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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 07.09.2004
Aktenzeichen: X ZR 25/03
Rechtsgebiete: BGB, AGBG


Vorschriften:

BGB § 209 Abs. 1 a.F.
BGB § 651 c
BGB § 651 c Abs. 2 Satz 1
BGB § 651 d
BGB § 651 e
BGB § 651 f
BGB § 651 g Abs. 1 Satz 1
AGBG § 9
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

X ZR 25/03

Verkündet am: 7. September 2004

in dem Rechtsstreit

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 7. September 2004 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, die Richter Scharen und Keukenschrijver und die Richterinnen Ambrosius und Mühlens

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerinnen wird das Urteil des 16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 23. Januar 2003 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerinnen begehren Schmerzensgeld, Minderung des Reisepreises und Schadensersatz wegen eines Reiseunfalls.

Die Klägerin zu 2 - die Mutter der Klägerin zu 1 - buchte bei der Beklagten für ihre aus den Eltern und drei Kindern bestehende Familie eine Pauschalreise in eine Clubanlage auf M. . Die Beklagte bestätigte die Buchung mit Schreiben vom 26. März 1999, worin sie auf ihre beigefügten Reise- und Zahlungsbedingungen hinwies, in denen es unter Nr. 10.7 hieß:

"Sämtliche in Betracht kommende Ansprüche müssen Sie innerhalb eines Monats nach dem vertraglich vereinbarten Reiseende möglichst schriftlich uns gegenüber geltend machen. Nach dem Ablauf der Frist können Sie Ansprüche nur dann noch geltend machen, wenn Sie an der Einhaltung der Frist ohne Ihr Verschulden gehindert waren."

Am 27. Juli 1999 stürzte die damals sieben Jahre alte Klägerin zu 1, die sich zuvor in den Räumen des von der Beklagten unterhaltenen Kinderclubs aufgehalten hatte, von einer auf dem Vorplatz des Kinderclubs befindlichen etwa 1 m hohen, hinten aber 2 m tief abfallenden Mauer nach hinten ab. Ob vor dieser Mauer damals Stühle standen, ob das Kind, dem die Eltern die Erlaubnis gegeben hatten, den Kinderclub unbeaufsichtigt zu verlassen, auf diesem Vorplatz noch von den Betreuern des Kinderclubs zu beaufsichtigen war und ob die Betreuer den Sturz gegebenenfalls hätten verhindern können, ist streitig und ungeklärt. Das Kind erlitt einen komplizierten Bruch des rechten Ellenbogens, der am Urlaubsort eine Operation und einen mehrtägigen Krankenhausaufenthalt erforderlich machte, während dessen auch die Mutter im Krankenhaus blieb. Noch am Urlaubsort zeigte die Klägerin zu 2 den Unfall der dortigen Reiseleitung der Beklagten an, die am 2. August 1999 einen vorgedruckten Fragebogen mit der Überschrift "Personen- und Sachschäden" ausfüllte, in dem unter der Rubrik "Unfall" nach dem Unfallhergang und der Art der Verletzung gefragt wurde und dessen Fußzeile lautete: "Diese Meldung stellt kein Anerkenntnis einer Haftung seitens der Veranstalter dar." Die Klägerin zu 2 unterschrieb. Die Reise endete vertragsgemäß am 5. August 1999. Mit Schreiben vom 6. September 1999, das der Beklagten am 7. September 1999 zuging, meldete der damalige anwaltliche Vertreter der Klägerinnen Ansprüche bei der Beklagten an, die diese mit Schreiben vom 14. September 1999 zurückwies. Am 27. Dezember 2001 haben die Klägerinnen Klage erhoben mit den Anträgen, an die Klägerin zu 1 ein angemessenes Schmerzensgeld in der Größenordnung von 10.000,-- DM zu zahlen und der Klägerin zu 2 30 % des gesamten Reisepreises sowie Taxifahrten und den Zeitwert des von dem Kind bei seinem Sturz getragenen, im Krankenhaus bei der Behandlung zerschnittenen T-Shirts zu ersetzen. Insgesamt begehrt die Klägerin zu 2 2.498,-- DM.

Das Landgericht und das Oberlandesgericht haben die Klage mit der Begründung abgewiesen, etwaige Ansprüche seien wegen verspäteter Geltendmachung nach Nr. 10.7 der Reise- und Zahlungsbedingungen der Beklagten ausgeschlossen. Das Berufungsgericht hat jedoch wegen der damals noch umstrittenen Frage, ob eine Bedingungsklausel wirksam ist, welche die in § 651 g Abs. 1 Satz 1 BGB für vertragliche Reisegewährleistungsansprüche geregelte einmonatige Anmeldungsfrist auf deliktische Schadensersatzansprüche ausdehnt, die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgen die Klägerinnen ihre Klage weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Das Berufungsgericht hat etwaige reisevertragliche Gewährleistungsansprüche wegen Versäumung der einmonatigen Ausschlußfrist für die Geltendmachung (§ 651 g Abs. 1 Satz 1 BGB) abgelehnt. Die Schadensmeldung der Klägerin zu 2 am 2. August 1999 sei keine Geltendmachung von Ansprüchen, sondern lediglich eine Mängelanzeige im Sinne des § 651 c Abs. 2 Satz 1 BGB gewesen. Denn zum einen habe die Klägerin zu 2 diese Schadensanzeige der örtlichen Reiseleitung und nicht dem Reiseveranstalter gegenüber abgegeben, und zum anderen sei weder aus dem schriftlichen Text dieser Anzeige noch aus dem Vortrag der Klägerinnen erkennbar, daß die Klägerin zu 2 damals bereits Ansprüche geltend gemacht hätte. Dies sei vielmehr erst mit dem 7. September 1999 bei der Beklagten eingegangenen Anwaltsschreiben vom 6. September 1999 geschehen. Damit hätten die Klägerinnen die Ausschlußfrist, die am 6. September 1999 abgelaufen sei, versäumt. Im übrigen seien die vertraglichen Ansprüche auch verjährt, da die sechsmonatige Verjährungsfrist (§ 651 g Abs. 2 BGB) mit dem Zurückweisungsschreiben der Beklagten vom 14. September 1999 zu laufen begonnen habe, die Klage aber erst am 27. Dezember 2001 erhoben worden sei.

Auch etwaige deliktische Schadensersatzansprüche hat das Berufungsgericht für ausgeschlossen gehalten. Der Ausschluß ergebe sich zwar nicht aus § 651 g Abs. 1 Satz 1 BGB, da sich diese Bestimmung nur auf die vertraglichen Ansprüche der §§ 651 c bis 651 f BGB beziehe, wohl aber aus Nr. 10.7 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten, wonach sämtliche, also auch deliktische Ansprüche innerhalb eines Monats seit Reiseende geltend gemacht werden müßten. Die Klausel halte der Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG stand.

II. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung zum Teil nicht stand. Den Klägerinnen stehen zwar keine durchsetzbaren vertraglichen, möglicherweise aber deliktische Schadensersatzansprüche zu.

1. Reisevertragliche Schadensersatzansprüche hat das Berufungsgericht im Ergebnis zu Recht verneint.

a) Es kann offenbleiben, ob die Feststellung des Berufungsgerichts, daß die Klägerinnen die Ausschlußfrist des § 651 g Abs. 1 Satz 1 BGB versäumt hätten, und insbesondere seine Auslegung, die Schadensmeldung der Klägerin zu 2 am Urlaubsort sei eine bloße Mängelanzeige und keine Anspruchsanmeldung gewesen, frei von Rechtsfehlern zustandegekommen sind. Bedenken bestehen insoweit, als das Berufungsgericht nicht hinreichend bedacht haben könnte, daß dann, wenn der Reisende einen erheblichen Schaden anzeigt, insbesondere einen Gesundheitsschaden, den er infolge eines Reisemangels erlitten hat, darin die Geltendmachung eines Ersatzanspruchs liegen kann, auch wenn der Reisende nicht ausdrücklich Schadensersatz begehrt. Auch könnte das Berufungsgericht im vorliegenden besonderen Fall den Auslegungsstoff nicht ausgeschöpft haben, indem es die textliche Ausgestaltung des von der Klägerin zu 2 unterschriebenen Fragebogens als Schadensanzeige nicht berücksichtigte. Falls die Erklärung der Klägerin zu 2 inhaltlich auf Schadensersatz abzielte, so spricht auch der Umstand, daß die Klägerin sie gegenüber der örtlichen Reiseleitung, nicht gegenüber der Niederlassung des Reiseveranstalters im Heimatland abgab, nicht dagegen, die Erklärung als Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen anzusehen. Denn die Klägerin zu 2 durfte darauf vertrauen, daß die Reiseleitung ihre Anspruchsanmeldung an den Reiseveranstalter weiterleiten werde.

Der Senat braucht indessen über die Versäumung der Ausschlußfrist im vorliegenden Fall nicht abschließend zu entscheiden.

b) Denn etwaige vertragliche Ansprüche der Klägerinnen sind auch, falls sie rechtzeitig angemeldet wurden, jedenfalls nicht durchsetzbar, weil sich die Beklagte insoweit zu Recht auf Verjährung berufen hat.

(1) Die im vorliegenden Rechtsstreit maßgebende Verjährungsfrist von sechs Monaten, die mit dem - unstreitigen - Zurückweisungsschreiben der Beklagten vom 14. September 1999 zu laufen begann (§ 651 g Abs. 2 BGB in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung; künftig: a.F.), war abgelaufen, als die Klägerinnen am 27. Dezember 2001 mit der Klageerhebung die erste Handlung vornahmen, die nach § 209 Abs. 1 BGB a.F. zur Unterbrechung der Verjährung führen konnte.

(2) Ohne Erfolg macht die Revision geltend, die Beklagte habe sich nicht auf die Verjährung der Klageforderungen berufen. Die Beklagte hat in ihrer Klageerwiderung die Einrede der Verjährung erhoben. Nach dem den Zivilprozeß beherrschenden Grundsatz der Mündlichkeit (§ 128 Abs. 1 ZPO) ist zwar nicht das schriftliche, sondern das mündliche Parteivorbringen maßgebend. Die Revision meint, die Verjährungseinrede sei nicht mündlich vorgetragen worden, weil sie im Tatbestand des Berufungsurteils, der Beweis für das mündliche Parteivorbringen erbringt (§ 314 Satz 1 ZPO), nicht ausdrücklich erwähnt ist. Der Urteilstatbestand beweist aber nicht nur, daß das, was in ihm als Parteivortrag ausdrücklich wiedergegeben wird, tatsächlich vorgetragen worden ist, sondern auch, daß der gesamte Inhalt der im Tatbestand in Bezug genommenen Schriftsätze vorgetragen worden ist (BGH, Urt. v. 03.11.1982 - IVa ZR 39/81, NJW 1983, 885, 886 unter I 1; Urt. v. 09.02.1990 - V ZR 149/88, NJW 1990, 2755 unter 1). Hier nimmt das Berufungsurteil auf sämtliche gewechselten Schriftsätze Bezug.

2. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht indessen auch Schadensersatzansprüche der Klägerinnen aus unerlaubter Handlung wegen Körperverletzung zurückgewiesen. Derartige Ansprüche sind weder verjährt noch durch Versäumung der Ausschlußfrist verlorengegangen.

a) Etwaige deliktische Schadensersatzansprüche sind nicht verjährt, weil für sie die Verjährungsfrist drei Jahre betrug (§ 852 Abs. 1 1. Altern. BGB a.F.) und diese Frist, die frühestens am Unfalltag, dem 29. Juli 1999, zu laufen begann, durch die am 27. Dezember 2001 erfolgte Klageerhebung rechtzeitig unterbrochen wurde. Die kürzere, seinerzeit sechsmonatige Verjährungsfrist des Reisevertragsrechts (§ 651 g Abs. 2 Satz 1 BGB a.F.) gilt nicht für eine dem Reisenden auf der Reise zugefügte unerlaubte Handlung (BGH, Urt. v. 25.02.1988 - VII ZR 348/86, NJW 1988, 1380 unter II 3).

b) Deliktische Schadensersatzansprüche sind aber auch nicht durch Versäumung einer Ausschlußfrist verlorengegangen. Unbeschadet der Frage, ob die Klägerinnen eine etwaige einmonatige Ausschlußfrist durch die rechtzeitige Anspruchsanmeldung bei der örtlichen Reiseleitung gewahrt hätten, gilt für die deliktischen Ansprüche der Klägerinnen die Ausschlußfrist des § 651 g Abs. 1 Satz 1 BGB nicht. Weder ist die ihrem Wortlaut nach nur für die reisevertraglichen Gewährleistungsansprüche geltende Regelung des § 651 g Abs. 1 Satz 1 BGB unmittelbar oder analog auf konkurrierende Ersatzansprüche aus unerlaubter Handlung anwendbar, noch haben die Parteien eine Ausschlußfrist auch für Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung wirksam vertraglich vereinbart. Wie der Senat inzwischen entschieden hat (Urt. v. 03.06.2004 - X ZR 28/03 unter II, zur Veröffentlichung vorgesehen), benachteiligt eine AGB-Klausel, welche die Ausschlußfrist ganz allgemein auch auf Ansprüche aus unerlaubter Handlung ausdehnt, den Reisekunden unangemessen und ist daher unwirksam (§ 9 Abs. 1 AGBG; jetzt: § 307 BGB).

III. Das angefochtene Urteil kann demnach mit der gegebenen Begründung keinen Bestand haben. Es war aufzuheben. Der erkennende Senat kann nicht selbst abschließend entscheiden, weil das Berufungsgericht, von seinem Standpunkt aus folgerichtig, noch keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob der Beklagten eine unerlaubte Handlung - etwa wegen Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflicht oder pflichtwidrig vernachlässigter Aufsicht über das Kind - zur Last fällt und ob gegebenenfalls den Klägerinnen ein Schaden in welcher Höhe entstanden ist. Der Rechtsstreit ist daher zur weiteren Sachaufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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