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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 18.11.2003
Aktenzeichen: VIII ZB 72/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 269 Abs. 3 Satz 3
Eine Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO ist auch dann möglich, wenn der Kläger wegen des Wegfalls des Klageanlasses die Klage zu einem Zeitpunkt zurückgenommen hat, in dem die Klage noch nicht zugestellt war, und wenn die Zustellung auch danach nicht mehr erfolgt ist.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

VIII ZB 72/03

vom 18. November 2003

in dem Rechtsstreit

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. November 2003 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Deppert und die Richter Dr. Hübsch, Dr. Beyer, Dr. Leimert und Dr. Frellesen beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluß der 5. Zivilkammer des Landgerichts Saarbrücken vom 28. Mai 2003 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der Beschwerdewert wird auf 450,00 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Am 22. November 2002 hat der Kläger beim Amtsgericht eine Räumungsklage gegen den Beklagten eingereicht. Zwei Versuche, die Klage dem Beklagten unter der angegebenen Anschrift zuzustellen, blieben erfolglos, da der Beklagte, wie sich erst nachträglich herausstellte, die Wohnung inzwischen - allerdings ohne Ummeldung beim Einwohnermeldeamt - geräumt hatte. Nachdem der Kläger hiervon Kenntnis erlangt hatte, hat er die Klage mit Schriftsatz vom 19. Februar 2003 zurückgenommen und zugleich beantragt, gemäß § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. Das Amtsgericht hat den Antrag abgelehnt, das Landgericht hat die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Kläger seinen erstinstanzlichen Antrag weiter.

II.

Das Landgericht ist der Auffassung, eine Klagerücknahme im Sinne des § 269 ZPO liege nur vor, wenn die Klage zuvor durch Zustellung rechtshängig geworden und ein Prozeßrechtsverhältnis zwischen den Parteien begründet worden sei. Für die Kostenvorschrift des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO gelte nichts anderes. Nach dieser Bestimmung könnten deshalb die Kosten nur dann dem Beklagten auferlegt werden, wenn die Klage nach Eingang der Rücknahmeerklärung noch zugestellt worden sei, etwa weil die Zustellung bereits verfügt gewesen sei. Jedoch komme eine Zustellung allein zu dem Zweck, die Rechtshängigkeit zu begründen und hierdurch den Anwendungsbereich des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO zu eröffnen, nicht in Betracht.

Diese Ausführungen des Landgerichts halten der rechtlichen Prüfung nicht stand.

1. Die Vorschrift des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO ist durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27. Juli 2001 (BGBl. I 1887) neu eingeführt worden. Sie stellt eine Ausnahme von dem - unverändert gebliebenen - Grundsatz dar, daß der Kläger, der seine Klage zurückgenommen hat, die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat, soweit nicht bereits rechtskräftig über sie erkannt ist oder sie dem Beklagten aus einem anderen Grund aufzuerlegen sind (§ 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO). Diese "Kostenautomatik" galt nach bisheriger Rechtslage selbst dann, wenn der Beklagte Anlaß zur Erhebung der Klage gegeben hatte, der Anlaß - etwa durch Leistung des Beklagten - vor Zustellung der Klage weggefallen war und der Kläger daraufhin die Klage zurückgenommen hatte. In derartigen Fällen war dem Kläger auch der Weg über eine Erledigungserklärung mit dem Ziel einer Kostenentscheidung nach § 91a ZPO verschlossen, da diese Möglichkeit eine Erledigung des Rechtsstreits nach Rechtshängigkeit voraussetzt. Es blieb ihm deshalb lediglich die Geltendmachung eines materiellen Kostenerstattungsanspruchs in einem neuen Prozeß.

2. a) Diese unbefriedigende und mit dem Gedanken der Prozeßökonomie nicht zu vereinbarende Rechtslage hat den Gesetzgeber veranlaßt, durch die Einfügung des neuen Satzes 3 in § 269 Abs. 3 ZPO dem Gericht einen Weg zu eröffnen, einem materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch Rechnung zu tragen, ohne daß ein neues Verfahren erforderlich wird (vgl. dazu im einzelnen die Begründung des Regierungsentwurfs zu § 269 Abs. 3 ZPO, BT-Drucks. 14/4722, S. 80 f). Dieses Ziel würde in all den Fällen verfehlt, in denen der Kläger von dem Wegfall des Klageanlasses nach Einreichung, aber noch vor Zustellung der Klage Kenntnis erlangt und daraufhin, wie es das Gesetz verlangt, unverzüglich die Klage zurücknimmt. Anwendbar bliebe die Vorschrift nur noch in den Fällen, in denen die Zustellung entweder trotz einer bereits vorliegenden Rücknahmeerklärung des Klägers oder in der Zeit zwischen dem "erledigenden" Ereignis und dem Eingang der Rücknahmeerklärung des Klägers bei Gericht noch bewirkt worden ist. Dieses Ergebnis widerspräche dem Gebot der Prozeßökonomie, weil - was der Gesetzgeber verhindern wollte - die klagende Partei auf ein neues Verfahren verwiesen würde, um ihre Kosten wegen des ursprünglich angestrengten Verfahrens durchsetzen zu können.

b) Auch der Wortlaut der Vorschrift spricht für die Anwendung des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO auf Fallgestaltungen der vorliegenden Art. Er macht die Möglichkeit einer Kostenentscheidung nach billigem Ermessen lediglich von zwei Voraussetzungen abhängig, nämlich dem Wegfall des Anlasses zur Erhebung der Klage vor Rechtshängigkeit und der anschließenden unverzüglichen Klagerücknahme. Das Tatbestandsmerkmal "vor Rechtshängigkeit" ist nach allgemeinem Sprachgebrauch auch dann erfüllt, wenn die Rechtshängigkeit später nicht mehr eintritt, weil eine Zustellung der Klage unterbleibt; es verlangt nur, daß die Zustellung im Zeitpunkt des Wegfalls des Klageanlasses noch nicht erfolgt war. Es ist nichts dafür ersichtlich, daß der Gesetzgeber die prozeßökonomisch und materiell-rechtlich sinnvolle Kostenentscheidung darüber hinaus auch von dem - gegenstandslos gewordenen - Eintritt der Rechtshängigkeit abhängig machen wollte (so aber im Ergebnis Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., § 269 Rdnr. 8b).

c) Der systematische Zusammenhang der Norm mit den sonstigen Bestimmungen des § 269 ZPO steht der hier vertretenen Auffassung nicht entgegen. Es handelt sich um einen Ausnahmetatbestand (vgl. BT-Drucks. 14/4722 S. 81 li. Sp. oben) für eine besondere Fallgestaltung, dessen Ziel es ist, eine materiell gerechte ("billige") Kostenentscheidung ohne einen weiteren, neue Kosten und zusätzlichen Arbeitsaufwand verursachenden Prozeß zu ermöglichen. Unter diesen Umständen wäre eine rein dogmatische, allein am Begriff der Klagerücknahme im streng prozessualen Sinn - nämlich der Rücknahme einer durch Zustellung "erhobenen" Klage - orientierte Auslegung der Vorschrift verfehlt (ebenso Lüke in MünchKomm-ZPO, Aktualisierungsband, 2. Aufl., § 269 Rdnr. 4; Musielak/Foerste, ZPO, 3. Aufl., § 269 Rdnr. 13; offen gelassen bei Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 25. Aufl., § 269 Rdnr. 5; a.A. Zöller/Greger aaO).

Nach alledem steht der Umstand, daß die Klage vor der Rücknahme dem Beklagten noch nicht zugestellt war und auch später nicht mehr zugestellt worden ist, der Anwendung des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO nicht entgegen.

III.

Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers ist daher der angefochtene Beschluß aufzuheben, und die Sache ist an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Das Landgericht wird nunmehr über die Kostentragungspflicht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden haben.



Ende der Entscheidung

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