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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 20.09.2006
Aktenzeichen: VIII ZR 141/05
Rechtsgebiete: GG, ZPO


Vorschriften:

GG Art. 103 Abs. 1
ZPO § 544 Abs. 7
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

VIII ZR 141/05

vom 20. September 2006

in dem Rechtsstreit

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. September 2006 durch den Vorsitzenden Richter Ball, den Richter Dr. Frellesen, die Richterin Dr. Milger, den Richter Dr. Koch und die Richterin Dr. Hessel

beschlossen:

Tenor:

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 12. Mai 2005 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als es die Klage auf Zahlung von 28.054,93 € unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils abgewiesen hat.

Im Umfang der Aufhebung wird der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 28.054,93 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Klägerin verlangt vom Beklagten (u.a.) aus abgetretenem Recht ihres Ehemannes, des Zeugen J. , Zahlung eines Betrages in Höhe von 28.054,93 Euro. Sie beruft sich auf Ziffer III. des notariellen Vertrages vom 29. Juni 2001, in dem der Zeuge J. seinen Geschäftsanteil an der F. Gastronomie GmbH auf den Beklagten übertrug, welcher dadurch zum Alleingesellschafter wurde.

Ziffer III. des notariellen Vertrages hat folgenden Wortlaut:

"Darlehen, Bürgschaften

Der Erschienene zu 1) [gemeint ist der Zeuge J. ] hat der GmbH ein Darlehen zur Verfügung gestellt, welches per 1.7.2001 noch mit DM 58.000,00 valutiert. Das Darlehen ist mit 5 % p.a. verzinslich und in Höhe von DM 28.000,00 zum 30.9.2001 zurückzuzahlen. Die Rückzahlung des Restbetrages nebst Zinsen erfolgt in der Höhe nach noch zu vereinbarenden Raten ab Mai 2002.

Die Parteien sind sich darüber einig, dass die für das Gaststättenobjekt Am F. gestellte Mietkaution bei der GmbH verbleibt.

Der Erschienene zu 2) [gemeint ist der jetzige Beklagte] verpflichtet sich, gegenüber den Firmen ... darauf hinzuwirken, dass der Erschienene zu 1) aus den diesen gegenüber abgegebenen Bürgschaften für das vorgenannte Gaststättenobjekt der GmbH entlassen wird. Der Erschienene zu 2) stellt den Erschienen zu 1) von etwaigen Inanspruchnahmen aus diesen Bürgschaften frei."

Das Landgericht hat den Beklagten (soweit für die Revisionsinstanz von Interesse) antragsgemäß zur Zahlung von 28.054,93 Euro (58.000 DM gemäß Ziffer III. des notariellen Vertrages abzüglich von der GmbH zwischenzeitlich gezahlter 1.600 Euro) verurteilt.

Das Berufungsgericht hat diese Verurteilung unter Abweisung der Klage aufgehoben, ohne die von der Klägerin benannten Zeugen zu vernehmen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde.

II.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dem Wortlaut des Vertrages lasse sich eine Zahlungsverpflichtung des Beklagten nicht entnehmen, weil dort lediglich festgestellt sei, dass die GmbH zurückzuzahlende Darlehen vom Zeugen J. erhalten habe, jedoch nicht von einer Verpflichtung des Beklagten die Rede sei. Es mache durchaus Sinn, in einem notariellen Vertrag, durch den Geschäftsanteile einer GmbH verkauft werden, den Umfang der Verbindlichkeiten der Gesellschaft gegenüber dem veräußernden Gesellschafter zu vermerken, etwa um einem eventuellen späteren Streit über die Darlehenshöhe vorzubeugen; einen solchen Sinn verdeutliche auch der Umstand, dass die Klägerin im Rechtsstreit nunmehr vertragswidrig behaupte, es bestünden gegenüber der GmbH Darlehen in Höhe von 81.700 DM. Gegen eine gewollte Zahlungsverpflichtung des Beklagten spreche auch, dass sie insoweit unvollständig wäre, als ihr nicht entnommen werden könne, welche konkreten Pflichten vor dem Hintergrund der behaupteten Darlehen von insgesamt 81.700 DM übernommen worden seien. Insgesamt lasse sich ein klarer Inhalt der vertraglichen Abrede nicht feststellen; deshalb hätte es der Klägerin oblegen, konkret vorzutragen, was im Vorfeld des notariellen Vertrages zwischen den Parteien als Vertragsinhalt vereinbart worden bzw. welcher Auftrag dem Notar für die Fertigung der vertraglichen Abrede erteilt worden sei. Trotz eines gerichtlichen Hinweises habe die Klägerin nur unzureichend vorgetragen. Die Behauptung, der Zeuge J. und der Beklagte hätten vereinbart, dass eine Zahlungsverpflichtung begründet werden sollte, sei einer Beweisaufnahme nicht zugänglich, weil die Klägerin nicht im Einzelnen dargelegt habe, wann, wo und wie die behauptete Einigung zustande gekommen sei. Dass der Beklagte in naher Zukunft Zahlungen von Dritten erwartet habe, besage nicht, dass eine persönliche Zahlungsverpflichtung des Beklagten gegenüber dem Zeugen J. vereinbart worden sei. Die von der Klägerin beantragte Vernehmung des beurkundenden Notars liefe auf eine unzulässige Ausforschung hinaus, weil die Klägerin nicht vorgetragen habe, wann der Zeuge von welcher Partei mit welchen Informationen über den Inhalt der Vereinbarung versehen worden sei, die weshalb als klare Anweisung an den Notar zu verstehen sei, eine Zahlungsverpflichtung des Beklagten in den notariellen Vertrag aufzunehmen. Einer Erhebung der angebotenen Beweise bedürfe es deshalb nicht.

III.

Die Beschwerde der Klägerin ist begründet. Das angegriffene Urteil verletzt ihren Anspruch auf rechtliches Gehör aus § 103 Abs. 1 GG. Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an die Substantiierung des Parteivortrags überspannt und dabei wesentliche Punkte des Vortrags der Klägerin nicht berücksichtigt und nicht in seine Überlegungen mit einbezogen.

a) Es gehört zu den anerkannten Grundsätzen für die Auslegung einer Individualvereinbarung, dass zwar der Wortlaut einer Vereinbarung den Ausgangspunkt der Auslegung bildet, dass jedoch der übereinstimmende Parteiwille dem Wortlaut und jeder anderen Interpretation vorgeht (st.Rspr., z.B. BGH, Urteil vom 20. Januar 1994 - VII ZR 174/92, NJW 1994, 1528 = WM 1994, 551, unter II 2 a = BGHR BGB § 131, Wille 13 m.w.Nachw.). Dies gilt selbst dann, wenn das übereinstimmende Verständnis in der erstellten Urkunde keinen Niederschlag gefunden hat (BGH, Urteil vom 19. Januar 2004 - II ZR 303/01, WM 2004, 627 = NJW-RR 2004, 630 unter II 2). Schon wegen des Vorrangs des (behaupteten) übereinstimmenden Parteiwillens hätte das Berufungsgericht den Beweisantrag der Klägerin nicht übergehen dürfen, zumal es den Wortlaut der Klausel selbst für nicht eindeutig gehalten hat.

b) Darüber hinaus hat das Berufungsgericht nicht gewürdigt, dass die Klägerin Einzelheiten zum Verhandlungsverlauf vorgetragen hat, welche die von ihr vertretene Auslegung stützen.

So stellt der von der Klägerin behauptete Umstand, dass der Fälligkeitszeitpunkt (30. September 2001) von den Vertragsparteien gewählt worden sei, weil der Beklagte genau zu diesem Zeitpunkt einen Zahlungseingang - nämlich eine Kaufpreisrate aus einem Grundstücksverkauf - erwartet habe, ein wesentliches Indiz für die von der Klägerin vertretene Auslegung dar. Das Berufungsgericht hat hierzu lediglich ausgeführt, der Umstand, dass der Beklagte in naher Zukunft Zahlungen von Dritten erwartet habe, besage nichts darüber, dass die Parteien des Kaufvertrages eine persönliche Verpflichtung des Beklagten hätten vereinbaren wollen. Diese Argumentation zeigt, dass das Berufungsgericht den eigentlichen Vortrag der Klägerin, dass der Zahlungstermin bewusst auf die persönliche Liquidität des Beklagten abgestimmt gewesen sei, nicht zur Kenntnis genommen hat.

Das Berufungsgericht hat sich auch nicht mit dem Vortrag der Klägerin zur Reduzierung des ursprünglich geforderten Betrages von 60.000 DM auf 58.000 DM auseinandergesetzt. Insoweit hat die Klägerin zum Verlauf der Vertragsverhandlungen vorgetragen, der Zeuge J. habe ursprünglich eine Zahlung von 60.000 DM zur Abgeltung seiner entsprechenden Darlehensforderung gegen die Gesellschaft gefordert. Damit sei der Beklagte grundsätzlich auch einverstanden gewesen, habe aber mit dem Argument, dass er auf eine Gesamtschuld beider Zahlungen in der Größenordnung von etwa 4.500 bis 5.000 DM geleistet habe, eine Reduzierung auf 58.000 DM vorgeschlagen, was der Zeuge J. akzeptiert habe. So sei es zu der Vereinbarung gekommen. Auch dieser von der Klägerin behauptete Ablauf spricht für die Annahme, dass beide Vertragsparteien eine persönliche Verpflichtung des Beklagten begründen wollten und die vereinbarte Klausel in diesem Sinne verstanden haben. Da das Berufungsgericht dieses nahe liegende Indiz bei seiner Auslegung nicht erwähnt, muss auch insoweit davon ausgegangen werden, dass es die betreffenden Ausführungen der Klägerin nicht zur Kenntnis genommen hat. Darin liegt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Klägerin.

c) Das Urteil beruht auf dieser Grundrechtsverletzung; denn es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht zu einem anderen Auslegungsergebnis gekommen wäre, wenn es die vom Kläger (bzw. hinsichtlich des Notars von beiden Parteien) benannten Zeugen vernommen hätte.

IV.

Die Verletzung der Klägerin in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.

Ende der Entscheidung

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