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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 29.06.2004
Aktenzeichen: X ZB 5/03
Rechtsgebiete: EG, VO (EWG) 1768/92, PatG


Vorschriften:

EG Art. 234
VO (EWG) 1768/92 Art. 1 Buchst. b
PatG § 16 a
Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden zu Auslegung von Art. 1 Buchst. b der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92 des Rates über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel vom 18. Juni 1992 (ABl. EG L 182 v. 02.07.1992 im folgenden: Verordnung) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

a) Setzt der Begriff der "Wirkstoffzusammensetzung eines Arzneimittels" im Sinne von Art. 1 Buchst. b der Verordnung voraus, daß die Bestandteile, aus denen die Zusammensetzung besteht, je für sich Wirkstoffe mit arzneilicher Wirkung sind?

b) Liegt eine "Wirkstoffzusammensetzung eines Arzneimittels" auch dann vor, wenn bei einer aus zwei Bestandteilen bestehenden Stoffzusammensetzung der eine Bestandteil ein bekannter arzneilich wirksamer Stoff für eine bestimmte Indikation ist und der andere Bestandteil eine Darreichungsform des Arzneimittels ermöglicht, die eine veränderte Wirksamkeit des Arzneimittels für diese Indikation herbeiführt (in-vivo-Implantat mit kontrollierter Freigabe des Wirkstoffs zur Vermeidung toxischer Wirkungen)?


BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

X ZB 5/03

vom 29. Juni 2004

in dem Rechtsbeschwerdeverfahren

betreffend die Anmeldung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel 199 75 057.2

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 29. Juni 2004 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, die Richter Prof. Dr. Jestaedt, Scharen, Keukenschrijver und Asendorf

beschlossen:

Tenor:

Das Verfahren wird ausgesetzt.

Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden zu Auslegung von Art. 1 Buchst. b der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92 des Rates über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel vom 18. Juni 1992 (ABl. EG L 182 v. 02.07.1992 im folgenden: Verordnung) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Setzt der Begriff der "Wirkstoffzusammensetzung eines Arzneimittels" im Sinne von Art. 1 Buchst. b der Verordnung voraus, daß die Bestandteile, aus denen die Zusammensetzung besteht, je für sich Wirkstoffe mit arzneilicher Wirkung sind?

2. Liegt eine "Wirkstoffzusammensetzung eines Arzneimittels" auch dann vor, wenn bei einer aus zwei Bestandteilen bestehenden Stoffzusammensetzung der eine Bestandteil ein bekannter arzneilich wirksamer Stoff für eine bestimmte Indikation ist und der andere Bestandteil eine Darreichungsform des Arzneimittels ermöglicht, die eine veränderte Wirksamkeit des Arzneimittels für diese Indikation herbeiführt (in-vivo-Implantat mit kontrollierter Freigabe des Wirkstoffs zur Vermeidung toxischer Wirkungen)?

Gründe:

I. Die Anmelderin ist Inhaberin des in englischer Sprache mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 260 415 (Grundpatent), das am 29. Juli 1987 angemeldet und dessen Erteilung am 28. November 1996 veröffentlicht worden ist. Patentanspruch 1 lautet in der Verfahrenssprache Englisch:

"A high molecular weight polyanhydride prepared by polycondensation of dicarboxylic acids, the polyanhydride having a weight average molecular weight of greater than 20,000."

und in deutscher Übersetzung:

"Durch Polykondensation von Dicarbonsäuren hergestelltes ein hohes Molekulargewicht aufweisendes Polyanhydrid eines massegemittelten Molekulargewichts von über 20.000."

Patentanspruch 8 lautet:

"A composition comprising a matrix of high molecular weight according to any one of Claims 1 to 7 and a biologically active substance."

und in deutscher Übersetzung:

"Masse, umfassend eine Matrix aus einem hohes Molekulargewicht aufweisenden Polyanhydrid nach einem der Ansprüche 1 bis 7 und einer biologisch aktiven Substanz."

Mit Bescheid vom 3. August 1999 hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte für das Arzneimittel Gliadel die Zulassung als Fertigarzneimittel zur Anwendung an Menschen gemäß § 25 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln vom 24. August 1976 (BGBl I. S. 2445) erteilt. In dem Zulassungsbescheid heißt es:

"Bezeichnung des Arzneimittels: Gliadel 7,7 mg

Darreichungsform: Implantat

arzneilich wirksamer Bestandteil: Carmustin 7,7 mg

sonstiger Bestandteil: Polifeprosan 20 192,3 mg"

Das Arzneimittel dient der Behandlung rezidivierender Hirntumore. Es handelt sich um einen sogenannten Wafer, der als Implantat in der Kopfhöhle eingesetzt wird. Es wirkt in der Weise, daß der Wirkstoff Carmustin - eine hochgradig zytotoxische Substanz - langsam aus dem polymeren, biologisch abbaubaren Trägerstoff Polifeprosan freigesetzt wird. Carmustin war zum Zeitpunkt der Patentanmeldung bereits bekannt. Nach dem Vorbringen der Antragstellerin wird Carmustin mit inerten Trägern und Arzneimittel-Zusatzstoffen seit vielen Jahren in der Chemotherapie zur intravenösen Einzelbehandlung von Hirntumoren eingesetzt, wobei statistische Analysen gezeigt haben sollen, daß diese Verwendung von Carmustin das Überleben von Patienten mit bösartigem Gliom nicht signifikant verlängere (Beschwerdebegründung S. 4, Akten des Bundespatentgerichts Bl. 8 f.). Gegenüber dieser Verwendungsweise des Wirkstoffs bewirkt der kombinierte Einsatz von Carmustin und Polifeprosan nach dem Vorbringen der Antragstellerin eine signifikant höhere Überlebensrate. Die Verwendung von Polifeprosan soll es gestatten, eine deutlich höhere, aber dennoch konstante Dosis des Wirkstoffs auf das Tumorbett zu übertragen. Eine solche kontrollierte Freisetzung von Carmustin, das aufgrund der hohen Toxizität des Stoffes bei Freisetzung auf einmal tödlich wirke, soll ohne die Verwendung des biologisch abbaubaren Bestandteils Polifeprosan nicht möglich sein (Beschwerdebegründung S. 5, SenA Bl. 17; Schriftsatz der Anmelderin an das DPMA v. 21.03.2001, Akte DPMA, Bl. 75 f.).

Polifeprosan ist ein durch Polykondensation von Dicarbonsäuren hergestelltes, ein hohes Molekulargewicht aufweisendes Polyanhydrid nach dem Grundpatent. In dessen Beschreibung ist angegeben, die Erfindung wolle insbesondere weniger stark hydrophobe, ein hohes Molekulargewicht aufweisende Polyanhydrid-Polymere zur Verwendung auf biomedizinischem Gebiet, insbesondere zur kontrollierten Freisetzung biologisch aktiver Substanzen in-vivo bereitstellen (Beschreibung des Grundpatents, deutsche Übersetzung S. 7). Die erfindungsgemäßen Polyanhydrid-Polymere besitzen nach den weiteren Angaben der Beschreibung des Grundpatents zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten, insbesondere auf biomedizinischem Gebiet. Sie können zur Bildung einer biologisch erodierbaren Matrix zur gesteuerten oder kontrollierten Freigabe einer biologisch aktiven Verbindung, zum Beispiel von Nahrungsmitteln, Arzneimitteln und Verbindungen mit Einsatzmöglichkeiten in der Landwirtschaft, verwendet werden (Beschreibung des Grundpatents, deutsche Übersetzung, S. 22). Carmustin ist eine biologisch aktive Substanz; ihre Kombination mit Polifeprosan unterfällt Patentanspruch 8 des europäischen Patents 0 260 415.

Nach dem Vortrag der Rechtsbeschwerdebegründung handelt es sich bei Polifeprosan um einen unverzichtbaren Bestandteil des Wirkprinzips des Arzneimittels Gliadel. Ohne das Vorhandensein des Polifeprosan-Wafers in dem Arzneimittel Gliadel soll dem arzneilich wirksamen Bestandteil Carmustin kein therapeutischer Wert zukommen; der Stoff als solcher wirke bei unmittelbarer Freisetzung tödlich. Polifeprosan ist danach nicht ein bloßes Trägermaterial oder ein bloßer Hilfsstoff, sondern ein Stoff, dessen Vorhandensein unverzichtbar ist, damit der Wirkstoff Carmustin in therapeutisch relevanter Weise zur Behandlung maligner Hirntumore eingesetzt werden kann. Die arzneiliche Wirkung des Arzneimittels Gliadel werde deshalb nicht allein durch den arzneilich wirksamen Bestandteil Carmustin bestimmt, sondern erst durch die Verbindung mit dem für eine spezielle Anwendung entwickelten Trägerstoff Polifeprosan erzielt. Die durch das Grundpatent geschützte Verbindung aus Polifeprosan und der biologisch aktiven Substanz Carmustin habe als Arzneimittel erst nach Abschluß des arzneimittelrechtlichen Genehmigungsverfahrens wirtschaftlich verwertet werden können.

Die Anmelderin hat die Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats für das Arzneimittel: Gliadel 7,7 mg Implantat (Carmustin 7,7 mg, Polifeprosan 20 192,3 mg) beantragt. Mit ihrem Hauptantrag hat sie die Erteilung des Zertifikats für "N,N`-Bis-(2-chlorethyl)-N-nitroharnstoff in Kombination mit Polifeprosan", mit dem Hilfsantrag lediglich für N,N`-Bis-(2-chlorethyl)-N-nitroharnstoff beantragt. N,N`-Bis-(2-chlorethyl)-N-nitroharnstoff ist die chemische Bezeichnung für Carmustin.

Das Deutsche Patent- und Markenamt hat den Antrag auf Erteilung ei-nes ergänzenden Schutzzertifikats mit Beschluß vom 16. Oktober 2001 mit der Begründung zurückgewiesen, der polymere Trägerstoff Polifeprosan sei nicht als eigener Wirkstoff im Sinne der Art. 1 Buchst. b, Art. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92 des Rates vom 18. Juni 1992 anzusehen. Vielmehr handle es sich bei Polifeprosan um einen maßgeschneiderten Träger für den Wirkstoff Carmustin und um eine innovative Lösung des Problems, Carmustin in genügend hoher Wirkstoffkonzentration ins Zielgewebe zu bekommen. Für Carmustin in Alleinstellung könne ein ergänzendes Schutzzertifikat nicht erteilt werden, da Carmustin ein seit langem (vor 1998) zugelassener Wirkstoff sei.

Demgegenüber hat das französische Institut National de la Propriété Industrielle ein dem Hauptantrag entsprechendes ergänzendes Schutzzertifikat erteilt. Im Vereinigten Königreich wurde ein ergänzendes Schutzzertifikat für "carmustine combined with polifeprosan" erteilt. Das niederländische Bureau voor de Industriële Eigendom hat ein Schutzzertifikat für das Produkt "Carmustine" erteilt.

Gegen den Beschluß des Deutschen Patent- und Markenamts hat die Anmelderin Beschwerde eingelegt, die das Bundespatentgericht mit Beschluß vom 25. November 2002 zurückgewiesen hat (BPatGE 46, 142 = GRUR 2003, 696). Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Anmelderin ihr Begehren auf Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats weiter.

II. Vor einer Entscheidung über die Rechtsbeschwerde ist das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 234 EG eine Vorabentscheidung zu den im Beschlußtenor gestellten Fragen zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts einzuholen. Die Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ist geboten, weil die Entscheidung von der Auslegung des Gemeinschaftsrechts (Art. 1 Buchst. b und Art. 3 Buchst. a und b der Verordnung) abhängt. Der Begriff "Wirkstoffzusammensetzung eines Arzneimittels" im Sinne von Art. 1 Buchst. b der Verordnung könnte in der Weise auszulegen sein, daß es sich bei den Bestandteilen der Zusammensetzung um jeweils arzneilich wirksame Bestandteile handeln muß; er könnte aber auch dahin auszulegen sein, daß eine Wirkstoffzusammensetzung im Sinne der Verordnung auch dann vorliegt, wenn ein arzneilich wirksamer Bestandteil mit einem zweiten Bestandteil ohne eigene arzneiliche Wirkung in der Weise verbunden wird, daß erst durch die Verbindung beider Bestandteile ein Arzneimittel entsteht, bei dem die an sich toxische Wirkung des arzneilich wirksamen Stoffes durch den anderen Bestandteil im Sinne eines als Arznei einsetzbaren Mittels beherrschbar wird.

1. Grundlage für die Beurteilung des Verlangens nach einem ergänzenden Schutzzertifikat ist § 16 a PatG. Die Vorschrift nimmt auf Art. 2 und 3 der Verordnung Bezug, die die Bedingungen für die Erteilung des Zertifikats regeln. Art. 2 bestimmt den Anwendungsbereich der Verordnung wie folgt:

"Für jedes im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates geschütztes Erzeugnis, das vor seinem Inverkehrbringen als Arzneimittel Gegenstand eines verwaltungsrechtlichen Genehmigungsverfahrens gemäß der Richtlinie 65/65/EWG oder der Richtlinie 81/851/EWG ist, kann nach den in dieser Verordnung festgelegten Bedingungen und Modalitäten ein Zertifikat erteilt werden."

Nach Art 3 der Verordnung ist ein ergänzendes Schutzzertifikat zu erteilen, wenn - neben anderen Voraussetzungen - in dem Mitgliedsstaat, in dem das Zertifikat angemeldet wird, zum Zeitpunkt dieser Anmeldung

a) das Erzeugnis durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt ist und

b) für das Erzeugnis als Arzneimittel eine gültige Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß der Richtlinie 65/65/EWG bzw. der Richtlinie 81/851/EWG erteilt wurde.

Nach Art. 1 Buchst. b der Verordnung ist "Erzeugnis" der Wirkstoff oder die Wirkstoffzusammensetzung eines Arzneimittels.

2. a) Nach Auffassung des Bundespatentgerichts sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Es hat ausgeführt, Carmustin in Kombination mit Polifeprosan sei kein Erzeugnis im Sinne der Verordnung, weil der Begriff der Wirkstoffzusammensetzung eines Arzneimittels im Sinne von Art. 1 Buchst. b der Verordnung bereits nach seinem Wortlaut mindestens zwei jeweils arzneilich wirksame Bestandteile voraussetze, das Arzneimittel Gliadel mit Carmustin aber nur über einen arzneilich wirksamen Bestandteil verfüge. Polifeprosan sei kein Wirkstoff, sondern werde ausweislich Seite 8 Zeile 47 (deutsche Übersetzung S. 22, 2. Abs.) des Grundpatents lediglich als Matrix zur Einlagerung und kontrollierten Freisetzung von z.B. Nährstoffen verwendet (vgl. bereits BPatG, Beschl. v. 08.02.1999 - 15 W (pat) 106/96, BPatGE 41, 56, 59 ff.; BPatG, Beschl. v. 23.01.2001 - 14 W (pat) 8/99). Zudem beruft sich das Bundespatentgericht auf den allgemeinen Sprachgebrauch. Danach sei Wirkstoff bzw. Wirkstoffzusammensetzung ein Stoff bzw. eine Stoffzusammensetzung, die wirke.

b) Die Begriffe "Wirkstoff" und "Wirkstoffzusammensetzung" im Sinne von Art. 1 Buchst. b der Verordnung als Bestandteil des europäischen Rechts sind autonom auszulegen (vgl. EuGH, Urt. v. 07.12.1995 - Rs. C-449/93, Slg. 1995 I-4291, Rdn. 28 ff. - Rockfon; Lenz/Borchardt/Borchardt, EU- und EG-Vertrag, 3. Aufl. 2003, Art. 220 Rdn. 18 m.w.N.). Eine Legaldefinition dieser Begriffe enthält die Verordnung nicht (vgl. Schlußanträge des Generalanwalts F. in der Rs. C-392/97 v. 03.06.1999, Slg. 1999, 5555, 5565). Soweit ersichtlich ist die Auslegung dieser Begriffe bislang auch nicht Gegenstand der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs gewesen. In seiner Entscheidung vom 16. September 1999 (Rs. C-392/97, Slg. 1999, 5555 ff. - Farmitalia) hat der Europäische Gerichtshof jedoch entschieden, daß das Zertifikat nach der Verordnung ein Erzeugnis als Arzneimittel in allen dem Schutz des Grundpatents unterliegenden Formen erfassen kann, wenn das Erzeugnis in der in der arzneimittelrechtlichen Genehmigung genannten Form durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt ist (EuGH, Urt. v. 16.09.1999, aaO, Slg. 1999, 5582, Erwägungsgrund 22). Zur Begründung ist ausgeführt, daß anders das Ziel der Verordnung, die Nachteile auszugleichen, die dem Patentinhaber durch die wegen der Notwendigkeit des Genehmigungsverfahrens verkürzten effektiven Schutzdauer entstehen, nicht erreicht werden könne (EuGH, Urt. v. 16.09.1999, aaO, Erwägungsgrund 19). Das könnte dafür sprechen, den Zweck des ergänzenden Schutzzertifikats in einer Verlängerung des Schutzes für die arzneilich wirksamen Bestandteile des Arzneimittels zu sehen, so daß eine Gewährung des Schutzes für eine Kombination, deren Schutzfähigkeit erst allein durch einen eine solche Wirkung unmittelbar nicht aufweisenden Bestandteil begründet wird, nicht in Betracht käme.

c) Der durch die Richtlinie 83/570/EG in die Richtlinie 65/65/EWG des Rates zur Anpassung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten eingefügte Art. 4 a Nr. 2 unterschied bei Arzneimitteln zwischen wirksamen Bestandteilen und Hilfsstoffen, deren Kenntnis für eine zweckgemäße Verabreichung des Mittels erforderlich ist. Dem entspricht Art. 11 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel, der zwischen Wirkstoffen und Arzneiträgerstoffen unterscheidet, deren Kenntnis für eine zweckgemäße Verabreichung des Mittels erforderlich ist. Art. 1 Buchst. a der Verordnung 1768/92 des Rates über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel definiert Arzneimittel als Stoff oder Stoffzusammensetzung, das als Mittel zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten bezeichnet wird. Demgegenüber definiert Art. 1 Buchst. b der Verordnung das Erzeugnis als Wirkstoff oder Wirkstoffzusammensetzung eines Arzneimittels. Die Unterscheidung zwischen "Stoff oder Stoffzusammensetzung" im Rahmen der Definition des Begriffs des Arzneimittels in Art. 1 Buchst. a der Verordnung und "Wirkstoff oder Wirkstoffzusammensetzung" im Rahmen der Definition des Begriffs des Erzeugnisses in Art. 1 Buchst. b der Verordnung könnte ein weiterer Hinweis darauf sein, daß unter Erzeugnis nur arzneilich wirksame Stoffe und Zusammensetzungen arzneilich wirksamer Stoffe in Betracht kommen. Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, deren Kenntnis für eine zweckmäßige Verabreichung des Mittels erforderlich ist, unterfallen bei dieser Auslegung zwar der Definition des Arzneimittels nach Art. 1 Buchst. a der Verordnung, sind aber keine Stoffe oder Bestandteile von Stoffzusammensetzungen im Sinne von Art. 1 Buchst. b der Verordnung, so daß für sie nach dieser Auslegung ein ergänzendes Schutzzertifikat nicht erteilt werden kann (vgl. Busse/Hacker, Patentgesetz, 6. Aufl., § 16 a PatG, Anhang Rdn. 11 ff.; vgl. auch Benkard/Ullmann/Grabinski, EPÜ, 2003, Art. 63 Rdn. 15). Da es sich bei dem streitbefangenen Stoff um eine Matrix als Träger für den Wirkstoff Carmustin handelt, wäre nach dieser Auslegung der Antrag auf Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats ausgeschlossen.

d) Diese Auslegung erscheint jedoch nicht zweifelsfrei. Der Begriff der "Wirkstoffzusammensetzung eines Arzneimittels" setzt das Vorhandensein mehrerer Wirkstoffe, die jeweils eigene arzneiliche Wirkung entfalten, nicht notwendigerweise voraus. Art. 1 Buchst. b der Verordnung in deutscher Fassung spricht nicht von einer Kombination von (Einzel-)Wirkstoffen, sondern von einer Wirkstoffzusammensetzung "des Arzneimittels". Dies ermöglicht auch ein Verständnis des Begriffs "Erzeugnis" dahingehend, daß als Wirkstoffzusammensetzung auch eine Kombination von Bestandteilen des Arzneimittels in Betracht kommen kann, bei der ein Bestandteil (Wirkstoff) seine arzneiliche Wirksamkeit aus der Kombination mit einem oder mehreren anderen Bestandteilen erhält, ohne die seine spezifische arzneiliche Wirkung nicht erzielbar ist, der weitere Bestandteil also nicht nur ein Hilfsstoff ist, dessen Kenntnis für eine zweckgemäße Verabreichnung des Mittels erforderlich ist, sondern dessen Kenntnis notwendig ist, um die spezifische arzneiliche Wirksamkeit des Wirkstoffes zu erzielen. Für eine solche Auslegung könnte auch die Begründung der Kommission zum ursprünglichen Verordnungsentwurf vom 11. April 1990, Kommissionsdokument KOM (90) 101 endg., Ratsdokument 6033/90, BR-Drucks. 309/90, Nr. 29, sprechen. Danach sollen "alle im pharmazeutischen Bereich durchgeführten Forschungstätigkeiten" privilegiert werden, vorausgesetzt, sie führen zu einer patentierten Neuerung, "sei es, daß es sich um ein neues Erzeugnis handelt, ein neues Verfahren zur Entwicklung eines neuen oder bereits bekannten Erzeugnisses, eine neue Anwendung eines neuen oder bereits bekannten Erzeugnisses oder eine neue Zusammensetzung unter Einbeziehung eines neuen oder bereits bekannten Erzeugnisses." Mit der Rechtsbeschwerdebegründung könnte daher anzunehmen sein, daß die Kombination eines neu entwickelten Hilfsstoffes mit einem bereits bekannten Wirkstoff dann der Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats zugänglich ist, wenn dadurch ein neues Arzneimittel entsteht, bei dem die arzneiliche Wirksamkeit des Wirkstoffs durch den nicht selbst arzneilich wirksamen weiteren Stoff definiert ist und kontrolliert wird.

e) Die Fassungen des Verordnungstextes in der englischen, französischen, spanischen und niederländischen Sprache lauten: "'Product' means the aktive incredient or combination of active incredients of a medical product", "'produit': le principe actif ou la composition de principes actifs du médicament", "'producto': el principio activo o la composición de principios activos de un medicamento" und "'produkt': de werkzam stof of de samenstelling van werkzame stoffen van een geneesmiddel". Sie können in gleicher Weise wie die deutsche Fassung dahin verstanden werden, daß die kombinierten Wirkstoffe je für sich arzneilich wirksam (aktiv) sein müssen, als auch dahin, daß sich die arzneiliche Wirksamkeit eines Stoffes durch die (selbst nicht arzneiliche) Wirksamkeit eines Stoffes ergibt, mit dem der Wirkstoff kombiniert wird. Da der Anmelderin in anderen Staaten der Gemeinschaft ein ergänzendes Schutzzertifikat für Gliadel erteilt worden ist, ist davon auszugehen, daß in diesen Staaten die genannten Vorschriften der Verordnung im zuletzt genannten Sinne ausgelegt und angewendet werden.

Ende der Entscheidung

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