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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 05.11.2003
Aktenzeichen: VIII ZR 380/02
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 139
ZPO § 156
a) Sind die Bedenken des Gerichts gegen die Schlüssigkeit der Klageforderung nach Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht ausgeräumt, muß es zur Vermeidung einer unzulässigen Überraschungsentscheidung diesen unmißverständlich hierauf hinweisen und ihm Gelegenheit zum weiteren Vortrag geben.

b) Zur Verpflichtung des Gerichts zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung in einem solchen Fall.


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

VIII ZR 380/02

Verkündet am: 5. November 2003

in dem Rechtsstreit

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 5. November 2003 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Deppert und die Richter Dr. Hübsch, Dr. Leimert, Wiechers und Dr. Wolst

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 28. November 2002 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt die Beklagte, die Subunternehmerin der Firma K. Bau AG & Co. war, unter anderem auf Vergütung für auf der Baustelle beim Entladen der Transportbetonfahrzeuge entstandene Wartezeiten gemäß Rechnungen vom 7. August 2000 und 11. September 2000 in Höhe von 120.283,66 € (235.254,41 DM) in Anspruch.

Die von der Klägerin übersandte Auftragsbestätigung vom 10. Mai 2000, der die Beklagte nicht widersprochen hat, enthält unter anderem folgende Bestimmung:

"6. Preis

150,00 DM/m3

In dem Preis ist eine Entladezeit von 7 Minuten/m3 berücksichtigt.

...

8.5 Verlängerte Entladezeit je Minute: 1,00 DM/m3"

Die Beklagte hat ihre Verpflichtung zur Zahlung einer Vergütung für angefallene Wartezeiten in Abrede gestellt und im übrigen vorgetragen, die Berechnungsmethode der Klägerin sei unrichtig, da diese die Wartezeiten nicht für die gesamte angelieferte Betonmenge, sondern allenfalls für die noch jeweils im Transportfahrzeug verbliebene "wartende" Restmenge ansetzen dürfe; zudem hat sie die berechneten Wartezeiten bestritten.

Das Landgericht hat die Klage hinsichtlich des Vergütungsanspruchs wegen verlängerter Wartezeiten abgewiesen, weil die Klägerin nicht bewiesen habe, daß zwischen den Parteien eine Vereinbarung zustande gekommen sei, auf deren Grundlage sie eine Vergütung der dargelegten Wartezeiten ihrer Transportfahrzeuge auf der Baustelle beanspruchen könne. Das Oberlandesgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Mit ihrer - vom erkennenden Senat zugelassenen - Revision verfolgt die Klägerin ihren Anspruch auf Wartezeitvergütung weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

Zur Begründung hat das Berufungsgericht ausgeführt, selbst bei Zugrundelegung der Auftragsbestätigung vom 10. Mai 2000 mit der Vereinbarung "verlängerte Entladezeit je Minute: 1,00 DM/m3" lasse sich nach dem Vorbringen der Klägerin bis zum Schluß der Berufungsverhandlung nicht feststellen, daß der Klägerin der von ihr berechnete "Wartezeitentschädigungsanspruch" zustehe. Die genannte Vertragsbestimmung lasse nicht den Schluß zu, die "Verlängerte Entladezeit" sei je Minute mit 1 DM/m3 angelieferten Betons zu berechnen, vielmehr könne auch die nach Teilentladung jeweils noch "wartende" Betonmenge gemeint sein. In der Berufungsverhandlung sei die Klägerin ausdrücklich auf die Bedenken bezüglich der Berechnung der in der Wartezeitklausel angesprochenen Kubikmeter hingewiesen worden. Die Klägerin habe nämlich ihre Berechnung bis dahin nicht etwa an "wartendem Beton" ausgerichtet, sondern ausschließlich an insgesamt "angeliefertem Beton", was durch die genannte Vertragsbestimmung entsprechend der Auftragsbestätigung dem Wortlaut nach nicht gedeckt sei.

Der Vortrag der Klägerin in dem ihr nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 21. Oktober 2002 könne nicht mehr berücksichtigt werden, zumal sie trotz der Erörterungen in der mündlichen Verhandlung vom 13. September 2002 einen Schriftsatznachlaß nicht beantragt habe. Deshalb bestehe auch keine Notwendigkeit, auf Antrag der Klägerin die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen.

Da die Klägerin ihren allein an der gelieferten Betonmenge ausgerichteten Wartezeitentschädigungsanspruch nicht hinreichend dargelegt habe, müsse ihre Klage insoweit abgewiesen bleiben.

II.

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Das Berufungsgericht unterstellt, daß die Parteien einen Liefervertrag entsprechend der Auftragsbestätigung der Klägerin vom 10. Mai 2000 geschlossen haben, somit verlängerte Entladezeiten gemäß Nr. 8.5 der Auftragsbestätigung vergütungspflichtig sind. Von dem Vorliegen einer entsprechenden Vereinbarung ist daher für das Revisionsverfahren auszugehen.

2. Das Berufungsgericht verneint den geltend gemachten Anspruch der Klägerin auf Wartezeitentschädigung - anders als das Landgericht - vielmehr mit der Begründung, die Vertragsbestimmung der Nr. 8.5 der Auftragsbestätigung sei nicht eindeutig, weil sie auch die Auslegung zulasse, daß die verlängerte - vergütungspflichtige - Entladezeit sich nur auf die noch "wartende" Betonmenge nach Teilentladung beziehe.

Zu Recht rügt die Revision, daß das Berufungsgericht in der Verhandlung vom 13. September 2002 seiner Hinweispflicht nicht hinreichend nachgekommen ist und zudem seine Pflicht zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (§ 156 ZPO) verletzt hat.

a) Zwar hat das Berufungsgericht, nachdem es Nr. 8.5 der Auftragsbestätigung vom 10. Mai 2000 nicht als ausreichende Grundlage für den geltend gemachten Vergütungsanspruch der Klägerin angesehen hat, die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 13. September 2002 zu Recht auf seine Schlüssigkeitsbedenken hingewiesen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Dezember 2000 - I ZR 179/98, NJW 2001, 2548 unter III 1 c bb = BGHR ZPO § 139 Hinweispflicht 7 m.w.Nachw.). Hierauf haben sowohl der Prozeßbevollmächtigte wie der Geschäftsführer der Klägerin übereinstimmend angegeben, handelsüblicherweise werde immer auf die Gesamtmenge des angelieferten Betons abgehoben, weil alle Beteiligten wüßten, daß sich technisch die Menge des "wartenden" Betons nicht ermitteln lasse. Zur Frage der Feststellung der angefallenen Wartezeiten hat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin weiterhin erklärt, die jeweiligen Wartezeiten seien in dem Durchschreibesatz einheitlich eingetragen, so daß sich die Wartezeiten auch auf den Originallieferscheinen befänden; der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten hat darauf erklärt, nach seiner Information stimme das nicht, er werde dies prüfen und ergänzend vortragen.

b) Nach diesem Ergebnis der Verhandlung vom 13. September 2002 durfte die Klägerin davon ausgehen, daß die Bedenken des Berufungsgerichts gegen die Schlüssigkeit der Klageforderung behoben waren und nunmehr die bereits in erster Instanz angebotenen Beweise zu Inhalt und Üblichkeit der Berechnungsmethode erhoben würden. Sofern das Berufungsgericht dagegen weiterhin seine Schlüssigkeitsbedenken nicht als ausgeräumt ansah, mußte es zur Vermeidung einer unzulässigen Überraschungsentscheidung die Klägerin unmißverständlich hierauf hinweisen und ihr Gelegenheit zum weiteren Vortrag geben (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juni 1989 - VI ZR 216/88 = NJW 1989, 2756 unter II 2 = BGHR ZPO § 139 Abs. 1 Überraschungsentscheidung 1; BGH, Urteil vom 8. Februar 1999 - II ZR 261/97, NJW 1999, 2123 unter II 1 = BGHR ZPO § 139 Abs. 1 Überraschungsentscheidung 3). Daß die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 13. September 2002 keinen Schriftsatznachlaß beantragt hatte, ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts schon deshalb unerheblich, weil die Klägerin mangels eines entsprechenden Hinweises des Berufungsgerichts auf die nach seiner Ansicht weiter bestehenden Schlüssigkeitsbedenken nicht von der Notwendigkeit weiteren Vortrags ausgehen mußte.

c) Jedenfalls hätte das Berufungsgericht auf Antrag der Klägerin gemäß Schriftsatz vom 21. Oktober 2002 die mündliche Verhandlung wieder eröffnen müssen, nachdem die bisherige Verhandlung lückenhaft war und in der Berufungsverhandlung vom 13. September 2002 bei sachgemäßem Vorgehen vom Standpunkt des Berufungsgerichts aus Anlaß zu weiterer Aufklärung bestanden hätte (Senatsurteil vom 7. Oktober 1992 - VIII ZR 199/91, NJW 1993, 134 unter II 2 b = BGHR ZPO § 156 Ermessen 2; BGH, Urteil vom 28. Oktober 1999 - IX ZR 341/98, NJW 2000, 142 unter II 2 = BGHR ZPO § 156 Ermessen 4). Wenn das Berufungsgericht dies zu Unrecht mit Rücksicht auf einen als erforderlich gehaltenen Antrag auf Schriftsatznachlaß in der letzten mündlichen Verhandlung abgelehnt hat, liegt insoweit ein weiterer Verfahrensfehler vor.

III.

Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben, und die Sache ist zwecks weiterer Aufklärung zur Frage der Berechnung der Wartezeitentschädigung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.



Ende der Entscheidung

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