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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 16.06.2004
Aktenzeichen: VIII ZR 258/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 477 Abs. 1 a.F.
Die Entscheidung der Frage, ob die beratende Tätigkeit eines Verkäufers lediglich auf einer unselbständigen kaufrechtlichen Nebenverpflichtung oder auf einem neben dem Kaufvertrag stehenden selbständigen Beratungsvertrag beruht, erfordert eine umfassende Prüfung aller maßgebenden Umstände des Einzelfalles (im Anschluß an Senatsurteile vom 23. Juli 1997 - VIII ZR 238/96 und vom 23. Juni 1999 - VIII ZR 84/98).
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

VIII ZR 258/03

Verkündet am: 16. Juni 2004

in dem Rechtsstreit

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 16. Juni 2004 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Deppert und die Richter Dr. Beyer, Wiechers, Dr. Wolst sowie die Richterin Hermanns

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 13. August 2003 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an den 31. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Parteien, beides kleine mittelständische Unternehmen, streiten um Schadensersatzforderungen des Beklagten, die dieser einer Kaufpreisforderung der Klägerin entgegenhält.

Die Klägerin betreibt einen Fachhandel für Farben und Lacke, der Beklagte handelt mit Gartenmöbeln aus Kunststoff und ähnlichen Gegenständen. Anfang 1998 erhielt der Beklagte von einer Brauerei den Auftrag zur Lieferung einer größeren Anzahl von Gartentischen und -stühlen, die in Biergärten verwendet werden sollten. Da er keinen Lieferanten für das Biergartenmobiliar fand, entschloß sich der Beklagte, die Tische und Stühle aus vorgefertigten Teilen selbst herzustellen. Zu diesem Zweck erwarb er unter anderem Tischplatten aus Eichenholz und für die Stühle Latten aus Buchenholz. Die Latten waren mit einem Holzschutzmittel kesseldruckimprägniert.

Der Beklagte, der keine Erfahrungen mit der Beschichtung von zur Verwendung im Freien bestimmten Hölzern hatte, wurde an das Fachgeschäft der Klägerin verwiesen. Mit dem Sohn der Klägerin, dem Zeugen Z. , verhandelte der Beklagte sodann über die Wahl und den Kauf der Farbe. Der Zeuge Z. holte Erkundigungen bei verschiedenen Farbherstellern ein und empfahl dem Beklagten schließlich bestimmte Lasuren, die der Beklagte daraufhin für insgesamt 65.111,20 DM bei der Klägerin erwarb und mit denen in der Folgezeit die Holzteile der herzustellenden Biergartenmöbel beschichtet wurden. Die Beschichtungsarbeiten, mit denen der Beklagte drei Subunternehmer beauftragt hatte, wurden von dem Zeugen Z. bei mehrfachen Besuchen in den Betrieben der Subunternehmer begleitet und beobachtet.

Nach der Auslieferung der fertigen Möbel traten an den Holzteilen alsbald dunkle Verfärbungen auf, die von der Käuferin gerügt wurden. Daraufhin holte der Beklagte den größten Teil der Tische und Stühle zurück und ersetzte die verfärbten Latten und Platten durch neue Teile. Die Mängel waren, wie das hierzu eingeholte Sachverständigengutachten ergeben hat, auf Pilzbefall zurückzuführen, gegen den die von der Klägerin gelieferten Lasuren keinen Schutz geboten hatten.

Dem - der Höhe nach unstreitigen - Kaufpreisanspruch der Klägerin hält der Beklagte entgegen, durch die dem Kaufvertrag vorausgegangenen Gespräche sei zwischen den Parteien ein (selbständiger) Beratungsvertrag zustande gekommen, aufgrund dessen die Klägerin ihm - dem Beklagten - gegenüber zur umfassenden Information über das für den angegebenen Verwendungszweck geeignete Farbmaterial verpflichtet gewesen sei. Diese Pflicht habe sie durch die Empfehlung der ungeeigneten Lasuren verletzt. Ihm stehe deshalb ein Schadensersatzanspruch zu, auf Grund dessen er die Bezahlung des Kaufpreises verweigern und Erstattung seiner nutzlosen Aufwendungen für die Herstellung der mangelbehafteten Tische und Stühle einschließlich der damit zusammenhängenden Nebenkosten verlangen könne. Diese, mit der Widerklage geltend gemachte Schadensersatzforderung beziffert der Beklagte, soweit es nicht um die Bezahlung des Kaufpreises geht, auf insgesamt 382.821,14 €.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage im Wesentlichen stattgegeben. Soweit die Widerklage gegen die Fa. A. GmbH gerichtet war, die die Buchenlatten imprägniert hatte, hat das Landgericht sie insgesamt abgewiesen; diese Entscheidung ist rechtskräftig. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils der Klage in vollem Umfang stattgegeben und die Widerklage insgesamt abgewiesen.

Mit seiner Revision, die der Senat zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen hat, verfolgt der Beklagte seine in der Berufungsinstanz gestellten Anträge zur Klage und Widerklage weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht, dessen äußerst knappe und wenig aussagekräftige Entscheidungsgründe jede substantiierte, der Bedeutung der Sache angemessene Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der Parteien sowie den tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen des Landgerichts vermissen lassen (Art. 103 Abs. 1 GG), hält den Schadensersatzanspruch des Beklagten und Widerklägers nach § 477 BGB a.F. für verjährt. Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 23. Juli 1997 - VIII ZR 238/96, NJW 1997, 3227) meint es, die Voraussetzungen für die Annahme eines selbständigen Beratungsvertrages mit einer dreißigjährigen Verjährungsfrist der Schadensersatzansprüche seien nicht erfüllt. Weder nach der Art oder dem Zweck des Geschäfts noch im Hinblick auf die damit zusammenhängende Anschaffung zweier Spritzgeräte durch den Beklagten sei nach den vom Senat (aaO) entwickelten Grundsätzen ein solcher selbständiger Beratungsvertrag anzunehmen; mit dem der genannten Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt sei der vorliegende Fall nicht zu vergleichen.

II.

Diese Erwägungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Feststellungen des Landgerichts sowie des als wahr zu unterstellenden sonstigen Vorbringens des Beklagten kann mit der knappen Begründung des Berufungsurteils ein selbständiger Beratungsvertrag nicht verneint werden; infolgedessen fehlt es an einer tragfähigen Grundlage für die Anwendung der kurzen kaufrechtlichen Verjährungsfrist des § 477 Abs. 1 BGB a.F.

1. Richtig sind allerdings die Ausführungen des Berufungsgerichts zu den wesentlichen Merkmalen eines selbständigen Beratungsvertrages (vgl. dazu Senatsurteil vom 23. Juli 1997 aaO unter II 2 c). Ob dessen Voraussetzungen erfüllt sind, bedarf jedoch einer umfassenden Prüfung und Abwägung aller Umstände des Einzelfalles (Senatsurteil vom 23. Juli 1997 aaO unter II 2 b); dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, daß die Höhe des eingetretenen Schadens sich - wie hier von dem Beklagten behauptet - für den Käufer existenzbedrohend auswirken kann. Diese Prüfung hat das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft unterlassen.

2. Für die gebotene Prüfung der Einzelfallumstände hat der Senat in ständiger Rechtsprechung (zuletzt Senatsurteile vom 23. Juli 1997 aaO, vom 23. Juni 1999 - VIII ZR 84/98, NJW 1999, 3192 = WM 1999, 1898 unter II 2 und 3, und vom 16. Juni 2004 - VIII ZR 303/03 unter II 2, zur Veröffentlichung vorgesehen) Leitlinien entwickelt, mit denen sich das Oberlandesgericht nicht in der erforderlichen Weise auseinandergesetzt hat. Nach diesen Grundsätzen ist im Regelfall eine beratende Tätigkeit des Verkäufers lediglich als Teil seiner Absatzbemühungen anzusehen; bezieht sie sich auf Eigenschaften des Kaufgegenstandes, so kommt ihr keine eigenständige rechtliche Bedeutung zu. Es handelt sich mithin lediglich um eine kaufrechtliche Nebenverpflichtung, die hinsichtlich der Verjährung an die entsprechenden Vorschriften für die Gewährleistungsansprüche angelehnt ist. Wertungswidersprüche zwischen der originären kaufrechtlichen Mängelhaftung und einer Haftung für "normale" Beratungstätigkeit des Verkäufers werden auf diese Weise vermieden.

Für die Annahme eines selbständigen, neben dem Kaufvertrag stehenden Beratungsvertrages bedarf es demgegenüber besonderer und außergewöhnlicher Umstände; denn nur wenn die Beratung des Verkäufers eindeutig über das hinausgeht, was im allgemeinen seitens des Verkäufers für die sachgemäße Anwendung oder den Einsatz des Kaufgegenstandes in beratender oder empfehlender Weise, auch in Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung, geleistet wird, kann es gerechtfertigt sein, zwischen Käufer und Verkäufer eine besondere, selbständig neben dem Kaufvertrag stehende Rechtsbeziehung anzunehmen. In den Fällen, in denen sich die Beratung - wie hier - auf Eigenschaften des Kaufgegenstandes bezieht, wird die Annahme eines selbständigen Beratungsvertrages daher in aller Regel nicht in Betracht kommen. Dort ist an eine durch Ausdehnung der Verjährungsfrist verlängerte Haftung nur zu denken, wenn sich die beratende Tätigkeit nach Inhalt, Umfang, Intensität und Bedeutung für den Käufer so sehr verselbständigt hat, daß sie gewissermaßen als eine andersartige, auf eigener tatsächlicher und rechtlicher Grundlage beruhende Aufgabe des Verkäufers erscheint und als vertragliche Verpflichtung eigener Art neben dem Kaufvertrag steht. Liegen diese besonderen Voraussetzungen vor, tritt die Beratung als gleichwertige, wenn auch unter Umständen unentgeltliche oder jedenfalls nicht besonders vergütete Leistung des Verkäufers neben die Pflicht zur Übergabe der Kaufsache und zur Eigentumsverschaffung. Danach wird ein selbständiger Beratungsvertrag um so eher anzunehmen sein, je größer der Wissensvorsprung des als Fachmann in Anspruch genommenen Verkäufers/Beraters gegenüber dem ratsuchenden Käufer ist, je intensiver die Beratung erfolgt und je bedeutsamer sie für die Kaufentscheidung des Beratenen und deren erkennbare wirtschaftliche Folgen ist.

3. Daß nach diesem Maßstab zwischen den Parteien im Zusammenhang mit den Kaufverhandlungen ein selbständiger Beratungsvertrag zustande gekommen ist, wie das Landgericht angenommen hat, kann nach den bisherigen Feststellungen und unter Zugrundelegung der von der Revision in Bezug genommenen Behauptungen des Beklagten entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht ausgeschlossen werden. Danach hat sich der Beklagte - für den Zeugen Z. erkennbar - zur Vorbereitung seiner Kaufentscheidung bei der Klägerin sach- und fachkundigen Rat für das geeignete Farbmaterial holen wollen. Der Klägerin wurde zu verstehen gegeben, daß es dem Beklagten wegen des mit dem Großauftrag verbundenen Risikos auf eine Fachberatung ankam. Der Beklagte übergab ihr Musterstücke der zu behandelnden Hölzer und ein Merkblatt über die Eigenschaften des für die Imprägnierung der Buchenlatten verwendeten Holzschutzmittels. Nach Rücksprache mit verschiedenen Farbenherstellern und eigenen Versuchen im Labor unterbreitete die Klägerin dem Beklagten Vorschläge für ein Verfahren zur Beschichtung der Holzteile. Sie sicherte zu, daß die angebotene Lasur die Anforderungen des Beklagten erfülle, insbesondere einen ausreichenden Schutz gegen den Befall mit Fäulnis- und Schimmelpilzen darstelle. Sie hat zudem nach der Gewährleistungszeit gefragt und auf die Antwort, diese betrage zwei Jahre, erwidert, dies sei in Ordnung, bei fünf Jahren hätte sie Probleme.

Nach diesem revisionsrechtlich zu unterstellenden Vorbringen des Beklagten ging sein Anliegen in mehrfacher Hinsicht über das hinaus, was im Allgemeinen vom Kunden als Information des Verkäufers über die Eignung einer Ware für einen bestimmten Verwendungszweck erwartet werden kann. Die gezielte Befragung eines Fachhandelsunternehmens sowie die fehlende Erfahrung des Beklagten auf dem Gebiet der wetterfesten Beschichtung von Hölzern sprechen schon für sich in gewichtiger Weise für die Annahme eines selbständigen Beratungsvertrages. Es kommt hinzu, daß wegen der Größe des Vorhabens die Wahl des richtigen Beschichtungsmittels für den Beklagten eine Entscheidung von außerordentlicher wirtschaftlicher Tragweite darstellte; auch hier war - wie in dem den Senatsurteilen vom 23. Juli 1997 und 23. Juni 1999 zugrundeliegenden Sachverhalt - vorauszusehen, daß die Verwendung einer ungeeigneten Farbe Schäden nach sich ziehen konnte, die den Wert der Farbe um ein Vielfaches übersteigen würden und, von der Rufschädigung abgesehen, für den Betrieb des Beklagten unter Umständen von existenzieller Bedeutung sein würden. Das alles war, wie das Landgericht festgestellt hat, für die Klägerin, insbesondere auch auf Grund der entsprechenden Hinweise des Beklagten, erkennbar, so daß sie es für erforderlich hielt, bei verschiedenen Herstellern Erkundigungen über geeignete Beschichtungsmittel einzuholen. Als Indiz für die von Anfang an vorhandene Kenntnis der Klägerin von der wirtschaftlichen Bedeutung ihrer Beratung und der Kaufentscheidung des Beklagten ist überdies der vom Landgericht als bewiesen angesehene Umstand zu werten, daß der Zeuge Z. nach der Lieferung der Farbe den Herstellungsprozeß in den vom Beklagten eingeschalteten Subunternehmerbetrieben durch wiederholte Besuche beobachtete.

Bei Abwägung der dargelegten Gesamtumstände liegt die Annahme nahe, daß die beratende Tätigkeit der Klägerin sich so weit verselbständigt hatte, daß von einer bloßen kaufrechtlichen Nebenverpflichtung nicht mehr gesprochen werden kann, vielmehr neben und unabhängig von dem erst noch abzuschließenden Kaufvertrag ein Rechtsverhältnis eigener Art stillschweigend zustande gekommen war.

III.

Auf die Revision der Beklagten ist deshalb das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 und 3 ZPO). Zu einer eigenen Sachentscheidung ist der Senat nicht in der Lage, weil es weiterer tatrichterlicher Feststellungen zum Verlauf der dem Kaufabschluß vorangegangenen Verhandlungen der Parteien und gegebenenfalls zur Höhe des Schadens bedarf. In der Revisionsinstanz haben die Parteien umfangreich auf ihren Tatsachenvortrag in den Vorinstanzen verwiesen, der vom Oberlandesgericht überhaupt nicht und vom Landgericht - trotz der eingehenden Beweisaufnahme - möglicherweise nicht erschöpfend gewürdigt worden ist. Das wird in der neuen Berufungsverhandlung nachzuholen sein.

Bei der Zurückverweisung hat der Senat von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.

Ende der Entscheidung

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