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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 13.11.1997
Aktenzeichen: X ZR 144/94
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 328, § 774
Zur Frage, wieweit neben dem auf das Gutachten vertrauenden Kreditgeber auch der mit diesem zusammenarbeitende, den Kredit absichernde Bürge in die Schutzwirkungen eines zwischen Grundeigentümer und Sachverständigem abgeschlossenen Vertrages über ein Wertgutachten einbezogen ist.

BGH, Urt. v. 13. November 1997 - X ZR 144/94 OLG Frankfurt LG Frankfurt


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

X ZR 144/94

Verkündet am: 13. November 1997

Welte Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 13. November 1997 durch den Vorsitzenden Richter Rogge und die Richter Dipl.-Ing. Frhr. v. Maltzahn, Dr. Broß, Dr. Melullis und Keukenschrijver

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Klägerin wird das am 10. Mai 1994 verkündete Urteil des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten als Erbin des verstorbenen Dipl.-Ing. E. E. (im folgenden: früherer Beklagter) aus eigenem und aus abgetretenem Recht Schadensersatz wegen eines von diesem erstatteten fehlerhaften Gutachtens. Der frühere Beklagte war öffentlich bestellter und vereidigter Bausachverständiger. Er hatte für die Eheleute G. ein Wertgutachten über deren Mehrfamilienhausgrundstück in F. erstattet und in seinem Gutachten vom 30. Januar 1994 den Gebäudewert auf 1,1 Mio. DM, den Ertragswert auf 1,5 Mio. DM, den mittleren Beleihungswert auf 1,4 Mio. DM und den Verkehrswert auf 1,5 Mio. DM geschätzt. Den Gutachtenauftrag hatte der frühere Beklagte von einer Maklerfirma über deren Geschäftsführer - beides Streithelfer der Klägerin - namens der Eheleute G. erhalten. Mit Schreiben vom 20. Februar 1984 bestätigte der frühere Beklagte der Maklerfirma, ihm sei bekannt, daß das Wertgutachten für die Klägerin verwendet werden solle. Auf Anfrage der Klägerin vom 6. April 1984 antwortete der frühere Beklagte mit Schreiben vom 9. April 1984, daß er in Ergänzung "seines Wertgutachtens" die Verkäuflichkeit des Objekts "derzeit für gut" einschätze. Die Klägerin gewährte den Eheleuten G. hierauf Darlehen im Betrag von 1 Mio. DM gegen eine erstrangige Hypothek in Höhe von 600.000,-- DM sowie eine zweitrangige Hypothek in Höhe von 400.000,-- DM. In Höhe der zweitrangigen Hypothek übernahm die Stadtsparkasse N. zusätzlich eine selbstschuldnerische Bürgschaft gegenüber der Klägerin. Der Kredit wurde notleidend. In dem nach Kündigung des Kredits seitens der Klägerin durchgeführten Zwangsversteigerungsverfahren schätzte der Sachverständige S. den Verkehrswert des Grundstücks auf 790.000,-- DM. Das Grundstück wurde am 3. Dezember 1986 für 653.000,-- DM versteigert; der Erlös belief sich nach Abzug der Kosten auf 647.937,63 DM. Die Stadtsparkasse N. zahlte auf die Bürgschaft 436.830,94 DM. Die Klägerin hat den früheren Beklagten wegen schuldhaft fehlerhafter Wertschätzung in Anspruch genommen, und zwar aus eigenem Recht in Höhe von 97.693,37 DM (richtig: 97.692,37 DM) wegen des ihr durch Gewährung nicht ausreichend dinglich gesicherter Darlehen entstandenen Schadens und aus abgetretenem Recht der Stadtsparkasse N. in Höhe eines Teilbetrags von 152.306,63 DM (richtig: 152.307,63 DM).

Das Landgericht hat der Klage unter Abweisung im übrigen in Höhe von 97.692,37 DM stattgegeben. Auf die unselbständige Anschlußberufung des früheren Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr ursprüngliches Klageziel weiter. Die Beklagte tritt der Revision entgegen; sie beantragt weiter, ihr als Erbin die Beschränkung ihrer Haftung auf den Nachlaß vorzubehalten.

Entscheidungsgründe:

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Das Berufungsgericht hat einen Anspruch der Klägerin gegen den ursprünglichen Beklagten aus eigenem Recht mit der Begründung verneint, daß diesem ein Verschulden nicht zur Last falle. Der frühere Beklagte habe den Wert des Hausgrundstücks nur deshalb zu günstig geschätzt, weil er falsche Angaben der Eheleute G. über den Mietertrag zugrunde gelegt habe. Eine Verifizierung dieser Angaben habe nicht erfolgen, der frühere Beklagte insoweit keinen Verdacht schöpfen müssen. Im übrigen stünden der Klägerin, die keinen eigenen Vertrag mit dem früheren Beklagten geschlossen habe, gegen diesen keine weitergehenden Ansprüche zu als den Eheleuten G. . Diese aber würden treuwidrig handeln, wenn sie den früheren Beklagten, der auf ihre fehlerhaften Angaben vertraut habe, in Anspruch nähmen. Auch ein Anspruch der Klägerin aus abgetretenem Recht der Sparkasse N. bestehe nicht. Diese sei in den Schutzbereich des Vertrages nicht einbezogen. Im übrigen scheitere auch ein Anspruch aus § 826 BGB an fehlendem Verschulden des früheren Beklagten.

II. Die Abweisung der Klage durch das Berufungsgericht hält einer rechtlichen Überprüfung in wesentlichen Punkten nicht stand.

1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann eine Haftung der Beklagten gegenüber der Klägerin auf Grund eigener Ansprüche der Klägerin nach den bisher getroffenen Feststellungen nicht verneint werden.

a) Das Berufungsgericht hat eine unmittelbare vertragliche Haftung des früheren Beklagten aus positiver Vertragsverletzung eines mit der Klägerin stillschweigend abgeschlossenen Auskunftsvertrages allerdings im Ergebnis zu Recht verneint. Ein möglicherweise durch das Schreiben des früheren Beklagten vom 9. April 1984 stillschweigend zustande gekommener Auskunftsvertrag wurde nicht ursächlich für den Abschluß des Kreditvertrages. Die Klägerin hatte bereits mit Schreiben vom 4. April 1984 den Eheleuten G. eine bindende Kreditzusage erteilt und erst nachträglich mit Schreiben vom 6. April 1984 den früheren Beklagten zur Verkäuflichkeit befragt. Die Antwort des früheren Beklagten vom 9. April 1984 hatte auf die Kreditzusage keinen Einfluß mehr.

b) Das Berufungsgericht hat die Klägerin in den Schutzbereich des zwischen dem früheren Beklagten und den Eheleuten G. geschlossenen Gutachtenvertrages einbezogen. Wie das Berufungsgericht festgestellt hat, wußte der frühere Beklagte von der Verwendung seines Gutachtens bei der Klägerin. Die Einbeziehung nimmt die Revision als ihr günstig hin. Rechtsfehler dieser revisionsrechtlich bindenden Vertragsauslegung sind nicht ersichtlich.

In die Schutzwirkungen eines Vertrages über die Erstattung eines Gutachtens durch einen öffentlich bestellten Sachverständigen zum Wert eines Grundstückes sind alle diejenigen einbezogen, denen das Gutachten nach seinem erkennbaren Zweck für Entscheidungen über Vermögensdispositionen vorgelegt werden soll. Dazu gehörte im vorliegenden Fall die Klägerin als potentielle Kreditgeberin der vorgesehenen Kreditmaßnahme (Umschuldung). Entsprechend dem Zweck des Gutachtens, dem Dritten gegenüber Vertrauen zu erwecken und Beweiskraft zu besitzen, steht eine Gegenläufigkeit der Interessen des Auftraggebers und des Dritten dessen Einbeziehung in den Schutzbereich des Vertrages nicht entgegen. Das ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes insbesondere für den Fall eines Immobilienkaufs anerkannt (BGHZ 127, 378, 380), gilt in gleicher Weise aber auch für den hier vorliegenden Fall einer Grundstücksbeleihung.

c) Zugunsten der Revision ist mangels abweichender tatsächlicher Feststellungen zu unterstellen, daß der dem früheren Beklagten mitgeteilte Ertragswert falsch war und der mitgeteilte den ortsüblichen Mietzins um 25 % überstieg. Damit war das Gutachten mangelhaft. Wer ein Gutachten zu erstellen hat, muß den vertraglich vereinbarten Anforderungen genügen. Sorgfaltsmaßstab auch für die Erstellung eines Sachverständigengutachtens ist grundsätzlich das, was im Verkehr erforderlich ist (§ 276 Abs. 1 Satz 2 BGB). Der Sachverständige muß dabei seine Sorgfalt jedenfalls auf die Verkehrskreise ausrichten, in denen er mit einer Verwendung des Gutachtens rechnen muß. Dies bedeutet im vorliegenden Fall, daß die Beleihbarkeit vom Kreditgeber allein aufgrund des Gutachtens zu beurteilen sein mußte, ohne daß es weiterer eigener Ermittlungen seitens des Kreditgebers bedurfte. Wie der Sachwalter und der Vertreter oder Verhandlungsgehilfe der künftigen Vertragspartei nimmt auch der öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige ein besonderes Vertrauen dessen in Anspruch, dem das von ihm gefertigte Gutachten erkennbar vorgelegt werden soll; das gilt im besonderen Maße, wenn er Tatsachen, die - wie hier die Mieterträge - für das Ergebnis der Wertermittlung wesentlich sind, nicht selbst erhebt oder überprüft, dies in seinem Gutachten aber verschweigt (vgl. BGH, Urt. v. 13.2.1992 - III ZR 28/90, NJW 1992, 2080, 2083 f. zu II 3; vgl. auch zur Haftung für fehlerhafte Aussagen in Prospekten BGHZ 77, 172, 176; BGH, Urt. v. 21.11.1983 - II ZR 27/83, NJW 1984, 865, 866 zu II 2; BGHZ 111, 314, 320 zu II 2 c). Das besondere Vertrauen, das dem Gutachten eines öffentlich bestellten Sachverständigen im Geschäftsverkehr beigemessen wird, setzt. voraus, daß der Sachverständige das Gutachten nach bestem Wissen und Gewissen erstellt hat und dafür Dritten gegenüber einsteht (BGHZ 127, 378, 380 ff. zu 2 a m.w.N.).

Die Höhe des dem früheren Beklagten für das Wertgutachten gezahlten Honorars von lediglich 1.000,-- DM vermag nicht zu einer Herabsetzung der von ihm einzuhaltender. Sorgfalt zu führen. Die Höhe des Honorars ist aus dem Wertgutachten für Dritte nicht ersichtlich und erlaubt schon deshalb keine Rückschlüsse auf die angewendete Sorgfalt. Es bedarf deshalb keiner abschließenden Entscheidung, ob ein geringes Honorar überhaupt eine Herabsetzung der vom Sachverständigen aufzubringenden Sorgfalt gestatten könnte.

d) aa) Im Ansatzpunkt zutreffend geht das Berufungsgericht dabei davon aus, daß ein Sachverständigengutachten nicht auf Mutmaßungen und Unterstellungen aufbauen darf, sondern sich auf Tatsachen stützen muß. Sind dem Sachverständigen die für die Beurteilung maßgeblichen Umstände nicht bekannt, muß er die einschlägigen tatsächlichen Informationen beim Auftraggeber abrufen (BGH, Urt. v. 2.11.1983 - IVa ZR 20/82, NJW 1984, 355, 356 Zu II). Damit ist es jedoch entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts dem Sachverständigen nicht gestattet, solche ihm vom Auftraggeber mitgeteilten Angaben ungeprüft in sein Gutachten zu übernehmen.

bb) Grundsätzlich und in erster Linie ist zwar der Auftraggeber verpflichtet, das zur Erstellung des Gutachtens erforderliche Material zur Verfügung zu stellen. Der Sachverständige, der in seinem Gutachten Tatsachen feststellt, ist aber dafür verantwortlich, daß er die Feststellungen gewissenhaft getroffen hat. Von einem ihm lediglich unter Angabe einer Aufstellung mitgeteilten Mietertrag durfte der frühere Beklagte nur dann ohne weiteres ausgehen, wenn er sich davon überzeugt hatte, daß die Angaben zutreffend waren. Seine Prüfungspflicht erstreckt sich zum einen auf die Frage, ob das Material zur Herstellung des Gutachtens tauglich ist. Zum anderen muß sich der Sachverständige darüber klar sein, ob das zur Verfügung gestellte Material als von ihm geprüft und glaubwürdig in das Gutachten eingebracht werden kann oder nicht; insoweit ist eine eigene Beurteilung durch den Sachverständigen erforderlich, wenn sich diese - wie hier - nicht aus der Beschaffenheit der Unterlagen ergibt (vgl. Bayerlein/Roeßner, Praxishandbuch Sachverständigenrecht, 2. Aufl., § 9 Rdn. 3, 4, 6, 7; Wellmann, Der Sachverständige in der Praxis, 5. Aufl., Rdn. 125 S. 10 f.). Würde man die Überprüfungspflicht auf die Fälle beschränken, in denen der Sachverständige Anlaß zu Mißtrauen hat, würden nicht geprüfte Angaben Dritter, die der Sachverständige als wahr vermutet oder für plausibel hält, durch das Testat entgegen der tatsächlichen Lage als im einzelnen überprüft und für richtig befunden ausgewiesen. Solches läuft dem Sinn und Zweck des Wertgutachtens eines öffentlich bestellten Sachverständigen grob zuwider.

cc) Verwendet der Sachverständige im Gutachten Tatsachenmaterial, das er nicht oder nur teilweise selbst ermittelt oder nicht oder nur teilweise überprüft hat, muß er dies mit Angabe der Quelle im Gutachten jedenfalls dann eindeutig vermerken, wenn er - wie im vorliegenden Fall weiß oder wissen muß, daß das Gutachten auch als Entscheidungshilfe für andere als den Auftraggeber dienen soll. Fehlt eine solche Angabe, entsteht beim Leser der Irrtum, der Sachverständige habe den Befund selbst erhoben. Der frühere Beklagte hat die ihm mitgeteilten Mieterträge seinem Gutachten ohne jeden Vorbehalt zugrunde gelegt. Damit hat er bei jedem, der das Gutachten auswertete, den Eindruck hervorgerufen, daß es auf von ihm selbst geprüften Zahlen beruhe (vgl. BGH, Urt. v. 17.9.1985 - VI ZR 73/84, NJW 1986, 180, 181 zu II 2 b aa; Urt. v. 13.2.1992 - III ZR 28/90, NJW 1992, 2080, 2083 f. zu II 3; Bayerlein/Roeßner aaO Rdn. 3, 6, 7) und daß er die Gewähr für den von ihm zugrunde gelegten Mietertrag übernehme. Dies begründet seine Haftung.

e) Das Urteil kann nicht mit anderer Begründung bestehenbleiben (§ 563 ZPO), weil eine Haftung des früheren Beklagten unter dem Gesichtspunkt des völlig überwiegenden Mitverschuldens (§ 254 BGB) der Eheleute G. bzw. ihres Maklers oder der Klägerin ausscheiden würde.

Dem Berufungsgericht ist zwar im Ansatzpunkt dahin zuzustimmen, daß der Klägerin gegen den früheren Beklagten grundsätzlich nicht mehr Rechte zustehen konnten, als dessen Auftraggebern gegen ihn zustehen würden. Aus diesem Grundsatz hat die Rechtsprechung abgeleitet, daß sich der durch den Schutzpflichtigen schuldhaft geschädigte Dritte ein Mitverschulden des Vertragspartners seines Schädigers auch dann nach § 254 BGB entgegenhalten lassen muß, wenn dieser nicht der gesetzliche Vertreter oder Erfüllungsgehilfe des Schädigers im Sinne des § 278 BGB ist. Diese Begrenzung der Rechte des Geschädigten wird aus dem Rechtsgedanken des § 334 BGB und dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) entnommen (BGHZ 127, 378, 384 f. zu 4 b m.w.N.).

Das Berufungsgericht läßt jedoch außer Betracht, daß insoweit abweichende vertragliche Regelungen stillschweigend möglich sind, wie der Bundesgerichtshof in einer nach Erlaß des Berufungsurteils ergangenen Entscheidung (BGHZ 127, 378, 384 f.) klargestellt hat. Daran ist trotz Kritik in der Literatur (vgl. Canaris, JZ 1995, 441, 444) festzuhalten. Im Geschäftsverkehr darf der Kreditgeber von einem redlichen Kreditnehmer ausgehen, der nicht arglistig auf die Urteilsbildung des Sachverständigen einwirkt. Ein solcher Kreditnehmer kann redlicherweise nichts dagegen haben, daß auch dem Kreditgeber Ansprüche gegen den Sachverständigen wegen der Unrichtigkeit des Gutachtens zustehen. Das kann nicht anders sein, wenn der Kreditnehmer - vom Kreditgeber unerkannt - unredlich ist und seinerseits die Fehlerhaftigkeit des Gutachtens herbeiführt. In einem solchen Fall ist die Vortäuschung redlichen Verhaltens auf seiten des Kreditnehmers Voraussetzung für den Kredit. Der Kreditgeber darf das Verhalten des Kreditnehmers auch in diesen Fällen dahin verstehen, dieser sei mit der Berechtigung des Kreditgebers aus dem Vertrag des Kreditnehmers mit dem Sachverständigen über die Gutachtenerstellung einverstanden. Das aber beinhaltet in der Regel auch das Einverständnis mit einer vom Kreditgeber üblicherweise stillschweigend gewünschten Abbedingung des § 334 BGB. Diese besondere Interessenlage ist auch dem Gutachter ohne weiteres erkennbar, wenn er weiß oder damit rechnen muß, daß das Gutachten als Entscheidungshilfe für Dritte, insbesondere für eine Kreditvergabe dienen soll. Darauf muß er sich redlicherweise auch einlassen. Mangels entsprechender Anhaltspunkte ist daher davon auszugehen, daß der Abschluß des Gutachtenvertrages in solchen Fällen zugleich eine konkludente Abbedingung des § 334 BGB beinhaltet. Wertgutachten öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger würden für den Geschäftsverkehr weitgehend bedeutungslos, wenn der Kreditgeber sich regelmäßig die ihm unbekannten und in dem Gutachten erfahrungsgemäß selten wiedergegebenen besonderen Ansprüche zwischen Kreditnehmer und Sachverständigem entgegenhalten lassen müßte. Die Rechtsstellung des Sachverständigen wird hierdurch nicht unzumutbar beeinträchtigt, denn er kann durch entsprechend deutliche Darstellung in seinem Gutachten klarstellen, daß das Gutachten nur für den internen Gebrauch der Auftraggeber dient oder daß es in einzelnen, näher bezeichneten Punkten auf nicht überprüften Angaben der Auftraggeber beruht, für die der Sachverständige keine Gewähr übernimmt (vgl. Canaris JZ 1995, 441, 446). Fehlen jedoch solche Angaben - wie vorliegend - im Gutachten, ist dies zugleich für den Kreditgeber aus dessen objektivierter Sicht Bestätigung und Hinweis, daß in dieser Hinsicht keine Einwendungen aus dem Vertrag zwischen dem Sachverständigen und dessen Auftraggeber bestehen und damit der Sachverständige wie der Auftraggeber mit dem Wunsch des Kreditgebers auf Abbedingung des Grundsatzes einverstanden sind, wonach dem Kreditgeber aus dem Gutachtenvertrag keine weitergehenden Rechte als dem Auftraggeber zustehen sollen.

Das Berufungsgericht hat nicht beachtet, daß auch insoweit eine Auslegung der Vereinbarung zwischen dem früheren Beklagten und seinen Auftraggebern geboten ist. Die Auslegung eines Vertrages ist grundsätzlich dem Tatrichter vorbehalten und nur darauf zu überprüfen, ob der Tatrichter gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat oder ob die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruht, etwa indem unter Verstoß gegen Verfahrensvorschriften wesentliches Auslegungsmaterial außer acht gelassen wurde (vgl. Sen.Urt. v. 25.2.1992 - X ZR 88/90, NJW 1992, 1967, 1968 zu II 3 a m.w.N.). Der Senat kann vorliegend aber die Vereinbarung des früheren Beklagten mit seinen Auftraggebern selbst auslegen, weil das Berufungsgericht die Vertragserklärung des Beklagten und seiner Auftraggeber unter diesem Gesichtspunkt nicht ausgelegt hat und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß weitere Umstände bei der Auslegung Berücksichtigung finden müßten (vgl. BGH, Urt. v. 17.6.1994 - V ZR 204/92, NJW 1994, 2947, 2948 m.w.N.). Umstände, die ein Abweichen von dem geschilderten regelmäßigen Verständnis der Vertragsparteien aufgrund der Interessenlage erforderten, sind hier nicht ersichtlich. Es bedarf daher auch keiner Erörterung, wie sich die Rechtslage darstellen würde, wenn im Einzelfall von einem Abbedingen der Regelung in § 334 BGB nicht ausgegangen werden könnte, und ob in diesem Fall unter Zugrundelegung von in der Literatur vertretenen Auffassungen (vgl. Medicus, JZ 1995, 308, 309; Canaris, JZ 1995, 441 ff.) gleichwohl eine Haftung des Sachverständigen gegenüber dem Kreditgeber zu bejahen wäre.

2. Das Berufungsgericht hat die von der Stadtsparkasse N. an die Klägerin abgetretenen Ansprüche als nicht vom Schutzzweck des Gutachtenauftrages umfaßt angesehen, weil die Stadtsparkasse N. nicht in den Schutzbereich des Vertrages einbezogen sei. Auch das greift die Revision im Ergebnis mit Erfolg an.

a) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt es nicht entscheidend darauf an, ob dem früheren Beklagten die Einschaltung der Stadtsparkasse N. als Bürgin in die Darlehensgewährung bekannt war. Die Frage, wer in den Schutz eines Vertrages einbezogen wird, beurteilt sich nicht allein nach den Kenntnissen der Vertragsparteien über die Personen, die möglicherweise mit der vertragsgemäßen Leistung in Betracht kommen können. Auch wenn die Ausgestaltung des Drittschutzes durch die Vertragsparteien grundsätzlich deren Gestaltungsfreiheit unterliegt (vgl. BGH, Urt. v. 2.11.1983 - IVa ZR 20/82, NJW 1984, 355; Urt. v. 23.1.1985 - IVa ZR 66/83, MDR 1985, 1001), kann aus der Unkenntnis der Person, die in den Schutzbereich des Vertrages fallen kann, nicht deren Nichteinbeziehung in den Schutzbereich abgeleitet werden. Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen die vertraglich geschuldete Leistung Bedeutung für eine Darlehensgewährung haben soll (vgl. BGH, Urt. v. 26.11.1986 - IVa ZR 86/85, NJW 1987, 1758, 1759 = BGHR BGB § 328 - Drittschutz 2; Urt. v. 21.1.1993 - III ZR 15/92, NJW-RR 1993, 944 = BGHR BGB § 328 - Drittschutz 10); die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes hat es hier genügen lassen, wenn erkennbar war, daß die Ausarbeitung für einen Käufer oder einen Kreditgeber bestimmt war. Daran ist festzuhalten. Das bedeutet allerdings nicht, daß der Kreis der unter die Schutzpflicht fallenden Personen uferlos ausgeweitet werden dürfte; es ist vielmehr erforderlich, daß die Schutzpflicht auf eine überschaubare, klar abgrenzbare Personengruppe beschränkt wird (BGH NJW 1987, 1758, 1760). Kommen mehrere Darlehensgeber in Betracht, besteht kein rechtliches Hindernis, sie alle in den Schutzbereich einzubeziehen (vgl. BGH, NJW-RR 1993, 944). Gleiches gilt grundsätzlich, wenn es sich um komplexere Darlehens- oder Finanzierungsvorgänge handelt, bei denen etwa wie hier im Rahmen einer einheitlichen Finanzierungsmaßnahme ein Teil des Darlehens nur gegen weitere Sicherheiten gewährt wird. Allerdings muß auch hier der Kreis der geschützten Dritten überschaubar bleiben. Dies ist bei Einbeziehung des bürgenden Kreditinstituts, auf dessen Bürgschaft hier ein weiterer (höherer) Darlehensbetrag gewährt wird, indessen noch der Fall; eine Vervielfältigung des Risikos des Verpflichteten tritt hierdurch nicht ein. Es bedarf deshalb keiner Erörterung, wie die Frage der Schutzwirkung etwa im Fall eines Dritten zu beurteilen wäre, der das Darlehen refinanziert oder versichert.

b) Dem Berufungsgericht kann auch nicht darin beigetreten werden, daß das fehlerhafte Gutachten für die Eingehung der Bürgschaftsverpflichtung seitens der Stadtsparkasse N. nicht ursächlich geworden wäre. Jedenfalls im geschäftlichen Verkehr muß sich ein Kreditinstitut, das sich gegenüber einem Realkreditgeber verbürgt, der ein dinglich gesichertes Darlehen gewährt, darauf verlassen können und dürfen, der Realkreditgeber habe die Werthaltigkeit des Beleihungsobjekts ordnungsgemäß anhand entsprechender Unterlagen geprüft. Eine eigene Prüfungspflicht dieser Unterlagen obliegt dem bürgenden Kreditinstitut in diesem Umfang jedenfalls im Verhältnis zu dem das Wertgutachten erstellenden Sachverständigen nicht. Damit ist es im Ergebnis auch ohne Belang, ob die Stadtsparkasse N. vom Inhalt des Wertgutachtens Kenntnis hatte.

3. Nach allem ist das angefochtene Urteil aufzuheben (§ 564 ZPO). Eine eigene Entscheidung des Senats kommt nicht in Betracht (§ 565 Abs. 3 ZPO).

Bei der gebotenen erneuten Verhandlung wird das Berufungsgericht abzuklären haben, ob die vom früheren Beklagten seinem Gutachten zugrunde gelegten Mieterträge der Wirklichkeit entsprochen haben. Das Berufungsgericht wird erforderlichenfalls auch über die Einrede der beschränkten Erbenhaftung zu entscheiden haben.

Rogge Maltzahn Broß Melullis Keukenschrijver

Ende der Entscheidung

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