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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 04.11.2004
Aktenzeichen: X ZR 252/01
Rechtsgebiete: PatG


Vorschriften:

PatG § 21 Abs. 1 Nr. 1
PatG § 21 Abs. 1 Nr. 2
PatG § 22 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

X ZR 252/01

Verkündet am: 4. November 2004

in der Patentnichtigkeitssache

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 4. November 2004 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, den Richter Scharen, die Richterin Mühlens und die Richter Dr. Meier-Beck und Dr. Kirchhoff

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung gegen das Urteil des 2. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 11. Oktober 2001 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des im Verlaufe des Rechtsstreits durch Zeitablauf erloschenen deutschen Patents 32 24 093 (Streitpatents). Das Streitpatent beruht auf einer Anmeldung vom 29. Juni 1982, für die eine niederländische Priorität vom 2. Juli 1981 in Anspruch genommen worden ist. Die Patentansprüche 1 und 6 lauten:

1. Verfahren zum Weben auf einer Düsenwebmaschine, bei welchem die Schußfäden von Vorratsspulen abgezogen, abgemessen und von einer mit einem Transportfluidum gespeisten Düse in das Webfach eingetragen werden, dadurch gekennzeichnet, daß man beim Übergang des Abzugs des Schußfadens von einer Vorratsspule (6a) zur nächstfolgenden (6b) den Speisedruck der Düse (2) zeitweilig ändert.

6. Webmaschine zur Durchführung des Verfahrens nach Anspruch 1, mit mindestens einer von einem strömenden Fluidum gespeisten Düse zum Eintragen des Schußfadens, mit einer Schußfadenvorbereitungseinrichtung zum Abmessen und Abziehen des Schußfadens von einer stationären Vorratsspule, und mit benachbart zur Vorratsspule angeordneten Mitteln zur Aufnahme einer Reservespule, dadurch gekennzeichnet, daß zwischen der Vorratsspule (6a) und den genannten Mitteln (b) eine Detektionseinrichtung (8) angeordnet ist, deren Detektionsbereich beim Obergang des Fadenabzugs von einer Spule (6a) auf die Reservespule (6b) von dem die beiden Spulen verbindenden Fadenstück (7) überstrichen wird, daß ein Steuerelement (9) für den Speisedruck der Düse (2) vorgesehen ist, und daß der Ausgang der Detektionseinrichtung mit dem Steuerelement verbunden ist.

Wegen des Wortlauts der Patentanspruch 1 bzw. 6 untergeordneten Patentansprüche 2 bis 5 sowie 7 und 8 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.

Die Klägerin, die von der Beklagten wegen Verletzung des Streitpatents in Anspruch genommen wird, hat geltend gemacht, das Streitpatent offenbare die Erfindung nicht ausreichend, ferner sei der Gegenstand der Erfindung nicht neu und beruhe jedenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

Das Bundespatentgericht hat die Nichtigkeitsklage abgewiesen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie den Antrag weiterverfolgt, das Streitpatent für nichtig zu erklären.

Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Als gerichtlicher Sachverständiger hat Dr.-Ing. U. B. ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat. Die Klägerin hat zwei gutachtliche Stellungnahmen vorgelegt, die Prof. Dr.-Ing. O. K. in ihrem Auftrag erstellt hat; die Beklagte hat ein Gutachten vorgelegt, das Prof. Dr.-Ing. G. E. im Verletzungsprozeß für das Oberlandesgericht Düsseldorf erstattet hat.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg; die im Hinblick auf die anhängige Verletzungsklage auch nach Ablauf des Streitpatents weiterhin zulässige Nichtigkeitsklage bleibt abgewiesen. Wie das Bundespatentgericht hat auch der Senat nicht die Überzeugung gewonnnen, daß der ausführbar offenbarte und im Stand der Technik nicht vorweggenommene Gegenstand des Streitpatents dem Fachmann nahegelegt war und daher nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht (§ 22 Abs. 2 i.V.m. § 21 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 PatG).

I. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zum Weben auf einer Düsenwebmaschine sowie eine Webmaschine zur Ausführung des erfindungsgemäßen Verfahrens.

Bei dem Verfahren wird ein Schußfaden von einer Vorratsspule abgezogen, abgemessen und von einer mit einem Transportfluid gespeisten Düse in das Webfach eingetragen. Als Transportfluid wird üblicherweise Luft verwendet. Es handelt sich um ein kraftschlüssiges Eintragsverfahren, bei dem die Krafteinleitung durch Impulsübertragung zwischen dem schnell strömenden Fluid und dem stehenden oder bewegten Schußfaden erfolgt. Das ermöglicht eine hohe Transportgeschwindigkeit, bringt aber gegenüber einem mit einem Greifer arbeitenden formschlüssigen Eintragsverfahren das Problem mit sich, daß verschiedene Faktoren die Impulsübertragung vom Fluid auf den Schußfaden und damit die für den Schußeintrag benötigte Zeit beeinflussen können. So weist die Streitpatentschrift darauf hin, daß die Impulsübertragung bei glatten Garnen weniger effektiv sei als bei faserigen Garnen und die Ursache hierfür offensichtlich in den unterschiedlichen Oberflächenbeschaffenheiten der einzelnen Garnsorten liege. Es gebe aber auch Fälle, bei denen die die Impulsübertragung beeinflussenden Faktoren nicht offenkundig seien. Beispielsweise seien auch bei Schußfäden der gleichen Garnsorte, die unter anscheinend gleichen Bedingungen eingetragen würden, Schwankungen in der Impulsübertragung und damit Unterschiede in der für den Schußeintrag benötigten Zeit festzustellen.

In der deutschen Offenlegungsschrift 30 43 003 (D 1) seien bereits Vorschläge gemacht worden, derartige Veränderungen der Impulsübertragung durch eine automatische Anpassung des Speisedrucks der Düse oder der Maschinendrehzahl zu kompensieren, um entweder eine konstante Dauer des Schußeintrags oder eine Dauer des Schußeintrags zu erreichen, die einen konstanten Teil des von der Drehzahl bestimmten Webzyklus' bilde. Damit könne eher "trendartigen" Veränderungen der Impulsübertragung Rechnung getragen werden.

Wie in der Streitpatentschrift weiter ausgeführt wird, haben weitere Untersuchungen gezeigt, daß daneben auch "spontane" Veränderungen der Impulsübertragung auftreten können, insbesondere dann, wenn der Fadenvorrat einer Vorratsspule, von der der Schußfaden abgezogen wird, zu Ende geht und auf die nächste Vorratsspule übergegangen wird, deren Fadenkopf mit dem Fadenschwanz der vorigen Spule verknüpft ist. Der Erfindung liegt das technische Problem zugrunde, zu vermeiden, daß sich aus diesem Wechsel der Vorratsspule eine Veränderung der Zeitdauer des Schußeintrags ergibt.

Patentanspruch 1 lehrt, zur Lösung dieses Problem bei einem gattungsgemäßen Verfahren den Speisedruck der Düse beim Übergang des Abzugs des Schußfadens von einer Vorratsspule zur nächstfolgenden zeitweilig zu ändern.

Patentanspruch 6 lehrt eine Webmaschine zur Durchführung des Verfahrens nach Patentanspruch 1 mit folgenden Merkmalen:

1. mindestens einer von einem strömenden Fluid gespeisten Düse zum Eintragen des Schußfadens,

2. einem Steuerelement für den Speisedruck der Düse,

3. einer Schußfadenvorbereitungseinrichtung zum Abmessen und Abziehen des Schußfadens von einer stationären Vorratsspule,

4. benachbart zur Vorratsspule angeordneten Mitteln zur Aufnahme einer Reservespule und

5. einer Detektionseinrichtung,

5.1 die zwischen der Vorratsspule und den Mitteln zur Aufnahme einer Reservespule angeordnet ist,

5.2 deren Detektionsbereich beim Übergang des Fadenabzugs von der Vorratsspule auf die Reservespule von dem die beiden Spulen verbindenden Fadenstück überstrichen wird und

5.3 deren Ausgang mit dem Steuerelement verbunden ist,

5.4 so daß beim Übergang des Abzugs des Schußfadens von der Vorratsspule zur Reservespule der Speisedruck der Düse zeitweilig geändert werden kann.

Die nachfolgend wiedergegebene einzige Zeichnung der Streitpatentschrift zeigt schematisch ein Ausführungsbeispiel.

Die das Kennzeichen des Patentanspruchs 1 bildende Anweisung an den Fachmann, den Speisedruck der Düse beim Übergang des Abzugs des Schußfadens von einer Vorratsspule zur nächstfolgenden zeitweilig zu ändern, die auch mit der erfindungsgemäßen Webmaschine realisiert werden soll (Merkmal 5.4), bedarf näherer Erläuterung.

Sie könnte auf den ersten Blick dahin verstanden werden, daß die Veränderung des Speisedrucks in dem Moment wirksam werden soll, in dem der Faden von der ersten Spule vollständig abgezogen ist und der Abzug des (mit dem Faden der ersten Spule verknüpften) Fadens von der zweiten Spule beginnt (und gemäß Merkmal 5 des Patentanspruchs 6 detektiert werden kann). Der angesprochene Fachmann, bei dem nach den übereinstimmenden Ausführungen des Bundespatentgerichts und des gerichtlichen Sachverständigen die Kenntnisse und Fähigkeiten eines an einer Fachhochschule ausgebildeten Elektrotechnik- oder Maschinenbauingenieurs mit praktischen Erfahrungen im Webmaschinenbau zugrundezulegen sind, erkennt jedoch, daß dies nicht der technische Sinn des Merkmals sein kann. Denn er entnimmt der Streitpatentschrift, daß die "spontanen" (sprunghaften) Änderungen der Impulsübertragung, denen erfindungsgemäß Rechnung getragen werden soll, in einem kausalen Zusammenhang mit dem Übergang von einer Vorratsspule zur nächsten stehen. Schon die Formulierung der Problemstellung, nach der der Einfluß des Wechsels von einer Vorratsspule zur anderen auf die Dauer des Schußeintrags ausgeschaltet werden soll, macht deutlich, daß es dem Streitpatent nicht - wie die Klägerin meint - darum geht, veränderten Fadeneigenschaften der letzten Schußfäden Rechnung zu tragen, die noch von der alten Vorratsspule in das Webfach eingetragen werden. Vielmehr geht es um den Einfluß, den der "Übergang" von einer Spule zur anderen auf die Impulsübertragung hat. Diesen Übergang definiert die Patentschrift in Sp. 2 Z. 51 - 54, indem sie von ihm sagt, er finde bekanntlich dann statt, wenn die alte Vorratsspule leer sei, also keinen Schußfaden mehr erhalte (richtig: enthalte); von ihm bemerkt sie, daß er in der Regel eher in Richtung einer Verlängerung der Dauer des Schußeintrags tendiere (Sp. 1 Z. 51 - 53). Der so verstandene Übergang kann sich aber auf die Impulsübertragung erst dann auswirken, wenn die Verknüpfungsstelle im Faden in das Webfach eingetragen wird. Je nach Ausbildung und Betriebsweise der Vorrichtung geschieht dies zudem in unterschiedlichen zeitlichen Abständen vom Übergang. Der Fachmann weiß, daß zwischen der Vorratsspule (6) und der Blasdüse (2) eine Schußfadenvorbereitungseinrichtung (3) angeordnet ist, wie sie auch Merkmal 3 des Patentanspruchs 6 lehrt und wie sie nach den Ausführungen im ersten Privatgutachten Prof. Dr.-Ing. K. Standard bei Luftdüsenwebmaschinen ist. Auf dieser Schußfadenvorbereitungs- oder Vorspuleinrichtung befinden sich noch mehrere Windungen "alten" Schußfadens, wenn der Abzug von der neuen Spule beginnt und damit die Verbindungsstelle zwischen der alten und der neuen Vorratsspule bewegt wird. Je nach Ausbildung der Maschine reicht dieser Schußfadenvorrat noch für mehrere Schüsse aus. Da erfindungsgemäß dem Einfluß Rechnung getragen werden soll, den der Wechsel von der einen zur anderen Vorratsspule auf die Dauer des Schußeintrags hat (bzw. ohne die erfindungsgemäße Maßnahme hätte), versteht es sich somit für den Fachmann, daß die Veränderung des Speisedrucks so erfolgen muß, daß sie - unter Berücksichtigung der Trägheit der Steuerungseinrichtung - dann wirksam ist, wenn die Verknüpfungsstelle zwischen altem und neuem Faden in das Webfach eingetragen wird.

Soweit das Streitpatent weiterhin lehrt, den Speisedruck der Düse "zeitweilig" zu ändern, bleibt es dem Fachmann überlassen, für welchen Zeitraum er die durch den Spulenwechsel veranlaßte Veränderung des Speisedrucks beibehält. Mit dem Adverb "zeitweilig" bringt der Patentanspruch lediglich zum Ausdruck, daß die erfindungsgemäße Maßnahme nur für den Übergang und eine gewisse Anzahl ihm nachfolgender Schußfadeneinträge bestimmt ist. Wie der Speisedruck danach zu regeln ist, läßt das Streitpatent offen, da es sich mit einem insoweit bestehenden Regelungsbedarf nicht befaßt. Wie die Streitpatentschrift erläutert, kommt insbesondere in Betracht, die erfindungsgemäße Maßnahme mit einer Steuerschaltung nach der D 1 zu kombinieren. Das ermöglicht es, allmähliche ("trendartige") Veränderungen der Impulsübertragung und damit der Dauer des Schußfadeneintrags zu detektieren und durch entsprechende Regelung des Speisedrucks zu regulieren und diese Regelung nur solange - zugunsten der erfindungsgemäßen Maßnahme - auszusetzen, bis der Anfang eines neuen Fadens eingetragen ist und eine auf den Eintrag reagierende (nachwirkende) Regelung wieder ausreicht, um eine konstante Dauer des Schußeintrags zu erreichen.

II. Aus dem Vorstehenden ergibt sich zugleich, daß entgegen den von der Klägerin erhobenen Einwänden die Streitpatentschrift die Erfindung so deutlich und vollständig offenbart, daß ein Fachmann sie ausführen kann. Insbesondere bedeutet es, wie der gerichtliche Sachverständige bestätigt und auch die Klägerin in anderem Zusammenhang eingeräumt hat (Berufungsbegründung S. 8 oben), keine besonderen Schwierigkeiten, den Zeitpunkt zu errechnen oder durch einfache Versuche zu ermitteln, zu dem erfindungsgemäß die durch den Spulenwechsel veranlaßte Veränderung des Speisedrucks wirksam werden soll. Den gegenteiligen Standpunkt vertritt die Klägerin nur deshalb, weil sie meint, das Streitpatent lehre, den Speisedruck der Düse zeitweilig zu ändern, während noch Schüsse mit dem "alten" Schußfaden ausgeführt würden, offenbare jedoch nicht, welche Wirkung durch diese Maßnahme erreicht und welches technische Problem damit gelöst werden solle. Das entspricht jedoch, wie dargelegt, nicht der technischen Lehre, die der Fachmann dem Streitpatent entnimmt.

III. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist neu.

Die deutsche Offenlegungsschrift 30 43 003 (D 1) schildert, daß Versuche zu der Erkenntnis geführt hätten, daß nicht nur unterschiedliche Garne unterschiedliche Impulsübertragungen bedingten, sondern auch zwischen aufeinanderfolgenden Schüssen mit gleichem Garn Unterschiede in der Transportgeschwindigkeit aufträten, die ihre Ursache hauptsächlich im Garn selbst fänden und namentlich die Folge einer Streuung im Luftwiderstand des Garns seien. Die Schrift will diese Erkenntnis dazu nutzen, die Transportgeschwindigkeit des Schußgarns zu ermitteln und als Steuergröße für die Steuerung der Webmaschine zu verwenden. Dazu wird vorgeschlagen, von jedem Schußfaden die Transportgeschwindigkeit zu ermitteln, ein die gemessene Transportgeschwindigkeit repräsentierendes Signal einem Steuersystem zuzuführen und das Signal in ein Steuersignal umzuwandeln, das die Drehzahl der Maschine derart verändert, daß die zum Transport eines Schußfadens benötigte Zeit einen nahezu konstanten Teil der momentanen von der Drehzahl bestimmten Webzykluszeit bildet. Alternativ offenbart die Entgegenhaltung die Möglichkeit, mittels des Steuersignals die Systemkomponente zu beeinflussen, die die Transportgeschwindigkeit bestimmt, d.h. beispielsweise den Speisedruck der Düse zu erhöhen oder zu verringern. Auf diese Weise soll eine (annähernd) konstante Schußzeit (Transportgeschwindigkeit) erzielt werden. Die Problematik des Übergangs des Abzugs des Schußfadens von einer Vorratsspule zur nächstfolgenden wird nicht angesprochen. Demgemäß findet sich auch kein Hinweis auf die Möglichkeit, im Hinblick darauf den Speisedruck der Düse zeitweilig zu ändern.

Die übrigen Entgegenhaltungen sind inhaltlich vom Gegenstand des Streitpatents noch weiter entfernt und bedürfen daher, wie auch die Klägerin nicht in Zweifel zieht, im vorliegenden Zusammenhang keiner Erörterung.

IV. Der Senat hat nicht die Überzeugung gewonnen, daß der Stand der Technik dem Fachmann den Gegenstand des Patentanspruchs 1 nahegelegt hat.

Die Entgegenhaltung D 1 ermöglichte es dem Fachmann, Eigenschaftsänderungen Rechnung zu tragen, die sich bei einem auf einer Spule aufgewickelten Garn im Verlauf des Abzugs ergeben können, insbesondere deshalb, weil - wie der gerichtliche Sachverständige erläutert hat - der auf dem Spulkörper aufgewickelte innere Teil des Fadenvorrats eine erhöhte Kringelneigung erwarten läßt und zudem stärker komprimiert ist als der äußere Teil. Die sich über die Gesamtlänge des Fadens hieraus ergebenden deutlichen Änderungen der die Impulsübertragung bestimmenden Fadeneigenschaften sind, wie es die Streitpatentschrift ausdrückt, "trendartig", weil sie sich - jedenfalls tendenziell - nicht in Stufen ergeben, sondern eine allmähliche lineare Veränderung der Transportgeschwindigkeit zur Folge haben. Die D 1 selbst bezeichnet dies als "Neigung" des Garns zu einer Verringerung oder Verlängerung der Schußzeit. Daher ist es möglich, eine annähernd gleiche Schußzeit dadurch zu erreichen, daß jeweils die aktuelle Transportgeschwindigkeit gemessen und zur Grundlage einer Regelung des Speisedrucks gemacht wird, obwohl die Regelung systembedingt Veränderungen der Transportgeschwindigkeit notwendigerweise "nachhinkt".

Für das Problem, das sich aus den unterschiedlichen Fadeneigenschaften des Fadenendes einerseits und des nachfolgenden Fadenanfangs andererseits ergibt, bietet dieses Regelungssystem keine Lösung, denn die Veränderung ist in diesem Fall keine allmähliche, sondern eine, wie die Streitpatentschrift es ausdrückt, "spontane". D.h. die Veränderung der Transportgeschwindigkeit tritt mit dem Fadenwechsel sprunghaft ein, und die nachhinkende Regelung kann ihr nicht rechtzeitig Rechnung tragen. Daher können die verschiedenen Regelungsmöglichkeiten, die die D 1 dem Fachmann anbietet, ihm auch keine Anregung vermitteln, wie er das Problem des Übergangs vom "alten" zum "neuen" Schußfaden bewältigen kann. Dazu muß sich der Fachmann vielmehr von der meßtechnischen Erfassung des jeweils aktuellen Schußfadeneintrags lösen und einen anderen Anknüpfungspunkt für seinen Regelungseingriff finden. Das bedeutet aber eine grundsätzliche Abkehr von dem, was die D 1 lehrt und offenbart.

Daran ändert auch der Umstand nichts, daß die D 1 die Bemerkung enthält, daß es auf die geschilderte Weise auch möglich sei, die Maschine sich bei Übergang auf eine andere Art von Schußgarn automatisch auf dieses einstellen zu lassen, indem einfach ein neues Vergleichssignal eingeführt werde, das für die bei dieser Art von Schußgarn gewünschte Schußzeit repräsentativ sei (S. 6 Z. 13 - 17). Denn das Vergleichssignal stellt nur den Sollwert dar, mit dem die gemessene Schußzeit verglichen wird und ändert nichts an der Erfassung des Istwertes durch die Messung des aktuellen Schußfadeneintrags.

Die Entgegenhaltungen D 2 bis D 4 befassen sich zwar mit dem Übergang des Schußfadens von einer Vorratsspule zur nächstfolgenden (deutsche Offenlegungsschrift 25 09 558, D 2) und zum Teil auch mit der Erkennung dieses Übergangs (britische Patentschrift 319 134, D 3; deutsche Offenlegungsschrift 25 41 051, D 4), erwähnen jedoch keine Veränderung des Speisedrucks und stellen auch sonst keinen Zusammenhang zu einer Steuerung her, die eine konstante Schußzeit gewährleisten könnte. Daher sind sie für den Fachmann erst dann von Interesse, wenn er bereits erkannt hat, daß er das der Erfindung zugrundeliegende Problem dadurch lösen kann, daß er nicht den momentanen Schußfadeneintrag, sondern den Übergang des Abzugs des Schußfadens von einer Vorratsspule zur nächsten zum Anknüpfungspunkt für eine (zeitweilige) Änderung des Speisedrucks der Düse nimmt. Für den entscheidenden Schritt, der für den Fachmann nicht naheliegt, der sich mit der deutschen Offenlegungsschrift 30 43 003 (D 1) befaßt, bietet daher auch der übrige Stand der Technik keine Anregung.

Die Erfindung kann schließlich auch nicht deshalb als vom Stand der Technik nahegelegt angesehen werden, weil der Fachmann, der aufgrund nicht vollständig eingetragener Schußfäden den Übergang von einer Spule zur anderen als Störungsquelle erkannt hätte, eine rechtzeitige Erhöhung des Speisedrucks als Möglichkeit einer Störgrößenaufschaltung hätte erwägen können, wie der gerichtliche Sachverständige in der mündlichen Verhandlung gemeint hat. Zum einen wäre der Fachmann damit noch nicht beim Gegenstand der Erfindung gewesen, weil er - ohne hierzu eine Anregung im Stand der Technik zu finden - die Anknüpfung an den Übergang des Abzugs des Schußfadens von einer Vorratsspule zur nächsten als das Mittel hätte erkennen müssen, welches es ihm erlaubte, die Rechtzeitigkeit der Störgrößenaufschaltung zu gewährleisten. Zum anderen kann nicht festgestellt werden, daß dem Fachmann bekannt war, daß der Übergang des Abzugs des Schußfadens von einer Vorratsspule zur nächsten überhaupt Veranlassung zu einer Störgrößenaufschaltung geben konnte. In seinem schriftlichen Gutachten hat der Sachverständige ausgeführt, daß Störgrößenaufschaltungen recht selten eingesetzt werden, da hierfür zwei Bedingungen erfüllt sein müssen: Zum einen muß die Störung in Art und Stärke der Einwirkung auf das zu regelnde System erkennbar und beschreibbar sein, und zum anderen muß die Störung von solcher Bedeutung sein, daß es wirtschaftlich und technisch sinnvoll erscheint, für diesen speziellen Fall eine besondere Handlungsweise oder Vorrichtung vorzusehen. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, daß der Fachmann im Prioritätszeitpunkt wußte, daß mehr oder weniger regelmäßige Störungen durch einen unvollständigen Eintrag des Schußfadens ausschließlich oder zumindest mit einer signifikanten Häufigkeit gerade im Zusammenhang mit dem Spulenübergang auftraten, haben sich indessen aus der mündlichen Verhandlung und der Beweisaufnahme nicht ergeben. Daher kann zumindest nicht ausgeschlossen werden, daß der Fachmann auf eine gegebenenfalls auftretende ihm nicht mehr tolerierbar erscheinende Anzahl an Störungen durch nicht vollständig eingetragene Schußfäden lediglich mit einer allgemeinen Absenkung der Maschinendrehzahl reagiert hätte.

V. Für Patentanspruch 6 gelten die Ausführungen zu III und IV im Hinblick auf die Merkmale 5.3 und 5.4 entsprechend. Die Unteransprüche 2 bis 5 sowie 7 und 8 werden durch die patentfähigen Ansprüche 1 und 6 mitgetragen und haben daher gleichfalls Bestand.

VI. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG i.V.m. § 97 ZPO.

Ende der Entscheidung

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