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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 29.03.2006
Aktenzeichen: VIII ZR 250/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 577
Das gesetzliche Vorkaufsrecht steht dem Mieter einer umgewandelten Eigentumswohnung auch im freien Wohnungsbau nur für den ersten Verkaufsfall nach der Umwandlung zu. Es besteht deshalb nicht, wenn die Eigentumswohnung vor dem am 1. September 1993 erfolgten Inkrafttreten des § 570 b BGB a.F., der Vorgängerbestimmung des § 577 BGB, bereits einmal verkauft worden ist und nach diesem Zeitpunkt erneut verkauft wird (im Anschluss an Senatsurteil BGHZ 141, 194).
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

VIII ZR 250/05

Verkündet am: 29. März 2006

in dem Rechtsstreit

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren mit Schriftsatzfrist bis zum 22. März 2006 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Deppert und die Richter Dr. Beyer, Ball und Dr. Wolst sowie die Richterin Hermanns

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Kläger gegen das Urteil der 31. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 15. September 2005 wird zurückgewiesen.

Die Kläger haben die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Kläger begehren von den Beklagten Auskunft und Feststellung einer Schadensersatzverpflichtung wegen Vereitelung eines Vorkaufsrechts. Dem liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:

Die Kläger sind als Mitglieder einer Wohngemeinschaft Mieter, die Beklagten waren Vermieter einer Wohnung in einem Mehrfamilienhaus in M. , J. straße . Die Klägerin zu 1) ist nach ihren Angaben Anfang Januar 1983, der Kläger zu 2) ist im Laufe des Jahres 1986 in die Wohnung eingezogen. Am 26. Januar 1983 wurde das Anwesen in Wohnungseigentum aufgeteilt. Aufgrund eines Kaufvertrages vom 2. Februar 1983 erwarb die inzwischen verstorbene und von den Beklagten beerbte E. S. die Wohnung. Am 20. Januar 1984 wurde sie als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen. Die Beklagten veräußerten die Wohnung mit Kaufvertrag vom 4. November 2003 an den jetzigen Eigentümer A. J. , ohne die Kläger hiervon zu unterrichten.

Die Kläger sind der Auffassung, dass ihnen ein gesetzliches Vorkaufsrecht nach § 577 BGB (§ 570 b BGB a.F.) zugestanden habe. Da die Beklagten sie über den Verkauf an den Erwerber J. nicht unterrichtet und dadurch die Geltendmachung des Vorkaufsrechts vereitelt hätten, seien sie ihnen - den Klägern - zum Schadensersatz verpflichtet. Dabei komme es nicht darauf an, dass die Wohnung vor dem am 1. September 1993 erfolgten Inkrafttreten des § 570 b BGB a.F. schon einmal verkauft worden sei.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung der Kläger zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihr Klagebegehren in vollem Umfang weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt:

Ein Auskunftsanspruch stehe den Klägern nicht zu, weil sie bei der Veräußerung der Wohnung im Jahre 2004 nicht vorkaufsberechtigt gewesen seien und die Beklagten ihnen deshalb nicht zum Schadensersatz verpflichtet seien. Das Vorkaufsrecht des Mieters bestehe nur für den ersten Verkaufsfall nach der Umwandlung der Mietwohnung; dieser sei jedoch bereits am 2. Februar 1983 erfolgt. Damals habe den Mietern kein Vorkaufsrecht zugestanden, da § 570 b BGB a.F. erst am 1. September 1993 in Kraft getreten sei. Durch die Übergangsbestimmung des Art. 6 Abs. 4 des Vierten Mietrechtsänderungsgesetzes vom 21. Juli 1993, nach der § 570 b BGB a.F. auf vor dem 1. September 1993 abgeschlossene Kaufverträge nicht anzuwenden sei, habe der Gesetzgeber zu erkennen gegeben, dass die Vorschrift für "Altfälle", bei denen der erste Verkauf vor dem 1. September 1993 erfolgt sei, nicht gelten solle.

II.

Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung stand.

1. Die Revision des Klägers zu 2) ist bereits deshalb unbegründet, weil sein Mietverhältnis nach seinem eigenen Vorbringen erst im Jahre 1986, mithin mehrere Jahre nach der Begründung des Wohnungseigentums am 26. Januar 1983, abgeschlossen worden ist. Auf eine solche Fallgestaltung ist § 577 BGB, der durch das Mietrechtsreformgesetz vom 19. Juni 2001 (BGBl. I, 1149) mit geringfügigen sprachlichen Änderungen und einer Klarstellung an die Stelle des § 570 b BGB a.F. getreten ist, nach seinem Wortlaut von vornherein nicht anwendbar. § 577 BGB setzt ebenso wie § 570 b BGB a.F. voraus, dass das Wohnungseigentum erst nach der Überlassung der Wohnräume an den Mieter begründet worden ist.

2. Die Revision der Klägerin zu 1) bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Berufungsgericht einen Schadensersatzanspruch der Klägerin wegen Vereitelung eines Vorkaufsrechts verneint.

a) § 577 BGB räumt dem Mieter ein Vorkaufsrecht ein, wenn nach Abschluss des Mietvertrages und Überlassung der Wohnung an ihn Wohnungseigentum an dieser Wohnung begründet wird und die Eigentumswohnung sodann an einen Dritten verkauft wird. Das Gesetz geht also von der zeitlichen Reihenfolge Mietvertrag und Überlassung - Umwandlung - Verkauf aus. Die durch das Vierte Mietrechtsänderungsgesetz vom 21. Juli 1993 (BGBl. I, 1257) in das Bürgerliche Gesetzbuch eingefügte Bestimmung des § 570 b BGB (a.F.) gewährte erstmals allen Mietern, auch im freien Wohnungsbau, das gesetzliche Vorkaufsrecht. Die hierzu erlassene Übergangsvorschrift des Art. 6 Abs. 4 des Vierten Mietrechtsänderungsgesetzes schließt nach ihrem Wortlaut nur diejenigen Verkaufsfälle aus, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes am 1. September 1993 erfolgt sind. Ob der Ausschluss auch für einen weiteren Verkauf nach diesem Zeitpunkt gelten soll, lässt sich der Bestimmung nicht unmittelbar entnehmen und ist umstritten.

Nach einer Auffassung soll das Vorkaufsrecht bei jedem Weiterverkauf der Wohnung bestehen (Palandt/Weidenkaff, BGB, 65. Aufl., § 577 Rdnr. 4), nach anderer Ansicht für alle Verkaufsfälle nach dem 31. August 1993 (Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, 8. Aufl., § 577 Rdnr. 3; Blank/Börstinghaus, Miete, 2. Aufl., § 577 Rdnr. 3). Eine dritte Auffassung hält § 577 BGB (§ 570 b BGB a.F.) nur für den ersten Verkaufsfall nach Inkrafttreten des Vierten Mietrechtsänderungsgesetzes am 1. September 1993 für anwendbar, wobei offen bleibt, ob dies auch für den Fall gilt, dass die umgewandelte Wohnung bereits einmal vor dem 1. September 1993 verkauft worden ist (so LG Oldenburg, WuM 1997, 436 und Palandt/Weidenkaff, aaO Rdnr. 1 a.E.; nicht eindeutig Bamberger/Roth/Reick, BGB, § 577 Rdnr. 18). Soweit ein Vorkaufsrecht nur für den ersten Verkaufsfall nach der Umwandlung (Müller/Walther/Krenek, Miet- und Pachtrecht, Stand November 2005, § 577 Rdnr. 19) oder ohne nähere zeitliche Differenzierung angenommen wird (Erman/P. Jendrek, BGB, 11. Aufl., § 577 Rdnr. 4, und MünchKommBGB/Schilling, 4. Aufl., § 577 Rdnr. 11), dürfte im Hinblick auf den Ausschlusstatbestand des Art. 6 Abs. 4 des Vierten Mietrechtsänderungsgesetzes ersichtlich gleichfalls nur der erste Verkaufsfall nach dem 31. August 1993 gemeint sein. Schließlich wird die Auffassung vertreten, nach dem Zweck des § 577 BGB (§ 570 b BGB a.F.) sei das Vorkaufsrecht des Mieters auch dann ausgeschlossen, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Wohnung vor dem 1. September 1993 bereits einmal verkauft worden sei und nach diesem Stichtag ein weiterer Verkauf stattfinde (Lammel, Wohnraummietrecht, 2. Aufl., § 577 Rdnr. 5; Emmerich/Sonnenschein/Rolfs, Miete, 8. Aufl., § 577 Rdnr. 31; unklar insoweit jedoch ders., aaO Rdnr. 16).

b) Die letztgenannte Ansicht trifft zu. Sie steht im Einklang mit dem Wortlaut und Zweck der Übergangsvorschrift des Art. 6 Abs. 4 des Vierten Mietrechtsänderungsgesetzes und wird insbesondere auch dem Sinn und Zweck des § 577 BGB (früher: § 570 b BGB) gerecht.

aa) Die Vorschrift des § 570 b BGB a.F. ist dem - inzwischen durch Art. 6 Nr. 2 des Gesetzes zur Reform des Wohnungsbaurechts vom 13. September 2001 (BGBl. I, 2376) mit Wirkung vom 1. Januar 2002 aufgehobenen - § 2 b WoBindG nachgebildet (vgl. dazu die Begründung zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Wiederherstellung eines sozialen Mietrechts, BT-Drucks. 12/3013, S. 18, sowie die Stellungnahme des Bundesrates zum Regierungsentwurf des Vierten Mietrechtsänderungsgesetzes, BT-Drucks. 12/3254, S. 40). Für diese Vorschrift, deren Anwendungsbereich auf den öffentlich geförderten Wohnungsbau beschränkt war, hat der Senat in einem Urteil vom 14. April 1999 (BGHZ 141, 194) klargestellt, dass das dort geregelte gesetzliche Vorkaufsrecht dem Mieter nicht für jeden, sondern nur für den ersten Verkaufsfall nach der Umwandlung der Mietwohnung zusteht. Entscheidend hat er dabei auf den Sinn und Zweck der Bestimmung abgestellt (aaO S. 198 ff.).

Mit der Schaffung des § 2 b WoBindG hat der Gesetzgeber das Ziel verfolgt, der Gefahr einer spekulativen Umwandlung von Sozialmietwohnungen in Eigentumswohnungen und der sich daraus ergebenden Verdrängung der Mieter entgegenzuwirken (Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, BT-Drucks. 8/3403, S. 35 und 40 f.). Diese Gefahr besteht, wie der Senat in seinem Urteil vom 14. April 1999 ausgeführt hat (aaO S. 199), regelmäßig nur beim ersten Verkauf nach der Umwandlung, weil der Eigentümer, der von der Umwandlung profitieren will, sein Spekulationsinteresse typischerweise durch einen baldigen Verkauf der umgewandelten Wohnungen realisieren will.

bb) Allerdings hatte der Senat bei der Prüfung des Anwendungsbereichs des § 2 b WoBindG nicht zu entscheiden, ob die Beschränkung auf den ersten Verkaufsfall auch dann gilt, wenn zu jenem Zeitpunkt das gesetzliche Vorkaufsrecht des Mieters - wie hier - noch nicht bestanden hat und eine Rückwirkung der entsprechenden Bestimmung ausgeschlossen ist (Art. 6 Abs. 4 des Vierten Mietrechtsänderungsgesetzes). Sinn und Zweck des § 2 b WoBindG und ebenso des ihm nachgebildeten § 570 b BGB a.F. (jetzt § 577 BGB) gebieten jedoch eine Auslegung in diesem Sinn.

In dem Gesetzgebungsverfahren, das dem Vierten Mietrechtsänderungsgesetz vorausgegangen war, ist zur Begründung der Einführung eines gesetzlichen Vorkaufsrechts im freien Wohnungsbau wiederholt betont worden, für die Ausweitung des im Bereich des sozialen Wohnungsbaus bestehenden Vorkaufsrechts des Mieters auf den nicht geförderten oder bindungsfrei gewordenen Bestand spreche, dass der Schutz des Mieters "vor einer Verdrängung im Zusammenhang mit einer Umwandlung" bei frei finanzierten Wohnungen nicht weniger dringlich sei als bei Sozialwohnungen (BT-Drucks. 12/3013 S. 18; BT-Drucks. 12/3254 S. 40). Ein solcher Zusammenhang ist aber in aller Regel nur beim ersten Verkauf einer Eigentumswohnung nach der erfolgten Umwandlung gegeben, weil hier bei dem Eigentümer, der die Umwandlung vorgenommen hat, das spekulative Interesse an der baldigen Erzielung eines Verkaufserlöses im Vordergrund steht (BGHZ 141, 194, 199). Veräußert dagegen der Ersterwerber die Eigentumswohnung weiter, so unterscheidet sich dieser Verkauf insoweit nicht vom Verkauf eines anderen Wirtschaftsgutes; der vom Gesetzgeber als auslösendes Moment für die drohende Verdrängung des Mieters angenommene Zusammenhang mit der Umwandlung der Wohnung in eine Eigentumswohnung besteht hier regelmäßig nicht mehr. Ist eine durch die Umwandlung verursachte gesteigerte Verdrängungsgefahr bei einem späteren erneuten Verkauf der Wohnung aber nicht mehr vorhanden, ist der Eingriff in die Vertragsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) und die wirtschaftliche Dispositionsfreiheit des Wohnungseigentümers (Art. 14 Abs. 1 GG) auch nach der Vorstellung des Gesetzgebers nicht mehr gerechtfertigt.

cc) Der Umstand, dass im Zeitpunkt des ersten Verkaufs der umgewandelten Wohnung (hier: im Februar 1983) das gesetzliche Vorkaufsrecht noch nicht bestand, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die Situation ist in diesem Fall vergleichbar mit der vom Senat (aaO) entschiedenen Fallgestaltung, in welcher bei der ersten Veräußerung der umgewandelten Wohnung dem Mieter ein Vorkaufsrecht deshalb nicht zustand, weil der Eigentumserwerb im Wege der Zwangsversteigerung erfolgte (§ 471 BGB; früher: § 512 BGB a.F.).

dd) Dafür, dass der Gesetzgeber die "Altfälle", in denen der erste Verkauf einer umgewandelten Mietwohnung vor dem 1. September 1993 stattgefunden hat, aus dem Anwendungsbereich des § 570 b BGB a.F. herausnehmen wollte, spricht auch die Übergangsbestimmung des Art. 6 Abs. 4 des Vierten Mietrechtsänderungsgesetzes; hierauf hat das Berufungsgericht zu Recht hingewiesen. Hätte der Gesetzgeber dem Mieter ein Vorkaufsrecht für alle späteren Verkaufsfälle einräumen wollen, so hätte es nahe gelegen, dies in § 570 b BGB a.F. oder zumindest in Art. 6 Abs. 4 des Vierten Mietrechtsänderungsgesetzes ausdrücklich zu regeln (BGHZ 141, 194, 199). Auch die Reform des Mietrechts durch das Gesetz vom 19. Juni 2001 hat er nicht zum Anlass genommen, eine entsprechende "Klarstellung" in § 577 BGB einzufügen, obwohl zu diesem Zeitpunkt das genannte Senatsurteil bereits vorlag und der Gesetzgeber in anderem Zusammenhang bei der Begründung des Entwurfs zu § 577 BGB auf die Rechtsprechung des Senats eingegangen ist (BT-Drucks. 14/4553 S. 92).

III.

Stand den Klägern nach alledem bei dem Verkauf der Wohnung durch die Beklagten an A. J. am 4. November 2003 ein Vorkaufsrecht nicht zu, entfällt damit die Grundlage für einen Schadensersatzanspruch wegen Vereitelung des vermeintlichen Vorkaufsrechts und damit auch für den geltend gemachten Auskunftsanspruch. Die Revision ist daher zurückzuweisen.

Ende der Entscheidung

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