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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 23.05.2006
Aktenzeichen: VIII ZR 28/06
Rechtsgebiete: GG, ZPO


Vorschriften:

GG Art. 2 Abs. 2 S. 1
ZPO § 719 Abs. 2
ZPO § 712
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

VIII ZR 28/06

vom 23. Mai 2006

in dem Rechtsstreit

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 23. Mai 2006 durch die Richter Dr. Wolst, Dr. Schlichting, Seiffert, Wendt sowie die Richterin Dr. Kessal-Wulf beschlossen :

Tenor:

Auf den Antrag der Beklagten wird die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Landgerichts Hamburg vom 22. Dezember 2005 bis zum 15. Juni 2006 einschließlich eingestellt. Im Übrigen werden die Anträge der Beklagten vom 22. Mai 2006 zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Beklagten sind Mieter, die Kläger Vermieter einer Wohnung in H. S.. Die Kläger kündigten das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs des Klägers zu 2. Durch Entscheidung des Amtsgerichts Hamburg-St. Georg vom 11. März 2005 sind die Beklagten zur Herausgabe des Mietobjekts verurteilt worden, wobei eine Räumungsfrist bis zum 31. Juni 2005 bewilligt wurde. Die Berufung der Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil hat das Landgericht Hamburg zurückgewiesen und dabei eine Räumungsfrist bis zum 31. März 2006 gewährt.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem ihnen am 4. Januar 2006 zugestellten Berufungsurteil haben die Beklagten am 3. Februar 2006 Beschwerde eingelegt. Die Frist für die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde ist (zuletzt) bis zum 6. Juni 2006 verlängert worden. Am 22. Mai 2006 ist die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde eingegangen.

II.

Die Anträge der Beklagten auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung sind teilweise begründet.

1. Wird Revision gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil eingelegt, so ordnet das Revisionsgericht auf Antrag gemäß § 719 Abs. 2 ZPO an, wenn die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde, sofern nicht ein überwiegendes Interesse des Gläubigers entgegensteht. Im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde gilt dies entsprechend (§ 544 Abs. 5 Satz 2 ZPO).

2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann sich zwar der Schuldner nur dann auf die Gefahr eines nicht zu ersetzenden Nachteils berufen, wenn er bereits in der Berufungsinstanz einen Vollstreckungsschutzantrag nach § 712 ZPO gestellt hat. Hat der Schuldner dies versäumt, kommt eine Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 719 Abs. 2 ZPO grundsätzlich nicht in Betracht. Allerdings sind in besonderen Fällen Ausnahmen zu machen (vgl. Senatsbeschluss vom 27. Oktober 2004 - VIII ZR 215/04, Grundeigentum 2004, 1523 unter II m.w.Nachw.). So liegt es hier. Die Beklagten durften darauf vertrauen, vor Rechtskraft der Räumungsfrist würde nicht vollstreckt werden, auch wenn ein Antrag nach § 712 ZPO nicht gestellt werde. Denn laut Protokoll der Sitzung beim Amtsgericht vom 2. Februar 2005 hat der Klägervertreter damals erklärt, "dass aus einem etwaigen günstigen Urteil bis zur Rechtskraft nicht vollstreckt werden wird".

3. Die Beklagten machen unter Vorlage ärztlicher Atteste geltend, die Durchführung der Zwangsvollstreckung sei für die Beklagte zu 1 mit einer akuten Suizidgefahr verbunden. Wie auch das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 27. Juni 2005 - 1 BvR 224/05 angenommen hat, kann es in einem solchen Fall angezeigt erscheinen, zur Durchsetzung des Grundrechts des Vollstreckungsschuldners auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG die Zwangsvollstreckung (einstweilen) einzustellen. Ein solcher Fall liegt hier vor. Doch kann von einem Schuldner jedes zumutbare Bemühen um eine Verringerung des Gesundheitsrisikos verlangt werden (BVerfG aaO). Vom Schuldner - hier der Beklagten zu 1 - ist deshalb zu verlangen, sich in stationäre Behandlung zu begeben, wenn anders die Gefahr der Selbsttötung nicht abgewendet werden kann.

4. Der Senat hat deshalb die Zwangsvollstreckung (nur) bis Mitte Juni 2006 eingestellt, damit die Beklagte zu 1 eine realistische Möglichkeit erhält, sich in stationäre ärztliche Behandlung zu begeben. Soweit die Anträge der Beklagten darüber hinausgehen, sind diese aus den vorgenannten Gründen abzuweisen.



Ende der Entscheidung

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