Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 21.10.1998
Aktenzeichen: VIII ZR 3/98
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 398 Abs. 1
BGB § 446
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

VIII ZR 3/98

Verkündet am: 21. Oktober 1998

Mayer Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 21. Oktober 1998 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Deppert und die Richter Dr. Hübsch, Dr. Beyer, Ball und Dr. Leimert

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 2. Dezember 1997 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Klägerin erkannt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin verkaufte der Beklagten im April 1993 einen gebrauchten Lastkraftwagen mit Hakengerät und Ladekran zum Transport einer mobilen Schrottpresse. Als Liefertermin vereinbarten die Parteien im Kaufvertrag das Ende der 17. Kalenderwoche (26. April bis 2. Mai 1993). Am 25. Mai 1993 übergab die Klägerin der Beklagten den Lastkraftwagen. In ihrer Empfangsbescheinigung vom 25. Mai 1993 wies die Beklagte auf eine Reihe von Mängeln des angelieferten Fahrzeuges hin. Die Parteien vereinbarten die Behebung der Mängel in der Werkstatt der Klägerin. Für die Zeit der Mängelbeseitigung stellte die Klägerin der Beklagten am 18. Juni 1993 ein gebrauchtes Ersatzfahrzeug mit Hakengerät ohne Ladekran unentgeltlich zur Verfügung. Ein Mitarbeiter der Beklagten verursachte später mit dem von der Klägerin überlassenen Ersatzfahrzeug einen Unfall, als er eine zu niedrige Brücke unterqueren wollte. Das Fahrzeug erlitt dabei einen Totalschaden. Am 12. August 1993 erhielt die Beklagte den von der Klägerin gekauften Lastkraftwagen mangelfrei zurück, am 23. September 1993 übergab die Beklagte der Klägerin das beschädigte Ersatzfahrzeug. Die Klägerin hat in erster Instanz von der Beklagten 70.000 DM als Ersatz für den beschädigten Lastkraftwagen gefordert. Die Beklagte hat demgegenüber im Wege der Hilfsaufrechnung und der Widerklage einen entgangenen Gewinn in Höhe von 93.912,50 DM geltend gemacht. Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung des vom Sachverständigen festgestellten Wiederbeschaffungswertes des Fahrzeuges in Höhe von 51.000 DM abzüglich des festgestellten Restwerts in Höhe von 4.800 DM verurteilt und im übrigen Klage und Widerklage abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, daß die Beklagte der Klägerin wegen der Beschädigung des ihr zur Verfügung gestellten Ersatzfahrzeugs zum Schadensersatz verpflichtet sei, der Beklagten aber demgegenüber kein Schadensersatzanspruch zustehe. Nach Vernehmung der Zeugen M. und R. sei die Kammer zu der Auffassung gelangt, daß die Beklagte das Ersatzfahrzeug erfüllungshalber für die Nachbesserung mit der zeitlichen Begrenzung der Reparaturbeendigung am gekauften Fahrzeug angenommen habe.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage insgesamt abgewiesen und die Klägerin auf die Widerklage zur Zahlung von 30.072 DM verurteilt; im übrigen hat es auch die Widerklage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin, die im wesentlichen die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils verfolgt.

Entscheidungsgründe:

I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:

1. Der Klägerin stehe gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch auf Zahlung von 46.200 DM aus positiver Vertragsverletzung des Leihvertrages zwischen den Parteien zu. Die Parteien hätten einen Leihvertrag geschlossen, als die Klägerin der Beklagten einen Ersatzlastkraftwagen für die Zeit der Mängelbeseitigung zur Verfügung gestellt habe. Da die Beklagte nicht dargelegt habe, daß sie die Beschädigung des Fahrzeugs der Klägerin durch ihren Mitarbeiter nicht zu vertreten habe, hafte sie der Klägerin in voller Höhe dieses erlittenen Schadens, der gemäß dem vom Landgericht eingeholten Sachverständigengutachten 46.200 DM betrage.

2. Die Beklagte habe gegenüber der Klägerin einen Anspruch auf Zahlung von 76.272 DM entgangenen Gewinns gemäß URTEIL für den Zeitraum vom 26. Mai 1993 bis zum 12. August 1993 aufgrund der verspäteten Lieferung des gekauften Lastkraftwagens. Der Verzug sei ohne eine vorherige Mahnung eingetreten, da die Parteien die 17. Kalenderwoche 1993 als Liefertermin vereinbart hätten. Der Verzug, für den die Klägerin allerdings bis zum 25. Mai 1993 nicht einzustehen habe, sei nicht durch die Lieferung des mangelhaften Lastkraftwagens an diesem Tage beendet worden; denn die geschuldete Leistung, ein mangelfreier Lastkraftwagen, sei damit nicht erbracht worden.

Die Beklagte habe auf die Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs weder ausdrücklich noch konkludent verzichtet. Sie habe sich zwar mit der Auslieferung des Lastkraftwagens am 25. Mai 1993 einverstanden erklärt, obwohl die Auslieferung ursprünglich bis zum 2. Mai 1993 habe erfolgen sollen. Der Beklagten habe sich jedoch keine Alternative zum Einverständnis mit der Verlegung des Auslieferungstermins geboten, da sie ein entsprechendes Fahrzeug nicht in der Zeit bis zum 25. Mai 1993 von einem Dritten hätte erwerben können. Der Zeuge R. habe zudem bei seiner Vernehmung vor dem Landgericht bekundet, daß er niemals eine Erklärung auf Verzicht von Schadensersatzansprüchen abgegeben habe. Er habe zwar die Kosten für die Anmietung eines Krans von der Klägerin verlangt, der Zeuge M. habe dies aber abgelehnt. Die Klägerin habe deshalb, so meint das Berufungsgericht, die Entgegennahme des Ersatzfahrzeugs nach ihrem objektiven Empfängerhorizont nicht als Verzicht auf Schadensersatzansprüche auffassen können.

II. Das angegriffene Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung in den entscheidenden Punkten nicht stand.

1. Rechtsfehlerfrei geht das Oberlandesgericht davon aus, daß es sich bei dem Vertrag über den serienmäßig hergestellten Lastkraftwagen nebst dem von der Klägerin aufgebauten, gleichfalls serienmäßig hergestellten Ladekran um einen Kaufvertrag handelt (vgl. Senatsurteil vom 30. Juni 1971 - VIII ZR 39/70 = NJW 1971, 1793 unter II 1; statt aller Erman/Seiler, BGB, 9. Aufl., § 651 Anm. 5 und 6). Der Montage durch die Klägerin kommt kein solches Gewicht zu, daß sie den Schwerpunkt des Vertrages bilden würde (vgl. Senat, Urteil vom 22. Juli 1998 - VIII ZR 220/97 = NJW 1998, 3197 unter II 1).

2. Mit Recht rügt die Revision jedoch, daß die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte habe nicht auf die Geltendmachung ihrer Schadensersatzansprüche verzichtet, auf einem Verfahrensfehler beruht. Das Berufungsgericht hat gegen die Vorschrift des § 398 Abs. 1 ZPO verstoßen, weil es die vom Landgericht gehörten Zeugen M. und R. nicht erneut vernommen hat. Zwar steht es danach grundsätzlich im Ermessen des Berufungsgerichts, ob es einen in erster Instanz vernommenen Zeugen ein zweites Mal vernehmen will. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist jedoch anerkannt, daß dieses (pflichtgebundene) Ermessen unter bestimmten Umständen Einschränkungen unterliegt. Eine erneute Vernehmung ist unter anderem geboten, wenn das Berufungsgericht die protokollierte Aussage anders verstehen oder ihr ein anderes Gewicht beimessen will als der Richter der Vorinstanz (BGH, Urteil vom 24. November 1992 - XI ZR 86/92 = BGHR ZPO § 398 Abs. 1 Ermessen 17 = NJW 1993, 668 unter III 4). Das ist hier der Fall. Die Auslegung und die Würdigung der protokollierten Zeugenaussagen durch das Berufungsgericht sind mit der vom Landgericht vorgenommenen unvereinbar. Während das Landgericht die Aussagen der Zeugen M. und R. dahingehend verstanden hat, daß die Beklagte das ihr von der Klägerin zur Verfügung gestellte Fahrzeug für den vereinbarten Zeitraum "erfüllungshalber", d.h. als Ersatz für den von der Klägerin zu reparierenden Lastkraftwagen angenommen und dadurch auf Schadensersatz verzichtet habe, meint das Berufungsgericht demgegenüber, aus den Aussagen der beiden Zeugen ergebe sich kein Verzicht auf Schadensersatzansprüche.

Das Berufungsgericht durfte demnach von der erneuten Vernehmung der Zeugen M. und R. nicht, wie es wohl gemeint hat, schon deshalb absehen, weil ihm der objektive Beweiswert ihrer als wahr unterstellten Aussagen nicht ausreichte, um die Beweisfrage (Vereinbarung einer "Übernahme des Ersatzfahrzeugs für das sich in der Nachbesserung befundene Fahrzeug erfüllungshalber") zu bejahen (vgl. BGH, Urteil vom 12. November 1991 - VI ZR 369/90 = BGHR ZPO § 398 Abs. 1 Ermessen 13 = NJW 1992, 741 unter II 2 b bb).

III. Das Urteil war danach aufzuheben. Die Sache wird an das Berufungsgericht zurückverwiesen, damit es sich nach wiederholter Vernehmung der Zeugen M. und R. unter Heranziehung aller Umstände des Sachverhalts eine Überzeugung darüber bilden kann, ob die Beklagte durch die Annahme des Ersatzfahrzeugs auf die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs verzichtet hat. Ferner sollte das Berufungsgericht überprüfen, mit welcher Verpflichtung die Klägerin in einer einen Ersatzanspruch begründenden Weise in Verzug geraten ist. Das Berufungsgericht meint offenbar, die Klägerin befinde sich auch nach dem 25. Mai 1993 mit der geschuldeten Hauptleistung, der Lieferung des Lastkraftwagens, in Verzug. Wie die Revision zu Recht rügt, hat das Berufungsgericht dabei die Empfangsbescheinigung der Beklagten vom 25. Mai 1993 sowie ihr Schreiben vom 27. Mai 1993 nicht ausreichend berücksichtigt. Es liegt nahe, diesen Schriftstücken zu entnehmen, daß die Beklagte den ihr am 25. Mai 1993 ausgelieferten Lastkraftwagen trotz der vorhandenen Mängel als eine in der Hauptsache vertragsgemäße Leistung anerkannt und lediglich Mängelbeseitigungsansprüche geltend gemacht hat, was als Übergabe der verkauften Sache gemäß § 446 BGB zu beurteilen wäre und einen etwaigen Lieferverzug beendet hätte. Kann ein Lieferverzug der Klägerin in der Hauptsache nicht angenommen werden, stellt sich die in der Revisionsinstanz von den Parteien aufgeworfene Frage, ob und gegebenenfalls wann die Klägerin mit ihrer vertraglich vereinbarten Nachbesserungsleistung in Verzug geraten ist. Feststellungen hierzu hat das Berufungsgericht mangels entsprechenden Vorbringens der Parteien in den Tatsacheninstanzen bisher nicht getroffen.



Ende der Entscheidung

Zurück