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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 28.03.2001
Aktenzeichen: VIII ZR 183/00 (1)
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 286 B Abs. 1
ZPO § 286 B Abs. 1

Zur Verwertbarkeit eines in sich widersprüchlichen Sachverständigengutachtens zum Wert eines Unternehmens.

BGH, Urteil vom 28. März 2001 - VIII ZR 183/00 - OLG München LG Augsburg


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

VIII ZR 183/00

Verkündet am: 28. März 2001

Kirchgeßner, Justizobersekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 28. März 2001 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Deppert und die Richter Dr. Hübsch, Dr. Beyer, Ball und Dr. Leimert

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 30. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München - Zivilsenate in Augsburg - vom 2. Mai 2000 aufgehoben, soweit die Widerklage gegen den Kläger zu 2 und die Drittwiderbeklagte abgewiesen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an den 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Kläger hatten mit ihrer Klage ursprünglich Mietzinsansprüche aus einem Geschäftsraummietvertrag geltend gemacht. Der Beklagte hat widerklagend von den Klägern und der Drittwiderbeklagten Rückzahlung der geleisteten Kaufpreisanzahlung in Höhe von 1.150.000 DM aus einem Kaufvertrag über Teile eines Unternehmens sowie Schadensersatz in Höhe von 58.708,46 DM verlangt.

Der Kläger zu 2 hatte seit über 30 Jahren eine Einzelfirma "S. Kompressorenbau" in A. geführt und im Jahre 1989 dort eine Firma "A. GmbH" gegründet. Nach der politischen Wende, die zur deutschen Wiedervereinigung führte, erwarben er und seine Ehefrau, die Klägerin zu 1, von der Treuhandanstalt eine alte Papierfabrik in S. /Sachsen. Die Betriebsräume vermieteten sie an die "A. GmbH", die ihre Betriebsstätte dorthin verlagerte. Die Einzelfirma "S. Kompressorenbau" reduzierte ihre Tätigkeit auf Kundendienst; Produktion und Vertrieb der Kompressoren übernahm die "A. GmbH", die Drittwiderbeklagte, die der Kläger zu 2 gemeinsam mit seinem Sohn führte.

Am 27. Mai 1993 verunglückte der Sohn der Kläger bei einem Betriebsunfall tödlich. Am 4. Januar 1995 bot der Kläger zu 2 in der Tageszeitung "A. Allgemeine" ein "gutgehendes Maschinenbauunternehmen" zum Verkauf an. Hierauf kam es zu Vertragsverhandlungen zwischen dem Kläger zu 2 und dem Beklagten. Als Veräußerungsmotiv nannte der Kläger zu 2 dem Beklagten den Tod des Sohnes.

Im Auftrage des Klägers zu 2 erstellte der Steuerberater S. eine Umsatz- und Ertragsvorschau über Nettoerlöse der Drittwiderbeklagten für die Jahre 1995 bis 1997. Er gab auch schriftlich eine Wertung dahingehend ab, daß seiner Auffassung nach ein Kaufpreis in Höhe von 2 Millionen DM unter Berücksichtigung eines Firmenwertes und des Kundenstammes auf jeden Fall gerechtfertigt sei.

Die Firma A. R. GmbH betätigte sich als Vermittlungsmakler der Kläger und erstellte unter dem 4. August 1995 ein sogenanntes Kurzexposé, in dem die Drittwiderbeklagte als gutgehendes und zukunftssicheres Unternehmen bei einem Umsatz von 2 Millionen DM bewertet wurde.

Durch privatschriftlichen Kaufvertrag vom 19. Dezember 1995 verkaufte die Drittwiderbeklagte dem Beklagten ihr gesamtes Inventar, nämlich Warenbestand, Maschinen und Werkzeuge, sowie ihren Goodwill, bestehend aus technischem Know-how, Kundenstamm, Lieferanten und Markenname, zu einem Kaufpreis von insgesamt 1.725.000 DM. Der Beklagte schloß gleichzeitig mit den Klägern einen Mietvertrag über die Geschäftsräume der Drittwiderbeklagten. Die Drittwiderbeklagte gab am Tag nach dem Kaufabschluß die eidesstattliche Versicherung wegen einer Forderung von 3.000 DM ab.

Der Beklagte gründete in S. /Sachsen die Firma "A. -H. GmbH", die er als Geschäftsführer leitete. Im März 1997 stellte er wegen des schlechten Geschäftsgangs Antrag auf Gesamtvollstreckung, worauf das Gericht zunächst Sequestration anordnete. Mit Schreiben vom 10. März 1997 focht der Beklagte den mit der Drittwiderbeklagten geschlossenen Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung an, desgleichen auch den Mietvertrag über die Produktionsräume, und forderte Rückzahlung der Anzahlung des Kaufpreises von 1,15 Mio. DM.

Der Beklagte hat geltend gemacht, ihm sei der Eindruck eines gutgehenden und zukunftssicheren Unternehmens vermittelt worden, insbesondere durch die Angaben der Geschäftsführer der Firmen R. GmbH und S. GmbH. Bei Vorlage der tatsächlichen Umsatzzahlen wäre es nie zum Abschluß des Kaufvertrages gekommen. Er habe schon bald feststellen müssen, daß lediglich ein Umsatzvolumen von 60.000 DM monatlich zu erwirtschaften gewesen sei. Die Ertragsvorschau des Steuerberaters sei aus der Luft gegriffen. Anfang des Jahres 1997 habe er erst erfahren, daß der Kläger zu 2 am 20. Dezember 1995 als geschäftsführender Gesellschafter der Drittwiderbeklagten die eidesstattliche Versicherung geleistet habe.

Die Kläger und die Drittwiderbeklagte haben demgegenüber behauptet, der Steuerberater S. habe bei seinen Auskünften nicht in ihrem Auftrag gehandelt; der Beklagte habe vor Kaufabschluß auch nicht nach Bilanzen gefragt. Den Umsatzeinbruch habe der Beklagte durch falsches Wirtschaften selbst verursacht. Die eidesstattliche Versicherung sei wegen der Forderung in Höhe von 3.000 DM erfolgt, weil die Drittwiderbeklagte diese Forderung als ungerechtfertigt nicht habe bezahlen wollen.

Das Landgericht hat nach Abtrennung des Verfahrens über die Klage von dem Verfahren über die Widerklage den Rechtsstreit über die Mietzinsansprüche an das örtlich zuständige Landgericht L. verwiesen und sodann unter Abweisung der Widerklage im übrigen die Drittwiderbeklagte verurteilt, an den Beklagten 1.150.000 DM nebst 9 % Zinsen hieraus seit dem 25. März 1996 zu zahlen.

Das Berufungsgericht hat die Widerklage insgesamt abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seine Widerklage gegen beide Kläger und die Drittwiderbeklagte weiter. Der Senat hat die Revision nur insoweit angenommen, als sie sich gegen den Kläger zu 2 und die Drittwiderbeklagte richtet.

Entscheidungsgründe:

I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:

Der Beklagte habe keinen Anspruch auf Rückzahlung des teilweise geleisteten Kaufpreises sowie auf Schadensersatz, da er vom Kläger zu 2 nicht getäuscht worden sei. Die Beweisaufnahme habe ergeben, daß die Prädikatisierung "gutgehendes Maschinenbauunternehmen" - wie in der Zeitungsanzeige - für die Zeit vor Veräußerung des Kaufgegenstandes gerechtfertigt gewesen sei und die Darstellung des Beklagten, der Vertragsgegenstand sei den vereinbarten Kaufpreis nicht wert gewesen, falsch sei. Der Sachverständige Prof. Dr. F. -W. sei in seinem schriftlichen Gutachten und in den Erläuterungen hierzu überzeugend zu dem Ergebnis gelangt, daß die Produktionsanlage, das Büro und der Warenbestand einen Wert von 1,925 Millionen DM bzw. 2,015 Millionen DM gehabt hätten und die unterste Wertgrenze nach dem Ertragsbarwertmodell bei rund 2,0 Millionen DM gelegen habe. Die dem Abschluß des Vertrags zugrundeliegende Umsatz- und Ertragsvorschau des Steuerberaters S. sei zutreffend gewesen. Die Bewertung des Sachverständigen habe ergeben, daß der Vertragsgegenstand zumindest den Kaufpreis wert gewesen sei. Der Sachverständige habe überzeugend ausgeführt, daß der Rückgang der Umsatzzahlen und der Gewinnsituation in den Jahren 1994 und 1995 durch den Tod des Sohnes der Kläger veranlaßt worden sei, weswegen er in seinen Berechnungen nur die Jahre bis einschließlich 1993 aufgenommen habe.

Der Beklagte sei auch nicht im Hinblick auf die gegen die Drittwiderbeklagte titulierte Forderung in Höhe von 3.000 DM getäuscht worden. Der Geschäftsführer der Drittwiderbeklagten habe diese Forderung in dem zum Vertragsschluß führenden Gespräch ausdrücklich erwähnt und als nicht gerechtfertigt bezeichnet. Im übrigen sei nicht zu erkennen, inwieweit das neu gegründete Unternehmen "A. -H. GmbH" durch eine vom Geschäftsführer des alten Unternehmens "A. GmbH" veranlaßte relativ geringfügige und nicht erfüllte Forderung in seinem Ruf hätte belastet werden sollen.

II. Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten den Angriffen der Revision nicht stand. Die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht eine arglistige Täuschung des Beklagten durch den Kläger zu 2 verneint, beruhen nicht auf rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen (§ 286 ZPO). Daher ist für die Entscheidung des Berufungsgerichts, soweit die Klage gegen den Kläger zu 2 und die Drittwiderbeklagte abgewiesen worden ist, keine tragfähige Grundlage vorhanden.

1. Die Revision ist der Ansicht, das Berufungsgericht habe seiner Beurteilung, der Vertragsgegenstand sei den vereinbarten Kaufpreis von netto 1,5 Millionen DM wert gewesen, das eingeholte Wertgutachten des Sachverständigen Prof. Dr. F. -W. nicht uneingeschränkt zugrunde legen dürfen, weil das Gutachten widersprüchlich sei und von Annahmen ausgehe, die nicht vorgetragen seien. Das trifft zu.

a) Der Sachverständige geht im Ansatz richtig von einem Unternehmenskauf aus. Die Revision rügt aber zu Recht, das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. F. -W. leide an dem inneren Widerspruch, daß der Sachverständige zur Ermittlung des Unternehmenswertes zwar das sogenannte Ertragswertverfahren für das gebotene Verfahren hält, bei der endgültigen Beantwortung der Frage, ob der Vertragsgegenstand des Kaufvertrages mehr oder weniger als 1,5 Millionen DM wert gewesen sei, aber nicht vom Ertragswertverfahren, sondern vielmehr vom Substanzwertverfahren ausgehe, indem er die technischen Anlagen des Betriebes mit 1.435.000 DM und den Warenwert mit mindestens 490.000 DM bewertet sowie zu diesem Wert den Goodwill addiere. Auch bei seiner Anhörung vor dem Berufungsgericht hat der Sachverständige ausgeführt, die übertragenen Produktionsanlagen und die Büroausstattung hätten einen Substanzwert von 1,4 Millionen DM gehabt, so daß angesichts des Kaufpreises von 1,5 Millionen DM nur noch der Goodwill habe fraglich sein können. Wenn aber, wie der Sachverständige meint, eine keinen Ertrag bringende Substanz unter dem Gesichtspunkt des "going concern" für ein Unternehmen auch keinen wirtschaftlichen Wert hat, dann kann er, wie die Revision zutreffend darlegt, bei der Ermittlung des Wertes des fortzuführenden Unternehmens nicht trotzdem auf den von dem Ertragswert des Unternehmens unabhängigen Substanzwert von 1,4 Millionen DM der Produktionsanlagen und der Büroausstattung abstellen.

b) Zu Recht weist die Revision ferner darauf hin, daß die Erwägungen des Sachverständigen widersprüchlich sind, die die Feststellung eines Ertragsbarwertes der A. GmbH zum Bewertungsstichtag 19. Dezember 1995, dem Tag des Kaufvertragsabschlusses, in Höhe von 3.168.000 DM rechtfertigen sollen. Der Sachverständige führt in seinem Gutachten aus, daß "das Rückschauanalyseprinzip nach den Regeln der Kunst bzw. der Rechtsprechung die Bewertung der letzten drei bis sechs Jahre erfordert". Der Sachverständige begründet dies plausibel damit, daß man eine bestimmte Mindestzahl von Jahren benötige, um überhaupt eine tragfähige Beurteilungsbasis zu besitzen; außerdem sei eine Mindestzahl von Jahren notwendig, um die Repräsentativität der einzelnen Jahre für das Unternehmen abschätzen zu können. Diesen Erwägungen folgt dann der Hinweis, daß entweder das arithmetische Mittel aus den bereinigten Jahresergebnissen zu bilden sei oder eine Gewichtung in der Weise zu erfolgen habe, daß dem gegenwartsnächsten Jahr das größte Gewicht beizumessen sei. Die einzelnen Jahreserträge und Umsätze stellt der Sachverständige wie folgt fest:

Jahr Jahreserträge Umsätze 1991 60.926,00 DM 534.182,00 DM 1992 407.044,00 DM 2.546401,00 DM 1993 482.120,00 DM 2.412.824,00 DM 1994 - 58.359,00 DM 1.318.078,00 DM 1995 - 520.766,00 DM 961.958,00 DM

Bei der Unternehmensbewertung läßt der Sachverständige sodann die negativen Betriebsergebnisse der Jahre 1994 und 1995 wegen des Todes des Sohnes der Kläger unberücksichtigt, da sich hierdurch "eine für das Unternehmen ungünstige Situation ergab". Damit legt der Sachverständige seiner Beurteilung Feststellungen zugrunde, die das Gericht nicht getroffen hat, und beachtet zudem die von ihm selbst festgestellten Voraussetzungen für eine richtige Bewertung des Unternehmens nicht.

aa) Die tatsächliche Annahme des Sachverständigen, durch den Tod des Sohnes der Kläger habe sich eine für das Unternehmen ungünstige,

außergewöhnliche Situation ergeben, da "eine treibende Kraft weggefallen" und der Rückgang der Umsatz- und Gewinnzahlen in den Jahren 1994 und 1995 durch den Tod des Sohnes veranlaßt worden sei, beruht weder auf entsprechenden Feststellungen des Gerichts, noch ergibt sie sich aus dem Vortrag der Parteien. Der Beklagte hatte vielmehr im Gegenteil behauptet, der wirtschaftliche Erfolg des Unternehmens sei von der Leitung des Klägers zu 2 abhängig gewesen und nicht von dessen 25 Jahre altem Sohn.

bb) Da nach den Bewertungsgrundsätzen des Sachverständigen eine Beurteilungsbasis von mindestens drei Jahren erforderlich ist, hatte der Sachverständige, was das Berufungsgericht verkennt, bei Außerachtlassung der Jahre 1994 und 1995 keine tragfähige Beurteilungsbasis mehr. Der Sachverständige meint zwar in seinem Gutachten vom 23. März 1999, er könne "das Rückschauanalyseprinzip" im Falle der A. GmbH zum Stichtag 19. Dezember 1995 voll einhalten, da "fünf volle Berechnungszeiträume, nämlich die Jahre 1991 bis 1995 einschließlich, in die Vergangenheitsanalyse einbezogen wurden". Der Sachverständige führt dann aber in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 17. Dezember 1999 aus, das Jahr 1991 sei nicht repräsentativ, weil erst im September jenes Jahres die Produktion aufgenommen worden sei. Dem Sachverständigen stehen damit als Beurteilungsbasis nur noch die Jahre 1992 und 1993 zur Verfügung, was nach seinen eigenen gutachterlichen Darlegungen für eine Bewertung gerade nicht ausreicht.

cc) Nach den vom Sachverständigen aufgestellten Grundsätzen zur Unternehmensbewertung hätte den Jahren 1994 und 1995 als den gegenwartsnächsten Jahren das größte Gewicht beigemessen werden müssen. Diese beiden Jahre weisen aber negative Betriebsergebnisse auf, und zwar nach den Feststellungen des Sachverständigen im Jahre 1994 immerhin - 58.359 DM und im Jahre 1995 sogar - 520.766 DM bei einem Umsatz von nur 961.958 DM.

c) Das Gutachten des Sachverständigen bietet deshalb keine ausreichende Grundlage für die tatrichterliche Überzeugungsbildung davon, der Beklagte sei durch die Drittwiderbeklagte und deren Geschäftsführer, den Kläger zu 2, nicht getäuscht worden, da der Vertragsgegenstand zumindest den Kaufpreis wert gewesen sei.

III. Die Zurückverweisung der Sache gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, den nach seiner Ansicht maßgeblichen Sachverhalt festzustellen.

Bei der Zurückverweisung hat der Senat von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.

Ende der Entscheidung

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