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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 09.08.2004
Aktenzeichen: VIII ZR 178/04
Rechtsgebiete: ZPO, EGZPO


Vorschriften:

ZPO § 544
ZPO § 544 Abs. 5 Satz 2
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
ZPO § 712
ZPO § 713
ZPO § 719 Abs. 2
ZPO § 719 Abs. 1
ZPO § 719 Abs. 2
EGZPO § 26 Nr. 8
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

VIII ZR 178/04

vom

9. August 2004

in dem Rechtsstreit

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. August 2004 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Deppert und die Richter Dr. Beyer, Ball, Wiechers sowie die Richterin Hermanns

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Beklagten, die Zwangsvollstreckung des Klägers aus dem Urteil der 14. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 12. Mai 2004 einstweilen einzustellen, wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Der Beklagte ist vom Amtsgericht zur Räumung und Herausgabe des von ihm gemieteten Hauses des Klägers verurteilt worden. Das Landgericht hat seine Berufung zurückgewiesen und ihm eine Räumungsfrist bis zum 30. August 2004 gewährt. Die Revision hat das Landgericht nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der Nichtzulassungsbeschwerde. Zugleich beantragt er, die Zwangsvollstreckung einstweilen einzustellen.

II.

Der Antrag des Beklagten auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung ist nicht begründet.

Wird Revision gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil eingelegt, so ordnet das Revisionsgericht auf Antrag an, daß die Zwangsvollstreckung einstweilen eingestellt wird, wenn die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde und nicht ein überwiegendes Interesse des Gläubigers entgegensteht, § 719 Abs. 2 ZPO. Bei Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde ist § 719 Abs. 2 ZPO gemäß § 544 Abs. 5 Satz 2 ZPO entsprechend anzuwenden. Der Beklagte hat die Voraussetzungen des § 719 Abs. 2 ZPO nicht dargetan.

1. Nicht unersetzlich sind Nachteile, die der Schuldner selbst vermeiden kann. Deswegen kann sich der Schuldner nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich nur dann darauf berufen, die Zwangsvollstreckung bringe ihm einen nicht zu ersetzenden Nachteil, wenn er in der Berufungsinstanz einen Vollstreckungsschutzantrag nach § 712 ZPO gestellt hat. Hat der Schuldner dies versäumt, kommt eine Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 719 Abs. 2 ZPO ausnahmsweise dann in Betracht, wenn es dem Schuldner im Berufungsverfahren aus besonderen Gründen nicht möglich oder zumutbar war, einen Vollstreckungsschutzantrag zu stellen (zuletzt z. B. Senatsbeschluß vom 19. August 2003 - VIII ZR 188/03, WuM 2003, 637; Senatsbeschluß vom 14. Oktober 2003 - VIII ZR 121/03, WuM 2003, 710; Beschluß vom 6. Mai 2004 - V ZA 4/04, NJW-RR 2004, 936 unter II 2 b; Senatsbeschluß vom 9. Juni 2004 - VIII ZR 145/04, n. v., unter II 2).

Hier hat der Beklagte in der Berufungsinstanz keinen Vollstreckungsschutzantrag nach § 712 ZPO gestellt. Entgegen der Ansicht des Beklagten kann in seinem Antrag vom 1. März 2004 auf Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 719 Abs. 1 ZPO, dem das Berufungsgericht durch Beschluß vom 30. März 2004 für die Zeit bis zur Entscheidung über die Berufung entsprochen hat, schon wegen der unterschiedlichen Zielrichtung ein Vollstreckungsschutzantrag nach § 712 ZPO nicht gesehen werden (vgl. Senatsbeschluß vom 3. September 2003 - VIII ZR 188/03, n. v.). Das gilt umso mehr, als der Beklagte diesen Antrag weder in der mündlichen Verhandlung vom 14. April 2004 gestellt noch anschließend im Zusammenhang mit dem Widerruf des in der mündlichen Verhandlung geschlossenen Vergleichs wieder aufgegriffen hat. Vielmehr hat der Beklagte lediglich eine Verlängerung der Räumungsfrist beantragt. Auch dieser Antrag vermag einen Vollstreckungsschutzantrag nach § 712 ZPO nicht zu ersetzen (vgl. Senatsbeschluß vom 14. Oktober 2003 aaO). Dafür, daß dem Beklagten die Stellung eines solchen Antrags nicht möglich oder zumutbar war, ist weder etwas vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die von dem Beklagten im Schriftsatz vom 28. April 2004 geltend gemachte Schwangerschaft seiner Ehefrau hat das Berufungsgericht ausweislich seines Beschlusses vom 6. Juli 2004 bereits bei der in dem Berufungsurteil gewährten Räumungsfrist berücksichtigt.

2. Ohne Erfolg macht der Beklagte geltend, die Versäumung eines Vollstreckungschutzantrages nach § 712 ZPO stehe seinem Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 719 Abs. 2 ZPO deswegen nicht entgegen, weil ihm das Berufungsgericht, das das Berufungsurteil in entsprechender Anwendung des § 708 Nr. 10 ZPO ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt hat, rechtsfehlerhaft keine Abwendungsbefugnis nach § 711 ZPO eingeräumt habe.

Richtig ist, daß das Gericht gemäß der zuletzt genannten Vorschrift unter anderem in dem Fall des § 708 Nr. 10 ZPO von Amts wegen auszusprechen hat, daß der Schuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden darf, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. Die in § 711 ZPO zugunsten des Schuldners vorgesehene Anordnung soll gemäß § 713 ZPO zwar dann nicht ergehen, wenn die Voraussetzungen, unter denen ein Rechtsmittel gegen das Urteil stattfindet, unzweifelhaft nicht vorliegen. Das trifft hier jedoch wegen der nach § 544 ZPO in Verbindung mit § 26 Nr. 8 EGZPO zulässigen Nichtzulassungsbeschwerde nicht zu (vgl. Musielak/Lackmann, ZPO, 3. Aufl., § 713 Rn. 2).

a) Obwohl das Berufungsgericht danach rechtsfehlerhaft keine Abwendungsbefugnis nach § 711 ZPO angeordnet hat, kann dem Antrag des Beklagten auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 719 Abs. 2 ZPO schon deswegen nicht stattgegeben werden, weil der Beklagte es versäumt hat, gemäß §§ 716, 321 ZPO eine entsprechende Ergänzung des Berufungsurteils zu beantragen (vgl. BGH, Beschluß vom 16. Februar 1984 - III ZR 87/83, NJW 1984, 1240; Beschluß vom 24. März 2003 - IX ZR 243/02, ZVI 2003, 279 unter II 1 b, jew. m. weit. Nachw.). Dieser Antrag war entgegen der Auffassung des Beklagten nicht ausgeschlossen.

Nach §§ 716, 321 ZPO ist das Urteil auf Antrag zu ergänzen, wenn das Gericht über die vorläufige Vollstreckbarkeit ganz oder teilweise nicht entschieden hat. Das gilt allerdings nur dann, wenn die Entscheidung versehentlich unterblieben ist. Die Urteilsergänzung ist dagegen ausgeschlossen, wenn das Gericht eine Schutzanordnung in Anwendung von § 713 ZPO unterlassen hat, weil es zu Unrecht angenommen hat, das Urteil sei unanfechtbar. Denn die Urteilsergänzung setzt eine Entscheidungslücke voraus; sie dient nicht der Richtigstellung eines falschen Urteils (BGH, Beschluß vom 24. März 2003 aaO). Hier ist entgegen der Annahme des Beklagten nichts dafür ersichtlich, daß das Berufungsgericht die Anordnung der Abwendungsbefugnis nach § 711 ZPO bewußt gemäß § 713 ZPO unterlassen hat, weil es von der Unanfechtbarkeit des Urteils ausgegangen ist. Vielmehr liegt ein Versehen des Berufungsgerichts nahe. Anders als in dem dem Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 24. März 2003 (aaO) zugrunde liegenden Berufungsurteil werden § 711 und § 713 ZPO in dem vorliegenden Berufungsurteil weder erwähnt noch gar erörtert. Aus dem Umstand, daß das Berufungsgericht die Revision nicht zugelassen hat, ergibt sich nichts anderes. Es erscheint ausgeschlossen, daß das Berufungsgericht deswegen in Verkennung der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde von der Unanfechtbarkeit des Urteils ausgegangen ist.

b) Davon abgesehen wäre ein Vollstreckungsschutzantrag nach § 712 ZPO selbst bei Anordnung der Abwendungsbefugnis nach § 711 ZPO nicht völlig entbehrlich gewesen, weil diese entfällt, wenn der Gläubiger seinerseits vor der Vollstreckung Sicherheit leistet (Senatsbeschluß vom 19. August 2003 aaO).

Ende der Entscheidung

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