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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 04.05.2004
Aktenzeichen: X ZR 162/02
Rechtsgebiete: BGB
Vorschriften:
BGB § 469 |
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VERSÄUMNISURTEIL
Verkündet am: 4. Mai 2004
in dem Rechtsstreit
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 4. Mai 2004 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis und die Richter Scharen, Keukenschrijver, Dr. Meier-Beck und Asendorf
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Beklagten wird das am 30. Mai 2002 verkündete Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Beklagte bestellte bei der Klägerin, einem Druckereibetrieb, im Spätsommer 1997 10.000 nach gelieferten Vorlagen zu druckende Exemplare einer bezahlte Werbeseiten enthaltenden Broschüre "Mitteldeutsches Wirtschaftsjahrbuch 1997/98 - Kommerz - Kunst - Kommunikation" sowie kurz darauf 600 im Verfahren auch als "Festschriften" bezeichnete Einladungskarten mit Einlageblättern. Die Klägerin stellte hierüber Rechnungen über 64.480,50 DM und 4.516,05 DM aus. Ein Teil der Broschüren wurde am 26. September 1997 ausgeliefert und an die Besucher des Landeswirtschaftsballs in Halle am 27. September 1997 verteilt, ein weiterer Teil diente als Belegexemplare für die Inserenten; die Lieferung ist insgesamt vollständig erfolgt. Zu einer Abnahme kam es nicht; die Beklagte hat sich ihre Rechte wegen Mängeln vorbehalten. Die Parteien streiten insbesondere darüber, ob und in welchem Umfang die Broschüren drucktechnische Mängel aufwiesen. Auch die Einladungskarten waren nach Darstellung der Beklagten so mangelhaft, daß nur ein Teil von ihnen, der kleinere Mängel aufwies, verwendet werden konnte. Die Beklagte hat auf den verlangten Werklohn keine Zahlungen geleistet.
Die Klägerin hat die Beklagte daraufhin auf Zahlung von 68.996,55 DM nebst Zinsen gerichtlich in Anspruch genommen. Das Landgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens, das zum Ergebnis kam, es lägen außer bei wenigen Druckwerken nur geringfügige Mängel vor, der Klage in der Hauptsache in Höhe von 62.096,89 DM stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten, die im übrigen zurückgewiesen wurde, hat das Oberlandesgericht das landgerichtliche Urteil dahin abgeändert, daß die Verurteilung der Beklagten in der Hauptsache auf 30.766,94 € (60.174,90 DM) lautet. Hiergegen wendet sich die vom Senat zugelassene Revision der Beklagten, die ihren Antrag auf Klageabweisung weiterverfolgt. Die Klägerin ist im Revisionsverfahren nicht durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Anwalt vertreten.
Entscheidungsgründe:
I. Über das Rechtsmittel ist durch Versäumnisurteil zu entscheiden, weil die Klägerin im Revisionsverfahren nicht vertreten ist. Inhaltlich beruht die Entscheidung jedoch nicht auf der Säumnis (BGHZ 37, 79, 81).
II. In der Sache führt das Rechtsmittel zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens zu übertragen ist.
1. Das Berufungsgericht hat einen Zahlungsanspruch in Höhe des Gegenwerts in Euro von 60.174,90 DM als gegeben angesehen; insoweit schulde die Beklagte der Klägerin Werklohn für 10.000 Broschüren sowie für die Einladungskarten. Die Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, die Abnahme "in toto" zu verweigern, da die Gesamtheit der Lieferung als mangelfrei gelte. Im Werkvertragsrecht gelte in entsprechender Anwendung des § 469 BGB in der bis Ende 2001 geltenden Fassung (a.F.) bei Sachgesamtheiten der Grundsatz der Einzelwandelung. Etwas anderes gelte erst dann, wenn die Verfügbarkeit eines größeren Vorrats für die Zwecke des Bestellers unerläßlich sei. Beweise der Besteller schon anhand einer Stichprobe, daß ein Teil der nur mühevoll prüfbaren Waren mangelhaft sei, müsse er sich aber nicht auf den Grundsatz der Einzelwandelung verweisen lassen. Soweit kein entgegenstehender Handelsbrauch bestehe, sei der Besteller zum Aussortieren nicht verpflichtet, wohl aber berechtigt. Nach diesen Grundsätzen sei die Beklagte zur Abnahme der gelieferten Broschüren verpflichtet gewesen, denn sie habe von ihrem Recht Gebrauch gemacht, die Sachgesamtheit durchzusehen, womit sie ihr Recht verloren habe, das Gesamtlos zurückzuweisen.
Von der Klägerin sei ein Werk von mittlerer Art und Güte geschuldet gewesen: Die Abweichungen der gelieferten Broschüren von der Höchstqualität seien so gering, daß nur eine unerhebliche Minderung des Werts oder der Tauglichkeit des Werks vorliege. Allerdings sei zugunsten der Beklagten zu unterstellen, daß über die festgestellten Mängel hinaus weitere Fehler vorgelegen hätten und die Beklagte deshalb an sich zur Gesamtwandelung berechtigt gewesen sei. Die Beklagte habe aber dargelegt, daß sie alle gelieferten Exemplare angesehen habe und zu dem Ergebnis gekommen sei, daß nur 1.200 Exemplare brauchbar gewesen seien. Ob die Beklagte behaupten wolle, daß die verbleibenden 9.179 Exemplare (einschließlich einer Mehrauflage) schwere Mängel (sogenannte "A- und B-Fehler") aufgewiesen hätten, sei unklar und eher unwahrscheinlich. Da sie aber sämtliche Exemplare durchgesehen habe, sei es ihr ein Leichtes gewesen, bei jedem Exemplar im Rechtsstreit den A- oder B-Fehler zu benennen. Insoweit hätte sie nach Auffassung des Berufungsgerichts eine Einzelwandelung vornehmen können.
Von den 254 noch vorhandenen Einladungskarten habe der gerichtliche Sachverständige 77 als gering, 50 als stark beeinträchtigt und zwei als unbrauchbar eingestuft. Insoweit sei eine Schätzung vorzunehmen. Da weniger als 10 % mangelhaft seien, sei eine Reduzierung der geschuldeten Vergütung um 10% auch unter Berücksichtigung der Exemplare mit geringen Beeinträchtigungen vorzunehmen.
2. Die Revision rügt mit Erfolg - unabhängig von der Frage der Fälligkeit der Klageforderung - die Annahme des Berufungsgerichts als rechtsfehlerhaft, daß der Besteller einer Sachgesamtheit sein Gesamtwandelungsrecht durch eine von ihm nicht geschuldete, aber gleichwohl vorgenommene Untersuchung der Ware verliere.
3. Die im vorliegenden Fall noch anzuwendende Bestimmung des § 469 BGB a.F., die gemäß § 634 Abs. 4 BGB a.F. auf die Wandelung im Werkvertragsrecht entsprechende Anwendung findet, setzt den Verkauf mehrerer Sachen voraus. Ist dies der Fall, gilt selbst dann der Grundsatz der Einzelwandelung, wenn bei dem Verkauf ein Gesamtpreis für alle Sachen festgesetzt worden ist. Sind mehrere Sachen als zusammengehörend verkauft worden, wird dieser Grundsatz nach § 469 Satz 2 BGB a.F. nur dann durchbrochen und ist eine Gesamtwandelung nach dem Gesetz nur möglich, wenn die mangelhaften Sachen nicht ohne Nachteil von den übrigen getrennt werden können (Sen.Urt. v. 18.4.1996 - X ZR 138/94, NJW-RR 1996, 1008 = WM 1996, 1644). Maßgeblich ist dabei die Verkehrsanschauung (BGHZ 102, 135, 149). Jedoch kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urt. v. 5.5.1953 - I ZR 101/52, LM Nr. 1 zu § 469 BGB = BB 1953, 485) wie nach einhelliger Meinung in der Literatur auch bei Verkauf oder Lieferung eines Postens gleichartiger Sachen Gesamtwandelung jedenfalls nach § 242 BGB insbesondere dann in Betracht kommen, wenn für die Zwecke des Käufers oder Bestellers die Verfügbarkeit eines größeren Vorrats unerläßlich ist (so u.a. H.P. Westermann in Münchener Kommentar zum BGB, 3. Aufl., § 469 Rdn. 6; Huber in Soergel, BGB, 12. Aufl., § 469 Rdn. 9). Dies hat auch das Berufungsgericht im Ausgangspunkt seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Der Verkäufer einer Partie gleichartiger Sachen kann sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf den Grundsatz, daß Wandelung nur in Ansehung der mangelhaften, nicht auch der mangelfreien Sachen verlangt werden kann, weiter nicht berufen, wenn die Trennung der mangelfreien von den mangelhaften Sachen nur durch mühevolles und zeitraubendes, dem Käufer nach Treu und Glauben nicht zuzumutendes Aussortieren möglich ist; dem Verkäufer bleibt in einem solchen Fall allerdings der Nachweis offen, daß bestimmte von ihm auszusortierende Teile der Lieferung mangelfrei sind (BGH, Urt. v. 5.5.1953 aaO).
Gleichwohl hat das Berufungsgericht die Beklagte als gehalten angesehen, die Mängel jeweils einzeln zu rügen, weil diese die Lieferung insgesamt durchgesehen habe. Dies rügt die Revision zu Recht als rechtsfehlerhaft. Das Berufungsgericht hat dabei nämlich nicht ausreichend beachtet, daß der Käufer oder Besteller sein Recht zur Gesamtwandelung nicht ohne weiteres dadurch verliert, daß er - wie im vorliegenden Fall - einzelne brauchbare Sachen heraussucht und nur hinsichtlich der übrigen Gesamtwandelung begehrt.
Allerdings ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bisher nicht entschieden, ob der Käufer oder Besteller, der zunächst Gesamtwandelung verlangen konnte, dieses Recht dadurch verlieren kann, daß er einen Teil der verkauften oder gelieferten Sachen als für ihn verwendbar aussondert und behandelt und die Gesamtwandelung auf die übrigen Sachen der Gesamtheit beschränkt, oder ob ihn ein solches Verhalten von der (auf die nicht ausgesonderten Sachen beschränkten) Gesamtwandelung insgesamt abschneidet. Für eine derart weitgehende Rechtsfolge bietet die Bestimmung des § 469 BGB a.F. jedenfalls unter Berücksichtigung von Treu und Glauben keine Grundlage. Durch sie soll zwar eine unnötige Belastung des Veräußerers ausgeschlossen werden; er soll dann, wenn nur einzelne Sachen mangelhaft sind, grundsätzlich nicht alle Sachen zurücknehmen müssen, wenn der Käufer oder Besteller hierdurch keinen Nachteil erleidet. Schon aus der Formulierung in § 469 Satz 2 BGB a.F. folgt aber, daß der Käufer oder Besteller dann Gesamtwandelung verlangen kann, wenn die mangelhaften Sachen nicht ohne Nachteil von den übrigen getrennt werden können. Wieweit das der Fall ist, muß über eine Abwägung der widerstreitenden Interessen geklärt werden. In diesem Zusammenhang muß der Begriff "wenn" von seinem Sinn und Zweck als "soweit" verstanden werden. In Fällen, in denen etwa der Käufer oder Besteller unter dem Gesichtspunkt der ihn treffenden Obliegenheit zur Schadensminderung gehalten ist, aus der Gesamtheit wenigstens einige verwendbare Sachen auszusondern, aber aus anderen Gründen eine vollständige Untersuchung nicht möglich oder unzumutbar ist, kann sich eine Untersuchungsobliegenheit für ihn nur im Rahmen des ihm Möglichen oder Zumutbaren ergeben. Der Ausschluß der Gesamtwandelung folgt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts aber nicht schon ohne weiteres daraus, daß die Beklagte alle gelieferten Broschüren durchgesehen und eine bestimmte Auswahl an brauchbaren Exemplaren ausgewählt hat; eine derartige Auswahl brauchbarer Exemplare ist zudem angesichts ihrer anderen Zielrichtung nicht ohne weiteres schon als Grundlage für Mängelrügen hinsichtlich der anderen (nur) möglicherweise mangelhaften Exemplare geeignet. Dies rechtfertigt es aber jedenfalls dann, wenn die erste Untersuchung - wie im vorliegenden Fall und auch bei Zugrundelegung der Vertragsauslegung hinsichtlich der geschuldeten Qualität durch das Berufungsgericht - ausreichende Anhaltspunkte für eine beachtliche Fehlerquote zutage gebracht hat, was das Berufungsgericht dazu veranlaßt hat, die Beklagte als zur Zurückweisung des Gesamtloses berechtigt anzusehen (BU 13), nicht, dem Käufer oder Besteller im übrigen die Möglichkeit zu verwehren, Gesamtwandelung zu verlangen.
Durfte die Beklagte mithin hier aber auch angesichts des Umstands, daß sie brauchbare Broschüren ausgesondert hat, im übrigen Gesamtwandelung erklären, lag, da das Berufungsgericht erhebliche Mängel jedenfalls nicht ausgeschlossen hat, auch ein das Recht zur Wandelung begründender Sachverhalt vor. Für die Einladungen ("Festschriften") gilt dies ebenso.
III. Demnach sind das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverweisen. Dieses wird sich zunächst nochmals mit der Frage zu beschäftigen haben, ob die Beklagte zur Abnahme verpflichtet war. Hierbei wird es die C-Fehler nur dann von vornherein aus der Betrachtung ausschließen dürfen, wenn es unter Würdigung des Parteivortrags zu dem Ergebnis kommt, daß eine auch Fehler dieser Kategorie erfassende Qualität nicht geschuldet war, Mängel vor dem Hintergrund der danach geschuldeten Leistung so unwesentlich sind, daß ihretwegen eine Abnahme nicht verweigert werden kann (§ 640 Abs. 1 Satz 2 BGB in der hier anwendbaren [Art. 229 § 1 Abs. 2 Satz 1 und 3 EGBGB] Fassung des Gesetzes zur Beschleunigung fälliger Zahlungen vom 30.3.2000 [BGBl. I S. 330]) oder es sich insoweit jedenfalls um einen Mangel handelte, der nach seiner Art, seinem Umfang und vor allem nach seinen Auswirkungen derart unbedeutend war, daß das Interesse des Bestellers an einer Beseitigung vor Abnahme nicht schützenswert war und sich seine Verweigerung deshalb als Verstoß gegen Treu und Glauben darstellte (vgl. dazu BGH, Urt. v. 25.1.1996 - VII ZR 26/95, NJW 1996, 1280 für die bis zum 30.4.2000 geltende Fassung des § 640 BGB). Auf der anderen Seite wird das Berufungsgericht zu berücksichtigen haben, daß die Beklagte jedenfalls insoweit Werklohn schuldet, als sie mangelfreie Ware selbst ausgesondert hat, da hierin eine Abnahme zu sehen sein wird.
Ende der Entscheidung
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