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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 09.05.2000
Aktenzeichen: X ZB 24/99
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 519 Abs. 2
ZPO § 519 Abs. 2 Satz 3
ZPO § 97
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

X ZB 24/99

vom

9. Mai 2000

in dem Rechtsstreit

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 9. Mai 2000 durch den Vorsitzenden Richter Rogge, die Richter Scharen, Keukenschrijver, Raebel und die Richterin Mühlens

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluß des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 24. November 1999 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Gründe:

1. Die Klägerin, die Staatliche Fluggesellschaft Tadschikistans, nahm den Beklagten aus einem Charterflugvertrag für die Durchführung von fünf Flügen auf Zahlung von insgesamt 120.000,-- DM in Anspruch. Das Landgericht hat den Beklagten unter Klageabweisung im übrigen zur Zahlung von 75.000,-- DM verurteilt.

Gegen das ihm am 14. September 1998 zugestellte Urteil legte der Beklagte Berufung ein; die Berufung ging am 14. Oktober 1998 beim Oberlandesgericht Karlsruhe ein. Mit Schriftsatz vom 12. November 1998 beantragte der Beklagte die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist. Dieser Schriftsatz war unter Angabe des erstinstanzlichen Aktenzeichens an das Landgericht Karlsruhe adressiert. Er ging dort per Telefax am 12. November 1998 gegen 17.40 Uhr ein. Zu diesem Zeitpunkt waren die Akten dem Oberlandesgericht Karlsruhe übersandt zur Entscheidung über eine Beschwerde des Beklagten gegen die teilweise Versagung von Prozeßkostenhilfe. Mit Übersendungsschreiben vom Freitag, den 13. November 1998, legte die Geschäftsstellenbeamtin des Landgerichts Karlsruhe das Gesuch des Beklagten um Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist dem Oberlandesgericht Karlsruhe vor. Dort ging dieses Schreiben am Dienstag, den 17. November 1998, ein. Nachdem das Gericht den Beklagten auf die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist hingewiesen hatte, begründete der Beklagte die Berufung mit Schriftsatz vom 30. November 1998 und beantragte zugleich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung trug er vor:

Der Schriftsatz vom 12. November 1998 sei ihm während eines Mandantengespräches vorgelegt worden. Er sei von einer ansonsten sehr zuverlässigen Rechtsanwaltsgehilfin falsch adressiert worden. Dies habe er bei der Durchsicht des Schreibens übersehen. Entgegen seiner Weisung habe die Rechtsanwaltsgehilfin wegen ungewöhnlich starker Arbeitsbelastung an diesem Tag und weil die bereitliegende Akte versehentlich durch andere Akten verdeckt worden sei, sich nicht am 13. November 1998 nach dem Erfolg des Verlängerungsgesuchs erkundigt. Ein etwaiges Anwaltsverschulden sei jedenfalls deshalb unschädlich, weil der Schriftsatz so rechtzeitig beim Gericht erster Instanz eingegangen sei, daß seine fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht ohne weiteres habe erwartet werden dürfen.

2. Das Berufungsgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen, weil die Berufungsbegründung nicht rechtzeitig eingegangen ist. Die Frist werde nicht durch den aufgrund fehlerhafter Adressierung beim unzuständigen Landgericht Karlsruhe eingegangenen Schriftsatz gewahrt, weil dieser Schriftsatz nicht rechtzeitig in die Verfügungsgewalt des zuständigen Gerichts gelangt sei. Das Wiedereinsetzungsgesuch des Beklagten gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist sei nicht begründet, denn die Versäumung sei auf ein dem Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten zurückzuführen. Dies ergebe sich zwar nicht schon daraus, daß der Prozeßbevollmächtigte die Berufung nicht fristgerecht begründet habe, obwohl ihm am letzten Tag der Frist eine dem Fristverlängerungsgesuch stattgebende Entscheidung nicht vorgelegen habe. Vorzuwerfen sei dem Prozeßbevollmächtigten des Beklagten jedoch, daß er die fehlerhafte Adressierung des Gesuchs übersehen habe. Es könne nicht davon ausgegangen werden, daß sich dieses Verschulden letztlich nicht ausgewirkt habe. Wie sich aus den Stellungnahmen des Geschäftsleiters des Landgerichts Karlsruhe vom 7. Oktober 1999 und der zuständigen Geschäftsstellenbeamtin vom 6. Oktober 1999 ergebe, wäre ein rechtzeitiger Eingang des Telefaxschreibens beim Oberlandesgericht Karlsruhe am Montag, den 16. November 1998, nur dann gewährleistet gewesen, wenn die Verfügung der Geschäftsstelle vom 13. November 1998 samt dem Telefax noch bis vormittags 11.00 Uhr auf den Abtrag gelegt worden wäre. Da an Freitagen beim Landgericht Karlsruhe um 12.00 Uhr Dienstschluß sei, erfolge der letzte Postabtrag von Geschäftsstellen zur Wachtmeisterei zur Verteilung ausgehender Post um 11.00 Uhr. Nur dann, wenn der Schriftsatz bei der zu diesem Zeitpunkt abgetragenen Post gewesen wäre, hätte er am Montag, den 16. November 1998 beim Oberlandesgericht vorgelegen. Zwar habe der Beklagte möglicherweise darauf vertrauen dürfen, daß sein am 12. November 1998 nach Dienstschluß als Telefax eingegangener Schriftsatz noch am Tag nach seinem Eingang überprüft und weitergeleitet werde. Darauf, daß die Bearbeitung dieses Vorgangs bis 11.00 Uhr vormittags abgeschlossen gewesen sei, habe er aber nicht vertrauen können.

3. Die nach § 519 Abs. 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde des Beklagten hat keinen Erfolg.

a) Zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, ein Verschulden des Prozeßbevollmächtigten des Beklagten ergebe sich nicht bereits daraus, daß er die Berufung nicht fristgerecht begründet habe, obwohl ihm am letzten Tag der Frist noch keine positive Entscheidung des Berufungsgerichts über sein Fristverlängerungsgesuch bekannt gewesen sei. Ein Berufungsführer, der ein erstes Verlängerungsgesuch unter Angabe der Gründe des § 519 Abs. 2 Satz 3 anbringt, kann mit großer Wahrscheinlichkeit mit der Bewilligung der Fristverlängerung rechnen (BGH, Beschl. v. 7.10.1992 - VIII ZB 28/92, NJW 1993, 134 f.). Ihm ist ein Verschulden deshalb nicht anzulasten, wenn er sich nicht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist bei Gericht über das Schicksal seines Antrages erkundigt hat.

b) Das Berufungsgericht geht weiter zutreffend davon aus, daß der Rechtsanwalt jedoch den Schriftsatz, mit dem er die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt hat, auf Richtigkeit und Vollständigkeit zu prüfen hatte, und daß deswegen ein dem Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO anzurechnendes Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten ursächlich dafür geworden ist, daß der fristgebundene Schriftsatz nicht rechtzeitig an das Berufungsgericht gelangt ist. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juni 1995 (BVerfGE 93, 99 ff.) und der darauf beruhenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes muß der Partei und ihrem Prozeßbevollmächtigten die Verantwortung für die Ermittlung des richtigen Adressaten fristgebundener Verfahrenserklärungen nicht allgemein abgenommen und auf unzuständige Gerichte verlagert werden (BVerfGE 93, 99ff., 114). Der Rechtsuchende darf allerdings darauf vertrauen, daß das mit der Sache befaßt gewesene Gericht den bei ihm eingereichten, aber für das Rechtsmittelgericht bestimmten Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang dorthin weiterleiten wird. Eine etwaige Fehlleitung fällt, unabhängig von ihren konkreten Ursachen, in den Verantwortungsbereich des Gerichts. Voraussetzung ist aber, daß der Schriftsatz so zeitig bei dem mit der Sache befaßt gewesenen Gericht eingeht, daß die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann. Die Partei darf dann nicht nur darauf vertrauen, daß der Schriftsatz überhaupt weitergeleitet wird, sondern auch darauf, daß er noch fristgerecht beim Rechtsmittelgericht eingeht. Mit dem Übergang des Schriftsatzes in die Verantwortungssphäre des zur Weiterleitung verpflichteten Gerichts, wirkt sich ein etwaiges Verschulden der Partei oder ihres Prozeßbevollmächtigten nicht mehr aus.

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Das am 12. November nach Dienstschluß eingegangene Faxschreiben ist noch am Tag nach seinem Eingang überprüft und weitergeleitet worden. Nach den dienstlichen Äußerungen des Geschäftsleiters des Landgerichts Karlsruhe und der zuständigen Geschäftsstellenbeamtin ist aber davon auszugehen, daß ein rechtzeitiger Eingang beim Oberlandesgericht am Montag, den 16. November, nur erreicht werden konnte, wenn der Schriftsatz in der Geschäftsstelle bis spätestens am Freitag, den 13. November, 11.00 Uhr bearbeitet und auf den Abtrag gelegt worden wäre. Entscheidend ist daher, ob im ordentlichen Geschäftsgang damit zu rechnen war, daß der Eingang am 13. November bis 11.00 Uhr bearbeitet sein würde. Dies war zwar unter optimalen Bedingungen, nicht aber im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres zu erwarten. Die zuständige Geschäftsstellenbeamtin hat in ihrer Stellungnahme angegeben, üblicherweise die Morgenpost bis ca. 11.00 Uhr zu erledigen. Dies ist aber, worin dem Berufungsgericht beizutreten ist, angesichts der Vielzahl der Aufgaben eines Geschäftsstellenbeamten und der Vielfältigkeit des täglichen Arbeitsablaufes nicht zwingend. Auf einen besonders günstigen Verlauf der Bearbeitung, der nicht durch die Erledigung solcher anderen Aufgaben gestört wird, kann die Partei und ihr Prozeßbevollmächtigter nicht vertrauen. Das Berufungsgericht ist deswegen zu Recht davon ausgegangen, daß die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auf dem Verschulden des Prozeßbevollmächtigten des Beklagten beruht.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 ZPO.

Ende der Entscheidung

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