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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 07.03.2006
Aktenzeichen: X ZR 213/01
(2)
Rechtsgebiete: EPÜ, PatG
Vorschriften:
EPÜ Art. 56 | |
PatG § 4 |
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Verkündet am: 7. März 2006
Vorausbezahlte Telefongespräche
in der Patentnichtigkeitssache
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 7. März 2006 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, den Richter Keukenschrijver, die Richterin Mühlens und die Richter Prof. Dr. Meier-Beck und Asendorf
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 1. August 2001 verkündete Urteil des 4. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Beklagte ist eingetragener Inhaber des auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 572 991 (Streitpatents). Das Streitpatent wurde am 2. Juni 1993 unter Inanspruchnahme der Priorität einer israelischen Patentanmeldung vom 2. Juni 1992 angemeldet. Es betrifft "a method of processing prepaid telephone calls" und umfasst sechs Patentansprüche. Patentanspruch 1 lautet in der Verfahrenssprache Englisch:
"A method of processing telephone calls, particularly for use in connection with public telephones, comprising the steps of
(a) programming a respective Public Automatic Branch exchange (PABX) to become toll-free accessible for incoming calls through dialling any one out of a series of predetermined numbers stored in a data-bank of the PABX;
(b) enabling a calling party to complete a connection with a called party;
(c) cutting-off the said connection after a prefixed time/counter pulses interval;
(d) erasing from the data-bank any number that had once been dialled;
(e) marking the said series of numbers, each on a vendible carrier member in an invisible - however readily exposable - manner; and
(f) offering the vendible carrier members for sale to the general public, so that purchasers of the carrier members, after exposing the respective number, are enabled to place a call for the duration of the said interval."
Wegen der weiteren Patentansprüche wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.
Mit ihrer Nichtigkeitsklage macht die Klägerin geltend, die Lehre des Streitpatents sei nicht patentfähig, denn sie betreffe geschäftliche Tätigkeiten, sei nicht neu und beruhe jedenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
Das Bundespatentgericht hat das Streitpatent mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Patentansprüche 1 bis 3, 5 und 6 für nichtig erklärt und die Nichtigkeitsklage im Übrigen abgewiesen.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten, mit der dieser die vollständige Klageabweisung erreichen will.
Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.
Als gerichtlicher Sachverständiger hat Prof. Dr. Herbert K. ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung hat Erfolg.
1. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zum Verarbeiten von im Voraus bezahlten Telefonanrufen (prepaid telephone calls). Die Beschreibung bezeichnet es als neueste Entwicklung, die mit Münzen zu bedienenden öffentlichen Telefonapparate durch Apparate zu ersetzen, bei denen eine Magnetkarte zum Einsatz kommt. Diese Entwicklung habe sich aus der Erkenntnis der Nachteile der Münztelefone ergeben, die darin bestünden, dass der Benutzer im Besitz von passenden Münzen sein müsse sowie dass die Apparate regelmäßig gewartet werden müssten und Vandalismus und Diebstahl ausgesetzt seien.
Bei dem Einsatz von bekannten Magnetkarten, speziellen Telefonkarten oder Kreditkarten, sei, so die Beschreibung, zwar das Problem zum Teil, nämlich insofern gelöst, als eine Karte für eine größere Anzahl von Telefonanrufen eingesetzt werden könne. Nachteilig sei aber die beträchtliche Anfangsinvestition in die Ausstattung, Einrichtung und Instandhaltung für die mit Magnetkarten zu betreibenden Telefonapparate.
Die Streitpatentschrift beschreibt sodann das Verfahren nach der US-Patentschrift 4 706 275 (D 2). Das dort vorgeschlagene Verfahren und System zur Verarbeitung im Voraus bezahlter Telefonanrufe stütze sich auf spezielle, zertifizierbare Codezahlen. Diese würden den Anrufern gegen Erwerb eines Guthabens zugeteilt. Die Guthaben würden im Computer spezieller zentraler Stationen gespeichert, so dass von jedem beliebigen privaten Telefon angerufen werden könne. An diesem Verfahren kritisiert die Streitpatentschrift als Nachteil, dass derjenige, der interessiert sei, dieses Verfahren zu nutzen, eine ganze Reihe vorbereitender Schritte durchlaufen müsse - meistens über Kreditkartenunternehmen -, um eine entsprechende Berechtigung zur Nutzung des Systems zu erhalten.
Die Streitpatentschrift bezeichnet es als Aufgabe der Erfindung, die Nachteile der öffentlichen Münz- und Magnetkartentelefonanschlüsse zu vermeiden und zugleich jede vorherige Verbindung mit Telefonkarten- und/oder Kreditkartenunternehmen überflüssig zu machen.
Patentanspruch 1 des Streitpatents schlägt dazu als Lösung ein Verfahren mit folgenden Schritten vor:
a) Programmieren einer öffentlichen automatischen Nebenstellen- (oder TK-) Anlage (Public Automatic Branch exchange - PABX) zum gebührenfreien Zugang für eingehende Anrufe durch Wählen einer Nummer aus einer Serie von vorbestimmten Nummern, die in einer Datenbank des PABX gespeichert sind;
b) Ermöglichen, eine Verbindung mit einem Angerufenen herzustellen;
c) Abbrechen der Verbindung nach einer festgesetzten Zeit/Zählimpulszeitraum;
d) Löschen jeder Nummer, die einmal gewählt worden ist, aus der Datenbank;
e) Notieren jeder Nummer aus der Serie auf einem verkäuflichen Trägerelement in unsichtbarer, jedoch leicht freilegbarer Weise; und
f) Anbieten der verkäuflichen Trägerelemente zum Verkauf an das Publikum.
Schritt a setzt danach eine Stelle ("Public Automatic Branch exchange - PABX") voraus, bei der die Anrufe eingehen. Deren Computersystem wird so programmiert, dass es für die eingehenden Anrufe Daten überprüfen kann. Der Nutzer wählt eine Nummer aus einer Serie von vorbestimmten Nummern, die in der Datenbank des PABX gespeichert sind. Die Beschreibung (Sp. 2 Z. 43) gibt an, dass es sich um eine geheime Zugangsnummer ("secret code number (SCN)") handelt, die nach dem Zufallsprinzip ausgewählt wird (Sp. 2 Z. 46) und von einem zuverlässigen Druckunternehmen in rechnergesteuerter Weise auf die vom Telefonkunden zu erwerbende Karte aufgedruckt und mit einer undurchsichtigen Schicht überzogen wird, die leicht beseitigt werden kann, z.B. durch Abkratzen mit einer Münze wie bei Lotterielosen (Sp. 2 Z. 52-56). Diese eingegebene Nummer wird in der Datenbank des PABX gesucht, identifiziert und das Gebührenguthaben analysiert. Ist ein solches vorhanden, gibt das PABX für eine dem im Voraus gezahlten Betrag entsprechende begrenzte Zeitdauer oder Anzahl von Zählimpulsen den Weg für das Wählen der Teilnehmernummer frei (Sp. 3 Z. 3-10).
Schritt b ermöglicht es sodann dem Anrufer, eine Verbindung mit dem von ihm gewünschten Anschluss herzustellen. Patentanspruch 1 und auch die Beschreibung geben nicht an, wie dies im Einzelnen geschieht. Ist die festgesetzte Zeit oder der Zählimpulszeitraum verstrichen, so wird gemäß Schritt c die Verbindung abgebrochen. Die deutsche Übersetzung des Patentanspruchs spricht von "Unterbrechen", die englische Fassung verwendet jedoch den Begriff "cutting-off" und bringt damit zum Ausdruck, dass die Verbindung abgeschnitten, also beendet wird (Sp. 3 Z. 9, 10).
Schritt e gibt an, wie die SCN dem Erwerber der Karte bekannt gegeben wird. Die SCN soll auf dem Trägerelement verdeckt angebracht sein, der Erwerber soll sie jedoch leicht freilegen können. Dies erschwert es, dass die SCN einem anderen als dem Erwerber bekannt wird, falls dieser sie nicht aus der Hand gibt oder verliert. Gemäß Schritt f sollen die Trägerelemente dem Publikum angeboten werden.
2. Bei diesem im Patentanspruch 1 beschriebenen Verfahren handelt es sich nicht um ein solches für gedankliche Tätigkeiten, für das gemäß Art. 52 Abs. 2 Buchst. c EPÜ Patentschutz nicht in Betracht kommt. Es enthält nämlich nicht nur den Vorschlag, für die Abwicklung eines Geschäfts einen Computer als Mittel zur Verarbeitung verfahrensrelevanter Daten einzusetzen. Das Streitpatent betrifft vielmehr das technische Problem, im Voraus bezahlte Telefonanrufe zu ermöglichen, ohne dass dazu öffentliche Fernsprechapparate notwendig wären, die mit Kartenlesern ausgestattet sein müssen. Damit enthält das Streitpatent jedenfalls auch Anweisungen, denen ein konkretes technisches Problem zugrunde liegt, das mit technischen Mitteln gelöst werden soll (vgl. Sen. BGHZ 159, 197 - Elektronischer Zahlungsverkehr).
3. Der Gegenstand des Streitpatents ist neu; er wird durch die hier allein in Betracht kommende US-Patentschrift 4 706 275 (D 2) nicht vorweggenommen.
Diese befasst sich mit Telefonsystemen, bei denen der Telefonkunde eine Vorauszahlung leistet und von einem beliebigen Telefon ein Telefongespräch führen kann, solange er den im Voraus gezahlten Betrag nicht verbraucht hat. Nach Patentanspruch 1 soll die dazu vorgeschlagene Methode folgende Schritte umfassen:
a) Erhalt eines Spezialcodes durch die Hinterlegung einer Vorauszahlungssumme;
b) Speicherung der Vorauszahlungssumme im Speicher einer speziellen Vermittlung, zur Verwendung bei der Verifizierung der Anrufergespräche;
c) Anwahl der genannten speziellen Vermittlung, wenn eine Telefonverbindung gewünscht ist;
d) Eingabe des Spezialcodes zur Verifizierung;
e) Eingabe der Nummer des Angerufenen;
f) Verifizierung des Spezialcodes und Vergleich der Vorauszahlungssumme abzüglich der Gebühren für vorangegangene Telefonate im Speicher und der Mindestkosten der eingegebenen Anrufe;
g) Verbindung des Angerufenen mit dem Anrufenden als Antwort auf die Verifizierung;
h) Überwachung der Vorauszahlungssumme abzüglich der laufenden Kosten für den Anruf; und
i) Abbruch des Anrufs, wenn die vorausgezahlte Summe verbraucht wurde.
Damit umfasst Patentanspruch 1 der US-Patentschrift 4 706 275 in den Schritten b bis f, was Patentanspruch 1 des Streitpatents in Schritt a zusammenfasst. Allerdings gibt Schritt a des Patentanspruchs 1 des Streitpatents an, dass das Wählen einer beliebigen Nummer aus einer Serie von vorbestimmten Nummern, die in der Datenbank des PABX gespeichert sind, erforderlich ist, während in Schritt a des Patentanspruchs 1 der US-Patentschrift 4 706 275 vom Erhalt eines Spezialcodes durch die Hinterlegung einer Vorauszahlungssumme die Rede ist. Wie dieser Spezialcode zustande kommt, lässt die US-Patentschrift ebenso offen wie die Frage, wie der Kunde den Spezialcode erhält. Die Beschreibung gibt dazu lediglich an, dass der Kunde nach einer Bar- oder Kreditkartenzahlung einen speziellen Code erhält. Der gutgeschriebene Betrag wird in einem Speicher zusammen mit dem Spezialcode abgelegt. Damit wird in der US-Patentschrift eine Lösung beschrieben, bei der der Kunde - auf welche Weise auch immer - ein Guthaben erwirbt und ihm dann der spezielle Code, der zusammen mit dem Guthaben in der Datenbank gespeichert wird, zugänglich gemacht wird. Soweit ein Erwerb der Karte an "Verkaufs"- punkten erwähnt wird, wird nicht dargelegt, wie der Ablauf sich in diesem Falle gestaltet. Nach dem schriftlichen Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen besteht eine Möglichkeit darin, dass die Vertriebsstelle sich per Telefon oder Computer in die Datenbank des Diensteanbieters einwählt und ihr dort eine geheime Codenummer vom Computersystem zugewiesen wird. Nach Eingabe des vom Kunden genannten Betrags für das Gesprächsguthaben und der Vertriebsstellennummer zahlt der Kunde sodann entweder bar oder per Kreditkarte, und es wird schließlich etwa auf einem nur für den Kunden einsehbarem Drucker ein Beleg mit der geheimen Codenummer ausgedruckt.
Schritt b des Patentanspruchs 1 des Streitpatents entspricht Schritt g des Patentanspruchs 1 der US-Patentschrift. Nach Abgleichung des Identifikationscodes bzw. der SCN wird eine Verbindung zu dem angerufenen Anschluss hergestellt.
Schritt c in Patentanspruch 1 des Streitpatents und Schritt i in Patentanspruch 1 der US-Patentschrift sind ebenfalls identisch. Ist das Guthaben verbraucht, wird der Anruf abgebrochen.
Schritt d in Patentanspruch 1 des Streitpatents geht über den Inhalt des Patentanspruchs 1 der US-Patentschrift hinaus. Dort ist das Löschen der gewählten Nummern nicht vorgesehen.
Schritt e in Patentanspruch 1 des Streitpatents ist in der US-Patentschrift nicht enthalten; wie der Kunde den Spezialcode erfährt, wird dort nicht dargestellt.
Schritt f in Patentanspruch 1 des Streitpatents schließlich entspricht Schritt a in Patentanspruch 1 der US-Patentschrift insofern, als auch danach der Spezialcode und das Guthaben durch Zahlung des Guthabenbetrags erworben werden können.
4. Die Unterschiede zwischen dem Gegenstand des Streitpatents und der US-Patentschrift bestehen demnach darin, dass nach der Lehre der US-Patentschrift der Kunde durch Einzahlung eines Geldbetrags ein Guthaben erwirbt, dem Guthaben in der Datenbank des Diensteanbieters der Spezialcode zugeordnet und dem Kunden sodann dieser Code mitgeteilt wird. Das setzt eine Mehrzahl von Schritten im Zusammenhang mit dem Erwerb des im Computer gespeicherten Guthabens und der Ausgabe des Codes voraus, die individuell bei dem Geschäft mit dem Kunden abgewickelt werden. Demgegenüber werden nach der Lehre des Streitpatents vorkonfektionierte Nummern aus einer Serie in der Datenbank des PABX gespeichert. Diese Nummern werden in unsichtbarer, jedoch leicht freilegbarer Weise auf einem Trägerelement dem Kunden angeboten. Erwirbt er ein Trägerelement, so kann der Kunde die Nummer freilegen und das der Nummer zugeordnete Guthaben zum Telefonieren nutzen; weiterer Schritte bedarf es dazu nicht, insbesondere ist ein weiterer Kontakt der Vertriebsstelle zur Datenbank des Diensteanbieters nicht erforderlich. Es wird mithin dem Kunden durch den Anbieter ein Guthaben vorgegeben und dieses sogleich einer bestimmten Nummer zugeordnet, die der Kunde in verdeckter Form erhält und die es ihm ermöglicht, die gewünschte Telefonverbindung herzustellen.
Die Beweisaufnahme hat keine Kenntnisse oder Erfahrungen des Fachmanns ergeben, unter deren Berücksichtigung es für ihn aufgrund des Standes der Technik nahelag, diese Lösung aufzufinden.
Ob sich der Gegenstand einer Erfindung für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt, ist keine Tat-, sondern eine Rechtsfrage. Der angesprochene Fachmann ist nicht mit einer tatsächlich existierenden Person gleichzusetzen. Eine dem Gebot der Rechtssicherheit genügende einheitliche Beurteilung einer Erfindung wäre auf der Grundlage individueller Kenntnisse und Fähigkeiten auch gar nicht möglich. Fachmännisches Denken, Erkennen und Vorstellen wird deshalb bemüht, um mit dem auf dem betreffenden Gebiet der Technik üblichen Fachwissen sowie den durchschnittlichen Kenntnissen, Erfahrungen und Fähigkeiten der dort tätigen Fachleute und dem hierdurch geprägten Verständnis vom Inhalt einer technischen Lehre eine verlässliche Entscheidungsgrundlage zu gewinnen. Die maßgebliche Sicht selbst ist unmittelbarer Feststellung entzogen (BGHZ 160, 204, 213 - Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung). Dies gilt nicht nur für das sinnvolle Verständnis einer Lehre zum technischen Handeln, sondern gleichermaßen für die Beantwortung der Frage, ob der festgestellte Stand der Technik diese technische Lehre nahegelegt hat. Die Beurteilung, ob die erfindungsgemäße Lösung für den Fachmann nach seinem festgestellten Wissen und Können nahegelegen hat, ist demgemäß auch nicht Aufgabe des Sachverständigen, sondern obliegt als Akt wertender Erkenntnis dem Gericht (BGHZ 128, 270, 275 - elektrische Steckverbindung; Sen.Urt. v. 25.11.2003 - X ZR 162/00, GRUR 2004, 411, 413 - Diabehältnis). Das Gericht hat dabei sämtliche tatsächlichen Umstände zu würdigen, die - unmittelbar oder mittelbar - geeignet sind, etwas über die Voraussetzungen für das Auffinden der erfindungsgemäßen Lösung auszusagen.
Mit dem gerichtlichen Sachverständigen geht der Senat davon aus, dass Personen, die sich zum Prioritätszeitpunkt mit der Entwicklung von Neuerungen auf dem Gebiet der vorbezahlten Telefonate befassten, ausgebildete Nachrichtentechniker und/oder Informatiker mit mehrjähriger Berufserfahrung auf dem Gebiet der Telekommunikation waren. Soweit der gerichtliche Sachverständige im Termin ausgeführt hat, es seien im Hinblick auf die wirtschaftliche Form der Vermarktung auch Kenntnisse im kaufmännischen Bereich erforderlich gewesen, mögen solche Kenntnisse in die Entwicklung eines Verfahrens, wie es Gegenstand des Streitpatents ist, eingeflossen sein, bei der Lösung des technischen Problems, im Voraus bezahlte Telefonanrufe zu ermöglichen, stand jedoch die Fachkenntnis des Nachrichtentechnikers oder Informatikers im Vordergrund.
Der Fachmann, der es sich zur Aufgabe gestellt hatte, eine möglichst einfache und preiswerte Lösung für die Verarbeitung von im Voraus bezahlten Telefonanrufen zu finden, kannte die Möglichkeit, dazu Chip- oder Magnetkarten einzusetzen. Diese werden in der Streitpatentschrift ausdrücklich erwähnt. Sie haben den Nachteil, dass aufwendige Lesegeräte erforderlich sind und dass der Kunde nur ein Telefon benutzen kann, das ein solches Lesegerät aufweist. Die Lösung der US-Patentschrift vermied zwar diese Nachteile, machte aber eine Verbindung zwischen der Verkaufsstelle und der Datenbank des Diensteanbieters und eine individuelle Abwicklung erforderlich; die Möglichkeit einer Vorkonfektionierung eröffnete sie nicht. Im Falle des Erwerbs eines Guthabens durch einen Kunden war es erforderlich, mittels elektrischer oder elektronischer Übermittlung Kontakt zu der Datenbank des Diensteanbieters aufzunehmen, wo das vom Kunden gewünschte Guthaben einem Spezialcode zugeordnet werden musste. Sodann musste diese Identifikationsnummer über die Verbindung mit der Verkaufsstelle dem Kunden zugänglich gemacht werden. Der Fachmann kannte damit zwei Arten der Speicherung der zur Durchführung vorbezahlter Telefonanrufe erforderlichen Daten, nämlich zum einen die Variante, bei der die Daten sämtlich auf einem auf der Karte befindlichen Chip oder Magnetstreifen gespeichert sind, und zum anderen die Variante, dass die Daten in einer Datenbank in der Weise gespeichert sind, dass ein bestimmtes Guthaben einer bestimmten Identifikationsnummer zugeordnet ist. Er kannte außerdem zwei Arten des Vertriebs von vorbezahlten Telefonanrufen, nämlich zum einen den "Verkauf" der Chip- oder Magnetkarte, auf der Guthaben mit standardisierten festen Beträgen gespeichert sind und die deshalb einen Vertrieb an variablen Verkaufsstellen ermöglichen, und zum anderen den Erwerb des Guthabens, die anschließende Zuordnung eines Spezialcodes zu diesem Guthaben und die Übermittlung des Spezialcodes an den Kunden als Legitimation zur Durchführung von vorbezahlten Telefonaten, der durch diesen Aufwand und die damit verbundenen Anforderungen an die Vertriebsstellen dem Vertrieb Grenzen setzte. Der gerichtliche Sachverständige hat es zwar für möglich gehalten, dass der Fachmann, der die verschiedenen Systeme mit ihren spezifischen Nachteilen kennt, in der Lage ist, diese zu kombinieren, er hat dies jedoch für den Zeitpunkt der Priorität des Streitpatents als "unsicher" bezeichnet. Der Senat hat keine Umstände feststellen können, die den Fachmann hierzu veranlassen konnten.
Wählte der Fachmann die Möglichkeit, die erforderlichen Daten auf einer zentralen Datenbank zu speichern, so fand er dazu in der US-Patentschrift eine Lösung. Wollte er den Nachteil vermeiden, dass der Vertrieb Datenleitungen von der Vertriebsstelle zur Datenbank erforderlich machte, konnte er hierauf nur verzichten, wenn er dem Kunden die Identifikationsnummer auf andere Weise bekannt gab. Der Senat sieht jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass dies dem Fachmann die insbesondere bei Chipkarten übliche Standardisierung auf bestimmte Beträge nahelegte, die es ihm dann ermöglichte, die Identifikationsnummer schon vor dem Erwerb des Guthabens durch den Kunden diesem Guthaben zuzuordnen. Dieser Schritt brachte nur dann eine Vereinfachung des Vertriebs mit sich, wenn der Fachmann zugleich eine Lösung für das Problem erkannte, wie die Identifikationsnummer dem Kunden bekannt gegeben werden konnte. Hierfür gab es bei der Chipkarte kein Vorbild, weil sich dieses Problem dort nicht stellt. Es genügte also nicht der Übergang von individuell bestimmten Guthaben auf von vornherein standardisierte Guthabenbeträge, vielmehr erforderte dieser Übergang weitere Schritte, nämlich die vorherige Zuordnung von Guthaben und Identifikationsnummer in der Datenbank und die Bekanntgabe dieser Nummer an den Kunden. Aus dem vorgeschilderten Stand der Technik konnte der Fachmann Anregungen für diese Schritte nicht entnehmen. Kann somit nicht festgestellt werden, dass der Gegenstand des Streitpatents sich in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergab, so liegt der Nichtigkeitsgrund des Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. a EPÜ nicht vor. Die Nichtigkeitsklage ist daher abzuweisen. Dies gilt auch, soweit die übrigen Patentansprüche von der Nichtigkeitsklage betroffen sind. Diese beschreiben zweckmäßige Ausgestaltungen des Verfahrens nach Patentanspruch 1 und haben mit diesem Bestand.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG in Verbindung mit § 91 ZPO.
Ende der Entscheidung
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