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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 23.09.2008
Aktenzeichen: X ZB 19/07
Rechtsgebiete: GWB, RVG, RVG VV


Vorschriften:

GWB § 128 Abs. 4 Satz 3
RVG § 14 Abs. 1
RVG VV Nr. 2300
RVG VV Nr. 2301
Die Geschäftsgebühr für die Vertretung im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer bemisst sich für den Rechtsanwalt, der bereits im Vergabeverfahren tätig geworden ist, nach RVG-VV Nr. 2301.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

X ZB 19/07

vom 23. September 2008

Geschäftsgebühr im Nachprüfungsverfahren

in dem Vergabenachprüfungsverfahren

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. September 2008 durch die Richter Scharen, Keukenschrijver, Prof. Dr. Meier-Beck, Asendorf und Gröning

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der 1. Vergabekammer des Bundes vom 9. März 2007 wird auf Kosten der Antragstellerin zurückgewiesen.

Beschwerdewert: 2.262 €

Gründe:

A.

Die Antragstellerin beteiligte sich an einem vom Antragsgegner ausgeschriebenen Vergabeverfahren betreffend den Versand von Parlamentsdrucksachen des Deutschen Bundestages und stellte diesbezüglich einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer des Bundes, der Erfolg hatte. Die Vergabekammer erlegte dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin auf und erklärte die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin für notwendig.

Im Kostenfestsetzungsverfahren hat die Antragstellerin u.a. nach § 2 Abs. 2 RVG i. V. mit Nr. 2300 RVG-VV die Festsetzung einer Geschäftsgebühr nach dem Höchstsatz von 2,5 beantragt. Durch den angefochtenen Beschluss vom 9. März 2007 hat die Vergabekammer im Hinblick darauf, dass die Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin für diese bereits in dem vorangegangenen Vergabeverfahren tätig geworden waren, lediglich eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2301 RVG-VV festgesetzt, und zwar in Höhe von 1,0.

Mit ihrer dagegen eingelegten sofortigen Beschwerde erstrebt die Antragstellerin die Festsetzung der Höchstgebühr nach Nr. 2300 RVG-VV. Der Antragsgegner tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat die Sache dem Bundesgerichtshof vorgelegt. Es möchte an seiner Rechtsprechung festhalten, dass im Nachprüfungsverfahren lediglich eine Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2301 RVG-VV anfällt, wenn der Verfahrensbevollmächtigte für denselben Beteiligten bereits im vorausgegangenen Vergabeverfahren tätig geworden ist (z.B. Beschl. v. 16.10.2006 - VII Verg 11/06, bei juris). Daran sieht es sich durch die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts München gehindert (Beschl. v. 13.11.2006 - Verg 13/06, VergabeR 2007, 266; v. 16.11.2006 - Verg 14/06, bei juris), wonach ein im Nachprüfungsverfahren tätiger Rechtsanwalt stets eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG a.F. (Nr. 2300 RVG-VV n.F.) verdient.

B.

I. Die Vorlage ist zulässig. Hat ein Oberlandesgericht über eine sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung einer Vergabekammer zu befinden, legt es abgesehen von den in § 118 Abs. 1 Satz 3 und § 121 GWB geregelten, ausgenommenen Fällen die Sache nach § 124 Abs. 2 Satz 1 GWB dem Bundesgerichtshof vor, wenn es von einer Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofs abweichen will (st. Rspr., vgl. BGHZ 154, 32). Die im Kostenfestsetzungsverfahren ergangenen Entscheidungen der Vergabekammern sind nach allgemeiner Ansicht mit der sofortigen Beschwerde nach § 116 Abs. 1 GWB anfechtbar (vgl. Hunger in: Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 116 Rdn. 21 m. Rechtsprechungsnachweisen in Fn. 33). Dafür, § 124 Abs. 2 Satz 1 GWB auf solche Entscheidungen nicht anzuwenden, besteht nach der systematischen Stellung dieser Norm, ihrem Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Regelung keine Veranlassung (a.A. OLG München, Beschl. v. 16.11.2006 - Verg 14/06, bei juris Tz. 104). Die Bestimmung gehört zu den Regelungen über die sofortige Beschwerde und bezieht sich wörtlich allgemein auf vom Oberlandesgericht zu treffende Beschwerdeentscheidungen. Die Vorlage nach § 124 Abs. 2 Satz 1 GWB dient dem Ziel einer bundeseinheitlichen Rechtsprechung in Vergabesachen (vgl. BT-Drucks. 13/9340, S. 22 zu RegE § 133 GWB). Diese Zwecksetzung schließt die bundeseinheitliche Beurteilung von vergaberechtsbezogenen Gebührenfragen zwanglos ein, zumal auch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27. Juli 2001 durch die Neuordnung der Bestimmungen über das Rechtsmittel der Beschwerde eine bundeseinheitliche Rechtsprechung in zivilprozessualen Gebührenstreitigkeiten ermöglicht.

II. Die sofortige Beschwerde ist nach § 116 Abs. 1 GWB statthaft und auch im Übrigen zulässig.

III. In der Sache hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.

1. Für seine Tätigkeit im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer verdient der Rechtsanwalt in Ermangelung eines konkreten Gebührentatbestands eine Geschäftsgebühr nach Teil 2 Abschnitt 3 des Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (vgl. BayObLG, Beschl. v. 16.2.2005 - Verg 28/04, VergabeR 2005, 406).

2. Diese Geschäftsgebühr bemisst sich nach § 2 Abs. 2 RVG i. V. mit Nr. 2301 RVG-VV. Die Voraussetzungen für die Anwendung dieses Gebührentatbestands sind erfüllt.

Die Gebührentatbestände Nr. 2300 und Nr. 2301 RVG-VV sind im Nachprüfungsverfahren genauso anzuwenden, wie sie im verwaltungsrechtlichen Vorverfahren anzuwenden wären. Für die Erstattung der dem obsiegenden Bieter im Nachprüfungsverfahren entstandenen Kosten gelten nämlich § 80 des Verwaltungsverfahrensgesetzes und die entsprechenden Vorschriften der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder entsprechend (§ 128 Abs. 4 Satz 3 GWB). Das schließt die entsprechende Anwendung der für das Widerspruchsverfahren geltenden Gebührentatbestände ein (vgl. BT-Drucks. 13/9340 S. 23 zu RegE § 137 GWB = § 128 GWB).

3. Die in § 128 Abs. 4 Satz 3 GWB zum Ausdruck kommende Gleichsetzung des erstinstanzlichen Nachprüfungsverfahrens mit dem Widerspruchsverfahren erstreckt sich für die Anwendung der Kosten- und Gebührenregelungen auf das vor dem Nachprüfungsverfahren durchgeführte Vergabeverfahren. Es wäre sinnwidrig, die analoge Anwendung der Gebührentatbestände auf das Nachprüfungsverfahren zu beschränken, ohne das Ausgangsverfahren einzubeziehen, wenn das Gesetz die Vergütung für das Widerspruchsverfahren ebenfalls nicht losgelöst von dem ihm vorangegangenen Verwaltungsverfahren regelt. Deshalb ist im Nachprüfungsverfahren wie im Widerspruchsverfahren vor Zuerkennung des Gebührentatbestands Nr. 2300 stets zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Anwendung von Nr. 2301 RVG-VV vorliegen.

a) Im verwaltungsrechtlichen Widerspruchsverfahren lägen die Voraussetzungen für eine Anwendung des Gebührentatbestands Nr. 2301 RVG-VV vor, wenn der Rechtsanwalt bereits im vorangegangenen Verwaltungsverfahren vertreten hat. Beim Widerspruchsverfahren handelt es sich um ein Verwaltungsverfahren, das der Nachprüfung eines Verwaltungsaktes dient, welcher in einem vorangegangenen Verwaltungsverfahren ergangen ist.

b) Dementsprechend ist vorliegend die Gebühr nach Nr. 2301 RVG-VV einschlägig, nachdem die Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin diese bereits im Vergabeverfahren vertreten haben. Dass im vergaberechtlichen Verfahren kein Verwaltungsakt ergeht, weil es auf den zivilrechtlichen Abschluss von Beschaffungsverträgen zielt, ist für die entsprechende Anwendung des Gebührentatbestands Nr. 2301 RVG-VV unerheblich, nachdem das Gesetz die entsprechende Geltung der für das Widerspruchsverfahren gültigen Regelungen unbeschadet dieses Umstands vorsieht (§ 128 Abs. 4 Satz 3 GWB). Auf die Frage, ob dem im Nachprüfungsverfahren vertretenden Rechtsanwalt seine Tätigkeit im vorangegangen Vergabeverfahren regelmäßig in gleichem Maße zugute kommt, wie im Widerspruchsverfahren seine vorangegangene Betätigung im Verwaltungsverfahren (verneinend OLG München, Beschl. v. 16.11.2006 - Verg 14/06, bei juris Tz. 53 ff.), kommt es danach ebenfalls nicht an.

4. Die von der Vergabekammer vorgenommene Festsetzung der Geschäftsgebühr ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden.

a) Die Vergabekammer hat den Gebührensatz von 1,0 unter Berücksichtigung des Umfangs und Schwierigkeitsgrades der zu klärenden Fragen im Nachprüfungsverfahren als gerechtfertigt und ausreichend angesehen; dass die Sache mündlich zu verhandeln und der Aufwand für den Rechtsanwalt dementsprechend größer gewesen sei, rechtfertige nicht die volle Ausschöpfung des Gebührenrahmens. Dies wäre unbillig im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG.

b) Die Antragstellerin greift mit ihrer sofortigen Beschwerde die konkrete Festsetzung innerhalb des Gebührenrahmens von Nr. 2301 RVG-VV nicht ausdrücklich, auch nicht hilfsweise an. Ihre Ausführungen beschränken sich auf die Darlegung, dass die volle Ausschöpfung der Rahmengebühr von Nr. 2300 RVG-VV gerechtfertigt sei. Dies schließt jedoch konkludent das Begehren ein, bei Ansatz der Gebühr nach Nr. 2301 RVG-VV ebenfalls den höchsten Gebührensatz zugebilligt zu bekommen. Dem ist der Erfolg jedoch zu versagen.

aa) Bei Rahmengebühren bestimmt der Rechtsanwalt nach § 14 Abs. 1 RVG die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen, wobei ein besonderes Haftungsrisiko des Rechtsanwalts bei der Bemessung herangezogen werden kann. Ist die Gebühr - wie hier - von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist.

bb) Danach ist die von der Vergabekammer vorgenommene Bemessung auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens angemessen.

Die geltend gemachte überdurchschnittliche Schwierigkeit des Streitfalls rechtfertigt die Zuerkennung der Höchstgebühr nicht. Die Vergabekammer hat einen erhöhten Umfang und Schwierigkeitsgrad des Nachprüfungsverfahrens bei der Gebührenbemessung berücksichtigt, was sich daran zeigt, dass sie den Anspruch nicht auf 0,7 Gebühren begrenzt angesehen hat (vgl. Anm. (1) zu Nr. 2301 RVG-VV). Dass Umfang bzw. Schwierigkeitsgrad der Sache eine höhere Gebühr als die von der Vergabekammer festgesetzte gerechtfertigt hätte, zeigt die Beschwerde nicht auf und kann der Senat auch sonst nicht erkennen.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung von § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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