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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 21.10.1998
Aktenzeichen: VIII ZR 382/97
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 85 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

VIII ZR 382/97

Verkündet am: 21. Oktober 1998

Mayer Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 21. Oktober 1998 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Deppert und die Richter Dr. Hübsch, Dr. Beyer, Ball und Dr. Leimert

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 2. Zivilsenates des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen vom 9. Oktober 1997 aufgehoben.

Der Klägerin wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Bremen vom 27. Februar 1997 gewährt.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Erstattung von Frachtkosten, Lagerkosten und Schadensersatz in Höhe von insgesamt 19.293,05 DM, nachdem ein Kaufvertrag über eine Partie Fleisch fehlgeschlagen war. Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und sie in Höhe von 15.853,05 DM abgewiesen. Gegen das ihr am 7. März 1997 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit einem am 2. April 1997 in den Nachtbriefkasten des Oberlandesgerichts eingeworfenen Schriftsatz ihres Prozeßbevollmächtigten Berufung eingelegt und das Rechtsmittel mit am 7. Mai 1997 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Am 17. September 1997 hat der Berichterstatter des mit der Sache befaßten Senats den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin telefonisch darauf hingewiesen, daß die Berufungsbegründung verspätet eingegangen sei. Daraufhin hat die Klägerin am 23. September 1997 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Begründung hat sie im wesentlichen ausgeführt: Im Büro ihres Prozeßbevollmächtigten bestehe die generelle Übung, die Berufungsfrist jedenfalls bei den örtlichen Gerichten bis zum letzten Tage auszunutzen, um den Beginn der Berufungsbegründungsfrist nicht "vorzuziehen". Er habe die auf den 7. April 1997 datierte Berufungsschrift am 2. April 1997 gefertigt, unterschrieben und neben dem Gerichtspostausgangskasten abgelegt. Er gehe davon aus, daß er - wie üblicherweise in sonstigen derartigen Fällen - mittels eines ausdrücklichen schriftlichen Hinweises auf einem auf der Berufungsschrift angebrachten Klebezettel das Personal angewiesen habe, den Schriftsatz erst am letzten Tag der Frist, dem 7. April 1997, beim Oberlandesgericht einzuwerfen. Eine solche Anweisung ergebe sich im übrigen auch aus dem Datum der Berufungsschrift. Aus nicht mehr zu klärenden Gründen habe offenbar eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter versehentlich seine Anweisung nicht beachtet und den Schriftsatz schon am 2. April in den Briefkasten des Berufungsgerichts eingeworfen. Regelmäßig würden derartige Botengänge von der damaligen Auszubildenden und jetzigen Anwaltsgehilfin O., einer außergewöhnlich zuverlässigen Mitarbeiterin, ausgeführt. Er sei sich sicher, daß er Frau O. vor der Anbringung des Erledigungsvermerks an dem entsprechenden Eintrag im Fristenkalender wegen der Bedeutung der Sache für die Mandantin - wie stets - ausdrücklich und genau gefragt habe, ob die Post fristgerecht tatsächlich am 7. April 1997 herausgegangen sei, und daß er erst danach die Berufungsfrist im Kalender abgehakt, die Berufungsbegründungsfrist in seiner Handakte eingetragen und die entsprechende Eintragung von Frau O. im Fristenkalender kontrolliert habe. Es habe für ihn nicht der geringste Anhaltspunkt dafür bestanden, daß die Begründungsfrist bereits am 2. April zu laufen begonnen habe und daher am 2. Mai 1997 ablaufen würde, zumal Frau O. seit Beginn ihrer jetzt noch andauernden Tätigkeit in seiner Kanzlei insbesondere hinsichtlich der Botengänge und der Auskünfte über erledigte Arbeiten keinerlei Fehler unterlaufen seien und auf sie ohne jede Einschränkung Verlaß sei.

Ihr Vorbringen hat die Klägerin durch eidesstattliche Versicherungen ihres Prozeßbevollmächtigten und zweier mit der Sache befaßter Mitarbeiterinnen seiner Kanzlei glaubhaft gemacht.

Das Berufungsgericht hat die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als nicht erfüllt angesehen und deshalb die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Revision.

Entscheidungsgründe:

I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:

Die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beruhe auf einem Verschulden des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin, das ihr gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen sei. Die organisatorischen Maßnahmen, die der Prozeßbevollmächtigte getroffen habe, um sicherzustellen, daß eine Rechtsmittelschrift erst am Tage des Ablaufs der Rechtsmittelfrist bei Gericht eingereicht werde, seien unzureichend gewesen. Die Anbringung eines Klebezettels habe vergessen werden können oder der Zettel habe sich lösen können. Auch die Datierung der Rechtsmittelschrift habe allein keine hinreichende Sicherheit geboten. Vielmehr hätte eine Rechtsmittelschrift unter dem maßgebenden Datum in einem Büromöbel oder einer Mappe "eingefächert" werden müssen. Durch das Ablegen der Berufungsschrift neben dem Postausgangskorb sei die Gefahr einer vorzeitigen Einreichung sogar noch verstärkt worden. Im Hinblick auf diese ungenügenden organisatorischen Maßnahmen zur Sicherstellung einer pünktlichen Einreichung der Rechtsmittelschrift am letzten Tag der Frist und der zutreffenden Feststellung des Ablaufs der Begründungsfrist hätte es einer besonderen Kontrolle der tatsächlichen Einlegung des Rechtsmittels bedurft, und zwar durch die - regelmäßig zu kontrollierende - Anweisung des Rechtsanwalts, den Tag der Einlegung des Rechtsmittels schriftlich so festzuhalten, daß der Ablauf der Begründungsfrist zuverlässig festgestellt werden konnte. Die Befragung (der zuständigen Angestellten) durch den Prozeßbevollmächtigten, ob die Post fristgerecht tatsächlich am 7. April 1997 herausgegangen sei, sei jedenfalls keine ausreichende Kontrolle gewesen. Auf eine Eingangsnachricht des Gerichts habe sich der Anwalt im übrigen nicht verlassen können, da ihm bekannt gewesen sei oder zumindest hätte bekannt sein müssen, daß solche Eingangsbestätigungen vom erkennenden Gericht - dem Oberlandesgericht Bremen - nicht versandt werden.

II. Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hat die Klägerin die Frist zur Begründung der Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Bremen vom 27. Februar 1997 nicht durch ein ihr gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten versäumt, so daß ihr die beantragte Wiedereinsetzung zu gewähren war.

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes hat der Prozeßbevollmächtigte einer Partei dafür Sorge zu tragen, daß ein fristgebundener Schriftsatz innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Dazu gehört es, daß er durch entsprechende Vorkehrungen die Feststellung des Fristbeginns gewährleistet (vgl. BGH, Beschluß vom 12. März 1969 - IV ZB 3/69 - NJW 1969, 1297). Zweifel über den Fristbeginn hat er durch geeignete Maßnahmen auszuräumen (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 1969 - III ZR 178/67 - NJW 1969, 1298, 1301 unter II, 2).

2. Die Fristüberschreitung bei Einreichung der Berufungsbegründungsschrift wurde nach dem Inhalt der vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen dadurch verursacht, daß die am 2. April 1997 gefertigte und neben dem Postausgangskasten in dem Anwaltsbüro abgelegte Berufungsschrift versehentlich schon am 2. April 1997 statt, wie vorgesehen, am 7. April 1997 bei Gericht eingeworfen worden war. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß durch die in dem Anwaltsbüro bestehende Übung, zur Ausnutzung der Fristen die bereits unterzeichneten vordatierten Schriftsätze bis zum Tage des Fristablaufs neben dem Postausgangskorb aufzubewahren, die Gefahr herbeigeführt wird, daß die Schriftsätze vorzeitig hinausgegeben werden und dies einen früheren Beginn der auf dem Eingang der Schriftsätze aufbauenden Fristen zur Folge hat, als in dem Büro angenommen. Ob es ausreichend war, den Risiken, die sich bei dieser Vorgehensweise ergeben, üblicherweise durch die Anbringung eines gelben Klebezettels mit dem Hinweis "Bitte erst am ... bei Gericht einwerfen" zu begegnen, und ob der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin ausreichend glaubhaft gemacht hat, daß er auch im gegebenen Fall entsprechend verfahren ist - dafür, daß er von der allgemeinen Handhabung abgewichen ist, besteht allerdings kein Anhaltspunkt -, kann dahingestellt bleiben. Im gegebenen Einzelfall hat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin nämlich alles Zumutbare getan, um den Fristbeginn für die Berufungsbegründungsfrist eindeutig festzulegen. Wie er in seiner eidesstattlichen Versicherung erklärt hat, ist er sich sicher, daß er aufgrund der Bedeutung der Sache für seine Mandantin, die sich in besonderer Weise von ihrem ehemaligen Geschäftspartner betrogen gefühlt hatte, bei der Auszubildenden Frau O. ausdrücklich und genau nachgefragt hat, ob die Post fristgerecht tatsächlich am 7. April 1997 herausgegangen sei; erst danach habe er die Berufungsfrist im Fristenkalender abgehakt und die Berufungsbegründungsfrist in seiner Handakte eingetragen sowie die entsprechende Eintragung im Fristenkalender überprüft. Diese Kontrolle durch eine persönliche Nachfrage, die dem Rechtsanwalt grundsätzlich nicht abverlangt wird (vgl. BGH, Beschluß vom 27. November 1990 - VI ZB 22/90 - NJW 1991, 1179; BVerfG, NJW 1995, 249), war eine Maßnahme, die nach menschlichem Ermessen ausreichte, um die Risiken aus der in seinem Büro bestehenden Übung im Falle der Klägerin auszuschalten. Dies gilt jedenfalls deshalb, weil die Anwaltskanzlei des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin und seiner beiden Sozien von überschaubarer Größe war und sich die Anzahl der fristgebundenen Schriftsätze dort in Grenzen hielt. Ausweislich der vorgelegten Kopien sind im Fristenkalender als gesetzliche Fristen für den 7. April 1997 lediglich die Berufungsfrist und für den 7. Mai 1997 die Berufungsbegründungsfrist in der vorliegenden Sache verzeichnet. Für den 8. April und den 8. Mai 1997 finden sich keine derartigen Eintragungen. Unter diesen Umständen durfte der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin darauf vertrauen, daß die für die Fristensachen einschließlich der Botengänge zuständige Bürokraft die gerade zurückliegende Angelegenheit genau in Erinnerung hatte und seine Fragen richtig beantworten würde. Daß auch einer zuverlässigen Mitarbeiterin ein Versehen unterläuft, ist niemals mit letzter Sicherheit auszuschließen.



Ende der Entscheidung

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