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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 30.06.2004
Aktenzeichen: VIII ZR 273/03
(1)
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 110 | |
ZPO § 282 Abs. 3 |
b) Ein Angehöriger des Staates Anguilla ist nach dem deutsch-britischen Abkommen über den Rechtsverkehr vom 3. Dezember 1928 nur unter der Voraussetzung von der Verpflichtung zur Sicherheitsleistung befreit (§ 110 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), daß er einen Wohnsitz in Deutschland hat. Eine Vollstreckung einer Entscheidung über die Prozeßkosten (§ 110 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) findet in Anguilla weder nach der EuGVVO noch nach dem EuGVÜ oder dem deutsch-britischen Abkommen vom 14. Juni 1960 über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen statt.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES ZWISCHENURTEIL
Verkündet am: 30. Juni 2004
in dem Rechtsstreit
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 30. Juni 2004 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Deppert und die Richter Dr. Beyer, Wiechers, Dr. Wolst sowie die Richterin Hermanns
für Recht erkannt:
Tenor:
Es wird angeordnet, daß die Klägerin wegen der Prozeßkosten der Beklagten bis zum 14. Juli 2004 weitere Sicherheit in Höhe von 11.500 € zu leisten hat.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin ist eine auf der Insel Anguilla/Karibik gegründete Gesellschaft, die nach ihrem Vortrag ihren Verwaltungssitz in Macati City auf den Philippinen hat. Sie verlangt von der Beklagten Schadensersatz in Höhe von 665.601,03 € nebst Zinsen wegen Nichterfüllung eines Forderungskaufvertrages; hilfsweise nimmt sie die Beklagte wegen schuldhaften Abbruchs von Vertragsverhandlungen auf Erstattung vergeblicher Aufwendungen von 5.286,69 € in Anspruch. Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
In ihrer Klageerwiderung hat die Beklagte wegen der Prozeßkosten Sicherheit verlangt. Durch Beschluß vom 20. Juli 2000 hat das Landgericht der Klägerin eine Sicherheitsleistung für die Prozeßkosten in Höhe von 40.000 DM auferlegt, die die Klägerin erbracht hat. Im Berufungsrechtszug hat die Beklagte erneut die Einrede der mangelnden Prozeßkostensicherheit erhoben und angeregt, für die ergänzende Sicherheitsleistung auch die Kosten einer Gebühr im Revisionsverfahren zu berücksichtigen. Auf einen entsprechenden Hinweis des Berufungsgerichts hat die Klägerin zur Abdeckung der Kosten der ersten beiden Instanzen freiwillig weitere Sicherheit in Höhe von 15.000 DM geleistet. Die Beklagte hat daraufhin vor der Verhandlung zur Sache vor dem Berufungsgericht erklärt, sie halte die Einrede der fehlenden Prozeßkostensicherheit für eine denkbare dritte Instanz aufrecht.
Sie beantragt nunmehr, der Klägerin aufzugeben, eine weitere Sicherheit für die Prozeßkosten der Beklagten in Höhe von 11.500 € zu leisten.
Entscheidungsgründe:
Das Verlangen der Beklagten nach weiterer Prozeßkostensicherheit ist gemäß § 112 Abs. 3, § 110 ZPO begründet.
1. Die Beklagte ist mit dem Verlangen nach weiterer Sicherheitsleistung nicht nach §§ 565, 532 Satz 2 ZPO ausgeschlossen. Die Rüge der mangelnden Sicherheitsleistung für die Prozeßkosten (§§ 110 ff. ZPO) gehört zu den die Zulässigkeit der Klage betreffenden verzichtbaren Rügen, die gemäß § 282 Abs. 3 ZPO grundsätzlich vor der ersten Verhandlung zur Hauptsache, und zwar für alle Rechtszüge, erhoben werden muß (BGH, Urteil vom 15. Mai 2001 - XI ZR 243/00, NJW 2001, 3630 unter I 1; Urteil vom 23. November 1989 - IX ZR 23/89, WM 1990, 373 unter 2; Senatsurteil vom 1. April 1981 - VIII ZR 159/80, NJW 1981, 2646 unter III 1). Diese Obliegenheit hat die Beklagte erfüllt.
Sie hat bereits mit ihrer Klageerwiderung uneingeschränkt Prozeßkostensicherheit verlangt. Das Landgericht hat die zu leistende Sicherheit zwar - im Einvernehmen mit den Parteien - nur auf 40.000 DM und damit angesichts der erstinstanzlich erhobenen Klageforderung von 4.235.131,76 FF (umgerechnet 1.262.763,82 DM) erkennbar auf einen Betrag festgesetzt, der allenfalls Sicherheit für die Kosten der ersten und zweiten Instanz bot. Die Beklagte war jedoch nicht gehalten, wegen der Kosten der Revisionsinstanz die Einrede der mangelnden Kostensicherheit auch über die Entscheidung des Landgerichts hinaus aufrecht zu erhalten, sondern durfte abwarten, bis die vom Landgericht angeordnete Sicherheit ihre Kosten nicht mehr deckte, und dann die Leistung einer weiteren Sicherheit verlangen (Urteil vom 23. November 1989, aaO).
Dementsprechend hat die Beklagte mit ihrer Berufungserwiderung erneut die Einrede der mangelnden Sicherheit für die Prozeßkosten erhoben. Daß sie dabei angeregt hat, bei der Festsetzung der ergänzenden Sicherheitsleistung auch die Kosten (nur) einer Gebühr im Revisionsverfahren zu berücksichtigen, kann nicht als Beschränkung ihres Begehrens ausgelegt werden, die einem Antrag auf darüber hinaus gehende Sicherheitsleistung nach § 112 Abs. 3 ZPO entgegenstünde. Im Zusammenhang mit der auch im Berufungsrechtszug uneingeschränkt erhobenen Einrede der mangelnden Prozeßkostensicherheit und der gleichzeitigen Bezugnahme der Beklagten auf das Senatsurteil vom 1. April 1981 (aaO) war diese Anregung vielmehr als Hinweis auf das Mindestmaß an Sicherheit zu verstehen, welches die Beklagte im Hinblick darauf, daß sie Sicherheit auch für die Kosten der Revisionsinstanz beanspruchte, bei der Festsetzung der Höhe durch das Berufungsgericht für erforderlich hielt. Nach einer weiteren freiwilligen Sicherheitsleistung der Klägerin in Höhe von 15.000 DM, die die zu erwartenden Kosten des Berufungsrechtszugs abdeckte, hat die Beklagte noch vor der Verhandlung zur Hauptsache die Einrede der fehlenden Prozeßkostensicherheit für die Revisionsinstanz ausdrücklich aufrechterhalten. Damit ist sie ihrer sich aus §§ 565, 532 Satz 2 ZPO ergebenden Obliegenheit zu einem rechtzeitigen Verlangen weiterer Sicherheitsleistung nach § 112 Abs. 3 ZPO in der Berufungsinstanz ausreichend nachgekommen.
2. Die Voraussetzungen des § 110 ZPO für eine Verpflichtung der Klägerin zur Leistung weiterer Prozeßkostensicherheit liegen vor.
a) Die Klägerin hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum. Bei Gesellschaften gilt als gewöhnlicher Aufenthalt deren Sitz im Sinne von § 17 ZPO (Musielak/Foerste, ZPO, 3. Aufl., § 110 Rdnr. 4; Zöller/Herget, ZPO, 24. Aufl., § 110 Rdnr. 2). Ob es insoweit auf den Gründungssitz der Klägerin in Anguilla oder den von ihr behaupteten Verwaltungssitz auf den Philippinen ankommt, kann dahinstehen.
b) Die Verpflichtung der Klägerin zur Leistung von Prozeßkostensicherheit ist nicht gemäß § 110 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen. Der Ausnahmetatbestand des § 110 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, daß aufgrund völkerrechtlicher Verträge keine Sicherheit verlangt werden kann, ist weder im Verhältnis zu Anguilla noch zu den Philippinen gegeben. Art. 14 des deutsch-britischen Abkommens über den Rechtsverkehr vom 3. Dezember 1928 (RGBl II 1928, 623), das auch auf Anguilla Anwendung findet (BGBl II 1960, 1518), befreit von der Verpflichtung zur Sicherheitsleistung nur unter der hier nicht gegebenen Voraussetzung, daß der Kläger einen Wohnsitz im Inland hat. Mit den Philippinen hat die Bundesrepublik Deutschland ein Abkommen im Sinne des § 110 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht getroffen.
Völkerrechtliche Verträge, aufgrund derer eine Entscheidung über die Erstattung der Prozeßkosten an die Beklagte im Ausland vollstreckt würde (§ 110 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), bestehen weder mit den Philippinen noch mit Anguilla. Mit den Philippinen wurde ein solcher völkerrechtlicher Vertrag nicht geschlossen. Die Insel Anguilla ist zwar britisches Überseegebiet, sie ist aber in die mit dem Vereinigten Königreich bestehenden Vollstreckungsvereinbarungen nicht einbezogen. Die EG-Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) gilt gemäß Art. 299 Abs. 3 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in Verbindung mit Anhang II zum Vertrag nicht im Verhältnis zu Anguilla (Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht, 7. Aufl., Einl Rdnr. 29). Die Erstreckung des Brüsseler Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen auf Anguilla würde eine entsprechende Erklärung des Vereinigten Königreichs voraussetzen, die dieses nicht abgegeben hat (Auer, in: Bülow/Böckstiegel/Geimer/Schütze, Der Internationale Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Stand: November 2003, Nr. 606-9 Rdnr. 20; Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht, 6. Aufl., Art. 60 Rdnr. 11), so daß sich die Frage einer Fortgeltung des EuGVÜ im Verhältnis zu Anguilla nach Art. 68 Abs. 1 EuGVVO nicht stellt. Auch das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 14. Juni 1960 (BGBl II 1961, 301) fand gemäß Art. I Abs. 1 lit. b auf Anguilla keine Anwendung, weil das Vereinigte Königreich die dafür erforderliche Ausdehnungserklärung nach Art. XII des Abkommens nicht abgegeben hat (vgl. Bülow/Böckstiegel/Geimer/Schütze, aaO, Nr. 702-38, Fn. 175 zu Art. XII des Abkommens); die Frage, ob dieses Abkommen durch Art. 55, 56 EuGVÜ auch für diejenigen Rechtsgebiete aufgehoben worden ist, für die das EuGVÜ nicht galt, bedarf deshalb ebenfalls keiner Entscheidung.
3. Bei der Festsetzung der Höhe der Sicherheitsleistung hat der Senat gemäß § 112 Abs. 2 ZPO die in den ersten beiden Rechtszügen bereits entstandenen und die in der Revisionsinstanz voraussichtlich noch entstehenden außergerichtlichen Kosten der Beklagten zugrunde gelegt.
Ende der Entscheidung
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