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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 20.02.2002
Aktenzeichen: VIII ZR 228/00
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 477 Abs. 2 Satz 2
Das selbständige Beweisverfahren endet mit dem Zugang des Sachverständigengutachtens an die Parteien, sofern weder das Gericht in Ausübung des ihm nach § 411 Abs. 4 Satz 2 ZPO eingeräumten Ermessens eine Frist zur Stellungnahme gesetzt hat, noch die Parteien innerhalb eines angemessenen Zeitraums nach Erhalt des Gutachtens Einwendungen dagegen oder das Gutachten betreffende Anträge oder Ergänzungsfragen mitgeteilt haben (im Anschluß an BGHZ 120, 329).
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

VIII ZR 228/00

Verkündet am: 20. Februar 2002

in dem Rechtsstreit

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 20. Februar 2002 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Deppert und die Richter Dr. Hübsch, Wiechers, Dr. Wolst und Dr. Frellesen

für Recht erkannt:

Tenor:

Die von dem Streithelfer des Klägers geführte Revision gegen das Urteil des 21. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 11. Juli 2000 wird zurückgewiesen.

Der Streithelfer des Klägers hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger ist Konkursverwalter über das Vermögen des Gärtnermeisters J. S. in G. . Der Gemeinschuldner bezog im Rahmen einer laufenden Geschäftsbeziehung Anfang der 90er Jahre von der Molkerei- und R. -W. G. e.G., der Rechtsvorgängerin der Beklagten, für seine Großgärtnerei Pflanzenerde und Substrate. Die bei ihr bestellten Waren orderte die Rechtsvorgängerin der Beklagten bei der niederländischen Firma V. E. B.V., der Streithelferin der Beklagten. In den ersten Jahren der Geschäftsbeziehung sandte die Streithelferin der Beklagten die Pflanzenerden und Substrate an die Rechtsvorgängerin der Beklagten. Diese lieferte sie sodann an den Gemeinschuldner und stellte sie ihm in Rechnung. Etwa ab 1993/1994 gingen die Beteiligten dazu über, daß der Gemeinschuldner die benötigten Mischungen und Mengen an Pflanzenerden und Substraten unmittelbar mit der Streithelferin der Beklagten abklärte und letztere die Waren direkt an den Gemeinschuldner lieferte. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten stellte die Lieferungen nach wie vor in Rechnung und erhielt ihre Bezahlung von dem Gemeinschuldner.

Im Frühjahr 1995 teilte der Gemeinschuldner der Streithelferin der Beklagten, dieser Übung entsprechend, seinen Bedarf an Pflanzenerden und Pikiersubstraten mit. Die Lieferungen erfolgten im Mai und Juli 1995 durch die Streithelferin an ihn. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten stellte diese Lieferungen mit Schreiben vom 30. April, 31. Mai und 31. Juli 1995 in Rechnung; die Rechnungen enthielten sämtlich den Aufdruck: "Wir lieferten gemäß unseren Verkaufs-, Lieferungs- und Zahlungsbedingungen". Im September 1995 beantragte der Gemeinschuldner die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens, weil er festgestellt hatte, daß die im Frühjahr gelieferten Pflanzen sich nicht erwartungsgemäß entwickelt hatten. Im Rahmen dieses Verfahrens erstattete der gerichtlich beauftragte Sachverständige ein Gutachten. Dieses Gutachten wurde dem Gemeinschuldner und der Rechtsvorgängerin der Beklagten am 29. Juni 1998 zugestellt.

Der Kläger hat mit der am 30. Dezember 1998 eingereichten Klage Rückzahlung des für die Lieferung von Erden und Substraten gezahlten Kaufpreises sowie Schadensersatz, insgesamt 1.263.690,98 DM, begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht die hiergegen eingelegte Berufung zurückgewiesen. Der Streithelfer des Klägers, der ihn in erster Instanz vertreten hat, verfolgt mit der Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, das Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat keinen Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:

Es könne dahinstehen, ob die im Frühjahr 1995 gelieferten Erden und Substrate fehlerhaft gewesen seien. Eventuelle kaufrechtliche Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüche seien jedenfalls verjährt gewesen, als am 30. Dezember 1998 Klage erhoben worden sei. Denn das selbständige Beweisverfahren sei mit dem Zugang des Sachverständigengutachtens an die Parteien am 29. Juni 1998 beendet gewesen. Damit habe die Verjährung mit diesem Datum neu begonnen. Verjährung sei danach am 29. Dezember 1998 eingetreten. Die Verjährung erfasse auch etwaige Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung.

Die Beklagte könne auch nicht wegen Verletzung eines, neben den Kaufverträgen, selbständig abgeschlossenen Beratungsvertrages in Anspruch genommen werden. Sofern ein eigenständiger Beratungsvertrag zustande gekommen sein sollte, sei dieser ausschließlich zwischen dem Gemeinschuldner und der Streithelferin der Beklagten geschlossen worden.

II.

Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

1. Zutreffend hat das Oberlandesgericht angenommen, eventuelle Gewährleistungsansprüche des Gemeinschuldners seien bei Klageerhebung verjährt gewesen. Entscheidend ist allein, ob die durch das selbständige Beweisverfahren zunächst gemäß § 477 Abs. 2 Satz 1 BGB (Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches sind in ihrer am 31. Dezember 2001 geltenden Fassung angewendet) unterbrochene sechsmonatige Verjährungsfrist (§ 477 Abs. 1 Satz 1 BGB) nach der Zustellung des Sachverständigengutachtens an die Beteiligten am 29. Juni 1998 sofort nach §§ 477 Abs. 2 Satz 2, 217 BGB erneut zu laufen begann. Dies hat das Oberlandesgericht zu Recht bejaht.

Die Revision meint, das selbständige Beweisverfahren sei noch nicht mit dem Erhalt des Sachverständigengutachtens durch die Beteiligten beendet gewesen; dieses sei vielmehr erst etwa drei Monate nach diesem Zeitpunkt abgeschlossen worden. Denn nach §§ 411 Abs. 4 Satz 1, 492 Abs. 1 ZPO hätten die Parteien dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ihre Einwendungen gegen das Gutachten wie auch ihre die Begutachtung betreffenden Anträge und Ergänzungsfragen mitteilen können. Vor Ablauf dieser "angemessenen Frist" sei das selbständige Beweisverfahren noch nicht beendet im Sinne des § 477 Abs. 2 Satz 2 BGB. Dem kann nicht gefolgt werden.

a) Der Bundesgerichtshof hat für den Rechtszustand zur Zeit vor Inkrafttreten des Rechtspflege-Vereinfachungsgesetzes vom 17. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2847) entschieden, daß ein Beweissicherungsverfahren - an dessen Stelle ist durch das genannte Gesetz das selbständige Beweisverfahren getreten - mit der Übermittlung des schriftlichen Sachverständigengutachtens an die Parteien beendet ist, sofern eine mündliche Erläuterung des Gutachtens durch den Sachverständigen nicht stattfindet (BGHZ 120, 329, 330 f). An dieser Auffassung wird für das selbständige Beweisverfahren festgehalten.

b) Allerdings wird von einem Teil der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung die Ansicht vertreten, die genannte Entscheidung des Bundesgerichtshofs sei dadurch überholt, daß die §§ 485 ff ZPO durch das Rechtspflege-Vereinfachungsgesetz teilweise geändert oder neu gefaßt worden seien und die Bestimmung des § 411 ZPO in Absatz 4 eine Ergänzung dahin erfahren habe, daß die Parteien Einwendungen gegen ein schriftlich erstattetes Gutachten sowie die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums mitzuteilen hätten. Der Neuregelung des § 411 Abs. 4 ZPO und den geänderten Vorschriften über das selbständige Beweisverfahren sei dadurch Rechnung zu tragen, daß dieses im Falle einer schriftlichen Begutachtung erst dann als beendet angesehen werde, wenn binnen einer angemessenen Zeitspanne kein Antrag auf Ergänzung des Gutachtens oder auf dessen mündliche Erläuterung durch den Sachverständigen gestellt worden sei (OLG Köln, NJW-RR 1997, 1220 unter 2 m.w.Nachw.; vgl. OLG Frankfurt am Main, BauR 1994, 139). Demgegenüber wird in der Kommentarliteratur nahezu einhellig angenommen, mit der Übersendung des Gutachtens an die Parteien sei das selbständige Beweisverfahren abgeschlossen, wenn weder das Gericht eine Frist nach § 411 Abs. 4 Satz 2 ZPO setze, noch eine mündliche Erläuterung durch den Sachverständige stattfinde (MünchKomm-ZPO/Schreiber, 2. Aufl., § 485 Rdnr. 18; Musielak/Huber, ZPO, 2. Aufl., § 492 Rdnr. 3; Zöller/Herget, ZPO, 22. Aufl., § 492 Rdnr. 4; Thomas/Putzo, ZPO, 23. Aufl., § 492 Rdnr. 3).

Der Senat hält in Übereinstimmung mit dieser Auffassung im Schrifttum an der bereits für das Beweissicherungsverfahren geäußerten Rechtsansicht fest. Auch nach der Neufassung der §§ 485 ff ZPO durch das Rechtspflege-Vereinfachungsgesetz und der Einfügung des § 411 Abs. 4 ZPO ist davon auszugehen, daß das Beweisverfahren mit seiner sachlichen Erledigung beendet ist (BGHZ 120, 329, 330). Mit der Übersendung des Gutachtens an die Parteien ist das selbständige Beweisverfahren aber erledigt, sofern weder das Gericht in Ausübung des ihm nach § 411 Abs. 4 Satz 2 ZPO eingeräumten Ermessens eine Frist gesetzt hat, noch die Parteien dem Gericht nach Erhalt des Gutachtens innerhalb eines angemessenen Zeitraums Einwendungen dagegen oder das Gutachten betreffende Anträge oder Ergänzungsfragen mitteilen. In den letztgenannten Fällen endet die Unterbrechungswirkung erst zu einem späteren Zeitpunkt (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 2000 - VII ZR 407/99, NJW-RR 2001, 385 unter II). Ob die Beendigung des Verfahrens durch derartige Schritte hinausgeschoben worden ist, läßt sich naturgemäß erst bei rückschauender Betrachtung beurteilen.

Für diese Auffassung spricht auch der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit, der es gebietet, die formalen Bestimmungen über die Verjährung eng am Wortlaut angelehnt auszulegen (BGHZ 53, 43, 47). Wollte man - wie die Revision meint - aus den Vorschriften der § 411 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 492 Abs. 1 ZPO herleiten, daß das selbständige Beweisverfahren, obwohl das Gericht keine Frist nach § 411 Abs. 4 Satz 2 ZPO gesetzt und keine der Parteien Einwendungen gegen das Gutachten erhoben hat, erst dann endet, wenn eine angemessene Frist nach Zusendung des Gutachtens verstrichen ist, entstünde nach Durchführung des Beweisverfahrens stets Unklarheit darüber, wann die Unterbrechung der Verjährung gemäß § 477 Abs. 2 Satz 2 BGB geendet hat. Dies ist aus Gründen der Rechtssicherheit zu vermeiden. Schutzwürdige Belange des Anspruchsgläubigers werden dadurch nicht unzumutbar betroffen. Ihm ist es im Regelfall unbenommen, nach §§ 209 ff BGB rechtzeitig eine (erneute) Unterbrechung der Verjährung herbeizuführen. Im übrigen hat sich die Rechtslage nach dem Rechtspflege-Vereinfachungsgesetz im Hinblick auf die hier zu entscheidende Frage nicht wesentlich verändert. Auch nach früherem Recht konnte eine Erläuterung bzw. Ergänzung des Gutachtens durch den Sachverständigen stattfinden und wurde die Unterbrechungswirkung hierdurch hinausgeschoben (vgl. BGHZ 120, 329, 330). Durch § 411 Abs. 4 ZPO erfährt das Verfahren, wenn es nach Erstattung des schriftlichen Gutachtens noch fortgesetzt wird, lediglich eine gesetzliche Ausgestaltung.

c) War somit die Unterbrechung der Verjährung möglicher kaufrechtlicher Gewährleistungsansprüche des Gemeinschuldners mit der Zusendung des Gutachtens an die Parteien am 29. Juni 1998 gemäß § 477 Abs. 2 Satz 2 BGB beendet, so war bei Eingang der Klageschrift am 30. Dezember 1998 Verjährung eingetreten. Die sechsmonatige Frist begann nach § 187 Abs. 1 BGB am 30. Juni 1998 und endete daher gemäß § 188 Abs. 1, Abs. 2 Halbs. 1 BGB mit Ablauf des 29. Dezember 1998.

2. Ohne Erfolg beruft sich die Revision darauf, zwischen dem Gemeinschuldner und der Rechtsvorgängerin der Beklagten sei ein selbständiger, neben dem Kaufvertrag stehender Beratungsvertrag geschlossen worden; die Beklagte habe deshalb für die ihm entstandenen Schäden wegen Verletzung des Beratungsvertrages einzustehen. Die rechtliche Würdigung des Berufungsgerichts, ein solcher Vertrag sei allenfalls zwischen der Streithelferin der Beklagten und dem Gemeinschuldner zustande gekommen, erweist sich als fehlerfrei. Eine Beratungstätigkeit der Rechtsvorgängerin der Beklagten selbst hat das Berufungsgericht für die Zeit ab 1993/1994 nicht festgestellt. Insoweit verweist die Revision auch nicht auf übergangenen Sachvortrag. Die Streithelferin der Beklagten kann nach dem festgestellten Sachverhalt auch nicht als Erfüllungsgehilfin der Rechtsvorgängerin der Beklagten angesehen werden. Ein Erfüllungsgehilfe verrichtet eine Tätigkeit, die im Bereich des vom Schuldner geschuldeten Gesamtverhaltens liegt. Hier schuldete die Rechtsvorgängerin der Beklagten jedenfalls seit 1993/1994 keine Beratungstätigkeit mehr. Dafür, daß die Streithelferin der Beklagten einen (selbständigen) Beratungsvertrag als Bevollmächtigte der Rechtsvorgängerin der Beklagten geschlossen hat, sind Umstände weder festgestellt noch dargetan.

Ende der Entscheidung

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