 € abzuziehen, die der Beklagte monatlich für die Miete des Notebook aufgewendet habe.
aa) Bei der Ermittlung der nach § 5 Abs. 3 Satz 1 ArbGG anzusetzenden Beträge sind alle unbedingt entstandenen Ansprüche des Handelsvertreters zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 9. Dezember 1963 - VII ZR 113/62, NJW 1964, 497, unter 1). Ein Abzug für im Betrieb des Handelsvertreters entstandene Aufwendungen ist dagegen nach dieser Vorschrift nicht vorgesehen. Danach sind vielmehr laufende Aufwendungen, welche von dem Unternehmer erstattet werden, in den Verdienst einzuberechnen. Damit ist die gesetzgeberische Wertung verbunden, dass Aufwendungen von dem Handelsvertreter zu tragen sind. Es ist daher ohne Bedeutung, welche Mittel dem Handelsvertreter nach Abzug von Aufwendungen und Kosten verbleiben; entscheidend ist sein Bruttoverdienst (vgl. OLG Hamm, OLGR 1998, 192, 193; Löwisch in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2. Aufl., § 92a Rdnr. 6).
bb) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist es mit dem Zweck des § 5 Abs. 3 ArbGG zu vereinbaren, dass Ausgaben nicht verdienstmindernd berücksichtigt werden können. Dem Gesetzgeber ist bewusst gewesen, dass durch die Berücksichtigung der Aufwendungen, die der Unternehmer erstattet, als Einkommen eine erhebliche Einschränkung des Anwendungsbereichs der Norm stattfindet. Er hat diesem Umstand durch eine Heraufsetzung der Einkommensgrenze und die Möglichkeit der Festsetzung durch Rechtsverordnung Rechnung getragen; eine Änderung der Grundlagen der Bemessung wurde dagegen nicht erwogen (vgl. Begr. in BT-Drs. 8/1567, S. 28).
cc) Darauf, ob - wie die Rechtsbeschwerde geltend macht - der Beklagte das Notebook zwingend benötigte, um seine Tätigkeit für die Klägerin ausüben zu können, weil die dazugehörende Software "nur auf diesem Notebook kompatibel" war, oder ob das Notebook einschließlich der Software zumindest die Arbeit der für die Klägerin tätigen Handelsvertreter erheblich erleichtert, kommt es nicht an. Sollte dem Einwand der Rechtsbeschwerde die Annahme zugrunde liegen, die Klägerin dürfe von dem Beklagten deshalb kein gesondertes Entgelt für das Notebook einschließlich Software verlangen, wäre die entsprechende Vergütungsvereinbarung unwirksam und schon deshalb ein Abzug der Miete für das Notebook von den Provisionsansprüchen des Beklagten nicht gerechtfertigt. Andernfalls kann es nicht von Bedeutung sein, von wem dem Handelsvertreter Betriebsmittel überlassen und in Rechnung gestellt werden. Der Beklagte hat als selbständiger Handelsvertreter grundsätzlich die Kosten seiner Tätigkeit selbst zu tragen. Das dem Handelsvertreter zur freien Verfügung stehende Einkommen vermindert sich unabhängig davon, ob die Betriebsmittel von dem Unternehmer oder einem Dritten stammen. Die Belastung des Handelsvertreters durch die Kosten für seine Tätigkeit bleibt aber bei der Entscheidung über die Zuständigkeit der Gerichtsbarkeit gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 ArbGG, wie bereits ausgeführt, außer Betracht. Das gilt entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts auch dann, wenn der Beklagte sich, wie die Rechtsbeschwerde meint, zur Nutzung der EDV der Klägerin (einschließlich des Notebooks) und damit auch zur Übernahme der dadurch entstehenden Kosten bereits durch § 10 des M. Vertrages verpflichtet haben sollte.
b) Zutreffend hat das Beschwerdegericht weiter angenommen, dass der Handelsvertreter die vertragliche Vergütung auch dann im Sinne von § 5 Abs. 3 Satz 1 ArbGG bezogen hat, wenn Zahlungen nicht erfolgt sind. Bei der Ermittlung der nach § 5 Abs. 3 Satz 1 ArbGG anzusetzenden Beträge sind alle unbedingt entstandenen Ansprüche des Handelsvertreters zu berücksichtigen.
Ob das Entstehen der Ansprüche bereits ausreicht (so OLG Karlsruhe, OLGReport 2006, 803, 804; OLG Düsseldorf, OLGReport 2000, 454; Baumbach/Hopt, HGB, 33. Aufl., § 84 Rdnr. 46; Brüggemann in: Großkommentar zum HGB, 4. Aufl., § 92a Rdnr. 9; Löwisch in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2. Aufl., § 92a Rdnr. 6; Schröder in: Schlegelberger, HGB, 5. Aufl., § 92a Rdnr. 13; Küstner in: Röhricht/von Westphalen, HGB, 2. Aufl., § 92a Rdnr. 6; MünchKommHGB/von Hoyningen-Huene, 2. Aufl., § 92a Rdnr. 6), ist allerdings streitig. Nach anderer Ansicht dürfen die Ansprüche nur insoweit in die Berechnung einbezogen werden, als sie durch Zahlung (OLG Schleswig, Beschluss vom 20. Juli 2006 - 16 W 53/06, OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 1. November 2005 - 4 W 46/05; LAG Thüringen, OLG-NL 1997, 260; LAG Hessen, NZA 1995, 1071, 1072; LAG Baden-Württemberg, DB 1966, 908; Kliemt in: Schwab/Weth, Arbeitsgerichtsgesetz, § 5 Rdnr. 265; Müller-Glöge in: Germelmann, ArbGG, 6. Aufl., § 5 Rdnr. 42) oder jedenfalls durch Aufrechnung oder Verrechnung mit Gegenansprüchen des Unternehmers (Koch in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 8. Aufl., § 5 ArbGG Rdnr. 12) erfüllt sind. Der Senat hält die erstgenannte Auffassung für richtig.
aa) Der Wortlaut von § 5 Abs. 3 Satz 1 ArbGG ist nicht eindeutig. Mit der "bezogenen Vergütung" kann sowohl der Vergütungsanspruch gemeint sein, den der Handelsvertreter erworben hat, als auch derjenige Betrag, den er tatsächlich erhalten hat. Die Formulierung "bezogen hat" spricht zwar eher dafür, dass die Vergütung dem Handelsvertreter bereits zugeflossen sein muss. Mit dem Begriff "Bezüge" bezeichnet der Gesetzgeber aber auch in anderen Fällen (vgl. §§ 850a, 850b ZPO) Forderungen und nicht lediglich erbrachte Leistungen. Für den tatsächlichen Zufluss der Vergütung beim Handelsvertreter bedarf es jedenfalls keiner unmittelbaren Auszahlung. Schon durch die Aufrechnung mit anderen Ansprüchen erhält der Handelsvertreter die ihm zustehenden Leistungen. Die Aufrechnung stellt ein Erfüllungssurrogat dar, das in gleicher Weise wie die Zahlung zur Befriedigung eines Anspruchs führt und lediglich die Aus- und Rückzahlung von Geldforderungen vermeidet.
bb) Jedoch spricht der Regelungszweck der Vorschrift dafür, dass es nur darauf ankommt, in welcher Höhe innerhalb der letzten sechs Monate Vergütungsansprüche des Handelsvertreters entstanden sind, unabhängig davon, ob und auf welche Weise sie von dem Unternehmer erfüllt worden sind. Nach dem gesetzgeberischen Willen soll die Regelung Handelsvertretern, die wegen der Höhe ihres Einkommens einem Arbeitnehmer vergleichbar sind, den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnen (Begr. in BT-Drs. 8/1567, S. 27 f.). Ein für die Bestimmung des Rechtswegs maßgeblicher allgemeiner Vergleich der Höhe des Einkommens eines Arbeitnehmers mit demjenigen eines Handelsvertreters kann nur auf der Ebene der Vergütungsansprüche erfolgen. Denn ob und auf welche Weise diese erfüllt werden, ist sowohl im Arbeitsverhältnis als auch im Handelsvertreterverhältnis eine Frage der Umstände des Einzelfalls. Die auf der Grundlage der Einkommenshöhe zu beurteilende Vergleichbarkeit der Schutzbedürftigkeit eines Handelsvertreters mit derjenigen eines Arbeitnehmers kann nicht davon abhängen, ob es sich bei dem Unternehmer um einen säumigen Schuldner handelt (Brüggemann, aaO; Küstner, aaO) oder diesem Gegenforderungen gegenüber dem Handelsvertreter zustehen, mit denen er aufrechnen kann. Andernfalls müsste auch der Handelsvertreter, der sich eines über der Vergütungsgrenze des § 5 Abs. 3 Satz 1 ArbGG liegenden - vom Unternehmer bestrittenen und deshalb nicht erfüllten - Provisionsanspruchs berühmt, diesen vor den Arbeitsgerichten geltend machen, obwohl er nach seinem eigenen Vorbringen von seinen Einkommensverhältnissen her gerade nicht mit einem Arbeitnehmer vergleichbar ist.
cc) Dieser Auslegung stehen die Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts in seinem Beschluss vom 15. Februar 2005 (NJW 2005, 1146, 1148) nicht entgegen. Soweit das Bundesarbeitsgericht bei der Frage, ob der Handelsvertreter im Streitfall unter § 5 Abs. 3 Satz 1 ArbGG falle, darauf abgestellt hat, dass er in dem maßgeblichen Zeitraum monatlich einen unter 1.000 € liegenden Betrag "erhalten hat" (aaO), lassen sich für den vorliegenden Fall daraus keine Schlüsse ziehen. In jener Entscheidung stand eine Differenz zwischen dem Betrag, den der Handelsvertreter durch Zahlung erhalten hat, und der ihm zustehenden Vergütung nicht in Rede.
Ende der Entscheidung
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