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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 09.01.2001
Aktenzeichen: X ZR 158/98
Rechtsgebiete: PatG a.F., ZPO, 2. PatÄndG


Vorschriften:

PatG a.F. § 110 Abs. 3
ZPO § 91
ZPO § 97
2. PatÄndG Art. 29
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

X ZR 158/98

Verkündet am: 9. Januar 2001

Wermes Justizhauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

in der Patentnichtigkeitssache

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 9. Januar 2001 durch den Vorsitzenden Richter Rogge, die Richter Dr. Jestaedt, Scharen, die Richterin Mühlens und den Richter Dr. Meier-Beck

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung gegen das am 5. Mai 1998 verkündete Urteil des 2. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Beklagte ist Inhaber des am 1. Februar 1985 unter Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Patentanmeldung vom 8. Februar 1984 angemeldeten, mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 152 029 (Streitpatents), das ein Verfahren zur Herstellung einer Saugflasche zum Absaugen von Sekreten aus Wundhöhlen betrifft und vom Deutschen Patentamt unter der Nr. 35 73 726 geführt wird.

Patentanspruch 1 hat in der Verfahrenssprache Deutsch folgenden Wortlaut:

"Verfahren zur Herstellung einer Saugflasche zum Absaugen von Sekreten aus Wundhöhlen mit Evakuieren des Flascheninneren auf einen vorbereiteten Unterdruck, wobei die Saugflasche eine Vorrichtung zum Anzeigen des momentan herrschenden Unterdruckes sowie Anschlüsse für einen Saugschlauch aufweist,

dadurch gekennzeichnet,

daß an der Saugflasche eine von außen erkennbare Markierung in einer Höhe angebracht wird, die der Höhe des mit dem vorbestimmten Unterdruck in der Flasche einziehbaren Sekretvolumens entspricht."

Wegen der Patentansprüche 2 bis 7 wird auf die Patentschrift Bezug genommen.

Mit ihrer Nichtigkeitsklage hat die Klägerin geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei keine Erfindung, da er sich auf die Wiedergabe einer Information beschränke und deshalb nicht technischer Natur sei. Im übrigen sei die Erfindung nicht neu und beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Die Klägerin hat beantragt,

das europäische Patent 0 152 029 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.

Der Beklagte hat um Klageabweisung gebeten und hilfsweise das Patent mit zwei Hilfsanträgen verteidigt.

Das Bundespatentgericht hat der Klage stattgegeben und das Streitpatent mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.

Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung.

Als vom Senat bestellter gerichtlicher Sachverständiger hat Dipl.-Ing. Dr. med. R. B. ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung bleibt ohne Erfolg.

I. 1. Die nach Patentanspruch 1 des Streitpatents geschützte Lehre betrifft ein Verfahren zur Herstellung einer Saugflasche. Solche Saugflaschen werden temporär postoperativ nach chirurgischen Eingriffen zum Absaugen von Wundsekreten und zur Adaption der Wundflächen eingesetzt (Sp. 1 Z. 3-10 der Streitpatentschrift) und sollen mit Hilfe des in ihnen bei der Herstellung erzeugten Unterdrucks die Wundflächen aneinanderpressen, die Förderung des Wundsekretes in Richtung Saugflasche bewirken und die Gefahr rückläufiger Sekretbewegungen ausschalten, wenn die Saugflasche höher liegt als das Wundniveau (Sp. 1 Z. 60 - Sp. 2 Z. 3). Das Aufnahmevermögen einer solchen Saugflasche hängt ausschließlich von dem in ihr herrschenden Unterdruck ab. Ist dieser erschöpft, ist das Saugvermögen der Saugflasche nicht mehr gegeben. Damit ist ein Ablaufen des Wundsekretes nicht mehr möglich; es kommt zum Sekretstau in der Wunde mit Aufweitung der Wundhöhle (Hämatom- oder Serombildung). Die Adaption der Wundränder ist aufgehoben und es kann leicht zu einer rückläufigen Infektion der Wunde kommen (Sp. 1 Z. 40-50).

Derartige Saugflaschen waren insbesondere aus der deutschen Patentschrift 28 02 517 und der europäischen Patentschrift 0 061 723 bekannt (Sp. 1 Z. 16, 17). Sie weisen starrwandige Behälter mit einem vorbereiteten negativen Druck und vornehmlich in ihrem Kopfbereich einen Druckanzeiger auf, der die Aufgabe hat, den gebrauchsfertigen Zustand der Saugflasche anzuzeigen, d.h. anzuzeigen, daß ein Unterdruck in der Saugflasche vorhanden ist und somit die Saugkapazität zur Verfügung gestellt wird (Sp. 1 Z. 10-24). An diesen (als einziges Mittel zur Überwachung der Saugfähigkeit der Saugflasche bekannten) Unterdruckmeßgeräten kritisiert das Streitpatent, daß sie zum einen verkleben können und zum anderen nicht den tatsächlich in der Saugflasche herrschenden Unterdruck anzeigen, sondern nur, daß ein Unterdruck vorhanden ist. Die bekannten Saugflaschen mit den bekannten Druckanzeigern ließen keine sichere Kontrolle oder Messung des Unterdrucks zu (Sp. 1 Z. 25-39). Durch die bekannten Druckanzeiger an den Saugflaschen könne das Pflegepersonal von außen nicht das maximal mögliche Füllvolumen der Saugflasche bestimmen, das immer nur ein bestimmter Prozentsatz des Flaschenrauminhaltes sein könne (Sp. 1 Z. 51-56). Für die Beurteilung der Funktionsfähigkeit einer Wund-Saugdrainage sei es wesentlich, die Aufnahmekapazität bei einem bestimmten, primär angelegten Unterdruck zu kennen (Sp. 1 Z. 57-60). Erstrebenswert sei es deshalb, einen Indikator vorzusehen, der ausgehend von dem bei der Herstellung der Saugflasche eingestellten Unterdruck anzeigt, welches Füllvolumen, d.h. welche Aufnahmekapazität, diese Saugflasche bei noch bestehendem Restunterdruck besitzt (Sp. 2 Z. 4-8).

Nach der Lehre des Streitpatents soll deshalb ein Verfahren zur Herstellung einer Saugflasche mit definiertem Unterdruckbereich zur Verfügung gestellt werden, bei der das in Abhängigkeit des Unterdrucks stehende maximale Füllvolumen der Saugflasche von außen zu sehen und zu kontrollieren ist (Sp. 2 Z. 18-24).

2. Zur Lösung dieses Problems schlägt Patentanspruch 1 des Streitpatents ein Verfahren zur Herstellung einer Saugflasche zum Absaugen von Sekreten aus Wundhöhlen mit folgenden Merkmalen vor:

1. Das Flascheninnere wird auf einen vorbestimmten Unterdruck evakuiert,

2. die Saugflasche besitzt

a) eine Vorrichtung zum Anzeigen des momentan herrschenden Unterdrucks und

b) Anschlüsse für einen Saugschlauch,

3. an der Saugflasche wird eine Markierung angebracht,

a) die von außen erkennbar ist und

b) die in einer Höhe angebracht wird, die der Höhe des mit dem vorbestimmten Unterdruck in die Flasche einziehbaren Sekretvolumens entspricht.

3. Das Streitpatent lehrt damit eine doppelte Sicherungsanzeige, die den funktionsgerechten Einsatz von Wund-Saugflaschen vereinfachen soll:

(1) Nach Merkmal 2 a) ist eine Anzeige für einen qualitativ ausreichenden Unterdruck in der Saugflasche vorgesehen. Diese Anzeige soll sicherstellen, daß erkannt werden kann, ob ein Unterdruck in der Flasche vorhanden ist und damit überhaupt (noch) eine Wund-Drainage stattfindet.

(2) Nach Merkmalsgruppe 3 ist eine weitere Sicherungsanzeige vorgesehen.

a) Diese kann eine (etwa durch Verklemmen oder Verkleben mögliche) Fehlanzeige der ersten Sicherungsanzeige ausgleichen, indem sie angibt, daß das Aufnahmevermögen der Flasche trotz vermeintlich fortbestehenden ausreichenden Unterdrucks bereits erschöpft ist.

b) Sie ermöglicht weiter eine Abschätzung der zukünftig noch bestehenden Aufnahmekapazität der Flasche. Damit ermöglicht sie eine annähernde Prognose für den Zeitpunkt, zu dem eine Auswechslung der Saugflasche erforderlich ist, und damit zugleich für den Zeitpunkt der nächsten Kontrolle.

Nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen, der über eigene chirurgische Erfahrungen verfügt, ist das Vorliegen eines ausreichenden Unterdrucks in der Saugflasche unabdingbare Voraussetzung für die speziellen Wirkweisen der Redon-Technik. Das infolge des Unterdrucks in die Saugflasche strömende Wundsekret bewirkt ein ständig zunehmendes Flüssigkeitsvolumen in der Flasche; die über dem Flüssigkeitsspiegel befindliche Gasmenge reduziert gleichzeitig ihr Volumen im gleichen Verhältnis. Der Gasdruck in der Saugflasche steigt infolgedessen langsam an. Allerdings fällt ein ursprünglich hoher Unterdruck in der Redon-Saugflasche trotz zunehmenden Füllvolumens durch das Sekret nur sehr langsam ab, so daß über einen längeren Zeitraum eine ausreichende Drainagefunktion gewährleistet werden kann. Beispielsweise sinkt, so der gerichtliche Sachverständige, in einer Saugflasche, die mit einem Unterdruck von minus 0,95 bar beaufschlagt wird, der ursprüngliche Unterdruck nach Befüllen von 75 % des Flaschenvolumens mit Flüssigkeit und damit Reduktion der ursprünglichen Gasmenge auf 25 % lediglich auf einen Wert von minus 0,85 bar. Damit besteht immer noch eine ausreichende Saugwirkung für eine Wunddrainage. Nach Überschreiten des Füllvolumens von 75 % kommt es sehr rasch zu einem starken Druckanstieg in der Flasche, was einem plötzlichen Funktionsverlust des Saugsystems gleichkommt. Ist nämlich der im Flascheninneren ursprünglich vorhandene Unterdruck aufgehoben, ist ein Stau des Wundsekrets mit Gefahr der Hämatom- bzw. Serombildung gegeben. Für das Pflegepersonal im Krankenhaus ist es nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen daher von besonderer Bedeutung, über Informationen bezüglich der Funktionsfähigkeit des Drainagesystems zu verfügen. Nur durch einen rechtzeitigen Wechsel der Redon-Flasche könnten Komplikationen vermieden werden. Diese Information erfahre das Krankenhauspersonal durch die erfindungsgemäße weitere Sicherungsanzeige. Im Ergebnis solle durch die doppelte Sicherungsanzeige gewährleistet werden, daß zur Vermeidung einer Infektionsgefahr für den Patienten und aus wirtschaftlichen Gründen auf turnusmäßiges Auswechseln unabhängig von der Füllmenge verzichtet werde. Vielmehr solle nur dann ein Wechsel der Saugflasche durchgeführt werden, wenn dieser wegen der Erschöpfung des Füllvolumens auch tatsächlich erforderlich sei.

II. 1. Es kann dahinstehen, ob ein Verfahren mit den Merkmalen des Streitpatents im Prioritätszeitpunkt des Streitpatents neu war. Jedenfalls war die Lehre des Streitpatents dem Durchschnittsfachmann durch den Stand der Technik nahegelegt und beruhte deshalb nicht auf erfinderischer Tätigkeit (Art. 56 EPÜ). Als Durchschnittsfachmann in diesem Sinne, auf dessen Fähigkeiten und Wissen für das Verständnis des Streitpatents und seine Bewertung insbesondere im Hinblick auf das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit abzustellen ist, sieht der Senat in Übereinstimmung mit den Erläuterungen des gerichtlichen Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung einen Diplom-Ingenieur mit Fachhochschulabschluß an, der in der medizintechnischen Industrie in Forschungs- und Entwicklungsbereichen Erfahrungen gewonnen hat und der bezüglich auftretender medizinischer Probleme mit einem Arzt zusammenarbeitet.

2. Einem solchen Fachmann waren Saugflaschen, die temporär postoperativ nach chirurgischen Eingriffen zum Absaugen von Wundsekreten und zur Adaption der Wundflächen eingesetzt werden, aus dem in der Streitpatentschrift genannten Stand der Technik (DE-A 28 20 517 und EP-A 0 061 723) und aus den Patentschriften EP 0 066 699, DE 28 26 650 und DE 30 11 163 bekannt. Dieser Fachmann wußte, daß der funktionsgerechte Einsatz solcher Saugflaschen einen ausreichenden Unterdruck in der Saugflasche voraussetzt und daß die Kontrolle dieses Unterdrucks durch eine Sicherheitsanzeige am Vakuummesser erfolgt. Außerdem wußte er, daß die Füllmenge in der Flasche von der Höhe des Unterdrucks abhängig ist. Diesem Stand der Technik konnte der Fachmann ferner entnehmen, daß die technische Entwicklung an sich in Richtung einer Verbesserung der Vakuumsanzeige ging.

3. Wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend ausgeführt hat, erfuhr dieser Fachmann aus der Firmenschrift S. "Die postoperative Wund-Saugdrainage" (1980) darüber hinaus, daß er beim Einsatz der Redon-Saugflasche nicht nur auf den Unterdruck, sondern auch auf die Füllmenge in der Flasche zu achten hatte, wenn er durch rechtzeitiges Auswechseln der Flasche eine Gefährdung des Patienten vermeiden wollte.

Die Schrift, die zwar den Charakter einer Firmenwerbeschrift besitzt, inhaltlich aber doch mehr eine Gebrauchsanweisung darstellt, gibt neben einem Überblick über die Geschichte der Wunddrainage einschließlich einer Erörterung der Wundheilungsphysiologie konkrete Empfehlungen für die klinische Durchführung der Wunddrainage im Krankenhaus. Hinsichtlich der Redon-Drainage-Methode (S. 15) ist eine konkrete Saugflaschenausführungsform der S. GmbH dargestellt. In der Bildunterschrift wird auf die bei dieser Ausführungsform vorhandene "Vakuum-Anzeige" hingewiesen. Zur Vakuum-Anzeige ist ausgeführt (S. 9), daß ein gut erkennbares, zuverlässiges und sicher funktionierendes Unterdruck-Anzeige-Element vorhanden sein müsse. Nur mit einem derartigen Unterdruck-Anzeige-Element ausgerüstete Saugeinheiten ließen die Wunddrainage unter kontrollierten Bedingungen durchführen und Störungen des Drainagevorgangs, wie z.B. aufgehobener oder mangelhafter Unterdruck oder gar Überdruck in der Saugflasche, erkennen und vermeiden. Weiter ist aus der Abbildung auf S. 15 ebenso wie aus der schematischen Darstellung auf S. 1 zu erkennen, daß die Saugflasche mit einer Volumenskala versehen ist, an der die Volumenangaben "100", "200", "300" und "400" ausgewiesen sind. In der Firmenschrift ist weiter ausgeführt (S. 8 f.), daß die gemessenen Wundsekretvolumina auf der Flasche selbst oder sofort in der Fieberkurve vermerkt werden sollten, weil so die postoperative Beurteilung wesentlich vereinfacht werde und das Erfordernis späterer Bluttransfusionen leichter abzuschätzen sei. Sobald der Auffangbehälter zu mehr als 2/3 gefüllt sei, verliere er einen wesentlichen Teil seiner Saugwirkung und damit auch seine Fähigkeit, die Wundflächen aneinander zu stabilisieren. Zu diesem Zeitpunkt sei dann eine unter möglichst sterilen Bedingungen durchgeführte Auswechslung der Saugflasche erforderlich, die nach einem bestimmten Schema abzulaufen habe. Ein Flaschenwechsel sollte aber nur dann erfolgen, wenn dies erforderlich sei, d.h. wenn die Flasche zu voll oder kein ausreichender Unterdruck mehr vorhanden sei. Für die Beurteilung des Wundsekretverhältnisses sei dabei die Verwendung eines Dokumentationsetiketts an der Saugflasche sehr vorteilhaft.

Der gerichtliche Sachverständige hat überzeugend ausgeführt, daß der Fachmann allein aus der Skala auf der Flasche keine Erkenntnis zu dem eingestellten Unterdruck und der zulässigen Füllmenge gewinnen konnte. Die Abbildung der Flasche gab ihm aber Anlaß, sich Gedanken über die dargestellte Markierung zu machen. Er konnte erkennen, daß die Markierung "400" nicht die in der Firmenschrift genannte 2/3-Grenze sein konnte, bis zu der ein gefahrloses Befüllen zweckmäßig ist, weil - wie bereits bei grober Schätzung des Flaschenvolumens offenbar - der im Flaschenhals verbleibende, ebenfalls mit Unterdruck beaufschlagte Raum nicht 1/3 der Füllmenge ausmacht. Ging der Fachmann davon aus, daß die Füllstandsskala auf der Flasche nichts mit dem zulässigen, und für die Funktion der Flasche entscheidenden Füllvolumen zu tun haben konnte, wurde er durch den Hinweis in der Firmenschrift, daß der Auffangbehälter einen wesentlichen Teil seiner Saugwirkung verliert, sobald er zu mehr als 2/3 gefüllt ist, dazu veranlaßt, ausgehend von der vorhandenen Markierung die 2/3-Grenze auf der Flasche festzustellen, diese sich zu merken oder zu markieren. Dabei verstand der Fachmann die 2/3-Füllangabe als eine Sicherheitsangabe, bei der Sicherheitsreserven bereits berücksichtigt waren.

In der Firmenschrift wird damit zwar das Problem des Streitpatents angesprochen, eine Saugflasche mit einem definierten Unterdruck zur Verfügung zu stellen, bei der das in Abhängigkeit des Unterdrucks stehende maximale Füllvolumen der Saugflasche durch eine weitere Sicherungsangabe von außen zu sehen und zu kontrollieren ist. Daraus werden aber keine konkreten Folgerungen dahin gezogen, durch Maßnahmen sicherzustellen, daß die Flasche möglichst wenig ausgewechselt werden muß. Gegenständlich angesprochen werden nur die Unterdruckanzeige und eine Anzeige nach Abbildung 4, die die Wundsekretverhältnisse dokumentiert, nicht aber eine Sicherungsanzeige bezüglich des zulässigen maximalen Füllvolumens und auch nicht, von welchem Unterdruck in der Flasche auszugehen ist.

4. Aus der wissenschaftlichen Veröffentlichung "Wunddrainage" des Beklagten (in Hygiene + Medizin, Heft 7, (1982) S. 51 ff.) erfährt der Fachmann darüber hinaus die wissenschaftliche Grundlage der Abhängigkeit von Unterdruck und Füllmenge in der Flasche. Der Beitrag behandelt die Wunddrainage nach verschiedenen Verfahren, insbesondere nach der Hoch-Vakuum-Drainage nach Redon (S. 52 ff.). Abbildung 5 (S. 54) zeigt den oberen Teil einer Saugflasche. In der Bildunterschrift ist ausgeführt, daß ein graduierter Vakuumindikator und die Sekretstopp-Einrichtung zur unverzichtbaren Grundausstattung einer funktionierenden Saugflasche gehörten. Ferner wird hervorgehoben, daß bei der Unterdruckdrainage auch sichergestellt sein müsse, daß ein ausreichender (möglichst großer) Unterdruck wirklich vorhanden sei, und daß daher ein gut funktionierender und eindeutig beurteilbarer Vakuumindikator ein unverzichtbares Merkmal einer guten Unterdruckdrainage sei. Deshalb müsse die Redon-Saugflasche mit einer möglichst zuverlässigen Unterdruckanzeige versehen sein (Merkmalsgruppe 2 des Streitpatents). In Abbildung 3 wird eine Kurvenschar dargestellt, wonach bei möglichst hohem Unterdruck eine maximale Befüllung der Flasche möglich ist. Dies wird damit erklärt, daß die Druck-Volumen-Kurven bei Befüllung von starrwandigen, evakuierten Saugflaschen sich nach dem Boyle-Mariotteschen Gesetz verhalten. Es wird weiter erörtert, daß ein möglichst hoher Unterdruck zu wünschen sei, weil dann während der Befüllung (zunächst) kein wesentlicher Unterdruckverlust eintrete (S. 52 Abs. 3, 53 re.Sp. Abb. 3).

5. Damit erfährt der Fachmann in der Zusammenschau dieser beiden Schriften, daß bei Anwendung von Wund-Saugflaschen nicht nur auf einen gut funktionierenden und eindeutig beurteilbaren Vakuumindikator zu achten ist, sondern daß es zur Verringerung des Infektionsrisikos für Patienten auch auf die Kontrolle des verantwortbaren Füllvolumens in der Flasche ankommt. Der Durchschnittsfachmann kennt zudem die Praxis in den Krankenhäusern. Der gerichtliche Sachverständige, der über eigene chirurgische Erfahrungen verfügt, hat überzeugend ausgeführt, daß das Krankenhauspersonal, das entsprechend geschult sei, nicht nur die Unterdruckanzeige kontrolliere, wobei der Unterdruckwert aus dem Beipackzettel des Herstellers entnommen werde, sondern auch den Füllstand der Flasche. Dies geschehe etwa durch eine Markierung des kritischen Punktes auf der Flasche mit Heftpflaster. Anhand dieser Markierung werde abgeschätzt, ob und gegebenenfalls wann der zulässige Füllstand erreicht sei und ein Wechsel der Flasche vorgenommen werden müsse.

War dem Fachmann aber die Problemstellung bekannt und wurde in der Praxis das mögliche und zulässige Füllvolumen von dem Krankenhauspersonal in etwa auf der Flasche festgelegt, so war es naheliegend, die Markierung nicht dem Krankenhauspersonal zu überlassen, sondern bei der Herstellung der Saugflasche neben der Vorgabe eines bestimmten Unterdrucks eine diesem Unterdruck entsprechende Markierung auf der Flasche als weitere Sicherungsangabe anzubringen. Es ist naheliegend und stellt keine erfinderische Leistung dar, das in einem Verfahren mit genauer Markierung herzustellen, was vorher bekannt war und was tatsächlich auch so, wenn auch von Fall zu Fall individuell und mit weniger genauen Angaben, gehandhabt wurde.

Dagegen spricht auch nicht, daß der Beklagte als Verfasser des wissenschaftlichen Beitrages "Wunddrainage" mehr als zwei Jahre brauchte, um aus seiner Veröffentlichung Schlüsse zu ziehen und das Streitpatent anzumelden. Der gerichtliche Sachverständige hat darauf hingewiesen, daß die Markierung der Flasche nicht nur Vorteile bringt. Die vom Hersteller auf der Flasche angebrachte Markierung suggeriere nämlich, daß sie stets richtig sei und die Kontrolle des aktuellen Unterdrucks vernachlässigt werden könne; es werde eine größere Sicherheit vorgegaukelt. Diese sei zwar vorhanden, entbinde aber nicht von der Kontrolle. Das Risiko, das ein zu geringer Wechsel der Flasche mit sich bringe, sei abzuwägen gegen das Risiko eines zu häufigen Wechsels, insbesondere bei dem zweiten Wechsel, wenn der Sekretfluß nur noch geringfügig sei, so daß Bakterien durch den Schlauch zur Wunde wandern könnten. Deshalb habe in der Praxis kein Bedürfnis bestanden, Wund-Saugflaschen mit einer weiteren Markierung zu versehen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf dem nach der Übergangsregelung in Art. 29 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Patentgesetzes und anderer Gesetze (2. PatGÄndG) übergangsweise weiter anwendbaren § 110 Abs. 3 PatG a.F. in Verbindung mit den §§ 91, 97 ZPO.



Ende der Entscheidung

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