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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 20.06.2000
Aktenzeichen: X ZB 5/99
Rechtsgebiete: PatG, ZPO


Vorschriften:

PatG § 21 Abs. 1 Nr. 4
PatG § 38
PatG § 101 Abs. 2
PatG § 99
PatG § 109 Abs. 1 Satz 2
ZPO § 308
ZPO § 536
ZPO § 559 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

X ZB 5/99

vom

20. Juni 2000

in dem Rechtsbeschwerdeverfahren

betreffend das deutsche Patent 37 19 728

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Rogge, die Richter Dr. Jestaedt, Dr. Melullis, Scharen, und die Richterin Mühlens am 20. Juni 2000

beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde der Patentinhaberin gegen den am 3. Dezember 1998 verkündeten Beschluß des 11. Senats (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts wird zurückgewiesen.

Die Patentinhaberin hat die Kosten der Rechtsbeschwerde mit Ausnahme der Kosten zu tragen, die der Einsprechenden III im Rechtsbeschwerdeverfahren entstanden sind.

Der Wert des Gegenstandes der Rechtsbeschwerde wird auf 200.000,-- DM festgesetzt.

Gründe:

I. Die Rechtsbeschwerdeführerin ist eingetragene Inhaberin des deutschen Patents 37 19 728 (Streitpatents), das auf einer unter Inanspruchnahme einer Unionspriorität vom 22. Mai 1987 getätigten Anmeldung vom 12. Juni 1987 beruht und dessen Erteilung am 4. April 1996 veröffentlicht worden ist. Das Streitpatent umfaßt 15 Ansprüche. Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung lautet:

"Verglasungsdichtung aus insbesondere gummielastischem Material, wie Elastomeren, und Kunststoffen, mit einem Basisteil, einer an dem Basisteil angeformten, der Wetterseite zugewandten, wulstartigen Dichtungslippe, einem an der gleichen Seite des Basisteils abstehenden und elastisch verformbaren Schenkel sowie einem Ankerfuß an der der Dichtlippe und dem Schenkel abgewandten Seite des Basisteils, bei der die Dichtlippe eine wesentlich größere Querschnittsdicke als der Basisteil und als der Schenkel aufweist und der Schenkel (3) vom Basisteil (1) oder von der Dichtlippe (2) in Richtung zur Rauminnenseite, d.h. der Dichtlippe (2) abgewandt, absteht."

Die Einsprechenden haben Einspruch eingelegt. Die Patentinhaberin hat das Streitpatent mit geänderten Ansprüchen verteidigt. Durch Beschluß vom 28. Mai 1998 hat das Deutsche Patentamt das Streitpatent widerrufen, weil der geltend gemachte Anspruch 1 gegenüber den ursprünglich eingereichten Unterlagen unzulässig erweitert sei; weder das im erteilten Anspruch 1 enthaltene Merkmal einer wulstartigen Dichtungslippe noch die im Einspruchsverfahren aufgenommene ergänzende Anweisung, hierfür nichtzelliges Material zu verwenden, seien aus den ursprünglich eingereichten Unterlagen entnehmbar.

Gegen diesen Beschluß hat die Patentinhaberin Beschwerde eingelegt und das Streitpatent mit einem erneut geänderten Anspruch 1 und hierauf rückbezogenen Ansprüchen 2 bis 13 sowie mit einem Hilfsantrag verteidigt. Patentanspruch 1 nach dem Hauptantrag der Patentinhaberin soll danach lauten:

"Verglasungsdichtung aus gummielastischem nichtzelligen Material einer Härte zwischen 30 und 70 IRHD, mit einem Basisteil, einer an den Basisteil angeformten, der Wetterseite zugewandten, im wesentlichen dreieckförmigen Dichtungslippe mit abgerundeten Ecken, einem an der gleichen Seite des Basisteils abstehenden und elastisch verformbaren Schenkel sowie einem Ankerfuß an der der Dichtlippe und dem Schenkel abgewandten Seite des Basisteils, bei der die Dichtlippe eine wesentlich größere Querschnittsdicke als der Basisteil und als der Schenkel sowie einen Hohlraum etwa in ihrem Zentrum aufweist und die Querschnittsdicke bzw. -höhe der Dichtlippe (2) etwa doppelt bis dreifach so groß ist wie beim Basisteil (1), und bei der der Schenkel (3) vom Basisteil (1) oder von der Dichtlippe (2) in Richtung zur Rauminnenseite, d.h. der Dichtlippe (2) abgewandt, absteht."

Nach dem Hilfsantrag der Patentinhaberin soll die vorgeschlagene Dichtungslippe "wulstartig, im Querschnitt im wesentlichen dreieckförmig" sein.

Wegen der geänderten Fassung der übrigen Patentansprüche wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Durch Beschluß vom 3. Dezember 1998 hat das Bundespatentgericht das Rechtsmittel der Patentinhaberin zurückgewiesen (abgedruckt in Mitt. 1999, 269 ff.).

Hiergegen wendet sich die Patentinhaberin mit ihrer - zugelassenen - Rechtsbeschwerde und beantragt,

den angefochtenen Beschluß des Bundespatentgerichts aufzuheben und die Sache dorthin zu anderweiter Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Die Einsprechenden I und IV sind dem durch Einreichung eines Schriftsatzes entgegengetreten. Die Einsprechende III hat ihren Einspruch zurückgenommen.

II. Die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist kraft Zulassung statthaft; das Rechtsmittel bleibt jedoch ohne Erfolg.

1. a) Das Bundespatentgericht hat sowohl den mit dem Hauptantrag als auch den mit dem Hilfsantrag verteidigten Patentanspruch 1 für unzulässig erweitert angesehen (§ 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG). Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Die Dichtungs- bzw. Dichtlippe der vorgeschlagenen Verglasungsdichtung sei in den zur Anmeldung des Streitpatents ursprünglich eingereichten Unterlagen durchgängig als parallelogrammförmig bezeichnet. Diese Kennzeichnung sei im ursprünglichen Patentanspruch 1 und in weiteren Patentansprüchen wie in der ursprünglichen Beschreibung enthalten, und zwar dort auch in bezug auf die der Beschreibung beigefügten Figuren. Für den Fachmann sei im Hinblick auf die vorgeschlagene Dichtlippe in den ursprünglichen Unterlagen mithin eine dreieckige Form nicht in einer Weise offenbart, daß die nunmehr mit dem Hauptantrag beanspruchte Lehre von vornherein von dem Schutzbegehren umfaßt sein solle. Auch von einer wulstartigen Ausbildung der Dichtlippe sei weder in der ursprünglichen Beschreibung noch in den ursprünglichen Patentansprüchen die Rede. Außerdem werde in der Technik unter Wulst keine bestimmte geometrische Form verstanden. Die Kennzeichnung "wulstartig" könne mithin den ohnehin eindeutigen Begriff "parallelogrammförmig" nicht klarstellend ersetzen. Auch der hilfsweise begehrte Patentanspruch 1 sei deshalb nicht beständig. Dieses Schicksal teilten ferner die jeweils geltend gemachten Unteransprüche 2 bis 13, weil ein selbständiger Schutz für sie nicht beansprucht sei.

Dies hält rechtlicher Überprüfung stand.

b) Im Einspruchs- und im Einspruchsbeschwerdeverfahren steht es dem Patentinhaber grundsätzlich frei, ob er auf vollständige Aufrechterhaltung des erteilten Streitpatents anträgt oder sein Patent mit eingeschränkten Patentansprüchen verteidigt. Sollen an Stelle von Merkmalen, die nach einem erteilten Patentanspruch seinen Gegenstand bestimmen, andere oder zusätzliche Merkmale aufgenommen werden, darf die Einfügung gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 4 und § 38 PatG jedoch nicht dazu führen, daß mit dem nunmehrigen Patentanspruch ein Gegenstand beansprucht wird, von dem der Durchschnittsfachmann aufgrund der ursprünglichen Offenbarung nicht erkennen kann, daß er von vornherein von dem Schutzbegehren umfaßt sein soll (Sen.Urt. v. 21.09.1993 - X ZR 50/91, Mitt. 1996, 204 - unzulässige Erweiterung).

c) Die Rechtsbeschwerde vertritt die Ansicht, daß eine unzulässige Erweiterung nicht gegeben sei, weil in der ursprünglichen Beschreibung alle zeichnerischen Darstellungen der Dichtlippe als Beispiele einer Gestaltung nach der angemeldeten Erfindung bezeichnet waren und weil die Rechtsbeschwerde glaubt, der Fig. 4 der ursprünglichen Unterlagen eine dreieckförmige Dichtlippe entnehmen zu können. Die Kennzeichnung der Dichtlippe als im Querschnitt im wesentlichen parallelogrammförmig sowohl im ursprünglichen Anspruchssatz als auch in der ursprünglichen Beschreibung sei deshalb unvollkommen; mit der Kennzeichnung der Dichtlippe als im wesentlichen dreieckförmig habe die Patentinhaberin nur einen von mehreren durch unterschiedliche Ausführungsbeispiele ursprünglich offenbarten Gegenständen treffend kennzeichnen und beanspruchen wollen.

d) Dem kann nicht beigetreten werden. Die Rechtsbeschwerde verkennt, daß zum Bereich der dem Tatrichter vorbehaltenen Feststellungen auch die Frage gehört, wie der Durchschnittsfachmann die Darstellung des Gegenstandes der Erfindung in Beschreibung und Zeichnungen versteht. Diese vom Senat seiner Rechtsprechung bei Revisionen in Patentverletzungsprozessen zugrunde gelegte Erkenntnis (BGHZ 142, 7 - Räumschild, m.w.N.), gilt gleichermaßen für das Rechtsbeschwerdeverfahren. Da auch in diesem Verfahren nur eine Überprüfung der von der Vorinstanz getroffenen Entscheidung auf Rechtsfehler hin erfolgt (§ 101 Abs. 2 PatG), ist der Senat im vorliegenden Fall an die Feststellungen des Bundespatentgerichts gebunden, der die Figuren der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen betrachtende Fachmann stelle hinsichtlich der Form der Dichtlippe keinerlei weitere Überlegungen an, weil im ursprünglichen Patentanspruch 1, weiteren Patentansprüchen und in der ursprünglichen Beschreibung die Dichtlippe durchgängig als parallelogrammförmig bezeichnet sei; eine parallelogrammförmige Dichtlippe gehe außerdem aus den ursprünglichen Fig. 1 bis 3 ohne weiteres sowie in Anlehnung daran auch aus den ursprünglichen Fig. 4 bis 6 hervor; der Fachmann erkenne deshalb nicht, daß der mit dem Hauptantrag beanspruchte Gegenstand von dem ursprünglichen Schutzbegehren umfaßt sein solle. Denn die Rechtsbeschwerde zeigt nicht auf, daß das Bundespatentgericht zu dieser Feststellung unter Verletzung des Gebots, sich mit dem Prozeßstoff umfassend und widerspruchsfrei auseinanderzusetzen oder unter Verletzung von Denk-, Natur- oder Erfahrungssätzen gelangt ist. Das Bundespatentgericht hat die von der Rechtsbeschwerde in den Vordergrund ihrer Rechtsmittelbegründung gestellte ursprüngliche Fig. 4 nicht übersehen. Es ist auch durchaus nachvollziehbar, die in Fig. 4 der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen gezeigte Dichtlippe als ebenfalls parallelogrammförmig anzusehen. Denn sie ist in den sich mit dieser Figur befassenden Teilen der ursprünglichen Beschreibung nicht nur ausdrücklich als parallelogrammförmig bezeichnet; es heißt dort außerdem, daß der Schenkel 3 als Fortsetzung der Dichtlippe an einer Ecke derselben ausgeformt sei. Dies spricht eher gegen die von der Rechtsbeschwerde für richtig gehaltene Deutung und für die vom Bundespatentgericht getroffene Feststellung. Denn nach dieser Textstelle der ursprünglichen Beschreibung kann entgegen der durch die farblich angelegte Skizze gemäß Anl. Jo 1 verdeutlichten Meinung der Rechtsbeschwerde das untere basisnahe Material der in Fig. 4 gezeigten Verglasungsdichtung durchaus der Dichtlippe selbst zugerechnet werden. Die Dichtlippe hat dann - wie auch in den übrigen Fig. 1 bis 3 und 5 der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen - eine einem Parallelogramm ähnliche Form. Die Feststellung des Bundespatentgerichts ist damit rechtlich möglich und der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen.

Daran ändert auch der Hinweis des Bundespatentgerichts auf die sich mit der Dichtleiste nach dem deutschen Gebrauchsmuster 19 12 214 befassende Textstelle der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen nichts, wo einerseits angegeben ist, daß an dieser Leiste eine im Querschnitt etwa dreieckförmige Dichtungslippe angebracht sei, andererseits als nachteilig geschildert ist, diese Verglasungsdichtung könne schlecht ohne Faltenbildung um Ecken verlegt werden. Da in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen dabei nicht zugleich darauf verwiesen ist, daß - wie die Rechtsbeschwerde geltend macht - bei dem Gegenstand nach dem deutschen Gebrauchsmuster nicht die Form der Dichtlippe für den geschilderten Nachteil verantwortlich sei, ist nicht ausgeschlossen, sondern eher naheliegend, daß auch diese Darstellung einen Fachmann nicht daran denken läßt, die zum Patent angemeldete Neuerung schließe gerade auch die Verwendung einer dreieckförmigen Dichtlippe ein. Es bestehen deshalb keine rechtlichen Bedenken, daß das Bundespatentgericht diese Textstelle als Bestätigung seiner aus dem übrigen Inhalt der Ursprungsunterlagen ohnehin getroffenen Würdigung gewertet hat, eine Verglasungsdichtung mit einer im wesentlichen dreieckförmigen Dichtungslippe sei nicht als zu der Erfindung gehörend ursprungsoffenbart.

e) Sind mit der ursprünglichen Anmeldung beansprucht, durchgängig beschrieben und auch in den Figuren gezeigt ausschließlich solche Verglasungsdichtungen, die eine im wesentlichen parallelogrammförmige Dichtlippe haben, kann das erteilte Patent mit dem hauptsächlich verteidigten Patentanspruch 1 nicht aufrechterhalten werden. Ihm liegt ein anderer Gegenstand als der ursprünglichen Anmeldung zugrunde. Auch die Rechtsbeschwerde zieht nicht in Zweifel, daß eine Verglasungsdichtung mit einer im Querschnitt im wesentlichen parallelogrammförmig ausgebildeten Dichtlippe nicht als Verglasungsdichtung bezeichnet werden kann, die eine im wesentlichen dreieckförmige Dichtungslippe hat.

f) Die vorstehenden Ausführungen gelten entsprechend für das mit dem Hilfsantrag verfolgte Begehren des Patentinhabers, weil auch in dem hilfsweise formulierten Patentanspruch 1 zur Kennzeichnung der Dichtlippe die nicht als zur ursprünglich angemeldeten Erfindung gehörend erkennbare, im wesentlichen dreieckige Form dienen soll. Auch dieser Patentanspruch 1 schützte mithin einen Gegenstand, der aus der Sicht des Fachmanns nicht von der ursprünglichen Anmeldung umfaßt ist. Auf die weiteren Erwägungen des Bundespatentgerichts zu der zusätzlichen Kennzeichnung der Dichtlippe als wulstartig kommt es deshalb nicht an.

g) Zu Recht hat das Bundespatentgericht seine im Ergebnis nicht zu beanstandenden Feststellungen zum Anlaß genommen, wegen der erörterten unzulässigen Erweiterung das Rechtsmittel in vollem Umfang zurückzuweisen. Besteht das Begehren des beschwerdeführenden Patentinhabers nur darin, das erteilte Patent mit geänderten Ansprüchen aufrechtzuerhalten, beschränkt sich unabhängig vom Streitgegenstand des Beschwerdeverfahrens als solchem die gerichtliche Entscheidungskompetenz auf dieses Begehren (§ 99 PatG i.V.m. §§ 308, 536, 559 Abs. 1 ZPO; Sen.Beschl. v. 10.01.1995 - X ZB 11/92, GRUR 1995, 333, 337 - Aluminium-Trihydroxid; Beschl. v. 26.09.1996 - X ZB 18/95, GRUR 1997, 120, 122 - elektrisches Speicherheizgerät). Dies muß zur Zurückweisung des Rechtsmittels führen, wenn nicht wenigstens ein seitens des Patentinhabers vor dem Bundespatentgericht gestellter Antrag zulässig und begründet ist. Da die Formulierung der Patentansprüche Sache des um das Patent Nachsuchenden ist, darf das erteilte Patent insbesondere nicht mit einem anderen Wortlaut als beantragt aufrechterhalten werden. Der vorliegende Fall bietet deshalb auch keinen Anlaß zu Ausführungen, ob und gegebenenfalls mit welchem Antrag die unzulässige Erweiterung hätte beseitigt werden können, die das Bundespatentgericht darin gesehen hat, daß in den erteilten Anspruch zur Beschreibung der Dichtlippe die Kennzeichnung "wulstartig" aufgenommen ist.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 109 Abs. 1 Satz 2, Satz 1 PatG.

Ende der Entscheidung

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